„Daß ich die Hoffnung nie mehr verlier“ – Friedensvorstellung eines Mädchens in Nicoles „Ein bißchen Frieden“ (Text: Bernd Meinunger)
6. Juli 2015 2 Kommentare
Nicole (Text: Bernd Meinunger) Ein bißchen Frieden Wie eine Blume am Winterbeginn Und so wie ein Feuer im eisigen Wind Wie eine Puppe, die keiner mehr mag Fühl ich mich an manchem Tag Dann seh ich die Wolken, die über uns sind Und höre die Schreie der Vögel im Wind Ich singe aus Angst vor dem Dunkeln mein Lied Und hoffe, dass nichts geschieht Ein bißchen Frieden, ein bißchen Sonne Für diese Erde, auf der wir wohnen Ein bißchen Frieden, ein bißchen Freude Ein bißchen Wärme, das wünsch ich mir Ein bißchen Frieden, ein bißchen Träumen Und daß die Menschen nicht so oft weinen Ein bißchen Frieden, ein bißchen Liebe Daß ich die Hoffnung nie mehr verlier Ich weiß, meine Lieder, die ändern nicht viel Ich bin nur ein Mädchen, das sagt, was es fühlt Allein bin ich hilflos, ein Vogel im Wind Der spürt, dass der Sturm beginnt Ein bißchen Frieden, ein bißchen Sonne [...] Sing mit mir ein kleines Lied (Backing: Ein bißchen Frieden, ein bißchen Sonne Für diese Erde, auf der wir wohnen) Daß die Welt in Frieden lebt (Backing: Ein bißchen Frieden, ein bißchen Freude Ein bißchen Wärme, das wünsch ich mir) Singt mit mir ein kleines Lied (Backing: Ein bißchen Frieden, ein bißchen Träumen Und daß die Menschen nicht so oft weinen) Daß die Welt in Frieden lebt (Backing: Ein bißchen Frieden, ein bißchen Liebe Daß ich die Hoffnung nie mehr verlier) [Nicole: Ein bißchen Frieden. Jupiter 1982.]
Ein bißchen Frieden ist die dritte Single der Sängerin Nicole, mit der sie 1982 den Grand Prix Eurovision de la Chanson in Harrogate gewann und somit den ersten Sieg nach Deutschland brachte. Nicole erreichte mit dem Lied zum ersten und letzten Mal den 1. Platz der Charts in Deutschland und in weiteren europäischen Ländern, sowohl mit der deutschsprachigen als auch mit übersetzten Versionen des Liedes.
Entstehungsgeschichte und Weg zum Erfolg
Ein bißchen Frieden entstand aus einer Meinungsverschiedenheit zwischen Komponist Ralph Siegel und Texter Bernd Meinunger. Siegel hatte schon sechs Lieder komponiert, die die Finalrunde des Grand Prix erreichten, aber noch nie gewonnen. Seit 1979 arbeitete er zusammen mit Meinunger. 1982 wollte er für Deutschland ein Friedenslied komponieren, was aber Meinunger nicht wollte, später aber dazu sagte: „Höchstens ein bißchen Frieden“. So wurde der Titel gefunden. Nicole Hohloch war schon seit 1981 bei Jupiter Records mit Robert Jung und Ralph Siegel unter Vertrag und war 1981 beim deutschen Vorentscheid mit dem Lied Flieg’ nicht so hoch, mein kleiner Freund ausgeschieden. Das Lied wurde aber ein kommerzieller Erfolg (Platz 2 der deutschen Charts). Ein Jahr später verfehlte sie beinahe auch den Einzug ins Finale des deutschen Vorentscheids, Ein bißchen Frieden erreichte nur den 24. und somit letzten Platz des radiophonischen Halbfinales. Nicole gewann dann aber die Vorentscheidung am 20. März 1982 in München und durfte Deutschland am 24. April 1982 in Harrogate vertreten.
