Pralle Lebenslust, fast wie einem alten Gemälde entsprungen: Der „Buuredanz“ von den Bläck Fööss nach einem Text von Hans Knipp (1977)
24. August 2023 1 Kommentar
De Bläck Fööss Buuredanz (Texr: Hans Knipp) 1. Spellmannszöch höt mer üvverall, un de Trumme met hadem Knall. Och de Ferke die quieken em Stall, wenn en Berkesdörp d'r Buur op d'r Huhzick danz, jo wenn en Berkesdörp d'r Buur op d'r Huhzick danz. 2. Schötzebröder kummen an us dem Dörp vun nevvenan strahlend fein en jrönem Jlanz, wenn [...] 3. Feuerwehre kummen flöck met de Löschzöch anjeröck. Hoffentlich bliet alles janz, wenn [...] 4. Op d'r Desch, mih als jenoch, kütt e Ferke en enem Troch un pro Kopp en fette Jans, wenn [...] 5. Un dat Esse dot un dot. Fleisch un Ääpel rötschen joot, denn dä Wing mät alles mangs, wenn [...] Links eröm un rächs eröm, üvver Desch un Bänk un Stöhl. Links eröm un rächs eröm, jeder föhlt sich wohl he en dem Jewöhl. 6. Un dä Knäch lurt wie verröck, als et Trina sich flöck böck, böck noh singem Jungfernkranz, wenn [...] 7. Och d'r Paschter höpp wie jeck wie vum Düvel anjesteck met d'r Mad de Wäng elans, wenn [...] 8. Voll vun Ferke, Zaus un Wing, litt em Strüh et Stommels Tring; doch et hilf im Föschters Franz, wenn [...] Links eröm un rächs eröm [...] 9. Langsam weed et druße hell, un d'r Hahn krieht om Meß janz schrill. Medden dren litt Föschters Franz, wenn [...] 10. Och d'r Paschter kann nit mih, doch mer hilf im en de Hüh. Jott sei Dank, hä es noch janz, wenn [...] Links eröm un rächs eröm [...] Links eröm un rächs eröm [...] Ralala la la la la la la la la… Wenn […] [De Bläck Fööss: De Bläck Fööss. EMI 1978.]
Worum es geht – eine Nacherzählung für Dialekt-Fremde
Beginnen wir mit einer kleinen Hilfestellung für die Nicht-Rheinländer:[1] Der Text unseres Liedes schildert in 10 Bildern den Ablauf einer Bauernhochzeit, bei der es laut, fröhlich, deftig, opulent, ausgelassen und auch ein wenig derb zugeht, wie es der kunst- und literaturgeschichtlichen Tradition dieses Themas entspricht.
Die Eingangsstrophe widmet sich der Geräuschkulisse des beginnenden Festes: Spielmannszüge sind von allen Seiten zu hören. Sie lassen ihre Pauken ordentlich knallen und die Ferkel in den umliegenden Ställen tragen das ihre zur Tanzmusik der ländlichen Hochzeit bei. Nun marschieren auch die Schützenbrüder vom Nachbardorf ,strahlend fein in grünem Glanze‘ ein.[2] Die (freiwilligen) Feuerwehrtrupps der Gegend erscheinen mitsamt ihren Löschzügen so geschwind, dass die Sänger nur hoffen können, dass dabei kein Flurschaden entsteht.
Sobald die Festgesellschaft endlich beisammen ist, kann das Essen aufgetragen werden, das – natürlich – ausgesprochen üppig ausfällt. Auf den Tisch kommt ein Ferkel im Trog und dazu noch pro Kopf eine fette Gans. Fleisch und Kartoffeln („Ääpel“ = Erdäpfel) rutschen prima, weil der Wein alles schön geschmeidig („mangs“) macht. Nun ist man bereit, ein Tänzchen zu wagen, und der Refrain gibt die wichtigsten Bewegungsabläufe vor: links herum, rechts herum, über die Möbel hinweg und dasselbe gleich noch einmal. Jeder fühlt sich in dem Gewühl wohl.
