Muss man die Liebe gießen? „In meinem Garten“ von Reinhard Mey und seine französische Übersetzung
20. Februar 2024 5 Kommentare
Reihard Mey
In meinem Garten
In meinem Garten, in meinem Garten
Blühte blau der Rittersporn,
Zwischen dem Unkraut, in meinem Garten,
Im Geröll in meinem Garten,
Wo die anderen Blumen verdorr'n.
In meinem Dache, in meinem Dache
Baut' ein Rabe sich sein Nest,
Unter meinem brüchigen Dache,
Unter dem zerfallenen Dache,
Wo der Wind durch die Balken bläst.
In mein Leben, in mein Leben
Hat sie sich zu mir verirrt,
Und sie nahm Platz in meinem Leben,
Platz in meinem engen Leben
Und hat meine Gedanken verwirrt.
Was ich besaß, hab' ich ihr gegeben
An Vernunft und an Verstand,
Meine Seele ihr gegeben,
Mag's der liebe Gott vergeben,
Weil ich sonst nichts zu schenken fand.
In meinem Garten, in meinem Garten
Goss ich meinen Rittersporn,
Jätete Unkraut in meinem Garten,
Harkte emsig meinen Garten,
Doch die Blume verwelkte im Zorn.
Für den Raben in meinem Dache
Deckt' ich Ziegel Stück für Stück,
Wo es Löcher gab im Dache,
Doch ins Nest unter dem Dache
Kam der Rabe nie mehr zurück.
Seit jenem Tag, an dem der Rabe
Sein geschütztes Nest verschmäht',
Seit ich die Blume trug zu Grabe,
Meine Ruhe nicht mehr habe,
Bitt' ich, dass sie nicht auch von mir geht.
Ginge sie fort, ging' auch mein Leben,
Und das ist kein leeres Wort.
Was ich besaß, hab' ich vergeben,
Meine Seele und mein Leben,
Und die nähme sie mit sich hinfort.
[Reihard Mey: Aus meinem Tagebuch. Intercord 1970.]
Frédérik Mey
Dans mon jardin
Dans mon jardin, dans mon jardin
Fleurissait la dauphinelle.
Au milieu des pierres de mon jardin,
Dans le sable aride de mon jardin,
Où se meurent même les immortelles.
Dessous mon toit, dessous mon toit
Un corbeau faisait son nid.
Sous les tuiles brisées qui font mon toit,
Sous les poutres bancales de mon toit,
Où les quatre vents ont leur abri.
Dans ma vie, dans ma vie
Elle est venue s'égarer.
Et elle s'est installée dans ma vie,
Et a pris tant de place dans ma vie
Que j'en suis tout déconcerté.
Je lui ai donné, je lui ai donné
Tout ce qui m'appartenait.
La tendresse que j'avais à donner,
Mon amour, mon âme, j'ai tout donné.
Elle est tout ce que j'ai désormais.
Dans mon jardin, dans mon jardin
Je soignais la dauphinelle.
J'enlevais les pierres de mon jardin,
J'arrosais le sable de mon jardin.
Mais la fleur est morte de tant de zêle.
Sur mon toit, sur mon toit
Une à une, j'ai remplacé
Les tuiles et les poutres de mon toit,
Mais le nid du corbeau sous mon toit
Depuis s'est trouvé déserté.
Depuis le jour, depuis le jour
Où la fleur bleue s'est fanée,
Où le corbeau s'est envolé sans retour,
J'ai peur qu'elle ne dédaigne mon amour
Et regrette sa liberté.
Depuis ce temps, depuis ce temps
Pour qu'elle reste, je prie.
Je ne voudrais plus vivre comme avant,
Sans elle, un jour, une heure seulement.
Avec elle, s'en irait ma vie.
[Frédérik Mey: Edition Francaise Vol. 2. Intercord 1973.]
