Der beste Sommer von allen: Zu „French Disko“ von den Beatsteaks und Dirk von Lowtzow (2016)

Beatsteaks und Dirk von Lowtzow 
 
French Disko
 
Es ist sicherlich absurd, in dieser Welt zu leben
Sie erscheint dir sinnentleert
doch zieh dich nicht zurück

Spontane Rebellion und Solidarität
sind Akte, die jetzt wertvoll sind
Es ist nie zu spät

La Résistance
Das Leben ist hart
La Résistance
Der Widerstand

     [V.A.: Tschick. Original Motion Picture Soundtrack. Warner 2016.]

Erst sind nur die Schnallenturnschuhe zu sehen. Dann wandert die Kamera an der Jogginghose hoch, zeigt die Plastiktüte eines Discounters, die der Junge in der Hand hält. Unter dem bunt gemusterten Hemd trägt er eine lange Silberkette, die Basecap verkehrt herum auf dem Kopf. Er tippt auf seinem Handy, setzt sich die Kopfhörer auf, die Musik startet. Lächelnd und mit halb geschlossenen Augen tanzt er den Gehsteig entlang, die Tüte wippt, er stolpert und taumelt gegen einen Zaun. Unbeirrt setzt er seinen Weg fort, bis sein Blick an einem himmelblauen Lada hängenbleibt.

Der Name des Jungen ist Andrej Tschichatschow, genannt Tschick. Der Lada wird ihm in den kommenden Tagen ein treuer Begleiter sein, ihn quer durch das sommerliche Ostdeutschland bringen. Nachzulesen ist das in Wolfgang Herrndorfs Roman Tschick aus dem Jahr 2010. Anzusehen in Fatih Akins gleichnamigem Film aus dem Jahr 2016. Und anzuhören – oder vielmehr klanglich nachzuvollziehen – im dazugehörigen Soundtrack French Disko von den Beatsteaks und Dirk von Lowtzow, deren Musikvideo die eingangs geschilderte Szene entstammt.

Pop und Philosophie

Wem Titel und Melodie merkwürdig bekannt vorkommen, der irrt nicht. Dirk von Lowtzow hat die Lyrics von French Disko der britischen Band Sterolab aus dem Jahr 1993 ins Deutsche übersetzt. Deren Lieder erfreuten sich insbesondere Mitte der Neunzigerjahre großer Beliebtheit und „durften auf keiner geisteswissenschaftlichen Institutsparty fehlen“. Schließlich war die Beschäftigung mit französischer Philosophie – gesellschafts- und kapitalismuskritischen Situationisten und Poststrukturalisten – gerade in Mode. Und so kam es zum Zusammentreffen von Pop und Philosophie, „um in der French Disko gemeinsam zu tanzen“. Den Liedtext jedoch habe „damals wahrscheinlich niemand so recht verstanden. Man war nicht mal sicher, ob Frontfrau Laetitia Sadier hier englisch oder französisch sang“. Verständlich sei nur der Aufruf zum Widerstand, „La Résistance“, gewesen, der Assoziationen zur französischen Widerstandsbewegung gegen den Faschismus weckt (Deutschlandfunk Kultur).

Auch Tocotronic werden gerne dem Genre des akademisch-intellektuellen Diskurspops zugeordnet (eine leichte Kursänderung stellt das derzeit jüngste Album Die Unendlichkeit dar), Unzufriedenheit mit den Gegebenheiten und die Frage des Umgangs damit sind immer wiederkehrende Themen in ihren Liedern (vgl. die Interpretationen auf diesem Blog) und bilden sich auch im politischen Engagement der Bandmitglieder ab. Und so erstaunt es nicht, wenn Dirk von Lowtzow erzählt, dass er zustimmte, als Arnim Teutoburg-Weiß, der Sänger der Beatsteaks, ihn fragte, ob er den Liedtext von French Disko übersetzen wolle.

Aufruf zum Widerstand

Das Ergebnis fällt ebenso knapp – der Liedtext umfasst nur zwei Strophen und den Refrain – wie prägnant aus und besticht durch seine Unmittelbarkeit. Das lyrische Ich bedient sich einer direktiven Ansprache und hält sich nicht mit Umwichtigem auf: Einem Zugeständnis – „Es ist sicherlich absurd, in dieser Welt zu leben / Sie erscheint dir sinnentleert“ – schließt sich ein Appell – „doch zieh dich nicht zurück“ – an. Dem folgt eine Art Handlungsempfehlung zu „spontane[r] Rebellion und Solidarität“. Schließlich bestehe Hoffnung – „es ist nie zu spät“ – auch wenn das Leben „hart“ sei.

