Flucht auf die Enterprise, Teil II: „Scotty, beam mich hoch!“ von Marteria
26. September 2018 3 Kommentare
Marteria Scotty, beam mich hoch! Ein Maserati explodiert, ein Wischmopp randaliert Am Glühweinstand da gibt's heute nur warmes Bier Am Straßenrand, da liegt ein überfahrenes Tier Kids malen einen Hitlerbart auf ein Plakat von mir Ein Hai beißt in dein Segelschiff, Paparazzis sehen's nicht Ein Promi sitzt am Nebentisch, Dauerschleife Greatest Hits Ein Nazi tanzt zu Billy Jean, Punks kaufen ganze Berlin Hunde schnüffeln an Lawinen, Menschen, die vor Panzern knien Scotty, Scotty, Scotty, beam mich hoch! Ich werd' verrückt hier unten, Scotty, wann geht's endlich los? Wer hat sich das hier ausgedacht? Wer war dieser Idiot? Bin auf dem Trampolin gefangen, Scotty, beam mich hoch! Scotty, Scotty, beam mich hoch! Scotty, beam mich hoch! Vier, drei, zwei, eins – Scotty, beam mich hoch! Scotty, Scotty, beam mich hoch! Scotty, beam mich hoch! Vier, drei, zwei, eins – Scotty, beam mich hoch! Alles blitzt, Nebel bricht Türkises Licht, Ziel in Sicht Viel zu dicht, hier is' low Scotty, Scotty, beam mich hoch! Alles blitzt, Nebel bricht Türkises Licht, Ziel in Sicht Viel zu dicht, hier is' low Scotty, Scotty, beam mich hoch! Sieht wohl so aus wie kurz vor Untergang Alice glaubt nicht mehr an's Wunderland Der Gerichtsvollzieher ist beim Ku-Klux-Klan UFOs über Yucatan und alle sehen sich Bunker an Der Rote Platz liegt vor dem Weißen Haus, Pferde peitschen Reiter aus Endlich regnet's Eltern vor dem Waisenhaus Beim Jogger läuft es rund, die NASA schießt 'n Hund zum Mars Rentner werden undankbar und mein bester Kumpel Arzt Scotty, Scotty, Scotty, beam mich hoch! [...] Alles blitzt, Nebel bricht [...] Er beamt mich hoch, er beamt mich hoch Ja, er beamt mich hoch! Jetzt sitz' ich hier schwerelos im Schneidersitz Kein oben, kein unten, Tag und Nacht das gleiche Licht Bin hier ganz alleine, kam ja leider keiner mit Schick mich zurück, dahin wo's Schweinefleisch und Weiber gibt Scotty, Scotty, beam mich hoch! Scotty, beam mich hoch! Vier, drei, zwei, eins – Scotty, beam mich hoch! Scotty, Scotty, beam mich hoch! Scotty, beam mich hoch! Vier, drei, zwei, eins – Scotty, beam mich hoch! Scotty, Scotty, beam mich hoch! Scotty, beam mich hoch! Vier, drei, zwei, eins – Scotty, beam mich hoch! [Marteria: Roswell. Green Berlin 2017.]
Neben der Punkband Dritte Wahl (vgl. Interpretation), hat sich auch der Rostocker Rapper Marteria mit Scotty als einem Ausweg aus den Krisen der Erde beschäftigt. Beide Lieder erschienen 2017 und können somit auch als Antwort auf die vielen globalen Krisen unseres Zeitalters verstanden werden. Im Gegensatz zur Interpretation dieser Thematik durch Dritte Wahl entwickelt der hier vorgestellten Text allerdings kaum ein Gesamtnarrativ. Stattdessen arbeitet der Text mit einer listenartigen Struktur, deren Elemente nur lose Sinnzusammenhänge verbinden. In der hier vorgeschlagenen Leseart dient diese zunächst zufällig anmutende Darstellungsweise dazu, die Unsicherheit und Verwirrung des Sprecher-Ichs zu illustrieren.
