Ohne Auto kommt das Glück erst recht von ganz allein. Zu Roberto Blancos „Am Tag, als es kein Benzin mehr gab“ (1979, Text: Bernd Meinunger)
20. Oktober 2014 Hinterlasse einen Kommentar
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Roberto Blanco (Text: Bernd Meinunger) Am Tag, als es kein Benzin mehr gab Autoschlangen vor den Säulen und dem Tankwart ist zum Heulen, denn er zapft und zapft und nichts kommt aus dem Schlauch. Überall sieht man sie schieben, der Verkehr ist stehn geblieben, und der Fahrschullehrer wird nicht mehr gebraucht. Alle sehn und sind erschüttert, denn ein Rocker schmeißt verbittert seinen heißen Ofen weinend auf den Müll. Manche reiten hoch zu Pferde, andre bleiben auf der Erde, und die Straßenbahn ist restlos überfüllt. Am Tag, als es kein Benzin mehr gab, kamen sie von weit und nah, doch es war halt nichts mehr da, haha. Am Tag, als es kein Benzin mehr gab, sagte jeder: Wenn ich muß, dann geh ich halt zu Fuß. Am Tag, als es kein Benzin mehr gab, kam die große Schieberei, und dann waren die Strassen frei, frei, frei. Am Tag, als es kein Benzin mehr gab, hat erst jeder sehr gestöhnt, und dann fand er's plötzlich schön. Und sie rollen von den Hügeln, bauen Autos mit zwei Flügeln und probieren's mit der Sonnenenergie, füllen Whisky in den Wagen, doch das schlägt ihm auf dem Magen, und sie merken bald: So fährt ihr Auto nie. Einer baut sogar Pedalen und ein Schwungrad in den Wagen, die Familie muß dann treten, er gibt Gas. Doch die meisten von den andern, kriegen plötzlich Lust zum Wandern und genießen wieder Sonne, Luft und Gras. Am Tag, als es kein Benzin mehr gab, [...] Nur ein Schutzmann, ohne Gnade, schreibt schon wieder Strafmandate, für zu schnelles Gehen auf dem Bürgersteig. Und ein Rentner wurde gestern von zwei frommen Klosterschwestern wegen falschen Überlaufens angezeigt. Einen alten Sechszylinder schieben lachend dreißig Kinder und der Lehrer sitzt am Steuerrad ganz groß. Und der Tankwart sagt: "Von mir aus, statt Benzin schenk ich halt Bier aus, dann wird keiner seinen Führerschein mehr los." Am Tag, als es kein Benzin mehr gab, [...] [Roberto Blanco: Am Tag, als es kein Benzin mehr gab. Jupiter 1979.]
In einem Interview erzählte Element of Crime-Frontmann Sven Regener den Redakteuren von 11Freunde einmal, wie wurscht ihm der WM-Erfolg der deutschen Nationalmannschaft beim Turnier im eigenen Land 1974 gewesen sei: „Das Finale […] war mir so egal, dass ich viel lieber der Frage nachgegangen bin, ob wohl irgendjemand während des Endspiels auf der Autobahn unterwegs sein würde. Ich bin also in Bremen-Ost mit dem Fahrrad auf die Autobahn gefahren, und nach zehn Minuten kam tatsächlich ein Auto vorbei – mit drei so alten Ommas drin.“ (Interview: „Bremen ist Fun-Punk“)
Man darf aus dieser Anekdote des „Grandseigneurs“ der deutschsprachigen Pop-Poesie wohl eine bewusste Abgrenzung von allzu direkter Deutschtümelei ableiten. Man könnte Regener hier aber auch eine offensichtlich bereits in jungen Jahren ausgeprägte Freude am nostalgischen Erinnern (vgl. etwa die Lehmann-Trilogie, zahlreiche Element of Crime-Texte oder das Cover-Album Fremde Federn, vor allem mit der Gottfried & Lonzo-Nummer Hamburg ’75) attestieren. Leere Autobahnen, auf denen man kaum Autos, dafür aber einige Fahrräder sehen konnte, kannte der radellustige Teenager schon aus dem letzten Kalenderjahr. Am 25. November sowie am 2., 9. und 16. Dezember 1973 erlebte die Bundesrepublik vier autofreie Sonntage. Ursache war damals jedoch nicht der Fußball, sondern die sogenannte erste Ölkrise.
