Der Proletarier fliehe das Strumpfband! Bertolt Brechts „Ballade vom Förster und der Gräfin“ (1949)

Bertolt Brecht

Ballade vom Förster und der Gräfin 

Es lebt eine Gräfin in schwedischem Land
Die war ja so schön und so bleich.
„Herr Förster, Herr Förster, mein Strumpfband ist los
Es ist los, es ist los.
Förster, knie nieder und bind es mir gleich!“
 
„Frau Gräfin, Frau Gräfin, seht so mich nicht an
Ich diene Euch ja für mein Brot.
Eure Brüste sind weiß, doch das Handbeil ist kalt
Es ist kalt, es ist kalt.
Süß ist die Liebe, doch bitter der Tod.“
 
Der Förster, er floh in der selbigen Nacht.
Er ritt bis hinab zu der See.
Herr Schiffer, Herr Schiffer, nimm mich auf in dein Boot
In dein Boot, in dein Boot
Schiffer, ich muß bis ans Ende der See.
 
Es war eine Lieb zwischen Füchsin und Hahn
„Oh, Goldener, liebst du mich auch?“
Und fein war der Abend, doch dann kam die Früh
Kam die Früh, kam die Früh:
All seine Federn, sie hängen im Strauch.

     [Bertolt Brecht: Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Gedichte 5: Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1993, S. 209.]

Brechts Ballade vom Förster und der Gräfin hatte ihren ursprünglichen Platz in einem Theaterstück, nämlich in dem oft aufgeführten und beim Publikum wegen seiner deftigen Hauptfigur ausgesprochen beliebten Exildrama  Herr Puntila und sein Knecht Matti (1940, UA am Schauspielhaus Zürich 1948). Dieses Schauspiel, das auf humoristischen finnischen Vorlagen von Hella Wuolijoki fußt, hat eine komplizierte Entstehungsgeschichte, über die Jan Knopfs Brecht Handbuch (Band 1, Stücke, 2001, S. 440 ff.) detailliert Auskunft gibt. So erarbeitete Brecht im Laufe eines Jahrzehnts von 1940 bis 1950 für diverse Anlässe vier mehr oder weniger unterschiedliche Theater- bzw. Druckfassungen. Unser Lied entstand im Zuge dieser Entwicklung 1949 für die Ostberliner Premiere des Stücks am Berliner Ensemble und ersetzte von da an die Vorgängervariante, das Lied vom Wolf und vom Huhn.

Die Försterballade artikuliert am Schluss der opulenten 9. Szene des Stücks (scheiternde Verlobungsfeier mit sog. ,Ehe-Examen‘) ein kapitalismuskritisches Fazit, das Brecht dem Kommunisten Surkkala in den Mund legt: Arm und Reich, Herr und Knecht passen nicht zusammen. Selbst wenn es zwischen einzelnen Angehörigen der antagonistischen Sozialschichten im Ausnahmefall ein wenig ,menscheln‘ sollte, z.B. unter erhöhtem Alkohol- oder Hormoneinfluss, sei keine dauerhafte Versöhnung der Klassen denkbar.

Das Lied ist in der großen Berliner und Frankfurter Ausgabe der Brechtschen Werke zweimal abgedruckt – einmal im Rahmen des Puntila-Dramas, dann aber auch als Einzeltext im Bande der Gedichte und Gedichtfragmente 1940-1956, der hier zitiert wird. Paul Dessau hatte die Melodie des Lieds ursprünglich in enger Anlehnung an eine schottische Seeräuberballade (Henry Martin) für eine männliche Stimme komponiert. Inzwischen hat es sich freilich auch längst als Chanson verselbständigt und gehört zum Repertoire berühmter Brecht-Interpretinnen wie Meret Becker und Nina Hagen, deren großartige Performance in dem hier ausgewählten Video zu bewundern ist.

Die Försterballade besteht  aus vier weitgehend gleichgebauten Strophen zu je fünf Versen. Formal fallen dabei besonders die Endreime der Verse 2 und 5 auf sowie die dreifach wiederholten Phrasen in den jeweils dritten und vierten Versen der einzelnen Strophen. Auf kleinere Parallelen bzw. Unterschiede im Satzbau gehe ich jetzt nicht ein. Inhaltlich bilden die ersten drei Strophen eine Einheit, indem sie ein dramatisches Geschehen – teils erzählend, teils in wörtlicher Rede – wiedergeben, bei dem es offensichtlich um eine Liebe auf Leben und Tod geht. Literaturtheoretisch-generisch präsentiert uns Brecht hier eine ,Kunstballade‘ im engeren literaturwissenschaftlichen Sinne, d.h. ein singbares Erzählgedicht, das eine Handlung zu Schlüsselszenen verdichtet präsentiert, auf eine Pointe zuläuft und eine implizierte Botschaft bzw. ,Lehre‘ transportiert, die vom verständigen Leser selbständig zu erschließen ist.1 Der Erzähler siedelt die Geschichte in „schwedischem Land“ an; ob in Schweden selbst oder einem von schwedischen Truppen in Besitz genommenen Landstrich entzieht sich meiner Kenntnis. Immerhin verleiht die geographische Lokalisierung der Begebenheit eine gewisse Glaubwürdigkeit.