Mit der sechsten Strophe zoomt die musikalische Kamerafahrt dichter ans Geschehen heran. Nun werden einzelne Teilnehmer der Festgesellschaft kenntlich und an ihrem Gebaren identifiziert. Da interessiert sich der Knecht auffällig für die Trina (Katharina), speziell als die sich nach ihrem gefallenen Jungfernkranz (!) bückt. Der Pastor hüpft in der Folgestrophe närrisch, ja wie vom Teufel besessen mit der Magd die Wände entlang und dann fällt dem Bauern (offenbar dem Bräutigam) seine Frau irgendwo hinten in ein Fuder Holz, was aber kaum der Rede wert erscheint, da ihr Schleier dabei nicht zu Schaden kommt.
Mit dem fortschreitenden Fest mehren sich die Stürze und Ausfälle: Reichlich abgefüllt mit Ferkel, Soße und Wein hat es die Stommels Kathrin ins Stroh gehauen. Glücklicherweise steht ihr der Försters Franz bei, den es aber im Morgengrauen, als der Hahn schrill auf dem Mist kräht, selber arg erwischt. Auch der Pfarrer hat nun jegliche Standfestigkeit eingebüßt; aber auch ihm wird wieder aufgeholfen und – siehe da – er ist noch ganz. Damit steht einem guten und befriedigenden Ende der ländlichen Volksbelustigung nichts mehr entgegen, außer vielleicht der Refrain des Liedes, der ad libitum wiederholt werden kann …
Realweltliche Bezüge
Der Liedtext situiert die Bauernhochzeit nach „Berkesdörp“, das wir als fiktionales Dorf verstehen sollten. Zwar gibt es im Umland von Köln durchaus ein reales Birkesdorf, wobei es sich um den größten Ortsteil der ungefähr mittig zwischen Aachen und Köln gelegenen Industriestadt Düren handelt, dem als Geburtsort des derzeit herrschenden Gesundheitsministers Karl Lauterbach inzwischen eine ähnliche Aura zugewachsen ist wie dem pfälzischen Oggersheim als Wohnsitz eines vormaligen Bundeskanzlers, allein dies alles qualifiziert Birkesdorf am Ende nicht hinreichend als Bühne unserer bäuerlichen Lustbarkeit. Schon die sprachlichen Gegebenheiten sprechen klar dagegen, wie ortskundige Sprachexperten überzeugend belegt haben. Aber auch optisch hat die industriell geprägte Gegend im praktisch total kriegszerstörten und danach rasch im Stil der fünfziger Jahre wieder aufgebauten Düren keine passenden Kulissen für Dorfidyllik zu bieten.
Zudem gibt es informell überlieferte Kindheitserinnerungen des Dichters Hans Knipp, die in eine andere Richtung weisen, wenn man denn unbedingt nach realen Vorbildern für das fröhliche ländliche Treiben fahnden will. Als Hauptverdächtiger kommt dafür das Erntedankfest in Markelsbach infrage. Knipp hatte Verwandte in der Gegend, die er in den oft Sommerferien besuchte und durch die er dann auch das Markelsbacher Erntedankfest kennen und schätzen lernte.[3] Das Örtchen gehört zur Verbandsgemeinde Much (rund 14.500 Einwohner), die knapp 30 km östlich von Köln im Naturpark Bergisches Land gelegen ist und sich aus 112 Gemeinden, Weilern und Einzelhöfen zusammensetzt.[4] Im Internet findet man nur relativ spärliche Informationen über dieses Fest, das von einem speziellen ,Ernteverein‘ mit Tanzabteilung organisiert wird.[5] Der Brauch geht bis auf das Jahr 1900 zurück und wurde seitdem mit wenigen, unterschiedlich bedingten Unterbrechungen regelmäßig durchgeführt. Im Mittelpunkt stehen ein initialer Gottesdienst, auf den das Lied indirekt durch die markante Gestalt des Pastors verweist, ein Festzug mit geschmückten Mottowagen sowie ein ,Erntepaar‘, zu dessen Auswahl bzw. Symbolik ich leider nichts sagen kann.
Reichlich unerforscht scheint auch noch zu sein, inwiefern der Dialekt des Liedes, der auch für ortsfremde Ohren deutlich vom ,stadtkölschen‘ Slang der gängigen Bläck Fööss-Hits abweicht, indem er irgendwie rauer, ungeschliffener daherkommt, auf die im Bergischen bei Much gängige Mundart bezogen ist oder ob hier nur eine stadtfern-bäuerlich klingende Sprachvariante des Kölschen simuliert wird, für die es überhaupt keine realweltliche Entsprechung gibt. Diese Frage sollte natürlich von sprachwissenschaftlich interessierten Experten beantwortet werden und nicht von mir, der sich dann schon eher für die vielschichtigen kulturgeschichtlichen Beziehungen zwischen Stadtbürgern, Bauern und Narren zuständig fühlt.