Im Zusammenhang mit dem Jom-Kippur-Krieg drosselte die OPEC im Oktober 1973 die Fördermengen. Öl und Benzin wurden in den westlichen Ländern wesentlich knapper und deutlich teurer. Historiker sprechen diesbezüglich vom in Deutschland einschneidensten Ölpreisschock, der der Bevölkerung die „Grenzen des Wachstums“ (Meadows / Meadows / Randers / Behrens 1972) vor Augen führte. Dass das Ganze tatsächlich nicht wenig auf das Bewusstsein der Leute wirkte, kann man u.a. daraus folgern, dass heute noch viele von den – je nach Sichtweise einfach unheimlichen oder auch unheimlich schönen – mehrspurigen Massenspaziergängen oder einer auf Jahre hin gestiegenen Bedeutung einer strategisch klugen Verteilung gerader und ungerader Autokennzeichen-Nummern berichten. Man könnte es aber auch daran ablesen, dass diese Chose auch in der Schlagerwelt ihren Niederschlag fand. Ein Beispiele für musikalische Auseinandersetzungen mit diesem Thema ist neben Kraftwerks Autobahn (1974) z.B. der Titel Haben Sie noch Öl? (1973) des eigentlich nur für sinnfreie Stimmungshits bekannten Duos Fred & Alex.
Bezogen auf die sogenannte zweite Ölkrise 1979/80 kann etwa auf Georg Danzers Kein Benzin (1979) oder eben auch auf Am Tag, als es kein Benzin mehr gab von Roberto Blanco hingewiesen werden. In den Strophen des Liedes von Blanco wird das Szenario durch eine Aneinanderreihung vielfältiger Erscheinungen beschrieben. Die Leitfrage lautet schlicht: Was passiert denn so alles, wenn der Tankwart „zapft und zapft und nichts kommt aus dem Schlauch“? Doch Roberto Blanco wäre nicht Roberto Blanco, wenn er uns hier eine graue Distopie präsentieren würde. Die volkswirtschaftlichen Probleme und der damit verbundene Anstieg der Arbeitslosigkeit – von 1973 auf 1974 kam es schließlich zu einer knappen Verdopplung (vgl. hierzu als Dokument aus der Hochzeit der ersten Ölkrise eine Ausgabe des Spiegels aus dem Dezember 1973) – werden hier nur durch zwei persönliche Einzelschicksale thematisiert: Es trifft eben den Tankwart und den dummerweise gleichfalls dem Auto etwas zu direkt verbundenen Fahrschullehrer. Frustration zeigt sich darüber hinaus nur noch bei einem „Rocker“, der „seinen heißen Ofen weinend auf den Müll“ schmeißt – und vielleicht auch noch bei den Passagieren der „restlos überfüllt[en]“ Straßenbahn. Ansonsten wird uns ein durchaus heiter umsteigendes Deutschland präsentiert.
So vermitteln „Autos mit zwei Flügeln“, das Experimentieren mit alternativen Kraftstoffen wie „Whisky“ und Konstruktionen mit „Pedalen und ein[em] Schwungrad“ den Eindruck einer fröhlichen Pionierzeit technischer Entwicklungen. Wäre es nur ein bißchen so weitergegangen wie hier beschrieben, würden wohl längst die unterschiedlichsten Elektroautos unsere Straßen dominieren. Entsprechend wird auch auf die Chancen der „Sonnenenergie“ – und nicht auf die ja im Zuge der Ölkrise ebenso im Aufwind begriffene, aber natürgemäß wesentlich unpopulärere Kernenergie – verwiesen. Zudem regt sich bei einer gewissen Mehrheit wieder eine erhöhte „Lust zum Wandern“. Die ihrem vermeintlich liebsten Kind entwöhnten Deutschen befassen sich wieder mit ihrem anderen Liebling, dem Wald, und „genießen wieder Sonne, Luft und Gras“. Man kann hier den medialen Höhenflug der Ökologiebewegung der 1980er Jahre in seinen Startlöchern stehen sehen.
Die autofreie Welt erscheint gar nicht so schwer, selbst die deutsche Bürokratie zeigt sich ungemein anpassungsfähig: Bußgelder laut Straßenverkehrsordnung gibt es in einem Land ohne Autofahrer dann halt für „zu schnelles Gehen auf dem Bürgersteig“ und „wegen falschen Überlaufens“. Und auch der Tankwart scheint sich zum Ende des Liedes wieder gefangen und mit der neuen Situation arrangiert zu haben. Er heult nicht mehr, sondern sattelt um: Deutsches Bier läuft besser als arabisches Benzin – am besten dann, wenn eh keiner mehr fahren kann. So kommt der Begleitsong zur zweiten als eine heitere Erinnerung an die erste Ölkrise daher: „[E]rst [hat] jeder sehr gestöhnt / und dann fand er’s plötzlich schön“.
Martin Kraus, Bamberg