In der ersten Strophe macht eine schöne und vornehme2 Gräfin einem Förster, der, wie sich bald herausstellen wird, für sie arbeitet, erotische Avancen. Mit der Aufforderung, ihr Strumpfband zu binden, lädt sie ihn zum Eintritt in ihre Intimdistanz ein, zu der im nord- bzw. mitteleuropäischen Kulturkreis aber nur engste Bezugspersonen zugelassen sind. Besonders kritisch stellt sich eine solche ,Verletzung‘ der körperlichen Schutzzone dar, wenn die Beteiligten unterschiedlichen sozialen Ständen und Geschlechtern angehören. Würde sich in unserem Fall der Förster auf das Angebot seiner Arbeitgeberin einlassen und fände die Szene einen Beobachter, könnte das Abenteuer leicht tödlich für ihn ausgehen, zumal es für sie relativ leicht wäre, den Skandal von sich abzuwenden, indem sie ihn der Übergriffigkeit beschuldigte.   

Strophe zwei macht klar, dass dem Förster die Risiken eines ständeübergreifenden Techtelmechtels nur allzu klar sind. Der Hinweis auf das „Handbeil“ ist eindeutig: Vielleicht nimmt er damit Bezug auf das bekannte tragische Schicksal des Aufklärers Johann Friedrich Struensee, dem sein Verhältnis zur dänischen Königin 1772 den Richtblock eingetragen hat.3 Umgehend ergreift der Förster die Flucht, wovon die nächste, die dritte Strophe berichtet. Vorsichtig, wie er ist, verdrückt er sich – offenbar den Zorn der verschmähten Gräfin fürchtend – nicht bloß in ein Nachbardorf, sondern legt so viel Wasser zwischen sich und das vermaledeite Strumpfband, wie es nur eben geht.  Diese Vorsicht scheint durchaus gerechtfertigt, sintemal der Trojanische Krieg – so berichtet es wenigstens Victor Hugo – wegen nichts anderem als Helenas Strumpfband, einer modischen Weiterentwicklung des Gürtels der Aphrodite (στρόφιον), entbrannt ist …

Damit wäre die Balladen-Erzählung komplett, die Flucht des Försters könnte als Pointe durchgewinkt werden und eine Lehre, wenn auch keine besonders überraschende, wäre aus ihr auch abzuleiten: dass es nämlich eher nicht ratsam ist, bei der Partnerwahl die Grenzen des eigenen Standes zu überschreiten. Im feudalistischen Kontext konnte eine Verletzung dieser Regel mitunter lebensgefährlich sein, aber der dramatische Kontext des Puntila suggeriert die Gültigkeit besagter Weisheit auch noch für den Kapitalismus. Bevor wir hierüber ins Grübeln kommen, uns womöglich an das große Versprechen des American Dream und Filme wie Pretty Woman oder Forrest Gump erinnern, schieben Brecht bzw. Surkkala noch schnell eine Liedstrophe nach, die nun keine Ballade mehr ist, sondern eine Fabel und ihre Moral demzufolge auch nicht verrätselt, sondern ziemlich platt expliziert: Die Füchsin umschmeichelt den arglosen Gockel, um ihn aufzufressen. Damit sind innerfiktional alle Unklarheiten beseitigt;  die ,Sägemehlprinzessin‘4 hat die von ihrem Vater gewünschte Verlobung mit Matti schon vorher abgesagt. Nach dem Lied verabschiedet sich auch Urviech Puntila von seiner fixen Idee einer klassenübergreifenden Verbindung und sein Chauffeur tanzt mit dem Stubenmädchen Fina aus dem Bild.

Unzufrieden bleiben allenfalls Zuschauer wie ich, denen es mit der kapitalismuskritischen Indoktrination einfach ein bisschen zu wild wird: Man hat ja kapiert und akzeptiert, dass das Stück eine kapitalismuskritische Aussage unters Volk bringen will. Es ist einfach genug gebaut und hinreichend klar strukturiert, damit ein Publikum bei leidlichem Verstand dieses Anliegen nachvollziehen kann. Mit dem guten Willen, den man als Theaterbesucher ja immer mitbringen muss, sieht man auch noch ein, dass Brecht für spezielle Teile des Publikums, die gerade ein Nickerchen gemacht haben, oder aber – ganz im Gegenteil – hellwach und argwöhnisch als Spitzel der Kulturbürokratie auf ideologische Missgriffe lauern, noch schnell eine Ballade einschiebt, um auf Nummer Sicher zu gehen. Aber – um Himmels willen! – warum lässt er’s damit nicht genug sein, sondern setzt noch mal eine Fabel mit derselben Botschaft obendrauf? Will er so demonstrieren, für wie begriffsstutzig oder literaturfremd er sein Publikum hält, speziell jenes, das sich 1949 zur Premierenfeier des Berliner Ensembles zusammenfinden würde?

