Engagement und Distinktion. Zum Vorwurf der RAF-Glorifizierung in Jan Delays „Söhne Stammheims“
29. April 2014 Hinterlasse einen Kommentar
–
Jan Delay Söhne Stammheims Endlich sind die Terroristen weg, und es herrscht Ordnung und Ruhe und Frieden. Und das bisschen Gesindel, das noch in den Knästen steckt, tut sowieso keinen mehr interessieren. Nun kämpfen die Menschen nur noch für Hunde und Benzin, folgen Jürgen und Zlatko und nicht mehr Baader und Ensslin. Die, die Unheil und Armut und Krankheit verbreiten, für sie herrschen sorglose Zeiten, da kein bisschen Sprengstoff sie daran hindert, ihre Geschäfte zu betreiben. Endlich haben sie keine Angst mehr, verkaufen fröhlich ihre Panzer, jeden Tag sieben, Kinder abschieben und dann zum Essen mit dem Kanzler. Endlich sind die Terroristen weg, und es herrscht Ordnung und Ruhe und Frieden, und man kann wieder sicher Mercedes fahren, ohne dass die Dinger immer explodieren. Endlich sind die Terroristen weg, und es kann nichts mehr passieren. Endlich sind die Terroristen weg, und es herrscht Ordnung und Ruhe und Frieden. [Jan Delay: Searching For The Jan Soul Rebels. Buback 2001.]
Um Heino war es nach seinem Coveralbum und einem Auftritt mit Rammstein in beim Wacken Open Air wieder recht ruhig geworden – auch weil sich schnell herausgestellt hatte, dass die von seinem Management via Bild-Zeitung lancierten Verbotsversuche des Albums durch die Gecoverten offenbar frei erfunden waren (vgl. bildbog.de). Man könnte dahinter PR vermuten, es wäre aber auch möglich, dass Heinz Georg Kramm einfach dem in der Psychologie bekannten falschen Konsensus-Effekt zum Opfer gefallen ist, demzufolge Menschen dazu neigen anzunehmen, andere würden das tun, was sie selbst in einer entsprechenden Situation tun würden. Denn Heinos Reaktion auf Kritik oder Parodie ist eben das Beschreiten des Rechtswegs (er klagte etwa gegen den „wahren Heino“). So verwundert es auch kaum, dass er rechtliche Schritta ankündigte, nachdem Jan Delay die bekannten Tatsachen, dass Heino im Laufe seiner Karriere diverse unter Nationalsozialisten beliebte Lieder eingesungen hat (vgl. dazu den Artikel zum Ärzte-Cover Junge) und zu einer Zeit in Südafrika aufgetreten ist, als gegen das Land wegen der Apartheitsgesetze ein UNO-Embargo bestand, zur Aussage zugespitzt hatte, Heino sei ein Nazi. Irritierend ist jedoch, dass Jan Delay, der gerade sein drittes Nr. 1-Album in Folge veröffentlicht hat, nun vorgeworfen wird, die Äußerung aus PR-Gründen getätigt zu haben, und nicht Heino, aus PR-Gründen Anzeige zu erstatten. Im Rahmen der Kritik an Jan Delay wurde auch wieder angeführt, dass er 2001 mit Söhne Stammheims ein Lied veröffentlich hat, das die RAF „glorifizier[e]“ (Spiegel online). Ob dieser Vorwurf haltbar ist, soll im Folgenden diskutiert werden.
Man könnte diese Frage einfach damit beantworten, dass von einer Glorifizierung allein schon deshalb nicht die Rede sein kann, weil aufgrund der gewählten Perspektive kaum von den angeblich Glorifizierten selbst die Rede ist. Fasst man den Vorwurf indes weniger wörtlich auf und interpretiert ihn dahingehend, dass die Taten der RAF bejaht würden, liegt eine Antwort nicht derart auf der Hand.