Tocotronic-Sänger und -Texter Dirk von Lowtzow spricht dem Text „einen imperativen Charakter“ zu. Damit stehe dieser in einem gewissen Gegensatz zu den sonst von ihm verfassten Liedtexten, seien diese doch „verschrobener, nicht so autoritär. Meine Manifeste haben dann Titel wie Kapitulation oder Sag alles ab, sie rufen dazu auf, Dinge nicht zu tun“ (Interview im Südkurier). Die Original-Lyrics von Stereolab hingegen würden sich „fast wie eine marxistische Theorie“ lesen (Interview in der Intro):

Though this world’s essentially an absurd place to be living in
It doesn’t call for total withdrawal
I’ve been told it’s a fact of life, men have to kill one another
Well I say there are still things worth fighting for

La Résistance!

Though this world’s essentially an absurd place to be living in
It doesn’t call for total withdrawal
It’s said human existence is pointless
As acts of rebellious solidarity can bring sense in this world

La Résistance!

Tatsächlich erscheint der Liedtext des Covers im Vergleich mit dem Original milder, beinahe geglättet: So fehlt bspw. die Passage „I’ve been told it’s a fact of life, men have to kill one another“ und aus „As acts of rebellious solidarity can bring sense in this world“ sind „Akte, die jetzt wertvoll sind“, geworden.

Die Unbeschwertheit des Sommers…

In Tschick geht es um jugendliches Aufbegehren: Der vierzehnjährige Maik wird zu Beginn der Sommerferien alleine im seelenlosen Neubau der Familie zurückgelassen – seine alkoholabhängige Mutter fährt in eine Entzugsklinik, sein Vater verbringt den Sommer lieber mit seiner jungen Assistentin. Maik scheinen einsame Wochen voller Liebeskummer – er ist unglücklich in eine Mitschülerin verliebt – bevorzustehen. Dann taucht sein Klassenkamerad Andrej, genannt Tschick, mit besagtem Lada auf. Er will in die Walachei, seinen Opa besuchen – Maik steigt ein und es beginnt eine wilde Fahrt kreuz und quer durch das sommerliche Ostdeutschland. Die beiden übernachten unter den riesigen Rotorblättern eines Windrads, spielen Fußball mit Tiefkühlpizzen, gabeln auf einer Müllkippe ein junges Mädchen auf und lassen sich weder von Maiskolben vor der Windschutzscheibe, Konserven ohne Dosenöffner, noch vom Spritmangel oder der Polizei aufhalten. Erst als sie mit einem Viehtransporter zusammenstoßen, endet ihre Reise. Zurück in der Schule ist Maik die Aufmerksamkeit seiner Mitschülerin gewiss, doch es interessiert ihn nicht mehr. Die durchstandenen Abenteuer haben ihn selbstbewusster gemacht und er resümiert: Es war „der beste Sommer von allen“.

Das Musikvideo erzählt eine eigene kleine Geschichte und ergänzt somit den Film: Zu sehen ist, wie Tschick an den Lada gelangt. Bei seinem Versuch, sich des Autos zu bemächtigen, wird er von einem herbeieilenden Mann – Beatsteaks-Sänger Arnim Teutoburg-Weiß – ertappt. Tschick gelingt es jedoch schnell, ihn zu besänftigen – mit Hilfe einer Flasche Schnaps, die er aus seiner Plastiktüte zieht. Gemeinsam schlendern sie in die angrenzende Autowerkstatt, wo sie auf einen weiteren Mann – Dirk von Lowtzow – treffen. Tschick schenkt ein, sie stoßen an. Während die Erwachsenen zunehmend betrunkener werden und dabei „La Résistance“ grölen, kippt Tschick sein Glas ungesehen aus und besorgt sich einen Schraubendreher. Mit ihm startet er schließlich den Lada und fährt zu Maik – die Reise kann beginnen.

