Loblied auf Bergische Frauen: Bill Ramseys „Zuckerpuppe (aus der Bauchtanz-Truppe)“ (1961)

Bill Ramsey (Text: Hans Bradtke)

Zuckerpuppe (aus der Bauchtanz-Truppe)

Kennt ihr die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe,
von der ganz Marokko spricht?
Die kleine süße Biene mit der Tüllgardine
vor dem Babydollgesicht?
Suleika, Suleika heißt die kleine Maus,
heißt die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe,
und genauso sieht sie aus.

Da staunt der Vordere Orient, da staunt der Hintere Orient,
da staunt ein jeder, der sie kennt!
Und mancher Wüstensohn hat sie schon als Fata Morgana gesehn.
Ja, sogar mir, sogar mir blieb bei ihr das Herz fast stehn.

Denn diese Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe
sah mich ohne Pause an.
Die kleine süße Biene mit der Tüllgardine,
die man nicht durchschauen kann.
Suleika, Suleika tanzte auf mich los.
Ja, die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe
setzte sich auf meinen Schoß.

Da staunt der Vordere Orient, da staunt der Hintere Orient,
da staunt ein jeder, der sie kennt!
Und mancher Wüstensohn hat sie schon als Fata Morgana gesehn.
Mir aber war im Moment noch nicht klar, was da geschehn.

Denn diese Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe
rückte näher peu a peu.
Dann hob die süße Biene ihre Tüllgardine
vor mir plötzlich in die Höh'.
"Elfriede, Elfriede!" rief ich durch den Saal,
denn die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe
kannte ich aus Wuppertal!

     [Bill Ramsey: Zuckerpuppe (aus der Bauchtanz-Truppe). Polydor 1961.]

Für Bruni

Zu den sympathischen Zügen des deutschen Schlagers zählt seine prinzipielle Fähigkeit und hin und wieder auch tatsächlich nachgewiesene Bereitschaft, sich selber – d.h. seine Themen, Illusionen und Rezeptionsroutinen – auf die Schippe zu nehmen. In dieses illustre Subgenre selbstironischer Schlager ordne ich auch Bill Ramseys 1961 eingesungenen Hit Zuckerpuppe ein. Texter des Titels ist Hans Bradtke (Pack‘ die Badehose ein, Kalkutta liegt am Ganges, Pigalle usw.), als Produzent fungierte Kurt Feltz und die Komposition stammt von Heinz Gietz (1924-1980), der nach dem 2. Weltkrieg vor allem für den Hessischen Rundfunk und deutsche Bigbands als Arrangeur arbeitete, aber auch selber komponierte und gelegentlich sogar Texte schrieb. Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger Jahre gab es eine kurze, aber intensive Zeit gemeinsamer Produktionstätigkeit mit Kurt Feltz, wobei Gietz eher für die Musik zuständig war, Feltz meist für die Texte, sofern dafür nicht Bradtke einsprang. Ramseys Zuckerpuppe war das letzte Produkt dieser Zusammenarbeit (vgl. Wikipedia).

Mit Ramsey (geb. 1931 in Cincinnati, Ohio) war Heinz Gietz eng verbunden, hatte er dem ehemaligen amerikanischen Soldaten doch den Weg ins deutsche Film- und Schlagergeschäft (1955) geebnet. Allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass Ramsey schon als Truppen-Betreuer der amerikanischen Streitkräfte über professionelle Erfahrungen im Unterhaltungsgeschäft, speziell als Jazz-Sänger, verfügte. In Deutschland schaffte er seinen endgültigen Durchbruch 1959 mit Souvenirs, der Coverversion eines amerikanischen Songs von Cy Coben. Ramsey verlegte sich in den frühen 1960er Jahren auf humoristische Filmrollen und einschlägige Schlager (Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett, 1962). Später widmete er sich wieder stärker Jazz- und Blues-Titeln, nahm aber auch Kinderlieder, Operettenarien und Musical-Songs auf. Im Frühjahr 1961 hatte das Quartett Ramsey/ Bradtke/ Gietz/ Feltz schon einmal mit Pigalle die Spitze der deutschen Hitparade für drei Wochen erobert, mit der Zuckerpuppe legte man nun nach: Wieder geht die Reise ins Rotlichtmilieu, das für die prüde deutsche Nachkriegsgesellschaft einen beachtlichen Attraktionswert gehabt haben muss. Wie schon bei Pigalle macht die humoristische Behandlung den Gegenstand für ein breites Publikum konsumierbar.

Das Geschehen ist leicht nacherzählt: Die Sprecherinstanz, der Ramsey einen starken amerikanischen Akzent und ein reges Minenspiel (dem zeitgenössischen Publikum von zahlreichen Film-, Fernseh- und Konzertauftritten bestens bekannt) verleiht, folgt den ,Lockungen des Orients‘ als hätte er noch nichts von Saids Kritik am westlichen Kulturimperialismus, von ,Orientalism‘, Dekonstruktion und political correctness im Postkolonialismus gehört- (Hoppla, hat er vermutlich tatsächlich nicht! Edward Saids diskursbegründender Megaseller sollte im englischen Original ja erst 17 Jahre später auf den Markt kommen, in der deutschen Übersetzung 1979.) So darf sich also im Schlager aus der bundesrepublikanischen Frühzeit ein Ramsey bzw. sein fiktionales Alter Ego noch ohne öffentliche Empörung auszulösen in eine hübsche Bauchtänzerin ,vergucken‘ und sich dabei ohne den geringsten Anflug eines schlechten Gewissens im siebten Himmel fühlen – oder sogar im achten, als diese „süße Biene“ auch noch auf ihn ,lostanzt‘, d.h. etwas inszeniert, was man dank Tina Turner heute als ,private dancing‘ bezeichnen würde, was aber damals erotisch so avanciert gewesen sein muss, dass es noch gar keinen richtigen Namen dafür gab.