Ich weiß es nicht. Und je länger ich über den Fall nachsinne, umso mehr Details stoßen mir auf, die unlogisch scheinen und sich mit der Ideologie des Stückes nicht so recht vertragen wollen: Warum, um nur ein Beispiel zu nennen, wird im sog. Eheexamen die Tochter des Gutsbesitzers daraufhin geprüft, ob sie eine ordentliche Proletariersgattin abgeben könnte, und nicht Matti, ob er sich gegebenenfalls in die Rolle eines reichen Mannes schicken könnte? Denn genau letzteres steht doch zur Debatte: Als Evas Mann würde er zum Großgrundbesitzer aufsteigen und seine Gattin bräuchte weder Socken zu stopfen noch sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie oft der Mensch hintereinander Hering verträgt. Beim umgekehrten und d.h. in diesem Fall angemessenen Eheexamen würde sich vermutlich schnell zeigen, dass Matti keine großen Schwierigkeiten damit hätte, den reichen Herrn zu geben, und auch seine vorgeblich ach so strenge Mutter würde, so jedenfalls meine Prognose, sich mit hoher Wahrscheinlichkeit fix ans Wohlleben gewöhnen, den einen oder anderen Gänsebraten nicht verschmähen und die Wäsche vom Personal besorgen lassen. Andererseits hätte der gelernte Chauffeur erst noch zu beweisen, ob er einen größeren Betrieb organisieren und beim Holzhandel ordentliche Preise herausschlagen könnte …

Verlassen wir aber diesen Gedankengang, der zum Verständnis unserer Försterballade nichts beiträgt, die im Kontext des Puntila vielleicht die eine oder andere Irritation auslöst, als Chanson aber unsere Bewunderung verdient!

Hans-Peter Ecker, Bamberg

Fußnoten:

1) Vgl. Hartmut Laufhütte, 1979.

2) Vgl. ihr ,adelige Blässe‘.

3) Brecht war Struensees Biographie höchstwahrscheinlich aus Theaterstücken und Filmen vertraut.

4) Titel eines Lustspiels von Hella Wuolijoki, das Brecht als Vorlage diente.

Literatur:

Brecht Handbuch in fünf Bänden. Hrsg. von Jan Knopf. Band 1, Stücke. Stuttgart und Weimar: Metzler, 2001.

Hans-Peter Ecker: Dreifaches Bekenntnis […]. In: „… vollens ganz zum Bolschewisten geworden …“? Die Räterepublik 1919 in der Wahrnehmung Bertolt Brechts. Ausstellungskatalog. Hrsg. von Jürgen Hillesheim und Karl-Georg Pfändtner. Augsburg: Wißner, 2019, S. 142 f.

Edward T. Hall: The Hidden Dimension. New York: Garden City, 1966.

Hartmut Laufhütte: Die deutsche Kunstballade. Grundlegung einer Gattungsgeschichte. Heidelberg: Winter, 1979.

Joachim Lucchesi und Ronald K. Shull: Musik bei Brecht: Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1988.

Durchhalteschlager und Widerstandslied: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh‘n“ von Zarah Leander (Text: Bruno Balz)

Zarah Leander (Text: Bruno Balz)

Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh‘n

Wenn ich ohne Hoffnung leben müsste,
wenn ich glauben müsste, dass mich niemand liebt,
dass es nie für mich ein Glück mehr gibt,
ach, das wär' schwer.
Wenn ich nicht in meinem Herzen wüsste,
dass du einmal zu mir sagst: Ich liebe dich,
wär' das Leben ohne Sinn für mich,
doch ich weiß mehr:

Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n
und dann werden tausend Märchen wahr.
Ich weiß, so schnell kann keine Liebe vergeh‘n,
die so groß ist und so wunderbar.

Wir haben beide denselben Stern
und dein Schicksal ist auch meins.
Du bist mir fern und doch nicht fern,
denn unsere Seelen sind eins.

Und darum wird einmal ein Wunder gescheh'n
und ich weiß, dass wir uns wiederseh'n!

Wenn ich ohne Hoffnung leben müsste,
wenn ich glauben müsste, dass mich niemand liebt,
dass es nie für mich ein Glück mehr gibt,
ach, das wär' schwer.
 Wenn ich nicht in meinem Herzen wüsste,
dass du einmal zu mir sagst: Ich liebe dich,
wär' das Leben ohne Sinn für mich,
doch ich weiß mehr:

Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n [...]

Keinem ist mein Herz so gut gewesen
wie dem Einem, der mich jetzt verlassen hat,
der für mich nicht einen Gruß mehr hat,
der mich vergaß.
Könnt' er jetzt in meinen Augen lesen,
was ich fühle, dann würd' alles anders sein.
Ewig kann doch nicht verloren sein,
was ich besaß. 

Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n [...]

Wer nur die Version von Nina Hagen kennt, könnte meinen, wieder so ein Schlager wie viele, die die Liebe als ein Wunder ansehen, z. B. Es muss was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden (entstanden 1930, u.a. Peter Alexander 1960), Wunder gibt es immer wieder (Katja Ebstein, 1970) oder Wunder gescheh’n (Nena, 1989). Kennt man jedoch die Originalfassung von Zarah Leander und die Entstehungsgeschichte, so öffnen sich ganz neue Einsichten.