Bereits in der ersten Zeile („Ein Maserati explodiert, ein Wischmopp randaliert“) werden die gegensätzlichen Verknüpfungen deutlich. Während der explodierende Maserati möglicherweise stellvertretend für Zerstörung und Gewalt steht, scheint der darauf folgende Verweis auf einen randalierenden Wischmopp ein humoristisches Wortspiel mit einem randalierenden Mob von Menschen, der somit einen direkten Kontrast zur real existierenden Zerstörung von Luxusautos steht.
Ähnlich verhält es sich mit dem Rest der ersten Strophe, in dem es kaum zur Beschreibung tatsächlicher Probleme kommt, sondern vielmehr um eine Aneinanderreihung kleiner Problemchen geht, z. B. warmes Bier am Glühweinstand oder absurde Beschreibungen („Ein Hai beißt in dein Segelschiff, Paparazzi sehen’s nicht“). Was Bergungshunde, die an Lawinen schnüffeln, mit Menschen, die vor Panzern knien, zu tun haben, weiß wohl nur das Sprecher-Ich – oder eben nicht. Letztlich lässt sich kaum ein Muster bei dieser Aneinanderreihung erkennen. Dennoch kommt die Tatsache, dass das Weltbild des Sprecher-Ichs ins Wanken gerät, implizit zur Sprache: Wie können Punks reich sein? Warum tanzen Nazis zur Musik eines Schwarzen? Die Welt dreht am Rad und das Sprecher-Ich mit. Die Strophen zielen möglicherweise auch darauf ab, beim ersten Lesen bzw. Hören zu verwirren, um damit die Verwirrung des Sprecher-Ichs auch auf die Rezipientinnen und Rezipienten zu übertragen.
Diese Lesart wird dadurch plausibler, dass das Sprecher-Ich im Refrain äußert, dass es „verrückt hier unten“, also auf der Erde, wird. Die vielen Eindrücke, die in der ersten Strophe beschrieben werden, stellen die diffusen Erfahrungen des Sprecher-Ichs dar. Passend dazu ist auch die Beschreibung, dass das Sprecher-Ich auf einem Trampolin gefangen ist. So wird das normalerweise spaßbringende Trampolinspringen zu etwas Negativem. Ungeduldig („wann geht’s endlich los?“) wartet das überforderte Sprecher-Ich darauf, von Scotty auf die Enterprise gebeamt zu werden.
Im Gegensatz zum Songtext von Dritte Wahl, kommentiert das Sprecher-Ich nicht den Gesamtzustand der Welt, sondern stört sich an den kleinen und großen Widersprüchlichkeiten, die ihr Weltbild zerstören, um dann auch aggressiv nachzufragen, wer die Welt plötzlich so verrückt gemacht hat („Wer hat sich das hier ausgedacht? Wer war dieser Idiot?“). Während bei Dritte Wahl verständlicherweise eine Abkehr von der Welt auf Grund von Gier und Zerstörung thematisiert wird, wirkt der Wunsch des Sprecher-Ichs in Marterias Text auf den ersten Blick lächerlich. Weil es ein totes Tier am Straßenrand liegen sah oder sich nicht vorstellen kann, dass auch Punks Immobilien kaufen, will es nun die Welt verlassen. Doch diese Beschreibungen stehen stellvertretend für eine Welt, die auf dem Kopf steht und aus den Fugen geraten ist.