Die letzte Strophe endet für die Sprecherinstanz, aber auch für das Publikum mit einer gewaltigen Überraschung. Wie es sich für einen ordentlichen Schleier- respektive Tüllgardinen-Tanz schickt, wird am Ende das Inkognito gelüftet. „Suleika“, die „Zuckerpuppe“, entpuppt sich – als ziemlich bodenständige „Elfriede“ aus dem Bergischen Land, aus „Wuppertal“. Offen bleibt, ob aus Barmen oder Elberfeld. Selbst Edward Said müsste an dieser Form von Orientalismus- bzw. Exotismus-Kritik seine Freude gehabt haben! (Stelle ich mir wenigstens vor.) Unser Schlager entlarvt bzw. ,entzaubert‘ die dekadenten Phantasien eines Kulturimperialisten als eben solche aufs Anschaulichste.

Oder passiert am Ende etwas ganz anderes? Versuchen wir doch einmal, uns vorzustellen, wie das seinerzeitige Publikum den Moment der Anagnorisis in diesem Schlager aufgefasst haben mag. Ich halte dafür, dass im Lachen über die Pointe eine ordentliche Portion Schadenfreude mitgeschwungen hat, dass man die Entwicklung der Dinge durchaus als Strafe für die Sprecherinstanz verstanden hat. Als Strafe für den ,unmoralischen‘ Besuch eines verruchten Etablissements, für ,schmutzige‘ Phantasien von orientalischen Zuckerpuppen, für die Hybris, etwas erleben zu dürfen, was normalen Männern – selbst Vorder- und Hinterorientalen! – allenfalls in Form einer Fata Morgana begegnet, oder einfach als ,gerechten Ausgleich‘ dafür, dass es ihr zu gut gegangen war. Da wird jemand auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt – schließlich ist noch kein Baum in den Himmel gewachsen! Vielleicht war besagtes Vergnügen noch zusätzlich durch den Umstand befeuert, dass die Verwandlung Suleikas in Elfriede einen US-Boy getroffen hat, also einen, der damals mit Dollars nur so um sich schmeißen und Nachtlokale besuchen konnten, was dem ,normalen‘ Nachkriegsdeutschen in der Regel nicht vergönnt gewesen ist und entsprechende Neidgefühle provoziert haben könnte.

Gegen diese Deutung plädiere ich hier allerdings dafür, den eigentlich offenen Ausgang der Geschichte anzuerkennen und diesen als Chance für eine bessere gemeinsame Zukunft der Protagonisten zu begreifen. Die Sprecherinstanz hat aus seiner Erfahrung mit der Bauchtanztruppe (vielleicht? / hoffentlich!) gelernt, seine alte Bekannte aus Wuppertal, die nette Elfriede, die ihm ja offensichtlich herzlich zugeneigt ist, mit anderen Augen anzusehen, nämlich zu erkennen, dass sie eigentlich ja doch eine ausgesprochen „süße Biene“ ist und jederzeit als eine „Suleika“ durchgehen könnte. Dass eine Frau nicht aus Marokko kommen und auch keinen exotischen Namen mit erotischen Konnotationen haben muss, um einen Mann glücklich zu machen. Sollte der von Bill Ramsey verkörperte Galan das begriffen haben, wäre er von seinen exotistischen Phantasien geheilt und könnte mit Elfriede einen soliden deutsch-amerikanischen Hausstand begründen. Abstrakter formuliert dürfte man demnach die Zuckerpuppe als Exempel auf die Volksweisheit „Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“ betrachten. Das wäre dann natürlich wieder ein bisschen spießig, passte darin aber doch ganz gut zum Generaltrend des deutschen Schlagers der frühen sechziger Jahre.

Nachzutragen bleibt weiter Löbliches: Der lustige Song hat eine flotte Rhythmik, dazu eine Melodie mit Ohrwurmqualität, ist – im zeitlichen Kontext – erfrischend jazzig arrangiert (oft übernahm Ramsey selbst den Klavierpart), bestens tanzbar und im Übrigen multifunktional einsetzbar. So war beispielsweise der Auftritt der (von Corinna Duhr dargestellten) Bundeskanzlerin im Nockherberg-Singspiel zur Zuckerpuppen-Vorlage sicher ein Höhepunkt in der Geschichte dieses bajuvarischen Kabarett-Spektakels. Auch hat der Text formal einiges zu bieten, u.a. semantisch überraschende Reime, intelligente Variationen von Binnen- und Endreimen, schöne Parallelismen in der Makrostruktur sowie ein komisches Wechselspiel von Begriffen aus gegensätzlichen Sinnsphären – exotistischen Reizwörtern einerseits, Elementen bzw. Formulierungen eines spießigen Nachkriegs-Biedermeiers andererseits. Eine professionelle Arbeit von allen Beteiligten!