In Deutschland wird es kaum einen Menschen geben, der Reinhard Mey nicht kennt. 28 Studioalben hat er seit 1967 veröffentlicht und denkt auch mit über 80 Jahren noch nicht ans Aufhören: Nummer 29, Nach Haus, ist für Mai 2024 angekündigt. Hierzulande wenig bekannt ist dagegen das französische Alter Ego des Sängers, Frédérik Mey, unter dem er immerhin sieben Alben auf den Markt brachte. Die Karriere begann zweisprachig. „[…] Als ich dann anfing, Musik zu machen, kam mir der Gedanke, Mensch, du hast ja eine zweite Sprache, laß sie nicht brach rumliegen […]“, kommentiert der Liedermacher selbst diese Entscheidung.
Die Zweisprachigkeit war ein Geschenk seiner Eltern. Deren Freundschaft mit einer französischen Familie überdauerte den Zweiten Weltkrieg, Reinhard Mey verbrachte vielfach die Ferien im Nachbarland und besuchte außerdem ab der fünften Klasse die französische Schule in Berlin. Auch als laut eigener Aussage schlechter Schüler bestand er das deutsche und das französische Abitur. Seine hervorragenden Französischkenntnisse führte er später vor allem auf das pädagogische Geschick seines Vaters zurück; als Lehrling beim Pharmaunternehmen Schering dolmetschte er für französische Gäste.
Zu einer Laufbahn als Industriekaufmann fühlte der junge Reinhard sich nicht berufen, auch das BWL-Studium brach er ab. Seine wahre Begabung lag nun einmal im Schreiben und Interpretieren von Liedern und nach einigen Jahren der Auftritte in kleineren Sälen stellte sich schließlich der bis heute andauernde kommerzielle Erfolg ein.
In Frankreich ging es sogar noch schneller, wobei der Weg dorthin über Belgien führte. Meys Auftritt auf dem Chansonfestival in Knokke im Jahre 1967 begeisterte den französischen Plattenproduzenten Nicolas Péridès, ein Jahr später erschien Frédérik Mey Volume 1. Das französischsprachige Debüt wurde mit dem „Prix International“ der Académie de la Chanson Française ausgezeichnet, der sich wiederum auf Reinhard Meys Karriere in Deutschland positiv auswirkte. Vierzehn Jahre lang lief sie in beiden Ländern parallel, 1982 erschien mit Volume 6 Frédérik Meys vorläufig letztes Album. Erst im Jahre 2005 meldete er sich mit Volume 7 – Douce France zurück.
Viele Lieder aus der frühen Schaffensphase existieren in beiden Sprachen. In einigen Fällen wurden sie im gleichen Jahr geschrieben, in anderen ist die französische Fassung einige Jahre jünger. Manches, das durch Erlebnisse in einem Sprachraum inspiriert wurde, ist in diesem Sprachraum geblieben: Christine von 1969, ein Liebeslied an die aus Frankreich stammende erste Ehefrau, wurde nie auf Deutsch gesungen. Die unter anderem mit Hannes Wader und Schobert Schulz begangenen und in der Trilogie auf Frau Pohl von 1964/1965 festgehaltenen Jugendsünden sind dagegen dem französischen Publikum nie zu Ohren gekommen.
Sowohl in der Muttersprache als auch in der Zweitsprache schrieb Reinhard Mey In meinem Garten. Die deutsche Fassung entstand 1969 und wurde Teil seines dritten deutschen Albums Aus meinem Tagebuch. In vier Strophen werden eine Pflanze, ein Vogel und ein Mensch besungen, die vielleicht ein und dasselbe sind…
Das Reimschema der Strophen ist abaabcdccd, wobei in der zweiten Strophe anstelle von c wiederum a auftaucht. Im ersten Vers jeder Strophe mit Ausnahme der vierten wird eine Wortgruppe („in mein[em] x“) zweimal wiederholt. Bei den Endreimen handelt es sich häufig um Wortwiederholungen: Sowohl in der ersten als auch in der dritten Strophe ist a stets „Garten“, c stets „Dache“. In der zweiten Strophe ist a das Wort „Leben“, das sich auch in der vierten Strophe zweimal am Versende findet, dort allerdings an Position c. Sehr oft verwendet wird im gesamten Text auch das Possessivpronomen „mein“.