In rhetorischer Ironie wird im Text ex negativo beschrieben, welchen Nutzen der Terror der RAF gehabt haben soll. So hätten die RAF-Mitglieder als revolutionäre Role Models fungiert. Nach ihrem Tod oder ihrer Inhaftierung seien apolitische Role Models an ihre Stelle getreten – hier konkret zwei Teilnehmer der ersten Big Brother-Staffel (bereits der Sendungsname ist mit der positiven Umkodierung von Orwells Diktatorenfigur offensiv antipolitisch), Jürgen Milski und Zlatko Trpkovski, der dadurch Bekanntheit erlangte, dass er Shakespeare nicht kannte, und dieses Nicht-Wissen anschließend offensiv vermarktete: „Ob nun Shakespeare oder Goethe, / die sind mir doch scheißegal“ heißt es in seiner ersten Single Ich vermiss‘ Dich… (wie die Hölle). Dies habe dazu geführt, dass Menschen sich nicht mehr für allgemeine politische Belange einsetzten, sondern nur noch für die eigenen Alltagsbedürfnisse. Die RAF wird hier also als Gegenentwurf zu einer Populärkultur präsentiert, die ausschließlich der Unterhaltung dient. In diesem Sinne präsentiert der Titel des Songs die RAF-Mitglieder als Alternative zur missionarisch-christlichen Band Söhne Mannheims, in der zum Zeitpunklt der Veröffentlichung auch Xavier Naidoo sang. Doch auch für Funktionseliten der BRD hätte die Existenz der RAF laut Songtext Konsequenzen gehabt: Diejenigen, die Geschäfte betrieben, die Menschen schaden, etwa Waffengeschäfte, und die Verantwortlichen für inhumane Politik hätten sich darum sorgen müssen, dass sie einem Anschlag, etwa durch eine Autobombe, zum Opfer fallen könnten, wohingegen sie all dies heute ungestört tun könnten.
Dass Jan Delay Gewalt gegen Menschen als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele ausdrücklich ablehnt und die RAF durchaus kritisch sieht (vgl. etwa ein taz-Interview von 2007) mag nach dem Anhören des Lieds zunächst verwundern. Bei genauerer Betrachtung erscheint dies aber nicht unbedingt als widersprüchlich. Denn auch wer die Mittel, mit denen ein Ziel erreicht worden ist, ablehnt, kann den hergestellten Zustand einem anderen – im Falle der Sprechinstanz der eigenen Gegenwart – trotzdem vorziehen. Das Lied zieht somit eine Bilanz des Wirkens der RAF, der man von Geschmacklosigkeit bis historischer Unrichtigkeit Diverses vorwerfen kann. Daraus eine Glorifizierung abzuleiten, fällt aber in die Argumentationsmuster der Zeit zurück, als die RAF noch aktiv war, und jeder, der ihre Ziele für diskussionswürdig hielt, sich mit dem Vorwurf des Sympathiesantentums konfroniert sah.
Nun muss man, wenn man bei Jan Delay eine differenzierte Betrachtung einfordert, eine solche auch Heino zugestehen. Denn natürlich lässt sich aus der Tatsache, dass jemand ein nazistisches und rassistisches Publikum bedient, noch nicht zwingend schließen, dass er selbst dessen Überzeugungen teilt – er könnte etwa auch aus rein kommerziellen Gründen so handeln, was auch Jan Delay klar sein dürfte. Insofern dürfte es ihm auch nicht schwer gefallen sein, seine Aussage zurückzunehmen. Denn ebenso wie der Liedtext, der keine differenzierte historische Beurteilung der RAF darstellen soll, sondern eher eine provokante Kritik an der gegenwärtigen Situation, muss auch für die Interpretation der Interviewaussage der Kontext der HipHop-Kultur, in der Zuspitzungen ein gängiges Stilmittel sind, einbezogen werden. Einen festen Bestandteil dieser Kultur bilden ritualisierte Battles (was auch im zitierten Spiegel online-Artikel angesprochen wird), bei denen der Opponent gedisst wird, wobei oft im Ansatz begründete Kritik ins mitunter Grotesk-Hyperbolische gesteigert wird. Wenn die Kunstfigur Jan Delay (bürgerlich Jan Phillip Eißfeld) die Kunstfigur Heino des Nazitums zeiht, stellt das zum einen durchaus politisch motivierte Kritik eines sich dezidiert als links verstehenden Musikers an einem zumindest konservativen Kollegen dar, zum anderen aber auch eine Reaktion auf Heinos im Covern liegenden Akt der Aneignung eines Lieds von Delays früherer Band Absolute Beginner, eine Zurückweisung von Heinos onkelhaft-herablassender Umarmung. Und wenn Delay seine Gegenwartskritik ausgerechnet unter Bezug auf die RAF formuliert, so ist das nicht zuletzt auch ein Mittel, sich vor linksliberalen Vereinnahmungen zu schützen.
Dass Delays Aussagen, etwa auch im zitierten taz-Interview, mitunter wirr erscheinen, was manche Gegner wenig originell auf seinen eingestandenen Marihuanakonsum zurückführen wollen, lässt sich somit auch deuten als Versuch, sich trotz politischer Positionierung nicht mit allen, die die eigenen Ziele teilen, gemein zu machen, den eigenen Style beizubehalten – mithin als Ausdruck des wohl unlösbaren, jeder auch politischen Subkultur immanenten Konflikts zwischen Distinktionsbedürfnis und der Notwendigkeit, Verbündete zu finden.
Martin Rehfeldt, Bamberg