Hans-Peter Ecker, Bamberg

Definition eines Berufsbildes, Lebensberatung, nett verpackter Korb oder Trost für sitzengelassene Mädchen? Lolitas „Seemann (deine Heimat ist das Meer)“ (1960)

Lolita (Text: Fini Busch)

Seemann 

Seemann, laß das Träumen, 
denk nicht an zuhaus, 
Seemann, Wind und Wellen rufen 
dich hinaus. 
 
Deine Heimat ist das Meer, 
deine Freunde sind die Sterne, 
über Rio und Shanghai, 
über Mali und Hawaii. 
Deine Liebe ist dein Schiff, 
deine Sehnsucht ist die Ferne, 
und nur ihnen bist du treu, 
ein Leben lang. 
 
Seemann, laß das Träumen, 
denke nicht an mich, 
Seemann, denn die Fremde wartet 
schon auf dich. 
 
Deine Heimat ist das Meer [...]

     [Lolita: Seemann. Polydor 1960.]

Zu den Schlagern meiner Kindheit, an die ich mich noch ganz genau erinnern kann, zählt mit Sicherheit Lolitas Ratgeberlied für Männer in nautischen Berufen. Lolita war der Künstlername der Österreicherin Edith Einzinger (geb. Zuser, 1931-2010), die schon als ,Ditta Zusa‘ gut im Geschäft gewesen war, mit ihrem Seemann dann aber auch die internationalen Hitparaden stürmte. Mit Sicherheit zählt das von Fini Busch getextete und Werner Scharfenberger komponierte Lied zu jenen Schlagern, die „wir“ (d.h. die Generation der Zeitgenossen) nie vergessen; so wurde der Titel auch mit vollem Recht in der Moritzschen Anthologie berücksichtigt. Elmar Kraushaars Besprechung (Männerwelten, in: Schlager, die wir nie vergessen. Verständige Interpretationen. Hg. v. Max & Moritz. Leipzig: Reclam 1997, S. 107-110) zählt nicht zu den schlechtesten Beiträgen jenes Readers und trägt bereits einige Aspekte zur Wirkungsgeschichte zusammen.

Kraushaar platziert den Schlager im historischen Kontext einer mitteleuropäischen Nachkriegsgesellschaft, die einerseits von abwesenden, gefallenen, versehrt und traumatisiert zurückgekehrten Männern geprägt war, anderseits von Frauen, die an der Heimatfront vielfältige Ersatzfunktionen auszufüllen gehabt und dabei an ,Macht‘ und Einfluss gewonnen hatten. 1960 sei es gesellschaftspolitisch darum gegangen, „das beschädigte kollektive Selbstwertgefühl“ zu entlasten, die altüberlieferte Genderrolle des Mannes als Abenteurer und Eroberer zu restaurieren (vgl. ebd. S. 108  f.) und die Frau wieder in die klassische untergeordnete Stellung zurückzudrängen (vgl. ebd. S. 109 f.). Diese These soll hier nicht rundweg bestritten, aber doch durch andere Beobachtungen und Kontextualisierungen sowie einige Lesarten ,gegen den Strich‘ ergänzt werden.

Der Künstlername der Sängerin steht heute wahrscheinlich einer unvoreingenommenen Rezeption ihrer Auftritte und Songs im Wege: Im Jahre 1960 konnte „Lolita“ mit dem warmen Timbre ihrer Stimme allerdings weder lustige Assoziationen zu Fußballer-(Ex-)Frauen noch zu Nabokovs Romanfigur wecken, war der gleichnamige Roman doch gerade erst im Herbst 1959 in deutscher Sprache erschienen und auch noch nicht verfilmt (Stanley Kubrick 1962). Wenn „Lolita“ beim damaligen Schlagerpublikum irgendwelche Erinnerungen ausgelöst hat, dann vermutlich an Rosita Serrano (1914-1997), die in den 1930er und 40er Jahren als ,Chilenische Nachtigall‘ in Deutschland Erfolge feierte (Roter Mohn). In der miefigen Enge der deutschen (bzw. österreichischen) Nachkriegsgesellschaft boten Namen wie Rosita, Lolita, Dalida oder Melina (Mercouri) eskapistischen Träumen von exotischer Ferne Anknüpfungspunkte, und Liedtexte wie Seemann halfen dabei kräftig nach: Rio und Shanghai, Mali und Hawaii mochten bei den Zeitgenossen, deren Urlaubsziele eher an der Nordsee, in der Wachau oder im Bayerischen Wald als in Karibik, Fernost oder gar im Pazifik lagen, schon ein wenig verführerischer durchs Ohr gegeistert sein als Baltrum, Melk oder Zwiesel.