Kulturgeschichtliche Hintergründe
Ich will überhaupt nicht behaupten, dass Hans Knipp vor dem Dichten seines Buuredanzes zunächst ein paar Semester Volkskunde, Literatur-, Kunst- und Karnevalsgeschichte studiert hätte oder dass dergleichen erforderlich sei, bevor man an diesem Liedchen seinen Spaß haben könnte. Aber ich glaube schon, dass Künstler, die in den karnevalistischen Traditionen Kölns leben und arbeiten, intuitiv einen Sinn für ,Komik‘, ,Tiefgang‘ bzw. ,Erfolgspotential‘ bestimmter Motive und Konstellationen mitbringen, die sie als Rohmaterial für ihre Werke benutzen. Diese handwerkliche Erfahrung reicht zwar nicht aus, aus jedem Einfall einen Hit zu machen, aber bei der nachträglichen Analyse eines Liedes, das es zum ,Evergreen‘ geschafft hat, lassen sich schon einige Gründe erkennen, warum es in dem einen oder anderen Fall so gut geklappt hat.[6]
Bauer und Bürger: Urbane und ländliche Lebensweisen haben sich schon in der Antike markant unterschieden und Dichter, Musiker und Künstler angeregt, diese mit ihren jeweiligen Ausdrucksmitteln darstellend zu vergleichen. Oft genug liefen solche Vergleiche auf Spott, Hohn oder Neid hinaus, manchmal aber auch auf nostalgisch verklärte Idealisierung des Landlebens durch die ,eigentlich‘ besser gestellten Städter. Die Entwicklung der antiken Idyllendichtung von Theokrit bis zu Vergils Bucolica liefert hierfür den Prototyp, der sich im Mittelalter und der frühen Neuzeit unter christlichem Vorzeichen und im Rahmen anderer Rechtsverhältnisse strukturell noch einmal wiederholen sollte.
Bauer und Narr: Im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit wird ein didaktisches literarisches Genre populär, das alle möglichen Narreteien ins Zentrum stellt. Anhand des törichten und lasterhaften Verhaltens seiner Protagonisten versuchen die gelehrten Verfasser der sog. ,Narrenliteratur‘ ihrem Publikum auf unterhaltsame Weise die herrschenden Normen einer klugen und gottgefälligen Lebensführung nahe zu bringen. In solchen Texten werden oft Bauernfiguren bemüht, wenn negative Exempel für unzureichende Triebkontrolle und deren üble Folgen (Trunkenheit, Eifersuchtskonflikte, Schlägereien) gebraucht werden.
Bauernhochzeiten und Bauerntänze in der bildenden Kunst: Bei meiner ersten Begegnung mit dem Buuredanz der Bläck Fööss hatte ich sofort das Gefühl, die Szenerie schon von klassischen Gemälden her zu kennen. Beim Versuch, diesen Eindruck durch konkrete Beispiele zu untermauern, war ich allerdings nicht sehr erfolgreich. Auf der berühmten Bauernhochzeit von Pieter Bruegel d. Älteren (1566/67) geht es ausgesprochen ,sittsam‘ zu: Man speist ausgesprochen frugal und niemand kommt darin auf die Idee, über Tisch und Bänke zu springen, so dass einige Betrachter sich sogar an das biblische Motiv von der Hochzeit zu Kana erinnert fühlten. Ein wenig bewegter geht es im Bauerntanz desselben Künstlers zu, der vermutlich ein dörfliches Fest eröffnet; aber auch in diesem Bild dominiert eine realistische Sichtweise ohne satirische oder gar narren-kritische Züge. Beim Weitersuchen fand ich natürlich noch eine Reihe weiterer, älterer und jüngerer Darstellungen des Motivs, aber im Grunde kein Bild, das der Szenerie des Karnevalsliedes auch nur einigermaßen nahe kommt.