Geeint wird das jugendliche Duo von seinem Dasein als Außenseiter: „Psycho“ wird Maik von seinen Mitschülern genannt, während der Russlanddeutsche Tschick sich auch schon mal im Klassenzimmer übergibt. Anderssein und deshalb gehänselt werden – eine Erfahrung, die auch Fatih Akin und Dirk von Lowtzow gemacht haben und die sie dazu bewogen haben mag, sich der Romanvorlage anzunehmen. „Ich war Außenseiter, weil ich auch so ein bisschen Psycho war“, erzählt der Regisseur (Deutschlandfunk). Und der Tocotronic-Sänger bekennt im Interview: „Ich habe versucht zu provozieren, vor allem durch Kleidung“. Außerdem sei Rockmusik „wie eine Endlospubertät, also kann man sich mit Teenagern immer gut identifizieren“ (Intro). Das sorgt bei manchem Hörer für Erheiterung: „Ich möchte Teil einer Altherrenbewegung sein“, hat jemand in Anspielung auf Dirk von Lowtzows Alter und einen seiner bekanntesten Hits unter das Video zu French Disko geschrieben.

….gegen die Enge im Elternhaus

Dass sich Tocotronic immer noch mit Jugendlichen identifizieren können bzw. wollen, beweisen sie auch in ihrem Song Electric Guitar (Januar 2018), der auf biographischen Notizen beruht und einen „Teenage Riot“ schildert. Jedoch ist dieser räumlich auf das „Reihenhaus“ begrenzt, die „Manic Depression im Elternhaus“ erscheint unausweichlich (vgl. die Besprechung auf diesem Blog). In Tschick dagegen gelingt, was dem lyrischen Ich in Electric Guitar verwehrt bleibt: der Ausbruch aus dem elterlichen Haus. Statt im „Zimmer unter dem Garten“ Zuflucht zu suchen, verspricht die Fahrt in die Weite des Sommers Erlösung. Der Aufruf zur Rebellion in French Disko bietet den dazu passenden musikalischen Rahmen, den es für ein erfolgreiches Aufbegehren in Electric Guitar vielleicht auch gebraucht hätte. Und so erscheinen „spontane Rebellion und Solidarität“ als zeitlos wertvolle „Akte“, die jede Generation für sich neu entdecken und keinesfalls mit dem Älterwerden aufgeben muss.

Isabel Stanoschek, Bamberg

Der deutsche Dylan? Zu Ringsgwandls „Nix mitnehma“

Aus aktuellem Anlass hier nochmal ein älterer Beitrag:

Bob Dylan

Gotta Serve Somebody

You may be an ambassador to England or France
You may like to gamble, you might like to dance
You may be the heavyweight champion of the world
You may be a socialite with a long string of pearls
 
But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed
You’re gonna have to serve somebody
Well, it may be the devil or it may be the Lord
But you’re gonna have to serve somebody
 
You might be a rock ’n’ roll addict prancing on the stage
You might have drugs at your command, women in a cage
You may be a businessman or some high-degree thief
They may call you Doctor or they may call you Chief
 
But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]
 
You may be a state trooper, you might be a young Turk
You may be the head of some big TV network
You may be rich or poor, you may be blind or lame
You may be living in another country under another name
 
But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]
 
You may be a construction worker working on a home
You may be living in a mansion or you might live in a dome
You might own guns and you might even own tanks
You might be somebody’s landlord, you might even own banks 

You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]

You may be a preacher with your spiritual pride
You may be a city councilman taking bribes on the side
You may be workin’ in a barbershop, you may know how to cut hair
You may be somebody’s mistress, may be somebody’s heir

You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]

Might like to wear cotton, might like to wear silk
Might like to drink whiskey, might like to drink milk
You might like to eat caviar, you might like to eat bread
You may be sleeping on the floor, sleeping in a king-sized bed

You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]

You may call me Terry, you may call me Timmy
You may call me Bobby, you may call me Zimmy
You may call me R.J., you may call me Ray
You may call me anything but no matter what you say
 
You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]

     [Bob Dylan. Slow Train Coming. Special Rider Music 1979. Text nach bobdylan.com.]

Georg Ringsgwandl 

Nix mitnehma

Hey, du konnst Ministerpräsident sei von am Staat,
der im Rüstungsgschäft prozentual die Finger hot.
Du konnst Kardinal sei, schee feierlich und fett,
oder frommer Pfarrer, Zölibat und Doppelbett.

des konnst do net mitnehma,
naa, des konnst du net mitnehma.
Jammert no Teife, frog an liabn Gott,
und der sogt nix mitnehma!