Das Lied stammt aus dem 1942 gedrehten Film Die große Liebe. Er ist ein Auftragsfilm des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda und Vorsitzenden der Reichskulturkammer, Joseph Goebbels. Goebbels hatte bereits 1936 zum Filmschaffen in Deutschland eine programmatische Rede gehalten, nach der Filmmusik und Filme nicht nur der Unterhaltung dienen dürften, sondern auch der „nationalen Erziehung“.

In einer Rückschau auf die Kulturpolitik der Jahre 1933 bis 1937 bemängelte Goebbels einige Jahre später, dass die „nationalsozialistische Gesinnung“ in den Filmen nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen sei. Als Folge wurde die deutsche Filmindustrie verstaatlicht; 1941 waren alle Firmen unter dem Dach der Universum Film AG (UFA, später als Konzern UFI) in staatlicher Hand. Bereits Jahre zuvor hatte sich Goebbels zum „Schirmherrn des deutschen Films“ ernannt und versucht, durch das Verbot der Beschäftigung von Juden, durch direkte Einflussnahme auf einzelne Filmproduktionen, durch Zensur und Repression die Filmindustrie gleichzuschalten. Andererseits war sich Goebbels darüber im Klaren, dass „man […] nicht von früh bis spät in Gesinnung machen kann“, und verkündete vor Filmschaffenden: „Das Schaffen des kleinsten Amüsements des Tagesbedarfs für die Langeweile und der Trübsal wollen wir nicht unterdrücken“.

So entstanden vor dem 1. September 1939 seichte Filme wie z.B. Krach um Jolanthe (1934) oder Wenn wir alle Engeln wären (1936). Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde zum einen der Trend zum Unterhaltungsfilm fortgesetzt, z.B. mit Geierwally (1940) oder Wiener Blut (1942), zum anderen wurden im Auftrag Goebbels antisemitische Filme produziert wie Der ewige Jude und Jud Süß (beide 1940). Auch entstanden andere eindeutig propagandistische Filme wie Wunschkonzert (1940) und Auf Wiedersehen, Franziska (1941) oder aber Die große Liebe (1942) mit subtiler Propaganda.

Dieser Film, der damals das selten vergebene Dreifach-Prädikat „staatspolitisch, künstlerisch und volkstümlich wertvoll“ erhielt, könnte aus heutiger Sicht als eine Schnulze mit einer simplen Story angesehen werden:

Die große Liebe zwischen der Varietésängerin Hanna Holberg (Zarah Leander) und dem Flieger Paul Wendland (Victor Staal) beginnt während eines Fliegeralarms in einem Berliner Luftschutzkeller. Pauls Kriegseinsätze, aber auch Hannas Show-Auftritte in wechselnden Städten, verhindern regelmäßige Zusammentreffen und so wird diese Liebesbeziehung immer wieder unterbrochen. Auch ergeben sich ständig Missverständnisse durch verpasste Gelegenheiten. Paul will sie bei einem Fronturlaub in ihrer Berliner Wohnung besuchen, doch sie gibt ein Wehrmachtskonzert in Paris. Selbst die Absicht, endlich zu heiraten, wird am Polterabend durch einen plötzlichen Einsatzbefehl verhindert. Enttäuscht nimmt Hanna daraufhin ein Engagement in Rom an. Als Paul sie dort, in der Absicht zu heiraten, überraschend aufsucht, kommt es zu einem Streit zwischen ihnen. Der Krieg mit der Sowjetunion hatte begonnen und Paul reist, ohne einen Befehl bekommen zu haben, vorzeitig ab, einzig aus dem Gefühl heraus, an der Front gebraucht zu werden. Abermals findet die Hochzeit nicht statt und Paul befürchtet, seine Verlobte für immer verloren zu haben. Hanna bleibt verständnislos in Rom zurück. Paul kämpft nun an der Ostfront. Als ein Fliegerkamerad bei einem Einsatz sein Leben lässt, schreibt Paul Hanna einen Abschiedsbrief, um die Gefahr seiner Einsätze besser ertragen zu können. Erst als Paul abgeschossen wird, aber überlebt, scheint die große Liebe in Erfüllung zu gehen; Hanna macht sich nun auf den Weg, ihrem schwer verletzten Verlobten im Lazarett Beistand zu leisten, denn sie ist immer noch bereit, ihn zu heiraten.

Im Subtext – Frau geht trotz Bombenkriegs ihrer Arbeit nach, Mann ist begeisterter Soldat an der Front – zeigt sich die Propaganda. Das Kriegsgeschehen fordert immer wieder die Trennung des Liebespaares. Doch letztlich ermöglicht es die „große Liebe“, dass die Geliebten sich allen Widrigkeiten zum Trotz endgültig finden: Es wird einmal ein Wunder gescheh’n.