Der Bauer im Kölner Karneval:[7] In der Kölschen Karnevalsmythologie besetzt der Bauer eine prominente Position und ist nicht von ungefähr im Dreigestirn vertreten. Angetan mit Kettenhemd und schwerem Dreschflegel, der nicht fürs Korn gedacht ist, sondern dazu dient, „die Feinde der Stadt zu Brei zu schlagen“,[8] symbolisiert ,Seine Deftigkeit‘ die Wehrhaftigkeit der Stadt und erinnert an ihre Befreiung aus erzbischöflichen Klauen in der Schlacht von Worringen am 5. Juni 1288, in der bergisch-bäuerliche Hilfstruppen eine wichtige Rolle gespielt hatten. Liebhabern verwickelter mittelalterlicher Schlachttaktiken empfehle ich mit äußerstem Nachdruck die Lektüre des einschlägigen Wikipedia-Artikels, aus dem ich lediglich zwei Sätze zitieren will, die das Agieren der Bauern charakterisieren: „Die Kampfweise der bergischen Bauern und der Kölner Miliz wird dergestalt beschrieben, dass sie auf alles und jeden einschlugen, egal ob Feind oder Freund. Vermutlich lag dies auch daran, dass sie die meisten Wappen nicht kannten und deswegen kaum zwischen Feind und Freund unterscheiden konnten.“[9] Dieses Verhalten verwirrte und deprimierte den Erzbischof Siegfried von Westerburg so sehr, dass er einsah, diese Schlacht nicht gewinnen zu können, worauf er auch umgehend kapitulierte.
Bauern, Bürger und schlaraffische Phantasien: Die Vorstellung vom Schlaraffenland gab es schon in der Antike. Im christlichen Spätmittelalter wuchs ihr die Bedeutung einer Parodie des biblischen Paradieses zu und vermittels ihrer Ikonographie konnte zusätzlich die zeittypische Ständekritik (träge Bauern, Verweltlichung des Adels, funktionslose Ritterschaft) formuliert werden.[10] Gleichwohl faszinierte die Utopie vom Schlaraffenland mit seinem großen Versprechen, dass hier niemand hungern müsste bis in die jüngste Vergangenheit. Noch 1977, als unser Karnevalslied erstmals dem Publikum präsentiert wurde, dürften sich viele Menschen an die Hungerjahre der Nachkriegszeit und die verzweifelten ,Hamsterfahrten‘ der Städter ins bäuerliche Umland erinnert haben, das ihnen seinerzeit wie ein Schlaraffenland vorgekommen war. Gut, dass sich solche Assoziation uns heutzutage nicht mehr aufdrängen!
Hans-Peter Ecker, Bamberg
[1] Hilfreich für das Verständnis: Worterklärungen von Wolfgang Näser, https://wolfgang-naeser-marburg.lima-city.de/htm/dia2k101.htm
[2] Den Schützenbruderschaften und ihren Festen haben die Bläck Fööss an anderer Stelle ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zugewandt: https://www.youtube.com/watch?v=Au_BEA35uM8.
[3] Vgl. Wie der „Buuredanz“ der Bläck Fööss von Markelsbach nach „Berkesdörp“ kam.
[4] In Much leben und Schlagersänger Guildo Horn und Box-Weltmeister Henry Maske. Vermutlich nicht in einer WG. Aber immer wenn mir die Dauer-Gräue des oberfränkischen Winters 2022 zu heftig aufs Gemüt schlägt, stelle ich mir vor, wie die beiden beim Markelsbacher Erntefest aufeinandertreffen, sich sympathisch finden und spontan ein Bauerntänzchen wagen – „üvver Desch un Bänk un Stöhl“ …
[5] Vgl. https://ernteverein-markelsbach.de/?p=1269.
[6] Kein Wunder – hinterher ist man immer schlauer!
[7] Vgl. dazu auch meine Interpretation zum Karnevalslied „Op dem Maat“, https://deutschelieder.wordpress.com/2021/02/08/de-raeuber-op-dem-maat/.
[8] Vgl. https://www.koeln-lotse.de/2020/01/04/das-dreigestirn-prinz-bauer-jungfrau-teil-i/.
[9] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Worringen. Dass zu den Folgen des Ausgangs der Schlacht von Worringen u.a. auch die Erhebung Düsseldorfs zur Stadt zu rechnen ist, wird in Köln vermutlich als bedauerlicher, aber unvermeidbarer Kollateralschaden verbucht und den Bauern nicht weiter nachgetragen.
[10] Vgl. das einschlägige Bild von Bruegel, übrigens in enger zeitlicher Nachbarschaft seiner „Bauernhochzeit“ entstanden.