Analyse
Am Anfang des Liedes erwähnt das Sprecher-Ich seine Zerbrechlichkeit, ja seinen Schmerz in einer kriegerischen Welt. Es präsentiert sich als das kleine unschuldige Mädchen, das Angst („Ich singe aus Angst“) und gleichzeitig Hoffnung darauf hat, dass die Welt besser wird. In der ersten Strophe vergleicht sie sich jeweils mit einer Blume, dem Feuer und einer Puppe, die alle drei in ihrer Existenz gefährdet sind. Die Blume blüht „am Winterbeginn“, wird also nicht überleben können; das Feuer knistert „im eisigen Wind“, kann also nicht wärmen; die Puppe hat keiner mehr lieb, sie ist also nutzlos. In der 3. Strophe verwendet es ein mit den „Vögel[n] im Wind“ ambivalentes Bild, das Freiheit und Hilflosigkeit gleichermaßen symbolisiert. Das Sprecher-Ich erscheint bis hierher immer erst zum Ende der Strophen bzw. des Refrains (1. Strophe: „Fühl ich mich“; 2. Strophe: „Und hoffe“; Refrain: „das wünsch ich mir“; Refrain: „Daß ich die Hoffnung nie mehr verlier“). Nach dem Refrain ändert sich dies: Das „Ich“ eröffnet und dominiert die 3. Strophe : „Ich weiß, meine Lieder, die ändern nicht viel / Ich bin nur ein Mädchen, das sagt, was es fühlt / Allein bin ich hilflos“. Der Hinweis des Ich auf seine eigene Einsamkeit wird aber dadurch konterkarriert, dass es drei Mal die Pronomina „wir“ und „uns“ gebraucht, zweimal spricht das Ich von den „Menschen“, die genauso hilflos und traurig wie es selbst sind. Am Ende fordert es gar das Publikum auf, mitzusingen (die letzten 45 Sekunden, d.h. immerhin ein ganzes Viertel des Liedes lang, das drei Minuten dauert). Diese Aufforderung wird sogar gesteigert, es heißt nämlich zuerst „Sing mit mir“, schließlich „Singt mit mir“. In dieser Aufforderung kommt erneut das Wort „Frieden“ vor, es geht aber nicht mehr nur um „ein bißchen Frieden“, sondern darum, „daß die Welt in Frieden lebt“. Der Frieden wird im ganzen Lied metonymisch durch „Sonne“, „Freude“, „Wärme“, „Träume“, und schließlich, „Liebe“ ausgedrückt und dadurch mit positiven, erfreulichen Gefühlen assoziiert. Dagegen wird das Wort „Krieg“ nicht erwähnt, doch können die Wörter „Wolken“ und „Dunkel[]“ in der 2. Strophe als metonymischer Ersatz für den bedrohlichen Krieg verstanden werden, der sowohl „Angst“ als auch die Tränen der Menschen verursacht.
Musikalisch ergibt sich der Erfolg des Liedes aus einer sehr einfachen, an Volkslieder erinnernden Melodie. Raffinierterweise ist im Hintergrund bei den beiden ersten Strophen und dem Refrain von Anfang an die Melodie des auffordernden Schlusses zu hören; „Singt mit mir ein kleines Lied […]“: Sie wird von den Instrumenten als Begleitung gespielt. Umgekehrt hört man während des Schlussteils die Melodie der Strophen. Damit wird erreicht, dass der Hörer von Beginn an beide Melodien im Ohr hat. Das wiederum trägt zum Ohrwurmcharakter des Liedes bei, und wenn es dann heißt „Singt mit mir […]“, ist das Mitsingen (erstaunlicherweise) kein Problem. Der Chor nimmt die Aufforderung an und singt gleichzeitig den Refrain. Im 2. Refrain nach der 3. Strophe gibt es außerdem eine Rückung, d.h. einen plötzlichen Tonwechsel: Die Melodie wird nun einen Ton höher gesungen und begleitet, was eine klimaktische Wirkung hat. Das Lied wird zu einem herzigen Bittgesang in strahlendem Dur.