Hey, du konnst ein Sportler sei, du hoitst di fit mit Isostar,
oder du bist ein fauler Hund und flackst nackert an der Isar.
Du konnst Börsenschwindler sei, mit Immobilien in da Schweiz,
oder Hausbesitzerin, zafressn fast vom Geiz,

do konnst du nix mitnehma,
naa, do konnst du nix mitnehma.
Frog amoi an Teife, jammert zum liabn Gott,
und der sogt: hey, nix mitnehma!

Da oane trinkt aus da Moccatass, da anda ausm Humpn,
da oane geht in Seide, da anda geht in Lumpn,
da oane, der frißt hartes Brot, da anda Kaviar,
da oa fahrt mit dem Radl, und da anda Jaguar,

doch den derf er net mitnehma,
naa, den derf er net mitnehma,
und er winselt zwar zum Deife,
und er jammert zum liabn Gott,
doch der sogt: hey, net mitnehma!

Hey, du konnst Experte sei für Panzer oder Flak,
oder drahst jedn Pfenning um und bist a geizigs Gnack.
Hey, du konnst im Superschwergewicht Boxweltmoasta sei,
oder hast an Würschtlstand draußd in Berg am Laim,

doch den derfst du net mitnehma,
naa, den derfst du net mitnehma,
frog amoi an Deifi,
frog an liabn Gott,
net mitnehma!

Du kannst technisch fit sein, zum Beispiel Ingenieur,
oder Menschenkenner, Psychologe oder Friseur,
Hey, du kannst ein Popstar sein mit drei goldenen LP,
oder Fernsehquizmaster mit einem teuren Toupet,

doch des derfst du net mitnehma,
naa des derfst du net mitnehma,
wuislt nur zum Deife,
winselt zum liabn Gott,
und der sogt: Na, net mitnehma!

Hey, du konnst ein Bäcker sei, der guate Brezn backt,
oder bist ein Metzger, der fette Dreckssei schlacht,
ja du konnst ein Säufer sei, im Mantl a Flaschn Sprit,
oder Zeuge Jehova, Mormone oder Schiit,

do konnst du nix mitnehma,
naa, do konnst du nix mitnehma,
jammert nur zum Deifi,
bettelt an liabn Gott,
und er sogt: Nix mitnehma!

     [Ringswandl. Trulla! Trulla! Trikont 1989. Text gemäß
     http://www.ringsgwandl.com: http://www.ringsgwandl.com/text15.htm.]

Dass Bob Dylan tatsächlich zu den einflussreichsten Künstlern der letzten (fünf!) Jahrzehnte gehört, erkennt man auch an den zahlreichen Bemühungen deutschsprachiger Musiker, sich seine Lieder in eigener Sprache anzueignen. Wer hat sich da nicht alles versucht: Wolfgang Niedecken ließ als „Südstadt-Dylan“ selten eine Möglichkeit verstreichen, Lieder wie My Back Pages oder Leopard-Skin Pill-Box Hat als Vill passiert sickher und Leopardefellhoot kölsch zu singen, Wolfgang Ambros gestaltete mit Übersetzungen ins Wienerische, z.B. mit Allan wie a Stan (Like A Rolling Stone), I bin’s ned (It Ain’t Me Babe) und Denk ned noch (Don’t Think Twice), ein ganzes Album (Wia im Schlaf. Bellaphon 1978) und Wolf Biermann ist von seinen eigenen Leistung an der Lyrik Dylans so begeistert, dass er es gar nicht verwunderlich fände, wenn dieser bei ihm klingeln würde (vgl. Interview im Spiegel 42/2003), um ihn eventuell mit einer Schachtel Pralinen oder Blumen in der Hand voller Dankbarkeit an sein Herz zu drücken. Selbst der über solch selbstgerechte Dylan-Epigonen spöttelnde Satiriker Wiglaf Droste konnte der Versuchung nicht widerstehen (Muse feife inne Wind). Auch Georg Ringsgwandl bemächtigte sich eines Dylan-Songs: Nix mitnehma von 1989 ist ein Cover von Gotta Serve Somebody.

