Hering satt: „Die Flunder und der Harung“, „Hering und Makrele“ und andere Heringslieder
12. Dezember 2022 2 Kommentare
Anonym Die Flunder und der Harung In einen Harung jung und schlank*, zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, der auf dem Meeresgrunde schwamm, zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, verliebte sich, o Wunder, ´ne olle Flunder, verliebte sich, o Wunder, ´ne olle Flunder. * oder: stramm Der Harung sprach: "Du bist verrückt, zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, du bist mir viel zu plattgedrückt. zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, rutsch mir den Buckel ´runter, du olle Flunder! Rutsch mir den Buckel ´runter, du olle Flunder!" Da stieß die Flunder auf den Grund, zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, wo sie ´nen goldnen Rubel fund, zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, ein Goldstück von zehn Rubel, o welch ein Jubel ein Goldstück von zehn Rubel, o welch ein Jubel! Da war die olle Schrulle reich, zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, da nahm der Harung sie sogleich, zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, denn so ein alter Harung, der hat Erfahrung, denn so ein alter Harung, der hat Erfahrung. Und die Moral von der Geschicht? zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, verlieb dich in 'nen Harung nicht; zwo, drei, vier, sit tata, tirallala, denn so ein alter Harung, der hat Erfahrung, denn so ein alter Harung, der hat Erfahrung.
In den 67 im Alojado Lieder Archiv von mir gefundenen deutschen Tierliedern wird am häufigsten der Hering besungen (7 mal, an zweiter Stelle steht mit 5 Liedern der Kuckuck). Die beiden bekanntesten und ein aus 1847 stammendes Gedicht werden vorgestellt. Auf weitere „Heringslieder“ soll weiter unten kurz eingegangen werden.
Das am meisten verbreitete Lied In einen Harung jung und schlank wird zum ersten Mal 1856 in Chants populaires des Flamands de France (Gent) erwähnt. Die Melodie geht auf eine traditionelle Volksweise zurück; der Textdichter ist unbekannt (vgl. www.volksliederarchiv.de). Der Name Hering kommt ursprünglich aus dem Lateinischen clupea harengus und ist über das Altdeutsche und das plattdeutsche Harung zum hochdeutschen Hering geworden.
Dass, wie der Liedforscher Theo Mang (Der Liederquell, 2015, S. 595) in Erwägung zieht, das Gedicht Eine traurige Geschichte aus dem Jahr 1847 von Johann Victor von Scheffel, (1826-1886, Alt-Heidelberg, du feine, Als die Römer frech geworden u.v.a.) als Vorbild gedient hat, ist m. E. unwahrscheinlich.
Zwar gibt es eine Parallele: Beide Texte handeln von einer Love Story: einmal liebt ein Hering eine Auster (vgl. Eine traurige Geschichte), ein andermal verliebt sich eine Flunder in einen Hering (s. Liedtext oben). Vermutlich aber ist das Scheffelsche Gedicht in Flandern nicht bekannt genug gewesen, um als Anregung für das Lied mit dem Harung und der Flunder zu dienen. Zumal in der „traurigen Geschichte“ (nomen est omen) die Auster dem Hering, als er ihr einen Kuss rauben wollte, den Kopf abbeißt. Dagegen wird im Lied von 1856 die zunächst abgewiesene Flunder, nachdem sie ein Goldstück im Wert von zehn Rubel gefunden hat, von dem Hering erhört. Es passiert das, was man im Volksmund eine Geldheirat nennt.
Nicht ganz nachzuvollziehen ist, dass der anfangs als jung bezeichnete Hering plötzlich als alt und erfahren dargestellt wird, ebenso wenig wie die Warnung, sich nicht in einen alten Hering zu verlieben, weil der Erfahrung hat.
Die Warnung wird jedoch verständlich, kennt man eine alternative fünfte Strophe (vgl. ingeb.org), die allerdings in den meisten Liederbüchern nicht zu finden ist:
Er biss die alte Flunder tot, verspeiste sie zum Abendbrot, versoff dann die 10 Rubel, o welch ein Jubel, o welch ein Jubel.