Die Parallelen auf der formalen Ebene deuten bereits auf inhaltliche Parallelen hin. In der ersten und dritten Strophe ist von Rittersporn und einem Raben die Rede, während die zweite und vierte von einer Frau sprechen. Dabei kann man den Rittersporn bei einem Künstler, der sein gesamtes Leben in Berlin verbracht hat, als Hommage an die Heimat betrachten, da die hoch wachsende und blau blühende Staude eng mit dem Namen Karl Foersters (1874-1970) verbunden ist. Dieser wirkte in Bornim (heute ein Ortsteil von Potsdam) und züchtete fast 70 verschiedene Sorten.
Delphinium, so sein wissenschaftlicher Name, gehört zur Familie der Hahnenfußgewächse und soll unter anderem wundheilend und entzündungshemmend wirken. Die Pflanze steht für eine ritterliche Haltung und edle Gesinnung, das Blau ihrer Blüten verspricht beständige Liebe. Ebenso wie andere blau blühende Pflanzen soll Rittersporn heilend auf die Augen wirken; die elsässische Odilie, Schutzpatronin der Augenkranken, trägt eine Blüte als Attribut. Die mediterrane Art Delphinium ajacis L. wird auch mit Leid und Trauer assoziiert, da man die Zeichnung auf den inneren Kronblättern als griechisch „αι“ (ai) lesen kann, einen Ausruf der Klage.
Der Rabe gilt als besonders klug und zur Weissagung fähig; bekannt sind Odins zwei Raben, die dem Gott alle Neuigkeiten berichten. Andererseits steht er dem Tod nahe, gilt als Galgenvogel und Teufelstier und ist in der christlichen Ikonographie Symbol der Avaritia (Geiz / Gier) oder des sündhaften Menschen. Möchte man die beiden im Lied erwähnten Teile der Natur als Symbole sehen, sind sie also recht ambivalent.
In der ersten Strophe wird die Ausgangssituation beschrieben. Der Garten des lyrischen Ich war in einem schlechten Zustand, geprägt von „Unkraut“ und „Geröll“, doch der Rittersporn blühte darin. Auch um das Haus mit seinem „brüchigen“ und „zerfallenen“ Dach stand es nicht besser, was einen Raben nicht davon abhielt, sich dort sein Nest zu bauen. In der dritten Strophe wird das lyrische Ich tätig, um bessere Bedingungen zu schaffen: Der Rittersporn wird gegossen, der Garten auf Vordermann gebracht, neue Ziegel schließen die Löcher im Dach. Das Ergebnis ist das genaue Gegenteil des eigentlich Bezweckten – der Rittersporn verwelkt, der Rabe lässt sich nicht mehr sehen.
Die zweite Strophe erzählt von der Begegnung mit einer Frau, die sich im „engen Leben“ des lyrischen Ich niedergelassen hat. Der Sprecher glaubt, ihr etwas schuldig zu sein, gibt ihr alles, was er „an Vernunft und an Verstand“ erübrigen kann, sowie seine Seele. In der vierten Strophe erinnert er sich an seine Erfahrungen mit Rittersporn und Rabe zurück (seine „Ruhe“ hat er dadurch verloren) und verleiht seiner Sorge Ausdruck, trotz (oder wegen?) der erbrachten Opfer auch die geliebte Frau zu verlieren. Das Wort „Seele“ wird als Gabe an sie erneut erwähnt, als weitere Gabe wird das „Leben“ genannt. Dieses wird bereits in der zweiten Strophe mehrfach erwähnt, dort jedoch wie ein Ort beschrieben, den die Frau betreten hat.
Die französische Version Dans mon jardin wurde 1971 geschrieben und auf dem Album Volume 2 veröffentlicht – gemeinsam mit völlig anderen Stücken als das deutsche Original. Hier finden wir neben zahlreichen weiteren Übereinstimmungen das gleiche Reimschema wie in der deutschen Fassung vor. Die Wiederholungen von Wortgruppen im ersten Vers jeder Strophe wurden hier noch weiter ausgeführt: Auch die vierte Strophe beginnt so und sogar ihre zweite Hälfte wird auf diese Weise eingeleitet. Während in Strophe eins bis drei „dans mon jardin“ und „dans ma vie“ (also Übersetzungen der entsprechenden Stelle im Deutschen) wiederholt werden, sind es in Strophe vier „depuis le jour“ (seit dem Tag) und „depuis ce temps“ (seit jener Zeit).