Ironischerweise hatte die Österreicherin ihre ersten Erfolge mit Schlagern der Heimatwelle eingefahren (vgl. Weißer Holunder). Mit dem Namenswechsel zu Lolita folgte sie nur einem Trend der Zeit und entwickelte sich darin bald zur Spezialistin für exotische Fernwelten (Der weiße Mond von Maratonga, Mexicano, Melodia Ba-Bahia, Manana Caballero, Stern der Tropennacht, Sterne der Prairie usw.), ohne freilich den Bezug zum Volkstümlichen völlig aufzugeben. Ab Mitte der 1960er Jahre setzte sie wieder verstärkt auf das Pferd „Heimatverbundenheit“ und startete in diesem Unterhaltungsgenre eine zweite bzw. (je nach Zählung) dritte erfolgreiche Karriere als Moderatorin einschlägiger Fernsehsendungen (Im Krug zum grünen Kranze, Lustige Musikanten). Insofern verwundert es nicht, wenn man von ihr – auf 1993 datiert – auch die Antithese zu ihrem Erfolgsschlager von 1960 findet: „Seemann, bleib zu Hause, / fahr nicht hinaus aufs Meer, / da draußen sind die Nächte kalt / und ich brauch dich so sehr, / Seemann, bleib zu Haus!“

Im späteren Schlager von 1993 verkörpert die Sängerin – logisch unproblematisch – die Geliebte des angesungenen Seemanns, die sich nach ihrem Mann sehnt, Angst um ihn hat und eine gewisse Eifersucht gegen dessen Schiff erkennen lässt, das sie als ,alten Kahn‘ tituliert. Dagegen ist die Haltung der Sprecherinstanz im wesentlich bekannteren Lied von 1960 für den durchschnittlichen Schlagerkonsumenten einigermaßen schwer durchschaubar, ja eigentlich unplausibel. Sie ist zwar eindeutig weiblich, aber schon wenn man entscheiden sollte, ob es die Stimme der Freundin des Seemanns ist oder die seiner Mutter, beginnen die Schwierigkeiten. Genregemäß hätten aber sowohl Geliebte (Ein Schiff wird kommen etc.) als auch Mutter (Junge, komm bald wieder) einem geliebten (?) Mann, der sich dem ungewissen Element anvertraut, von Rechts wegen einen anderen Text einzusagen, als dass er aufhören solle zu träumen und endlich einsehen müsse, dass das Meer seine Heimat und das Schiff seine Liebe ist. Das ist doch reichlich seltsam, oder? Wenn es eine männliche Sprecherinstanz wäre, könnte man vielleicht sagen, das Ganze sei der Ruf der ,archaischen Männerhorde‘, die den Kumpel aus seinen familiären Bindungen herauslösen und zur infantilen Regression anstiften wolle (etwa im Sinne von Brechts Ballade von den Seeräubern). Aber so?

Neben Kraushaars ideologiekritischer Deutung, die sich allerdings mehr auf die politischen Verhältnisse im Lande zu Zeiten Adenauers bezieht als auf die textinterne Sprechsituation im Schlager, scheinen mir noch folgende Interpretationen der Situation – zumindest theoretisch – denkbar:

a) Die Sprecherinstanz – also Lolita, die in dieser Deutungsvariante als Freundin bzw. Geliebte aufgefasst wird, – hat noch einen zweiten, attraktiveren Lover; sie gibt also ihrem Seemann auf nette Art den Laufpass, indem sie ihm nicht einfach sagt, dass sie was Solideres in der Hinterhand habe, sondern ihm suggeriert, dass er nicht für die Liebe im klassischen Sinne geschaffen sei, sondern im Grunde mehr auf Wasserfahrzeugen stehe.

b) Sie – Lolita, jetzt aber als Mutter gedacht, – will noch was vom Leben haben, nachdem sie Deutschland gerade als Trümmerfrau (vgl. Kraushaars Situationsbeschreibung!) wieder aufgebaut und ihr Blag durch die schlechte Zeit gebracht hat. Der Nesthocker soll jetzt das mütterliche Sofa räumen und hinaus in die weite Welt. So verständlich uns diese Sicht der Dinge aus heutiger Zeit vielleicht anmutet, so wenig plausibel erscheint sie doch für die psychologische Situation für Mütter nach dem großen Krieg.

c) Lolita hat sich an Hapag Lloyd oder ein sonstiges Unternehmen der christlichen Seefahrt verdingt, dem in Zeiten des legendären Wirtschaftswunders (1960!) der nötige Nachwuchs zur Steigerung des Bruttosozialprodukts abgeht. Sie stellt deshalb im Werbejingle bzw. Rekrutierungs-Schlager ihre Stimme bewusst auf einen Sound zwischen mütterlicher Autorität und Sirene (Odysseus, nicht Polizei!) ein. Der Text entwirft dann ganz konsequent das Bild eines ultraromantischen Matrosenlebens und lockt vermutlich Scharen unbedarfter Landratten zu Mindestlöhnen auf die Seelenverkäufer der Auftraggeber, zumal ihnen versprochen wird, dass ,die Fremde schon auf sie warte‘.

Bleibt noch Variante d): Lolita – nun als verlassene Seemannsbraut gedacht oder als Freundin einer solchen – tröstet sich oder besagte Freundin mit der Einsicht, dass man Männer mit Salzwasser im Blut und Möwengeschrei in den Genen ziehen lassen muss. Zweifel an der eigenen Attraktivität sind in solchen Fällen unangemessen, gegen die Natur ist nun einmal nichts zu machen…

Hans-Peter Ecker, Bamberg

Die rote Sonne von Irgendwo. Das Genre des Sommerhits in seinen verschiedenen Stadien – von Die Flippers: „Die Rote Sonne von Barbados“ zu Helge Schneider: „Sommer, Sonne, Kaktus“ Teil I

Die Flippers

Die rote Sonne von Barbados

Ein weißes Boot im Sonnenglanz,
und du schenkst mir den Blütenkranz.
Ich folgte dir ins Paradies,
ein Märchenland, das Barbados hieß.

