Kann Spuren von Liedtext enthalten. Zu Knorkators „Zoo“
6. Mai 2018 Hinterlasse einen Kommentar
Florian Seubert gewidmet
Knorkator Zoo Elefanten, Pinguine, Leoparden und Delphine Fledermäuse, Paviane, Wasserbüffel, Pelikane Dromedare, Borkenkäfer, Krokodile, Siebenschläfer Schildkröten, Nacktschnecken, Kängurus, Marabus und Heuschrecken Nasenbären, Schnabeltiere, Erdmännchen und Tapire Schwarzer Panther, Weißer Hai, Orang-Utan und Papagei Skorpione, Leguane, Klapperschlangen und Kormorane Zwergmakaken, Zwergmapissen, Kapuzineraffen und Hornissen Zoo, Zoo, Zoo Zoo, Zoo, Zoo Vogelspinne, Seidenraupe, Ringelnatter und Turteltaube Antilope, Tiger, Löwe, Pferd, Hund, Schaf, Katze, Maus und Möwe Nachtigall, Oktopus, Storch, Koala, Hängebauchschwein, Anakonda, Impala Buntspecht, Waschbär, Frosch und Libelle, Nacktnasenwombat und Gazelle Zoo, Zoo, Zoo […] [Knorkator: We want Mohr. Tubareckorz 2014.]
Was ist ein Liedtext? Lassen sich beliebige Worte, die über Musik gesungen werden, bereits als ein Liedtext, als, wie es in der Beschreibung dieses Blogs heißt, „Lyrik“, bezeichnen? Im Nachfolgenden soll diese Frage bei der Interpretation eines auf den ersten Blick eher banalen Textes der Berliner „Spaßrocker“ Knorkator im Mittelpunkt stehen. Dabei wird argumentiert, dass es sich bei dem Liedtext zum 2014 erschienen Zoo um eine Art dekonstruierten Liedtext handelt, der nur noch in Ansätzen traditionellen Lyrics ähnelt. Mit ihrer inhaltlich und stilistisch minimalistischen Herangehensweise machen sich Knorkator auch über die in vielen (modernen) Liedtexten vorhandenen sprachlichen Unzulänglichkeiten lustig.
Doch zum Text: Es handelt sich dabei um eine Aufzählung von Tieren. Denkbar wäre als Sprecher ein kleines Kind, das sich durch einen Zoo bewegt und Tiernamen auf den dazugehörigen Schildern liest, unterbrochen von gelegentlichen „Zoo“ Schreien. Aber das ist reine Spekulation und würde vielleicht sogar die Intention des Textes verfehlen. Denn ein Charakteristikum ist eben, dass es kein Narrativ gibt und kein Spaziergang durch einen Zoo beschrieben wird, sondern der Text lediglich aus den Elementen ‚Tier‘ und ‚Ort‘ besteht, die von einer gänzlich unbekannten Sprech-Instanz aufgezählt werden.
Übergeordnete Ordnungsprinzipien sind dabei kaum zu erkennen. Lediglich in der zweiten Zeile der dritten Strophe lässt sich so etwas wie ein gemeinsamer Nenner erkennen. Zunächst werden die exotischen Tiere „Antilope, Tiger, Löwe“ erwähnt, denen dann Bauernhoftiere folgen („Pferd, Hund, Schaf, Katze, Maus“). Doch sogar diese lose Ordnung wird dann durch das letzte Tier in der Reihe, die Möwe, wieder gebrochen. Diese würde wohl eher in eine Kategorie mit Küstentieren passen.
Daneben bildet die Zeile ohnehin die Ausnahme und andere Zusammenstellungen scheinen gänzlich zufällig. Ein Beispiel: „Nachtigall, Oktopus, Storch, Koala, Hängebauchschwein, Anakonda, Impala“. Hier werden sowohl lokale als auch exotische, gefährliche und harmlose, in Gewässern lebende, aber auch auf dem Land beheimatete Lebewesen genannt, Vögel, Säugetiere, ein Reptil und mit dem Oktopus ein Weichtier werden aufgezählt.
Natürlich gibt es doch ein übergeordnetes Ordnungsprinzip, nämlich den (wohl imaginären) Zoo. Und selbstverständlich gibt es innerhalb vieler Genres, beispielsweise beim Musiktheater, interessante Texte, die sich vor allem mit Tieren beschäftigen und im Rahmen der animal studies immer wieder analysiert werden. Mit dem Rahmen des Zoos hat Knorkators Text noch Ansätze eines konventionellen Textes, irgendeine Art von Zusammenhang. Aber es gibt kein Narrativ, keine Moral und keine Handlung. Doch deskriptiv ist der Text auch nicht, denn die Tiere und der Zoo werden nicht näher beschrieben.
Stilistisch und sprachlich arbeitet der Text auf einer ähnlichen Ebene: Genauso wie der große Zusammenhang ‚Zoo‘ einen sehr losen Rahmen gibt, werden auch einfache Stilmittel verwendet. Man könnte den Text damit als minimalistisch, vielleicht sogar partiell dekonstruiert, bezeichnen. Es wird mit dem denkbar einfachsten Stilmittel gearbeitet, einem reinen Reim („Pinguine […] Delphine“, „Schnabeltiere […] Tapire“). In der Grundschule schon gelernt, handelt es sich dabei um eines der zugänglichsten und elementarsten Stilmittel.