Das Original erschien 1979 als erster Track auf Slow Train Coming, einem frömmelnden Konzeptalbum, das den Bekehrungsweg bei der „Erkenntnis schlechthinniger Abhängigkeit“ (Heinrich Detering: Bob Dylan. Stuttgart: Reclam 2007, S. 150) beginnen lässt. Die offensichtliche Botschaft des Textes: Egal, was du machst, du musst irgendjemandem dienen, dem Teufel oder – wie mit den nachfolgenden Nummern immer erkennbarer wird: – Gott. Dylan konvertierte in jener Zeit zum Christentum und wurde Anhänger der Born-again-Bewegung. Der Wandlungskünstler verstörte die Öffentlichkeit mit einem neuerlichen Dreh, er konnte wiederum mit einem Haufen Kritiker rechnen, unter ihnen ein sich betont atheistisch gebender John Lennon, der kurz vor seinem Tod mit Serve Yourself antwortete. Während Dylan voller missionarischem Eifer schrieb und sang, machte sich Lennon über religiöse Sinnsuche lustig. Man könnte fast sagen, dass sich Ringsgwandl – einige Jahre verspätet –  in eben diesen Diskurs einmischte und dabei eine Art Kompromiss fand: Nix mitnehma basiert musikalisch und auch textlich auf Gotta Serve Somebody, lässt aber keinen missionarischen Eifer erkennen, sondern ähnelt in manchen Zeilen eher Lennons „Well, you may believe in Jesus, and you may believe in Marx, / and you may believe in Marks and Spencer´s and you maybe believe in bloody Woolworths“. Etwa wenn es heißt: „ja du konnst ein Säufer sei, im Mantl a Flaschn Sprit/ oder Zeuge Jehova, Mormone oder Schiit“.

Bei Ringsgwandl geht es nicht ums Dienenmüssen, sondern ums Nichtsmitnehmenkönnen. Von allen Ergebnissen weltlichen Strebens wird man nach dem Tod nichts mehr haben, schon gar nicht vom Geld. Alles ist vergänglich. Was im Original zur Frömmigkeit führt, bleibt bei dieser „hinterfotzige[n] Cover-Version“ (Franz Kotteder: Georg Ringsgwandl. Rock vom Doc. Berlin: Links 1996, S. 63) eher eine „dunkel-drohende Warnung vor dem Gleichmacher Tod für alle, die glauben, sie müssten anderen Vorschriften machen, und gleichzeitig ein tröstendes Schlaflied für alle Underdogs, die unter den Mächtigen leiden müssen“ (ebd.). Die Auflistung dessen, was man auf Erden alles sein kann, basiert dabei an manchen Stellen direkt auf Dylans Vorlage (etwa: „da oane geht in Seide, da anda geht in Lumpn, / da oane, der frißt hartes Brot, da anda Kaviar“), ist mehrheitlich aber frei gestaltet. Der „preacher with […] spiritual pride“ erscheint hier kirchenkritisch verwandelt als „Kardinal […], schee feierlich und fett“ oder als „frommer Pfarrer, (mit) Zölibat und Doppelbett“, also einer gewissen Doppelmoral. Der „city councilman taking bribes on the side“ funktioniert im Bairischen satirisch als „Ministerpräsident […] von am Staat, / der im Rüstungsgschäft prozentual die Finger hot“. Überhaupt richtet sich der Sprecher verstärkt an bzw. gegen Menschen, die man  alltagssprachlich Materialisten nennt, die raffen und „jedn Pfenning“ umdrehen, an den „Börsenschwindler […] mit Immobilien in da Schweiz“ sowie die „Hausbesitzerin“ – wiederholt geht es um „Geiz“. Reichtum und Habsucht dominieren so manchen Lebensentwurf, und das obwohl doch klar ist: Es ist alles eitel. Weder der „Jaguar“ noch der „Würstlstand in Berg am Laim“, weder die „drei goldenen LP“ noch irgendetwas anderes – nichts hat über den Tod hinaus Bestand.

Wenn Dylans auf religiöse Unterwürfigkeit verengte Vorlage angesichts der stetigen Wiederholung des „you may be“ u.a. als „democracy in sonic action“ (Stephen H. Webb: Dylan Redeemed. From Highway 61 to Saved. London: Continuum 2006, S. 90) bezeichnet werden konnte, kann Entsprechendes über Ringsgwandls Lied vom Gleichmacher Tod und dessen „du konnst“-Strophen sicherlich mit noch größerer Berechtigung gesagt werden. Verschiedene – auch weniger auf Geld ausgerichtete – Lebensentwürfe werden genannt: Neben „Ingenieur“ wäre auch der Beruf „Psychologe“ oder „Friseur“ zu ergreifen, ebenso gibt es „Bäcker“ und „Metzger“. Es besteht die Möglichkeit, aus der „Moccatass“ zu trinken, oder aus dem „Humpn“. Man kann „mit dem Radl“ fahren oder „nackert an der Isar“ liegen. All das ist möglich, alles ist gleichrangig, aber eben auch gleich vergänglich: beim „Sportler“ und beim „Superschwergewicht Boxweltmoasta“ vergeht die Fitness, beim „Popstar“ und beim „Fernsehmoderator“ vergeht der Ruhm. Umso lächerlicher vielleicht die Versuche, sich mit „Isostar“ oder „mit einem teuren Toupet“ gegen die Zeit zu stellen.