Die rote Sonne von Barbados –
für dich und mich scheint sie immer noch.
Mit den Wolken nach Süden zieh'n,
und die Sterne seh'n.

Die rote Sonne von Barbados –
ja, dieses Märchen läßt mich nicht los,
und wird die Zeit auch zu Ende geh'n,
es war so schön.

Nur du und ich im Palmenhain,
leise Musik und roter Wein.
Ein Abschiedswort im Sommerwind,
es bleibt nur ein Traum, den keiner mehr nimmt.

Die rote Sonne von Barbados – […]

Die rote Sonne von Barbados – […]

Wenn weiße Rosen blüh'n,
und ich nicht bei dir bin,
dann träum' ich noch heute von dir.

Die rote Sonne von Barbados – […]

Die rote Sonne von Barbados – […]

Und wird die Zeit auch zu Ende geh'n,
es war so schön.

     [Die Flippers: Die rote Sonne von Barbados. Bellaphon 1986.]

Wenn die Tage kürzer werden, die Nächte kälter, und eine angenehme Kühle das Hirn umweht, ist es an der Zeit, einen distanzierten Blick auf das Genre des Sommer-Hits zu werfen; auf die Lieder also, die im erhitzen Zustand unter glühender Sonne oder regennassem Partyzelt die sommerlich-leichten Gemüter erfreuen und runtergehen wie Maibowle im August. Wollte man das Sommerlied auf eine Formel reduzieren, lautete diese wohl: Sommer + Sonne + Süden/Strand = Sommerliedtext (z. B.: Buddys Ab in den Süden [2003] oder Summer Sunshine [2004] von The Corrs). Wobei gilt: Jeder Sommerhit, der etwas auf sich hält, enthält diese Wörter (in mehr oder weniger abgewandelter Form und Ausnahmen gibt es natürlich immer), nicht aber jedes Lied, das diese Wörter enthält, ist oder wird zwangsweise ein Sommerhit.

Hinter diese Schlagwörter tritt im Allgemeinen die inhaltliche Seite eines Sommerschlagers zurück, wird vor allem zur Trägermasse für ebenjene Sommerwörter und das Gefühl, das sie transportieren (sollen). Im ersten Teil dieser kleinen Studie über den Sommerhit wird das am Beispiel Die rote Sonne von Barbados von den Flippers erläutert. Im zweiten Teil (folgt zu einem späteren Zeitpunkt) wird gezeigt, wie Helge Schneiders Sommer, Sonne, Kaktus mit diesem Befund spielt, ihn dadaistisch-ironisch bricht und damit am Ende gar die Wortebene hin zu einer Lautebene unterwandert.

 

Teil I: Dekadente Romantik im Palmenhain.

Gedanken zu Die rote Sonne von Barbados von den Flippers (1986)

Man betrachte also die blütenträumende Eilandphantasie der Flippers aus dem Jahre 1986 auf ihre Schlagwortfrequenz hin: Es findet sich die „rote Sonne“, „der Sonnenglanz“, dazu die Wärme des „Süden[s]“ „im Sommerwind“. Der Strand versteckt sich im germanisch-kolonialen „Palmenhain“, in dem wohl einst Goethe schon gerne seinen Wein genossen hätte. Als Reimwort Palmenstrand freilich hätte man wohl ein allzu kleinbürgerliches Weinbrand beimischen müssen.

Überhaupt versteckt sich der Strand im karibisch gewählten setting des Lieds. Das ist allerdings weniger eine post-kolonial kritisch beleuchtete Repräsentation einer Karibikinsel als viel mehr Fototapete eines Südseetraums. So ist der „Blütenkranz“ ebenso auf der polynesischen Inselkette Hawaii zu finden, für die das traditionelle Lei-Flechten vor allem typisch ist (vgl. Wikipedia), wie auf den Kleinen Antillen.

Der Ort Barbados erhält somit keine distinktiven, inhaltlichen Merkmale, ist mehr Impuls für die Phantasie des Hörers. Das Wort Barbados mit seinen vollen klingenden Vokalen, im Lied als Daktylus realisiert [eigentlich ist die zweite Silbe betont], ist also vor allem ein sommerlich-sonniger Platzhalter eines generisch-exotischen Irgendwo. Das ließe sich übrigens ebenso gut singen und würde in Verbindung mit Sonne wohl auch sommerliche Gefühle wecken.

Diese Wortklauberei zeigt schon: Der Inhalt fungiert vor allem als Raster, in das sommerliche Reizwörter prominent eingepasst werden. Die im Lied gezeichnete Traumlandschaft bietet dafür die nötige inhaltliche Flexibilität. In einer sehnsuchtsvollen Nachwehe erinnert sich ein noch immer verliebtes Ich an eine märchenhaft schöne Urlaubsromanze auf Barbados. Dazu glänzt und funkelt es wie zu Eichendorffs Mondachtzeiten („Sonnenglanz“, „Sterne“, „die rote Sonne“) und beinahe ästhetizistisch umranken Blüten und Wolkentaft („Blütenkranz“, „weiße Rosen“, „Wolken nach Süden“) das Geschehen wie in einem süßlich-dekadenten Rausch von Stefan George. Romantisch verklärt ist folgerichtig der Rückblick: „Ich folgte dir ins Paradies, / ein Märchenland“, „es bleibt nur ein Traum, den keiner mehr nimmt“.