Eine andere letzte Strophe weist der Musiker, Autor und Liedersammler Jochen Wiegandt in Singen Sie hamburgisch? – Vom Tüdelband bis zum Veermaster (Hamburg, 2013) aus:
Auch mit dem Hering ging‘s zu End‘, er wurd‘ ins Fischernetz geschwemmt und lag im Imbiss-Lädchen in einem Brötchen, in einem Brötchen!
Hering und Makrele
Wie es dem Liebespaar Hering und Makrele erging, erzählt uns der Hamburger „textende Taxifahrer“ Benno Strandt (1907–1995), Autor und Texter für Lieder, Gedichte und Geschichten in Plattdeutsch, Hochdeutsch und Missingsch. Berühmt wurde der Text durch den „Mann mit der Laute“, den Hamburger Volkssänger Richard Germer (1900–1993), der die Moritat vertonte und sie mit Hilfe zahlreicher Auftritte in der ganzen Bundesrepublik populär machte. 1963 erschien erstmalig eine Single mit Richard Germer; der Text dürfte Anfang der 1960er Jahre entstanden sein.
Benno Strandt Hering und Makrele Ein Hering und eine Makrele Die waren ein Herz als auch Seele. Er schwamm mit ihr durch die Kanäle, auf dass der Makrele nicht fehle. Sie kamen ins off'ne Gewässer, da wurde der Hering schon kesser. Er sprach: „Sei mein Weib, das wär besser." Sie sprach: „Ach, du süßer Epresser". So wurde die Ehe geschlossen. Sie haben das Leben genossen Er küsste ihr ganz unverdrossen die Kiemen, das Maul und die Flossen. So flitterten sie in den Wogen. Und als ein paar Wochen verflogen da wurd‘ ihr so seltsam im Rogen Sie hat keine Miene verzogen. Was nützt es, dass ich es verhehle? Sie wurde nun bald Mamakrele. Doch er sprach: “Eh ich mich drum quäle, erlaubt mir, dass ich mich empfehle“. Sie senkte gekränkt ihre Lider und blickte empört auf ihn nieder. „Ihr Mannsleut‘ seid herzlose Brüder! Im Fischgericht sehn wir uns wieder“. Der Schuft wird geschnappt in den Fjorden. Dort fängt man den Hering in Horden. Makrelchen ist irgendwo im Norden. schön goldgelb geräuchert worden. Ein Wiedersehn gabs, wenn‘s auch spat war. Im Fischgeschäft, das delikat war, erkannt‘ sie ihn, weil sie auf Draht war, obwohl er schon Heringssalat war.
Hering und Makrele sind beides Schwarmfische, die in der Laichzeit im späten Frühjahr zusammen in Gruppen Jagd auf die Brut anderer Fischarten machen. Ansonsten ist der Hering eine wichtige Nahrungsgrundlage nicht nur für Wale, Robbe, Thunfische, Seelachse, sondern auch für die Makrele. Es ist also die dichterische Freiheit, zu behaupten, dass Hering und Makrele ein Herz und eine Seele waren.
Herrscht hier zunächst zwischen Hering und Makrele eitel Sonnenschein, so wird es nach all dem Küssen und Kosen ernst: die Makrele wird schwanger. Doch kaum ist sie „Mamakrele“ geworden, scheut der Hering die Verantwortung als Vater und verlässt sie. Empört beschimpft die Makrele „alle Mannsleut‘“ als „herzlose Brüder“ und stößt die unheilvolle Prophezeiung aus. „Im Fischgericht sehn wir uns wieder!“
Und tatsächlich werden der Hering in den Fjorden und die Makrele „irgendwo im Norden“ gefangen. Und nachdem die Makrele geräuchert in einem Fischgeschäft zum Verkauf angeboten wird, erkennt sie neben sich in der Auslage den Hering, verarbeitet zu Heringssalat.
