„All das mag ich – uns ganz doll mich.“ Warum Philipp Burger zwar Sänger, Zimmermann, Landwirt und Fischer, aber nicht Meredith Brooks ist.
17. Januar 2023 Hinterlasse einen Kommentar
Philipp Burger Sänger, Zimmermann, Landwirt, Fischer Ich brauche die Sonne Den Himmel über mir Ich liebe Wind und Wetter Ich liebe die Natur Wollte schon immer Die große Freiheit Ob Dach, ob Fluss, ob Land Ob Job, ob Freizeit Es war bis heute Immer die beste Zeit Ein Lagerfeuer, ein Abenteuer Zusammen fischen gehen, ein Feierabendbier Gemeinsam Lieder singen, mein Herz es schlägt dafür Ich bin Sänger, ich bin Zimmermann Ich bin Landwirt, ich bin Fischer und dann Bin ich noch Gitarrist, und ein Songwriter Mit großen Schritten Richtung Freiheit So lebe ich gerne weiter Ich liebe die Ferne Ich lieb’s zu Hause zu sein Ich zimmere heute noch gerne Und steige in Schluchten ein Suche nach ’nem Sonnenaufgang Dem größten Fisch im Fluss Ich mähe gerne Wiesen nieder Und schreibe und singe Lieder Es war bis heute […] Ich bin Sänger, ich bin Zimmermann Ich bin Landwirt, ich bin Fischer und dann Bin ich noch Bergsteiger und ein Travelman Bin ein Naturmensch und bleibe es ein Leben lang Ich bin Sänger, ich bin Zimmermann […] [Philipp Burger: „Sänger, Zimmermann, Landwirt, Fischer“. Auf: Ders.: Kontrollierte Anarchie. Rookies & Kings 2021.]
Frei.Wild-Sänger Philipp Burger ist ein vielbeschäftigter Mann. Neben dem ohnehin schon beträchtlichen Output seiner Band schreibt er für diverse Musiker:innen (vgl. die Übersicht hier), darunter neben Deutschrockbands wie Hämatom, Serum 114 und Goitzsche Front auch für solche, die auf den ersten Blick recht weit von Frei.Wild entfernt zu sein scheinen:
Außerdem hat Burger 2021 sein erstes Soloalbum veröffentlicht, aus dem Sänger, Zimmermann, Landwirt, Fischer stammt. Darin zählt der Sprecher, der der realen Person Philipp Burger recht nahe zu kommen scheint, auf, was er so alles tut. Für sich genommen wirkt diese Aufzählung zunächst reichlich banal und erinnert an Volker Lechtenbrinks Ich mag, das mit modifiziertem Text seinerzeit für eine Caro Landkaffee-Werbung verwendet und von Rolf Zuckowski zum Selbstliebekinderklassiker Und ganz doll mich umgedichtet wurde. Verstärkt wird die Assoziation zu Volker Lechtenbrinks Lied noch dadurch, dass das Video zu Burgers Song eine ungebrochene Werbeclipästhetik nutzt.
Sänger, Zimmermann, Landwirt, Fischer ruft jedoch über seine Aufzählungsstruktur im Refrain („Ich bin…“) noch eine weitere intertextuelle Folie auf: Meredith Brooks’ Hit Bitch aus dem Jahr 1991
Meredith Brooks Bitch I hate the world today You’re so good to me, I know, but I can’t change Tried to tell you but you look at me like maybe I'm an angel underneath Innocent and sweet Yesterday I cried You must have been relieved to see the softer side I can understand how you’d be so confused I don’t envy you I’m a little bit of everything all rolled into one I’m a bitch, I’m a lover I’m a child, I’m a mother I’m a sinner, I’m a saint I do not feel ashamed I’m your hell, I’m your dream I’m nothing in between You know you wouldn’t want it any other way So take me as I am This may mean you’ll have to be a stronger man Rest assured that when I start to make you nervous And I'm going to extremes Tomorrow I will change and today won't mean a thing I’m a bitch, I’m a lover […] Just when you think you got me figured out The season’s already changing I think it’s cool, you do what you do And don’t try to save me I’m a bitch, I’m a lover […] I’m a bitch, I’m a tease I’m a goddess on my knees When you hurt, when you suffer I’m your angel undercover I’ve been numb, I’m revived Can’t say I’m not alive You know I wouldn’t want it any other way [Meredith Brooks: Blurring The Edges. Capitol Records 1997.]
Auch Brooks Ich zählt eine Vielzahl von Rollen auf, die es einnimmt. Doch während sich die Rollen bei Burger (abgesehen von vorstellbaren Zeitmanagementproblemen) konfliktfrei miteinander verbinden lassen, beansprucht das Ich in Bitch konträre Rollen und insistiert zudem darauf, „nothing in between“ zu sein. So stellt das Lied ein Bekenntnis zur Vielschichtigkeit, zur Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit einer Persönlichkeit dar und reflektiert, dass dies sowohl für die Person selbst als auch für deren Partner durchaus herausfordernd werden kann – dennoch wünschen sich beide nicht, dass die vielen widersprüchlichen Persönlichkeitsaspekte harmonisch in eine stabile Ich-Einheit integriert werden.
Der in Brooks’ Lied affirmierten postmodernen Freiheit, alles sein zu können, stellt Burger die libertäre Freiheit entgegen, alles tun zu können („im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich“, um Franz Josef Degenhardt zu zitieren – schließlich trägt Burgers Soloalbum den Titel Kontrollierte Anarchie). Die verschiedenen Tätigkeiten des musikalischen und reisefreudigen Naturburschen stehen auch nicht im Widerspruch zu traditionellen Rollenbildern, denn die Verbindung von Handwerk, Reisen, Gemeinschaft, Trinken und Gesang ist beileibe kein neuer Topos in der Geschichte des deutschen Lieds, man denke an die zahlreichen Wandergesellen- und Fahrtenlieder. Keine der aufgezählten Tätigkeiten irritiert. Vielmehr ergeben sie zusammen das sehr konsistente Bild eines Mannes, der traditionellen Männerbeschäftigungen nachgeht.
Eine wichtige Funktion für die Stärkung des Identitätsgefühls kommt dabei der gleichgeschlechtlichen peer group zu: „Zusammen fischen gehen, ein Feierabendbier / Gemeinsam Lieder singen, mein Herz es schlägt dafür.“ Auffallend ist, gerade im Vergleich zu Brooks‘ Lied, was in der umfangreichen Aufzählung fehlt: Es wird kein Bezug zu einer Partnerin hergestellt, das Ich erfährt sich nicht in einer Liebesbeziehung, sondern im verschworenen Männerbund, nicht in der Auseinandersetzung mit dem Anderen, in der es sich auch selbst verändert, sondern in der Übereinstimmung mit Gleichen, die ihm Stabilität vermittelt.
Martin Rehfeldt, Bamberg