Der Film trifft 1942 und in den folgenden Kriegsjahren den Nerv der Zeit. Viele Frauen waren allein oder nur mit ihren Kindern zu Haus; ihre Ehemänner bzw. Freunde oder Söhne waren an der Front. Zu Hause bangten die Familien um ihre Soldaten. Der von Hitler-Deutschland ausgelöste Aggressionskrieg war in der Heimat angekommen: 1942 fielen als Reaktion auf die deutschen Bombenangriffe auf London und die fast vollständige Zerstörung Coventrys die ersten Bomben auf deutsche Städte wie Lübeck und Rostock. Bald folgten Köln und andere Großstädte, Werften sowie andere, nicht nur kriegswichtige, Betriebe. Die Versorgungslage im Reich verschlechterte sich zusehends: auf den Lebensmittelkarten wurden die monatlichen Rationen pro Familie reduziert, z.B. Brot von 9,6 kg auf 6,4 kg, Fleisch von 1.600 g bis 1.200 g, Fett von 1.053 g auf 825 g.

Vermehrt gab es von der Front Todesmeldungen; viele Verwundete wurden in Lazarette aufgenommen oder nach Hause entlassen. Die ehemalige Kriegsbegeisterung hatte sich schon lange abgekühlt. Nun kam eine grundsätzlich schlechte Stimmung hinzu, von der die vom Sicherheitsdienst (SD) erstellten Meldungen aus dem Reich der NS-Führung und den Reichsleitern berichteten. Wie stark sich die „Stimmungslage“ im Laufe der Kriegsjahre verschlechterte, kann man daraus ersehen, dass Goebbels 1944 veranlasste, die Meldungen ganz einzustellen, mit der Begründung, sie seien das „Sprachrohr des Defaitismus“. Die NS-Propaganda griff zu allen Mitteln, um die Stimmungslage zu verbessern. In Reden, Wochenschauen und Zeitungen wurde der Endsieg angekündigt und in den Wochenschauen die Wirkung der Raketenwaffe V 2, die in London ganze Häuserzeilen zerstörte, gezeigt. Zusätzlich wurde das Gerücht gestreut, dass eine noch ganz andere Wunderwaffe im Bau sei.

In dieser Zeit stießen die Schlager Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, Es geht alles vorüber und vor allem Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh‘n auf ein großes Echo. Wer wollte nicht hoffen, dass „einmal ein Wunder geschieht“? Dabei kam es Ende 1942 bereits zur Einkesselung der 6. Deutschen Armee bei Stalingrad, die bereits damals manche Stabsmilitärs als Kriegswende ansahen, in späteren Jahren auch die Mehrheit der Historiker. Der Film und die Schlager dagegen boten Flucht aus dem Alltag; sie machten Hoffnung auf bessere Zeiten: „und tausend Märchen werden wahr.“ Die große Liebe wurde mit einem Einspielergebnis von 8 Millionen Reichsmark (bei Herstellungskosten von 3 Millionen RM) zum kommerziell erfolgreichsten Film der Nazi-Zeit und hinsichtlich der Besucherzahl zu einem der attraktivsten Filme: 27 Millionen Zuschauer haben ihn besucht, allerdings manche zwei- oder dreimal (so die Zeitzeugen aus meiner Verwandtschaft). Erfolgreicher war nur noch der „Blut und Boden“ geschwängerte Film Die goldene Stadt (1942), einer der ersten deutschen Farbfilme mit 31 Millionen Besuchern.

Wie es zu dem Schlager Es wird einmal ein Wunder gescheh‘n kam, ist beinahe eine Filmstory für sich. Bevor der Text zu dem Lied entstand, wurde Bruno Balz, der mit dem Komponisten Michael Jary bereits einige erfolgreiche Schlager verfasst hatte (u. a. z.B. Roter Mohn, 1938 oder Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, 1939), festgenommen. Er hatte auf die Avancen eines „attraktiven blonden Jünglings“ reagiert, war in eine Falle der Gestapo getappt (vgl. Bruno Balz-Archiv) und wurde in die berüchtigte Gestapo-Zentrale in der Normannenstraße (Berlin) verbracht. Michael Jary wandte sich an Joseph Goebbels, der Die große Liebe in Auftrag gegeben und gefordert hatte, Lieder als „Beitrag zur Kriegsanstrengung“ zu verfassen. Jary wies darauf hin, dass aufgrund seiner langjährigen erfolgreichen Zusammenarbeit mit Balz dieser für die Lieder des Films unbedingt als Texter nötig sei. Goebbels veranlasste daraufhin dessen Entlassung. Es bleibt offen, ob Balz bereits während seiner Haft weiter getextet hatte oder, wie auch berichtet wird, innerhalb der nächsten 24 Stunden danach einen seiner größten Erfolge geschrieben hat: Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n.

Der Schlager wurde in den Film aufgenommen und von Zarah Leander gesungen. Häufige Radiosendungen, etliche Schellackplatten und zahlreiche Konzerte mit Zarah Leander zeigen, dass er zu einem ihrer größten Erfolge wurde. Bereits ab der Jahreswende 1941/42 hatte Zarah Leander große Erfolge mit dem ebenfalls vom Duo Jary/Balz verfassten Schlager Davon geht die Welt nicht unter. Bekannt ist ihr Auftritt vor verwundeten deutschen Soldaten in Paris. Dieser Schlager wurde nachträglich in den bereits fertiggestellten Film mit einer nachgedrehten Sequenz eingebaut.