Fünf Jahre nach Slow Train Coming gab Dylan zu Protokoll, dass es ihm keine Freude gemacht hätte, Lieder wie Gotta Serve Somebody zu schreiben, „[b]ut I found myself writing these songs“. Dabei räumte er ein: „I wanna piss off people once in a while“. (Interview durch Bono Vox 1984) – was ihm 1979 zumindest mit den Texten gelang; Gotta Serve Somebody brachte ihm aber auch einen Grammy für „Best Rock Vocal Performance by a Male“. Ringsgwandls Nix mitnehma wurde mehrheitlich gelobt, gewann etwa den „Jahrespreis der Liederbestenliste“ (1989) und entwickelte sich allgemein zu einem seiner bekanntesten Stücke. Dass das Lied zu dem gelungenen deutschsprachigen Dylan-Covern gezählt werden kann, hat wohl wesentlich damit zu tun, dass hier nicht einfach Zeile für Zeile übersetzt ist, ohne dass eigene Akzente gesetzt werden. Nicht alle oben angesprochenen Versuche sind so frei, hier aber erscheint das Cover als eine ambitionierte Weiterentwicklung des Originals. Entsprechend verprellte es keine Fans, sondern machte den „singenden Oberarzt“ bekannter. Das, was die Lebensentwürfe sowie letztlich auch die Weltanschauung anbelangt, „eingedeutschte“ Dylan-Lied kam beim deutschen Publikum gut an.

Martin Kraus, Bamberg

Fernweh als erklärtes Lebensziel. Zu Philipp Poisels Interpretation von Hannes Waders „Heute hier, morgen dort“

Hannes Wader/Pilipp Poisel

Heute hier, morgen dort

Heute hier, morgen dort,
bin kaum da, muss ich fort,
hab' mich niemals deswegen beklagt.
Hab' es selbst so gewählt,
nie die Jahre gezählt,
nie nach gestern und morgen gefragt.

Manchmal träume ich schwer
und dann denk ich,
es wär Zeit zu bleiben und nun
was ganz andres zu tun.
So vergeht Jahr um Jahr
und es ist mir längst klar,
dass nichts bleibt, dass nichts bleibt,
wie es war.

Daß man mich kaum vermisst,
schon nach Tagen vergißt,
wenn ich längst wieder anderswo bin,
stört und kümmert mich nicht.
Vielleicht bleibt mein Gesicht
doch dem ein oder anderen im Sinn.

Manchmal träume ich schwer [...]

Fragt mich einer, warum
ich so bin, bleib ich stumm,
denn die Antwort darauf fällt mir schwer.
Denn was neu ist, wird alt
und was gestern noch galt,
stimmt schon heut' oder morgen nicht mehr.

Manchmal träume ich schwer [...]

     [Hannes Wader: 7 Lieder. Philips 1972,
     Pilipp Poisel: Bis nach Toulouse. Grönland 2010.]

Früher diente das Reisen Völkern zur Erschließung neuer Siedlungsgebiete, Königen zum Herrschen und Predigern zur Missionierung. Noch früher erfüllte die Reise gar den Zweck der Selbsterhaltung, des Schutzes und der Ernährung. Ab dem 18. Jahrhundert wurde mit der Grand Tour und den diversen Bildungsreisenden das kommerzielle Reisen begründet, das sich im Lauf der vergangenen Jahrhunderte zu einem unersetzlich scheinenden Aspekt des modernen Arbeits- und Privatlebens entwickelte. Auch wenn der Drang, Fremdes zu sehen und davon zu berichten, schon immer in den Menschen angelegt gewesen sein mag, diente das Reisen also keineswegs schon seit jeher vornehmlich dem Vergnügen wie heute. Und obwohl die meisten von uns ihre Sesshaftigkeit um nichts missen möchten, gibt es doch immer wieder Menschen, die eine Ruhelosigkeit empfinden und in einem Zuhause nicht das rechte Glück für sich finden können (vgl. dazu etwa auch Hannes Waders Song Viel zu schade für mich).