Daneben gibt es weitere rhetorische Figuren. Der Gegensatz zwischen „Schwarze[m] Panther“ und „weiße[m] Hai“ stellt eine Art sprachliche Antithese dar. Der Verweis auf „Frosch und Libelle“ stellt hingegen eine Art biologischen Gegensatz dar, bei dem der Frosch als natürlicher Feind der Libelle fungiert. Hier und da finden sich noch weitere Stilmittel, so die Alliteration bei „Maus und Möwe“ oder die Wiederholung im Refrain und natürlich die Aufzählung selber. Bedenkt man aber, dass der Text eine gänzlich lose Struktur hat und somit alle Türen für die Verwendung von Stilmitteln offenständen, ist ihre Verwendung relativ spärlich.
Dennoch zeigt der Text auch eine gewisse Freude an den Tiernamen. So ist es wohl kein Zufall, dass komische Namen wie Hängebauchschwein und Nacktnasenwombat im Text Verwendung finden. Der komischen Wirkung dient ebenfalls die Erfindung von „Zwergmapissen“, einer fäkalhumoristischen Analogbildung zu den tatsächlich existenten „Zwerkmakaken“.
Sowohl wegen der Stilmittel, als auch der Verwendung solcher Tiernamen handelt es sich bei dem Text dann doch um etwas mehr als eine bloße Aufzählung. In diesem Sinne hat der Liedtext dann wieder mehr mit traditionellen Lyrics gemein, als dies das fehelende Narrativ nahelegen würde. Ganz so radikal wie er erscheint, ist der Text auf dieser Ebene doch nicht, was fragen lässt, ob jeder Liedtext zumindest ein paar Stilmittel benötigt, um zu funktionieren, sogar ein radikaler wie der Knorkators.
Wenden wir uns abschließend noch dem Refrain zu. Als hätte man nach einer Erwähnung des gemeinsamen Nenners nicht schon das recht einfache Prinzip des Liedtextes durchschaut wird einem im Refrain das Wort ‚Zoo‘ geradezu um die Ohren gehauen. Der Rahmen wird so der Zuhörerin oder dem Zuhörer im Refrain fast schon penetrant nahegelegt. Dies wird übrigens musikalisch auch durch die andere Singtechnik im Refrain, eine Art growling, besonders deutlich.
Schließlich wird der Text zum Ende hin dann vollständig dekonstruiert. Nachdem in den drei Strophen noch Tiere genannt wurden, kommt es dann nur noch zur sinnfreien Wiederholung des Wortes Zoo, das dann schließlich in einem „Ooo“ endet, womit das Wort durch einen Laut ersetzt wird und somit der Minimalismus und die Dekonstruktion zu ihrem logischen Schluss kommen.
Was, also, kann uns der Liedtext über das Genre des Liedtextes beibringen? Die Abwesenheit einer Handlung gibt anderen Liedtexten, die eine Geschichte erzählen, schärfere Konturen und verdeutlicht, dass irgendeine Art von Aussage oder Handlung gemeinhin als zentraler Bestandteil eines Textes verstanden wird. Handelt es sich also bei dem Knorkator-Text überhaupt nicht um einen Liedtext, sondern etwas anderes? Reicht es einige Tiere aneinanderzureihen? Eine ähnliche Kohärenz hätte beispielsweise ein vertonter Einkaufszettel. Im Sinne der Arbeiten von John Cage ließe sich auch Fragen, ob es einen Liedtext ohne Text geben kann.
Interessant ist die Herangehensweise von Knorkator auch, weil sie andere Texte (vermutlich unbewusst) ad absurdum führt. Der an anderer Stelle auf diesem Blog kritisch besprochene Liedtext von Adel Tawils Lieder stellt beispielsweise eine ähnliche Aneinanderreihung von Liedtextzitaten anderer Künstlerinnen und Künstlern dar, wie sie auch bei Knorkator in der Kategorie ‚Tiere‘ zu finden ist. Im Gegensatz zu diesem Text aber versucht Knorkator anhand einer solchen Aneinanderreihung nicht größere Zusammenhänge darzustellen, sondern lässt den Text einfach so stehen. Wie die Frage, was nun einen Liedtext ausmacht, keine klare Antwort hat, bleibt Knorkators Text im Raum stehen. Zusammenhänge oder ein Narrativ können sich im Kopf der Leserinnen oder Leser bilden – oder der Text kann einfach ohne einen solchen Zusammenhang stehen bleiben. Eine Funktion kann dabei natürlich auch ein so dekonstruierter Text erfüllen. Im hier vorgestellten Beispiel stehen vermutlich humoristische Aspekte im Vordergrund.
Knorkators Text kann in dieser Lesart auch als Kritik an einer verkrampften Suche nach Sinnzusammenhängen in Texten verstanden werden. So könnte man argumentieren, dass Knorkator damit die Häufung an schiefen Metaphern und inhaltlich fragwürdigen Liedtexten kritisiert. Solche fehlgeschlagenen Versuche besonders literarisch wertvolle Texte zu kreieren wurden auf diesem Blog auch immer wieder besprochen (etwa Hämatoms Zu wahr um schön zu sein).Knorkator hingegen benutzten zwar Stilmittel, aber nicht im Übermaß. Vielleicht auch, weil sie ihre rhetorischen Grenzen einzuschätzen wissen und deshalb mit einfachen Reimen zufrieden sind. Damit unterwandern Knorkator letztlich den Zwang besonders wertvolle Lyrik zu schaffen und hinterfragen stattdessen auf eine radikale Weise, was ein Liedtext überhaupt ist.
Martin Christ, Tübingen