Zur Doppelbödigkeit dieses Schlagers hat Bruno Balz selbst Stellung genommen: „Aber man konnte den Text auslegen, wie man wollte: Die Welt geht entweder vom Bombenhagel nicht unter oder nicht von den Bösartigkeiten der Nazis“ (Bruno Balz Archiv). Kritische Geister sangen die Schlager mit einem Augenzwinkern und verständnisvollem Zunicken, natürlich nur in geschlossenen Wohnungen mit Verwandten und Freunden, denen man trauen konnte. Für einen Witz über die Hitlergrößen, wie z.B. Göring Herrn Meier zu nennen, konnte man ins KZ kommen oder wie es euphemistisch hieß, in Schutzhaft genommen werden (Göring hatte in einer Rundfunkrede zu Beginn des Krieges erklärt: „Wenn nur ein feindliches Flugzeug unser Reichsgebiet überfliegt, will ich Meier heißen“).

Im Freundeskreis meiner Eltern wurde damals nicht nur das Wunder versprechende Lied in der oben bezeichneten Weise gesungen, sondern auch andere „Durchhalteschlager“ wie z. B. Es geht alles vorüber allerdings mit anderem Refrain „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei / und im nächsten Dezember gibt’s wieder ein Ei.“ oder auch noch leiser, damit es etwaige Denunzianten nicht hörten: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei / erst geht der Hitler und dann die Partei.“

Wie populär der Filmschlager Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n auch noch nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs geblieben ist, kann man dem Katalog des Deutschen Musikarchivs, Leipzig, entnehmen: Über 80 Tonträger (von der Schellackplatte bis zur CD von 2014) enthalten das Lied mit verschiedenen Interpreten, hauptsächlich aber Zarah Leander, und diversen Orchestern. Über 250 Videos bei Youtube zeigen noch deutlicher, wie beliebt der Schlager nach wie vor auch bei jüngeren Leuten ist.

Anmerkung: Zu dem Lied Es wird einmal ein Wunder gescheh’n, ist mir keine Parodie bekannt.

Georg Nagel, Hamburg

The medium is the message. Nina Hagens Hiddensee-Hymne „Du hast den Farbfilm vergessen“ (zusammen mit Automobil; Text: Kurt Demmler; 1974)

Nina Hagen & Automobil

Du hast den Farbfilm vergessen

Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee,
Micha, mein Micha, und alles tat so weh,
Dass die Kaninchen scheu schauten aus dem Bau,
So laut entlud sich mein Leid ins Himmelblau.
(Aah!) So böse stampfte mein nackter Fuß den Sand 
Und schlug ich von meiner Schulter deine Hand.
Micha, mein Micha, und alles tat so weh,
Tu das noch einmal, Micha, und ich geh!

Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael,
Nun glaubt uns kein Mensch, wie schön´s hier war (Ahaahah!).
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel,
Alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr!
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel,
Alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr!

Nun sitz ich wieder bei dir und mir zu Haus,
Und such die Fotos für's Fotoalbum aus,
Ich im Bikini und ich am FKK,
Ich frech im Mini, Landschaft ist auch da, ja!
Aber, wie schrecklich! Die Tränen kullern heiß.
Landschaft und Nina und alles nur schwarz-weiß.
Micha, mein Micha, und alles tut so weh,
Tu das noch einmal, Micha, und ich geh!

Du hast den Farbfilm vergessen [...]

     [Nina Hagen & Automobil. Du hast den Farbfilm vergessen. Amiga 1974.]

Nina Hagens in der DDR (bzw. auch nach 1990 noch in den ,neuen Bundesländern‘) außerordentlich populärer Schlager inspirierte 2009 Silke Spengler bei der Titelfindung für ihre informative historische Skizze der DDR-Fotoindustrie: Du kannst den Farbfilm vergessen … Zur Dauerkrise der DDR-Fotoindustrie (abgedruckt in: Horch und Guck. Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur, Heft 64: Heruntergewirtschaftet. Die traurige Bilanz der DDR-Industrie (02/2009), S. 14–17). Die Autorin macht in ihrem Essay an vielen Beispielen deutlich, dass das Verhältnis zwischen den zahlreichen DDR-Hobbyfotografen und der einschlägigen Industrie vor Ort seit den fünfziger Jahren ein ziemlich gespanntes war, woran sich übrigens bis zum Ende des ostdeutschen Staates nichts Entscheidendes ändern sollte. Die Ursache für die gravierende Unterversorgung der Bevölkerung mit gutem Material und den nötigen Dienstleistungen sieht Spengler in der Unfähigkeit der Planwirtschaftler, ihre verschiedenen Industriezweigleitungen unterstellten Film-, Kamera- und Laborgerätehersteller – insbesondere die großen Betriebe in Wolfen und Dresden – effizient zu koordinieren. Am schlimmsten dürfte sich die Situation Mitte der siebziger Jahre dargestellt haben; damals geriet das Fotochemische Kombinat an einen absoluten Krisentiefpunkt. Wegen stark verschlissener Produktionsanlagen und fehlender Kapazitäten für neue Filmsorten konnte die Filmfabrik ihr Plansoll kaum noch erfüllen. Zudem fiel das Wolfener Filmsortiment technologisch immer weiter zurück. Problematisch war vor allem, dass Wolfener Farbfilme sich nicht in den Entwicklungsbädern von Eastman Kodak verarbeiten ließen, die sich in den internationalen Fotolabors als Standard durchgesetzt hatten. Da die Sowjetunion ebenfalls den Übergang auf Kodak-Technologien plante, sah man sich in der DDR gezwungen, diesem Weg zu folgen, um nicht das Hauptabsatzgebiet zu verlieren.