So nimmt auch hier, wie in der Scheffelschen „schaurigen Geschichte“, die Liebesgeschichte ein trauriges Ende (s. unten youtube Link).
Intermezzo
Zu den anfangs erwähnten sieben „Heringsliedern“ gehören außer den drei bereits erwähnten,
– das relativ unbekannte Der Hering ist ein salzig Tier (1870) von Heinrich Seidel, gesungen nach der Melodie Ich bin der Doktor Eisenbart und im Internet fälschlicherweise häufig Helge Schneider zugeschrieben
– der nur regional bekannte Waldheim-Boogie von 1950, in dem es um einen Hering und einen Rollmops geht
– das von einem Heringsweibchen und einem Walfisch handelnde Lied Armer Jonas (1963) von Franz Josef Degenhardt:
– das Couplet Der Hering von Georg Kreisler (1966):
– Die Ballade von der Pellkartoffel und dem Hering (1967) gesungen von den Jacob Sisters:
Verbreitung/Rezeption
Wie oben erwähnt ist das Lied vom Harung und der Flunder eines der bekanntesten Scherzlieder. Dazu beigetragen haben vor allem das Allgemeine Deutsche Kommersbuch, das seit 1858 seine 167. Auflage im Jahr 2021 erreichte und damit das im deutschen Sprachraum das am häufigsten aufgelegte Liederbuch ist und außerdem die Mundorgel mit laut Christiane Müller vom Vertrieb des Verlags 15 Millionen verkauften Exemplaren.
Während im Liederarchiv www.deutscheslied.com/ weitere 38 Liederbücher unser Lied aufweisen, ist das Lied vom Hering und der Makrele nur in 2 Ausgaben vertreten. Auch bei Youtube übersteigt die Zahl der Treffer für Die Flunder und der Harung die für Hering und Makrele bei weitem.
Bleibt noch nachzutragen: Wenn ein Lied besonders populär ist, wird es häufig umgedichtet, meistens in Form einer Parodie. In unserem Fall ist aus Harung und Flunder ein politisches Lied geworden. 1981 dichteten der Sänger und Songschreiber Manfred Jaspers und Dieter Dombrowski
12 Strophen mit dem Titel Ein Lied zur Elbverschmutzung. (Quelle: Historisch-politische Lieder aus acht Jahrhunderten, Werner Hinze (Hg. Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein, neue Ausgabe 2009). Die erste Strophe lautet:
In einen Harung jung und krank, zwo, drei vier links ist Blei und rechts ist Blei der auf den Grund der Elbe sank zwo drei, vier und Cadmium ist auch dabei verliebte sich, o Wunder, ´ne olle Flunder, verliebte sich, o Wunder, ´ne olle Flunder.
Nachtrag: Hering in Gefahr
Der Hering, der in fast allen Weltmeeren und in der Nord- und Ostsee vorkommt, gehört wegen der Klimaerhitzung und der zunehmenden Verschmutzung sowie „dem fischereilichen Druck“ zu den gefährdeten Fischsorten (Deutsche Stiftung Meeresschutz).
Obwohl sich die Anlandungen von Hering in Deutschland aufgrund der Beschränkungen der Fischerei von 17.000 t in 2018 auf 9.250 t in 2019 fast halbiert, hatten, nahm 2020 der Hering einen Marktanteil von 10,9 % ein und stand auf Platz 4 der am meisten verzehrten Speisefische in Deutschland.
Wegen der gestiegenen Gefährdung, speziell in der Ostsee, sollte der Hering durch die gemeinsame Wahl vom Bundesamt für Naturschutz (BfN), vom Deutschen Angelfischerverband (DAFV) und dem Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) zum Fisch des Jahres 2021 erhöhte Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten. Aufgrund der Corona-Pandemie im Jahr 2021 war es jedoch nicht möglich, Beschränkungen und Auflagen durchzusetzen. Daher wurde der atlantische Hering (Clupea harengus) auch zum Fisch des Jahres 2022 gewählt.
Georg Nagel, Hamburg