Eine zusätzliche Wiederholung findet sich auch in der zweiten Strophe, in deren Mitte es zweimal hintereinander „je lui ai donné“ (ich habe ihr gegeben) heißt. Die Parallelen zwischen Strophe zwei und vier sind also noch stärker als im Original. Ein Wortspiel, das im Deutschen so nicht möglich wäre, hat Frédérik Mey in die erste Strophe eingebaut: Der Garten ist so steinig und der Boden so wenig fruchtbar, dass „se meurent même les immortelles“ (selbst die Immortellen sterben).
Zwar ist der Sprecher im Französischen über die Ankunft der Frau in seinem Leben ebenso „déconcerté“, wie er im Deutschen „verwirrt“ ist, doch ihr Verhältnis wird etwas anders beschrieben. In der deutschen Fassung kommt das Wort „Liebe“ gar nicht vor, in der französischen dagegen zweimal, als Gabe in der zweiten Strophe und in der Formulierung „j’ai peur qu’elle ne dédaigne mon amour“ (ich habe Angst, dass sie meine Liebe verschmäht) in der vierten.
Was im Garten nur angedeutet wird (übertriebene Fürsorge kann erdrückend wirken), spricht der Jardin deutlicher aus. Neben seiner Liebe und seiner Seele hat das lyrische Ich der Frau auch „tendresse“ (Zärtlichkeit) gegeben und befürchtet, sie könnte „regrette[r] sa liberté“ (ihrer Freiheit nachtrauern). Ohne sie möchte er nicht einmal „un jour, une heure seulement“ (einen Tag oder nur eine Stunde) leben – eine Hyperbel, die der deutsche Text nicht enthält.
In der französischen Fassung verwelkt der Rittersporn nicht „im Zorn“, sondern er stirbt „de tant de zêle“ (durch so viel Eifer). Das lyrische Ich bittet nicht nur darum, dass die Geliebte bei ihm bleibt, es hat auch explizit Angst („peur“), sie zu verlieren. Der letzte Vers wiederum ist dem Schluss im Deutschen sehr ähnlich: „Avec elle, s’en irait ma vie“ (mit ihr ginge mein Leben fort).
Dans mon jardin wurde zwei Jahre nach In meinem Garten für ein anderes Publikum geschrieben. Empfand der Autor selbst mit etwas Abstand sein Thema anders und wollte bestimmte Aspekte stärker hervorheben? Wurde seine Entscheidung für andere Formulierungen von anderen Konventionen in französischen Liedtexten beeinflusst? Das Lied Ma liberté von Georges Moustaki wurde in jenen Jahren zunächst von Serge Reggiani und dann vom Autor selbst interpretiert und war Reinhard-Frédérik sicherlich bekannt.
Die berühmte Wirkungsäquivalenz ist trotz der genannten Unterschiede in diesem Falle ebenso gegeben wie bei zahlreichen anderen Selbstübersetzungen von Reinhard Mey. Seine Beherrschung der Nachbarsprache ist beeindruckend. Für des Französischen mächtige Fans des Liedermachers lohnt es sich, auch Volume 1 bis 7 zu entdecken. Ein Textvergleich kann auf Altbekanntes möglicherweise eine neue Sicht eröffnen.
Irina Brüning, Hamburg
Quellen:
Lurker, Manfred (Hrsg.): Wörterbuch der Symbolik, Stuttgart, 51991
Mey, Reinhard (mit Bernd Schroeder): Was ich noch zu sagen hätte, Köln, 2005. Das wörtliche Zitat stammt von Seite 60.
Zerling, Clemens H. (Hrsg. Wolfgang Bauer): Lexikon der Pflanzensymbolik, Darmstadt, 22013