In jene besonders prekäre Zeit fällt nun auch der hier näher zu besprechende Farbfilm-Song der Rockband Automobil, in der die seinerzeit gerade einmal neunzehnjährige Nina Hagen seit kurzem die Leadsängerin gab. In ihrem Lied geht es um einen gründlich verpatzten Urlaub, worüber sich die weibliche Sprecherinstanz („Nina“) beim Schuldigen („Micha“/ „Michael“) bitterlich beschwert. Zwischen Urlaub und Sprechsituation muss bereits eine geraume Zeit vergangen sein, denn wir wissen von Silke Spengler, dass es damals in der DDR gut 40 Tage dauerte, bis man seine Papierbilder vom Entwicklungslabor zurückbekam. (Ich erinnere daran, dass Jesus ebenso lange in der Wüste zu fasten pflegte; der etwas gewagte Vergleich mag eine Vorstellung von der Entbehrung vermitteln, die den DDR-Hobbyfotografen seinerzeit auferlegt war. Im Westen benötigten die Fotolabors ca. zwei Tage, um die Filme ihrer Kunden zu entwickeln und Papierbilder auszudrucken.)

Zeit heilt angeblich Wunden, jedoch nicht bei unserer Nina. Nicht diese Schwarzweiß-Kränkung! Jedenfalls nicht in 40 Tagen! Bei der Durchsicht ihrer Bilder vom vergangenen Ostsee-Urlaub auf der Insel Hiddensee erinnert sich Nina zwar noch an Details, aber den Bildern fehlt das – aus ihrer Sicht – Wesentliche: die Farbe. Flora, Fauna und Landschaft werden in der ersten Strophe exemplarisch aufgerufen; anscheinend waren alle Elemente eines ,Traumurlaubs‘ (jedenfalls nach zeitgenössischem Erwartungshorizont) gegeben, doch die kargen, technisch ,gestrigen‘ Schwarzweiß-Bilder können den ,himmelblauen‘ Traum nicht beglaubigen, im Gegenteil, sie berauben ihn buchstäblich seiner ,Substanz‘, seiner Wirklichkeit:  „Nun glaubt uns kein Mensch wie schön‘s hier war“, „Alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr!“ Dass speziell die kleine Ostsee-Insel Hiddensee vor Rügen in diesem Lied als Urlaubsziel fungiert, ist kein Zufall, galt sie doch zu DDR-Zeiten als Geheimtipp für Intellektuelle und Künstler, Dissidenten und Aussteiger. Entsprechend stark war auch die Stasi präsent, was für die Fotografie-Thematik des Textes beiläufig interessante Nebenfragen aufwirft: Welche Art von Hobby-Fotograf war Micha eigentlich? Interessierte er sich womöglich mehr für Dokumentarisches in Schwarzweiß als für Buntes in Orwo Color?

Natürlich überzeichnet das Lied durch infantile Reaktionen (Aufstampfen) und Übertreibungen („Aber, wie schrecklich! Die Tränen kullern heiß.“) ironisch den Schmerz der Sprecherinstanz, aber im Grunde gebe ich ihrer existenziellen Verzweiflung („bei meiner Seel“!) Recht. Der Jahresurlaub am Meer (Ostsee, Schwarzmeer oder wo auch immer) war für viele DDR-Bürger das Highlight des Jahres, das Abwechslung und Freude, also Farbe im emphatischen Sinne in den grau-beigen (wer erinnert sich heute eigentlich noch an die optische Erscheinungsform ostdeutscher Kommunen vor der Wende?) Alltagsmief bringen konnte, sollte, musste. Und nun wühlt eine enttäuschte junge Frau in graugetönten Bildern, mit denen sie weder anderen imponieren noch sich selber versichern kann, dass sie wirklich einmal ein ,gutes Leben‘ gehabt hat.