Erlauben dieser Traum-Status und die flirrenden Hitze einer karibischen Insel einen inhaltlichen Schwebezustand (ein Sommer-Delirium wie es zum Beispiel in Sommer in der Stadt inszeniert wird, vgl. Interpretation indiesem Blog), stößt man doch auf einige gravierende Unebenheiten im textlichen Flickenteppich, was vor allem dem Bedienen von sommerlichen Erinnerungstopoi geschuldet scheint, weniger einer bewussten Entscheidung zur Ambivalenz. Der Beziehungsstatus des Sprechers bleibt deswegen unklar. An manchen Stellen hält das Sprecher-Ich geradezu verzweifelt im Präsens an seinem Inselmärchen fest: „Die rote Sonne von Barbados –/ für dich und mich scheint sie immer noch.“ Die Romanze scheint gar erfolgreich in eine langjährige und noch immer sonnig glühende Zweierbeziehung (im Kosmos der Flippers-Texte wohl eine Ehe) gemündet zu haben: „Wenn weiße Rosen blüh’n, / und ich nicht bei dir bin, / dann träum‘ ich noch heute von dir.“

Heißt das also, dass der Ehemann, wenn er nicht bei seiner Ehefrau ist, beim Rosenschnuppern an sie denkt? Oder aber ist das „Abschiedswort“, das an anderer Stelle im Sommermärchen fällt, als endgültig anzusehen und der Sprecher kommt einfach nicht von seiner Urlaubsbekanntschaft los? Möglicherweise lebt er einen nostalgischen Tagtraum, in dem die weißen Rosen die Blütenkränze des weißgetünchten Südseepanoramas wiederholen mit seinem weißen Segeltuch, den weißen Stränden und den sich wohl darauf räkelnden weißen (später roten) Europäern. Erstaunlicherweise beziehen sich die Rosen nicht als rote Rosen auf die Sonnenröte im Titel oder die rote Rose als Symbol der Liebe. Vielmehr erinnern sie ganz in weiß an Roy Black, oder an Nana Mouskouri, die einst weiße Rosen aus dem südlich gelegenen Athen  nach Deutschland brachte. Einerlei.

Die serielle Reproduktion von exotischen Schlager- und Sehnsuchtsmotiven und die unter anderem daraus resultierenden Inkonsistenzen im Text bestätigen, dass es beim Sommerhit der Flippers vor allem um die (Platzierung der) erwähnten Signalwörter und ihren emotionalen Effekt geht, weniger um inhaltliche Kohärenz. Liest man den Text allerdings als Nachklapp einer romantischen Literaturtradition, die physikalische Genauigkeit und die äußere Welt der Imagination des Individuums unterordnet, verleihen die inhaltlichen Brüche – und das soll hier ausdrücklich erwähnt werden – dem Text auch einen gewissen Reiz. Wollte man den Text darauf aufbauend gegen den Strich lesen, dann sind es gerade solche Brüche die den Leser womöglich aufmerksam machen, auf die Brüchigkeit und Ungereimtheit (Barbados und noch ist ein unreiner Reim, dazu finden sich noch einige weitere!) der kolonialen Phantasie.

Doch vielleicht sollte man darüber seinen Kopf gar wieder nicht zu sehr erhitzen, die rote Sonne von Barbados als Metapher für einen südlichen Sonnenunter- oder aufgang gelten lassen und als Anstoß für eine romantische Urlaubserinnerung nutzen:

Die rote Sonne von Barbados –
für dich und mich scheint sie immer noch.
Mit den Wolken nach Süden zieh’n,
und die Sterne seh’n.

 Man luge also in einer kurzen, heißen Sommernacht einmal flugs unter der noch regennassen Zeltplane hervor, unter der sich die schwüle Hitze der Menschen gestaut hat, blicke verträumt gen Süden und durch den wolkenverhangenen Abendhimmel den karibischen Sternen entgegen – und hoffe darauf, dass eine Abkühlung noch einige lange Monate nicht kommen möge.

Florian Seubert, Oxford

Täter und Opfer. Zu „Salome“ von Arthur Rebner und Robert Stolz (1920)

Arthur Rebner

Salome

Still durch den Sand der Sahara dahin 
Die Karawane sich zieht,
Welche der Forscher, der junge, aus Wien, 
Führt in ein neues Gebiet.
Plötzlich am Rand der Oase erspäht,
Was er geschaut nie zuvor.
Er sieht ein Weib, das jauchzend sich dreht
Zu der Araber Chor:

Salome – schönste Blume des Morgenlands.
Salome – wirst zur Göttin der Lust im Tanz!
Salome – reich den Mund mir wie Blut so rot.
Salome – deine Küsse sind süßer Tod!

Starr auf der nackten, gebräunten Gestalt
Haftet sein trunkener Blick.
Sie muß er haben und sei's mit Gewalt,
Kost' es auch Ehre und Glück.
Nacht bricht herein, sinnbetörend und schwül,
Da schleicht zu ihr er ins Zelt
Und wie im Rausch erreicht er sein Ziel,
Haucht, da er heiß sie hält:

Salome – schönste Blume des Morgenlands.
Salome – du drehst heut' dich für mich im Tanz.
Salome – sollst nur einmal mir alles sein,
Salome – schenk dein Herz mir und werde mein.