Erfolg und Rezeption
Interpretin und Text bilden in Harrogate eine idealtypische Einheit: Hier singt ein kleines naives Mädchen, das immer wieder die Welt nicht mehr versteht, mit der erstaunlichen Konklusion, dass sie ja nur „ein bißchen Frieden“ haben will. Das Bühnenbild ist perfekt: Die Farbe weiß dominiert (Farbe der Unschuld und des Friedens), Nicole sitzt auf einem Hocker, hat eine große weiße Gitarre in den Händen, bewegt nur Kopf und Hand – ein sehr einfaches Bühnenbild, das zum Lied passt.
Mit dem Thema „Frieden“ setzen Siegel und Meinunger erfolgreich auf die Friedenssehnsucht einer Gesellschaft, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat und sich nun vor einem Dritten Weltkrieg fürchtet – es ist bemerkenswert, dass das Thema „Frieden“ beim ESC 2015 immer noch funktioniert: Drei Lieder im Finale in Wien behandeln es, der russische Beitrag gelangt damit sogar auf Platz 2.
1982 befindet sich Europa im Kalten Krieg, Deutschland stellt die Grenze zwischen West- und Ostblock dar und befindet sich damit in einer besonders bedrohten Lage. Darüber hinaus erlebt man Friedensbewegungen, etwa gegen den NATO-Doppelbeschluss. Auch Großbritannien, der Gastgeber des Grand Prix, ist im April 1982 in einem Krieg verwickelt. Am Tag nach der Austragung des Wettbewerbs soll der erste britische Flottenverband im Südatlantik eintreffen, um die Falklandinseln zurückzuerobern, die kurz zuvor von Argentinien besetzt worden waren. Das Lied wird im Nachhinein auch ein kommerzieller Erfolg in Großbritannien.
Nicole gewann den Grand Prix mit 161 Punkten und 61 Punkten Abstand zum Zweiplatzierten aus Israel, ihr Lied wird zu einem kommerziellen Erfolg in ganz Europa: In Originalsprache oder übersetzt erreicht es den ersten Platz der Charts in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Großbritannien, Norwegen, Schweden, den Niederlanden und Belgien. Nicole selbst singt das Lied auch auf Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Niederländisch, Dänisch und Russisch. Außerdem gibt es Übersetzungen ins Finnische, Schwedische, Serbokroatische, Tschechische sowie in die Sprache Afrikaans und Coverversionen auf Polnisch und Esperanto.
Exkurs: Eurovision Song Contest und Politik
In seiner Publikation ‚Kampf der Kulturen‘, Der Eurovision Song Contest als Mittel national-kultureller Repräsentation unterscheidet Irving Wolther sieben Bedeutungsdimensionen des ESC, darunter die politische Dimension. Wolther sieht den ESC als „Instrument […], um bestimmte politische Inhalte zu vermitteln“ und unterscheidet „zwischen einer externen und einer internen politischen Dimension“. Die externe politische Dimension betrifft die Eigenschaft, am ESC teilzunehmen, um die politische Sicht eines Landes nach außen zu transportieren. Von einer internen politischen Dimension ist die Rede, wenn der ESC die politische Agenda eines Landes beeinflusst, wenn zum Beispiel ein Staatsoberhaupt ein Grußwort an den Vertreter des Landes schickt oder wenn ein Politiker persönlich beim ESC vor die Kamera tritt. Nicoles Auftritt kann als extern politisch betrachtet werden, denn er stellt sich der Politik des Kalten Kriegs in Europa entgegen und wird in Friedensbewegungen der damaligen Zeit genutzt.
Maxime Bleuzé, Düsseldorf
Literatur:
Anonym: Ein bisschen Frieden. In: Wikipedia [Stand: 04.06.2015].
Gassert, Philipp: Die Vermarktung des Zeitgeists. Nicoles „Ein bißchen Frieden“ (1982) als akustisches und visuelles Dokument, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe 9 (2012), Heft 1.
Niggemeier, Stefan: Interview mit Bernd Meinunger, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.5.2002, S. 50.
Wolther, Irving: ›Kampf der Kulturen‹, Der Eurovision Song Contest als Mittel national-kultureller Repräsentation. Würzburg 2006. Vgl. S.121-126.