Auch in der zweiten Strophe kommt die Unsicherheit des Sprecher-Ichs zum Tragen. Wird die Welt untergehen? Kann man den Behörden noch trauen? Sind sie vom Ku-Klux-Klan unterwandert? Was hat es mit UFOs und Verschwörungstheorien auf sich? Sollte man sich auf die Apokalypse vorbereiten? In dieser Strophe wird die wankende Weltordnung dann auch noch konkretisiert. Die ehemals tief verfeindeten Supermächte USA und Russland sind plötzlich politische Partner („Der Rote Platz liegt vor dem Weißen Haus“). Explizit wird auch nochmal die Thematik der auf dem Kopf stehenden Welt aufgegriffen („Pferde peitschen Reiter aus“), die seit dem Mittelalter eine Welt beschreibt, in der Bauern über Könige herrschen, Kinder ihre Eltern züchtigen, oder eben Pferde Reiter auspeitschen. Doch dann, passend zur Verwirrung des Sprecher-Ichs wird der Text wieder durch eine utopisch-humoristische Komponente („Endlich regnet’s Eltern vor dem Waisenhaus“), eher banale Feststellungen („Beim Jogger läuft es rund“) und schließlich subjektive Probleme („mein bester [wird] Kumpel Arzt“) gebrochen. Wie auch in der ersten Strophe wird so eine Durchmischung von Kategorien und eine allgemeine Verwirrung seitens des Sprecher-Ichs dargestellt.
Schließlich wird dem Sprecher-Ich im letzten Refrain sein Wunsch gewährt: Ob nun wegen der scheinbar banalen Probleme der ersten Strophe oder der Furcht vor dem Weltuntergang in der zweiten beamt Scotty es oder nach oben. Nach einer ersten, großen Freude („Ja, er beamt mich hoch!“) weicht diese aber dem Wunsch, zurück auf die Erde zu kommen. Das Sprecher-Ich ist „ganz allein“, will wieder Tageslicht haben und vermisst „Schweinefleisch“ und Frauen. Auch hier herrscht also vor allem Verwirrung beim Sprecher-Ich, das sich nicht entscheiden kann, ob es nun auf die Enterprise oder die Erde will.
Auch der Verweis auf Star Trek bleibt deshalb nur ein Referenzpunkt unter vielen, der nicht genauer ausdifferenziert wird. Kaum verwunderlich ist deshalb auch, dass die Probleme, die das Sprecher-Ich auf der Enterprise hat, kaum in dieses Universum passen. Bekanntlich wird auf der Enterprise Essen einfach generiert, Frauen sind durchaus Mitglieder der Crew und bei den legendären Ausflügen der Mannschaft gibt es auch reichlich Tageslicht. Das Sprecher-Ich ist so überfordert vom Zustand der Welt, dem möglichen Weltuntergang und nun auch der Enterprise, dass es „kein oben, kein unten“ mehr gibt. Folgerichtig will es deshalb logisch falsch auch nach „oben“ zurück auf die Erde gebeamt werden. Richtig müsste es ab diesem Zeitpunkt heißen „Scotty beam mich runter“, weil das Sprecher-Ich ja bereits auf der Enterprise ist. Im Text heißt es stattdessen: „Schick mich zurück, […] Scotty, Scotty, beam mich hoch“. Die Schwerelosigkeit und das künstliche Licht verstärken die Zerstreutheit des Sprecher-Ichs nur noch zusätzlich. Oben, unten, Erde, Enterprise – es wird alles zu viel.
In der hier vorgeschlagenen Lesart handelt es sich bei den insgesamt losen Zusammenhängen und den auch innerhalb einzelner Zeilen vorhandenen Brüchen um ein bewusstes Stilmittel, um die Verwirrtheit des Sprecher-Ichs auszudrücken. Ob nun auf der Erde oder auf der Enterprise ist es, und das genauso wie das Sprecher-Ich im Text von Dritte Wahl, mit der Situation komplett überfordert. Letztlich weiß es dann nicht mehr, wie tanzende Nazis noch in das Weltbild passen sollen, was es von den UFOs halten soll oder ob es nun auf die Enterprise will oder nicht. Auch dieses des Sprecher-Ich geht so an der Welt schließlich zu Grunde.
Martin Christ, Erfurt