Schwer ist sein Schlaf nach entnervender Nacht,
Schwer und von Träumen erfüllt,
Bis er von gellendem Schreien erwacht,
Das durch den Wüstensand schrillt:
„Steinigt das Weib, das vergessen die Pflicht,
Schenkte dem Fremdling ihr Herz!“
Und während jäh ihr Auge schon bricht,
Schreit er in tiefstem Schmerz:

Salome –  –  –

Robert Stolz, der schon im Alter von zehn Jahren zu komponieren begann und der in seiner langen Karriere insgesamt über 600 Kompositionen schrieb (vgl. Matthias Bardong u.a.: Lexikon des deutschen Schlagers, S. 318), „soll – fast fünf­undneunzigjährig – kurz vor seinem Tot gesagt haben: Die alte Hur‘ is net umzu­bringen. Er meinte den anhaltenden Erfolg seines Schlagers.“ (Thomas Phleps: Die Fremde als Insel der Seligen im deutschen Schlager, S. 282.) Zusammen mit Arthur Rebner, der sich für den Text dieses orientalischen Foxtrotts verantwortlich zeichnet, schuf der im damaligen Österreich-Ungarn geborene Stolz ein Lied, dass von der NDW-Punkband Extrabreit gecovert wurde, und selbst im 21. Jahrhundert noch auf der großen Bühne gesungen wird (Max Raabe vertonte mit seinem Palast Orchester 2003 das Lied neu und veröffentlichte es auf seinem Album Palast Revue).

Das Lied greift den neutestamentarischen Mythos der Salome auf. Sie wird in den Evangelien nach Markus und Matthäus für den Tod Johannes des Täufers verantwortlich gemacht [Markus 6, 14-29]. Im Evangelium ist die Figur noch anonym. Ihren Namen erhält sie von Flavius Josephus, dem jüdischen Geschichtsschreiber, der sie auf den Namen Salome tauft (vgl. Michael Braun: ‚Sie tanzt wie eine Feder‘, S. 53.).

Der Salomemythos sollte sich über die Jahrtausende wieder und wieder transformieren. Sein Kern blieb jedoch meist unverändert. Die ikonische Konstanz (in der Mythenforschung bezeichnet dieser Begriff das Grundmuster eines Mythos, vgl. ebd., S. 54) des Mythos, sein Grundgerüst, bildeten „der Tanz und sein fataler Lohn“ (ebd.).

Im Schlager von Stolz und Rebner  fallen zentrale Elemente des biblische Hintergrunds weg: es findet keine Enthauptung statt, kein Mann muss sein Leben lassen und auch sonst lehnt sich die Salome des Schlagers eher an den bibli­schen Mythos an, als ihn in Gänze neu aufleben zu lassen.

Die Handlung des Textes beginnt damit, dass ein junger Wiener Forscher mit einer Karawane durch die Sahara zieht. Damit ist für den Hörer geklärt, wo man sich befindet: im Orient. Nun ent­deckt ebenjener Forscher am Rande einer Oase „was er geschaut nie zuvor“. Eine Frau tanzt „jauchzend […] zu der Araber Chor“. Schon hier fällt die starke Inversion der Verse auf. Es kommt kaum einmal vor, dass Subjekt, Prädikat und Objekt an der syntaktisch für sie vorgesehenen Stelle platziert werden. Man nehme nur den ersten Satz. Eine konventionelle syntaktische Reihenfolge sähe beispielsweise so aus: Durch den Sand der Sahara zieht sich still die Karawane, welche der junge For­scher aus Wien in ein neues Gebiet führt. Der Text verdreht die Syntax wie folgt: „Still durch den Sand der Sahara dahin / die Karawane sich zieht, / welche der Forscher, der junge, aus Wien, / führt in ein neues Gebiet.“ Dies lässt den Text wie aus einer anderen Zeit oder Welt erscheinen; der exotische Inhalt wird durch extravagante Syntax zusätzlich betont.

Nachdem der Forscher die Tänzerin erblickt hat, beginnt der Chor der Araber, den Refrain zu singen. Jeder Vers beginnt anaphorisch mit „Salome –“ und ordnet der Tänzerin im Anschluss eine Eigenschaft zu. Es wird ihre Schönheit heraus­gestellt, indem die Schönheitssymbolik der Blume auf sie übertragen wird. Ihr Tanz wird zum Zeichen überschwänglicher Sexualität, indem der Chor sie zur „Göttin der Lust“ stilisiert. Die nächsten zwei Verse verbinden ihre sexuell anregende Ausstrahlung mit Todessymbolik; zum einen über einen Vergleich – ihr Mund sei „wie Blut so rot“ – und zum anderen über ein Oxymoron – „ihre Küsse sind süßer Tod!“