Die zweite Strophe lässt uns noch eine tiefere Dimension der Kränkung spüren. Nina fühlt sich angesichts der Schwarzweiß-Bilder nicht nur um ihren Hiddensee-Urlaub betrogen, sondern auch um die eigene Attraktivität und Jugend. Vermutlich empfindet sie jene Furcht, die ein anderes populäres Lied auf den Punkt bringt: „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder …“ Ob ,ihr‘ Micha den Farbfilm wirklich „vergessen“ hatte, wie es ihm die Freundin vorwirft, können wir nicht sicher wissen; nicht auszuschließen ist der Verdacht, dass es überhaupt keine Farbfilme zu kaufen gab oder Micha sich zu spät um das Problem gekümmert hat. Aber eine genaue Analyse der Schuldfrage ist letzten Endes wohl auch nicht wichtig. „Nina“ hat für sich ein personales Gegenüber als ,Schuldigen‘ gefunden, bei dem sie ihren Schmerz, ihre Enttäuschung, ihre Wut abladen kann; sie wütet, klagt und droht, was ihr zu helfen scheint. Wir erkennen die (selbst-)therapeutische Wirkung ihres Gefühlsausbruches daran, dass sie „ihren“ Micha nicht verlässt, sondern die Trennung nur für den Wiederholungsfall androht. Mit einem ,System‘, das permanent schlecht wirtschaftet, kann man auf diese Art nicht umgehen. Im Falle der DDR kam verschärfend hinzu, dass man sie auch nicht einfach verlassen konnte.

Dieser ,Schlager‘-Text ist – im Hinblick auf sein Genre – ungewöhnlich kunstfertig gedichtet. Poetische Artistik zeichnet seine lautliche Gestalt aus (Binnenreime, zahlreiche Alliterationen und sonstige Klangkorrespondenzen), subtile Stilisierung die Wortwahl. Konkrete Farbangaben kommen vor allem im Refrain vor; die erste Strophe erwähnt noch das „Himmelblau“, in das die Sängerin ihr Leid entlässt. Die zweite Strophe, in der die Sprecherinstanz traurig die Schwarzweißbilder vor den Augen hat, verzichtet generell auf Farbattribute, selbst beim „Bikini“ und „Mini“. Das macht Sinn.

Aber auch die einzelnen Farbadjektive verdienen einen näheren Blick: Da ist zunächst vom „Himmelblau“ die Rede, das in der ersten Strophe relativ isoliert und von konkreten Objekten abgelöst steht. „Sanddorn“, „Strand“ und „Kaninchen“ werden farblich überhaupt nicht spezifiziert – warum auch, bieten sie dem Auge doch nur Abtönungen jener Braun-, Ocker- und Graugrün-Palette, die man aus der Alltagswelt bis zum Überdruss kannte! Später erfahren wir in der zweiten Liedstrophe, dass sich die Sprecherinstanz nicht sonderlich für schöne Landschaften erwärmt: „Landschaft ist auch da, ja!“ Die Farben der äußeren Welt zählen eigentlich nicht; das „Himmelblau“ ist (darin nur „rosarot“ vergleichbar) die Farbe einer inneren heiter-utopischen Weltwahrnehmung, die für Nina mit dem Urlaub verbunden war, ihr dort aber durch Umstände (narzisstische Kränkungen) verloren gegangen ist, für die das Lied als Stellvertreter die Formel vom vergessenen Farbfilm einsetzt. Insofern lässt sich auch hinsichtlich der angesprochen Landschaftselemente nach impliziten Bedeutungen fragen. Die Dornen des Sanddorns verweisen wie die anderer Stachelgewächse auf Leid, seine Früchte sind extrem sauer („Zitrone des Nordens“). Hinter dem Strand winkt ,das Offene‘ (Hölderlin),  Neues, Interessantes, freilich auch Gefährliches. Die Symbolik des Kaninchens ist sehr vielfältig; in den Kontext unseres Liedes passen Interpretationen, die auf Angst und unerfüllte Glücksansprüche deuten, aber auch die Bereitschaft des Tieres eine Misere durch Aufbruch in neue Gefilde zu überwinden und Gefahren dank seiner (auch geistigen) Fruchtbarkeit zu bestehen.

Im Refrain werden die Farben „blau“, „weiß“ und „grün“ besungen. Dass in dieser Reihe „weiß“ als Farbe aufgeführt wird, macht stutzig. Dies trifft umso mehr zu, als diese Pseudofarbe ja auch im Schwarzweiß-Design zur Erscheinung kommt. Beim weiteren Nachdenken über diese Unstimmigkeit mag man auf die Idee kommen, alle im Lied zur Sprache gebrachten Farben symbolisch zu deuten. „Blau“ steht konventionell für „Sehnsucht“, „weiß“ für Reinheit/Unschuld und „grün“ für „Hoffnung“.  Dass die Liebes-Farbe „rot“ fehlt, lässt sich vordergründig durch die gestörte Beziehung zwischen Nina und Micha erklären. Das DDR-Publikum war allerdings darauf trainiert, literarischen Statements politische Subtexte zu unterlegen. Somit scheint mir der Gedanke durchaus plausibel, die Farbsymbolik versuchsweise auch politisch auszulegen. Dann wäre das fehlende Rot nicht erotisch zu deuten, sondern als Verweigerung der Staatsfarbe, die dem Lied-Texter nicht mit der Pluralität anderer Farben, mit „Buntem“ schlechthin und schon gar nicht mit „Himmelblau“ vereinbar schien. Nina wird das genau so empfunden haben – die Nina der Fiktion ebenso wie Ihre Darstellerin im ,richtigen Leben‘, die 1976 in den Westen emigrierte.

Hans-Peter Ecker, Bamberg