Ihr Tanz erregt den jungen Forscher so sehr, dass er eine Entschluss fasst: „Sie muß er haben und sei’s mit Gewalt, / kost‘ es auch Ehre und Glück.“ Völlig von Sinnen schleicht er zu ihr und erreicht „wie im Rausch […] sein Ziel“. Diese Wendung ist unerwartet, da in früheren Bearbeitungen des Mythos die Figur der tanzenden Salome Macht über die Männer ausüben kann. Im Schlager wendet sich dieses Machtinstrument gegen sie. Sie macht den Mann durch ihren Tanz wahnsinnig, der sich daraufhin lüstern auf sie stürzt. Es wird zwar nicht ausgesprochen, aber höchstwahrscheinlich verge­waltigt der Wiener die schöne Tänzerin. Indizien, die dafür sprechen, gibt es zumindest zwei: Zum einen formuliert der Forscher unmissverständlichen seinen Besitzanspruch, den er notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen gedenkt, und zum anderen wird sein Ver­halten in einen Rauschzustand entrückt, der sein sexuelles Bedürfnis stark betont, wohingegen moralische Überlegungen zweitrangig erscheinen.

Der nun folgende Refrain unterscheidet sich vom Ersten signifikant. Durch ihn lässt sich die Vergewaltigungsthese stützen. Während der erste Vers wiederum Salomes Schönheit preist, formuliert das Sprecher-Ich im zweiten Vers wieder den Besitzanspruch auf die Tanzende: „Salome – du drehst heut‘ dich für mich im Tanz.“ Dies degradiert die Frau zum Eigentum des Mannes. Die folgende Zeile verweist klar darauf, dass es nicht um eine Liebesbeziehung geht, sondern vielmehr um einen einmaligen Akt der Besitznahme durch den österreichischen Forscher: „Salome – sollst nur einmal mir alles sein“. Im letzten Vers des Refrains verlangt er von ihr, sie solle ihm ihr Herz schenken, was entweder ein Euphemismus für Geschlechtsverkehr haben ist oder einfach bedeutet, dass er tatsächlich ihre Liebe erlangen möchte.

Die zweite Variante wird vom Text eher als unwahrscheinlich ausgestellt, obwohl die Wendung noch ein weiteres Mal aufgegriffen wird – als die Araber Salome steinigen, da sie ihr vorwerfen, sie habe dem Fremden ihr Herz geschenkt. Man kann letztlich nicht sicher sein, ob sich hier eine Vergewaltigung zugetragen hat oder nicht. Jedoch spricht vieles dafür. Man könnte die Frage dahingehend auflösen, dass es für das Verhalten des Europäers gar keine Rolle spielt, ob sie beide wollen oder nur er. Das Verhalten des Mannes ist von einer starken Gleichgültigkeit gegenüber ihren Präferenzen geprägt. Es geht nur um sein zu stillendes sexuelles Verlangen.

Dass sie am Ende von ihrem Volk gesteinigt wird, zeugt von einer perfiden Sexualmoral, die der Text den Arabern zuschreibt. Falls man dem Text unterstellen möchte, dass er selbst die Moral der innerfiktionalen Araber vertritt, könnte man sogar argumentieren, dass Salome zur Schuldigen gemacht werden soll – frei nach dem Motto: Wer so aufrei­zend tanzt, ist selber schuld. Selbst der verzweifelte Schmerzensschrei, den der Forscher aufgrund ihrer Steinigung von sich gibt, entkräftet diese These nicht vollkommen. Zum einen denkt er gar nicht daran, in die Exekution einzugreifen, sondern besingt Salome statt­dessen noch ein letztes Mal (Vgl. Phelps, Thomas: Die Fremde als Insel der Seligen im deutschen Schlager, S. 282); zum anderen ist es durchaus möglich, dass er die moralischen Ansichten der Araber grundsätzlich teilt und nur die Brutalität der Bestrafung missbilligt.

Der Text verwendet viel Zeit darauf, Salome als wahnsinnig erregende Person darzustellen. Der Rausch, den sie beim Mann auslöst, entbindet diesen von seiner Schuld, da er schlicht nicht Herr seiner Sinne ist. Den gleichen Schluss legt das zu Beginn erwähnte Zitat von Robert Stolz nahe, der Salome als Hure (vgl. ebd.) verunglimpft. Während bei Oscar Wilde Salomes Verhalten moralisch gerechtfertigt wurde, erscheint sie in ihrer Rolle der femme fatale bei Rebner und Stolz als Allegorie auf die Sündhaftigkeit der Frau. Bezeichnend ist auch, dass am Ende die Männer über ihre Künste siegen und nur sie in den Tod gehen muss.

In diesem Schlager der 1920er Jahre ist das imperialistische Überlegenheits­gefühl der wilhelminischen Ära noch allen Ecken und Enden spürbar. Der westliche Forscher erkundet die exotische Ferne und gibt sich im Rausch den orientalischen Verlockungen der schönen Tänzerin hin. Konsequenzen hat dies für ihn nicht, steht er doch zivilisatorisch weit über seinem Forschungsgegenstand. Das Symbol der orienta­lischen Erotik ist die Figur der Salome, deren Mythos vor allem im Hinblick auf ihre Reize bemüht wird. Durch Salomes Tod stellt der Text nochmals aus, dass Faszination und Bedrohung im Exotismus Hand in Hand gehen. Die starke sexuelle Anziehung des Orients wird mit der Brutalität seiner Bewohner verbunden und macht die Reize der Fremde ein wenig gefährlich und damit noch reizvoller.

Nico Albrecht, Bamberg