Mit „An keinem wie an einer Heimat hängen“, formulierte Hermann Hesse in seinem bekannten Gedicht Stufen die Gegenposition. Entsprechend diesem Grundsatz geht mit der Zuschreibung von Rastlosigkeit oft der indirekte Vorwurf des Wankelmuts oder der Schwermut einher. Von letzterer ist in der musikalischen Umsetzung von Hannes Waders Heute hier, morgen dort kaum etwas zu spüren: Er präsentiert die Eindrücke aus seinem Leben als Liedermacher mit mitreißenden Gitarrenklängen und einem schnellen, fröhlichen Rhythmus. Nicht umsonst hat u.a. dieser Song 1972 das Genre des modernen Volksliedes wieder aufleben lassen, das lange Zeit infolge nationalsozialistischer Assoziationen gegenüber Volksliedern verpönt gewesen war. Der Titel entwickelte sich zu einem geflügelten Wort der deutschen Sprache, das viele verwenden, wenn sie über ihr stressiges Arbeitsleben berichten. Im Zuge des Bekanntheitsgrades des Volksliedes blieb es allerdings nicht bei dieser einzigen Version. Vierzig Jahre nach seinem Erscheinen coverten die Toten Hosen Heute hier, morgen dort, um es in einer rockigen Version auf ihrem Album Die Geister, die wir riefen zu veröffentlichen. Als bei der darauffolgenden Echo-Verleihung im Frühjahr 2013 Hannes Wader den Preis für sein Lebenswerk erhielt, performten die Rockmusiker und der 71-jährige Liedermacher, deren Musikstile normalerweise inkompatibel erscheinen, den Titel gemeinsam (und lieferten den Beweis, dass man dies besser nicht tun sollte):

Dabei gibt es einen deutschen Künstler, der es sich in den vergangenen Jahren ebenfalls zum Ziel gesetzt hat, Waders eingängigem Lied seine eigene Note aufzudrücken und dessen Interpretation neben der lauten Version der Toten Hosen leider völlig untergeht. Philipp Poisel ist ein deutscher Singer-Songwriter, der neben seiner, zugegebenermaßen sehr nuschelnden Stimme für seine melancholischen und oftmals philosophischen Texte bekannt ist. Eines seiner berühmtesten, wenn auch nicht sein tiefsinnigstes Stück ist Eiserner Steg, das er 2012 als Titellied für Matthias Schweighöfers Kinofilm What a man schrieb und einsang und durch das er einem größeren Publikum bekannt wurde. Sein erstes Album Wo fängt dein Himmel an? brachte Poisel 2006 auf den Markt, woraufhin Herbert Grönemeyer auf den 23-Jährigen aufmerksam wurde und ihn schließlich 2008 bei seinem Plattenlabel Grönland Records unter Vertrag nahm. Im gleichen Jahr erschien Poisels zweites Album Bis nach Toulouse, auf dessen Limited Edition die gecoverte Version von Hannes Waders Heute hier, morgen dort veröffentlicht wurde. Da kaum ein aktueller deutscher Sänger das Gefühl der Ruhe- und Rastlosigkeit so gekonnt vermittelt wie der 31-Jährige aus Stuttgart, wundert es nicht, dass sich Poisel an eine eigene Interpretation von Hannes Waders Heute hier morgen, dort gewagt hat, das Wader, dieses Urgestein eines deutschen Liedermachers 1972 auf seinem Album 7 Lieder einspielte. Wader griff in diesem Lied, dem die Melodie Indian Summer des amerikanischen Folksängers Gary Bolstad zugrunde liegt, die zwiespältigen Gefühle der Mitglieder der Wandervogelbewegung des frühen 20. Jahrhunderts auf, mit denen er sich als Liedermacher der 1960er und 70er immer noch verbunden fühlt. Das Fernweh wird zum Lebensziel erklärt und die allgegenwärtige Rastlosigkeit zum Motor dieser Bewegung. Wader singt in durchgängig anapästischem Rhythmus, der die Eintönigkeit eines gleichgültig-unaufgeregten Lebensstils hervorhebt, von dem Widerspruch zwischen der Sehnsucht nach unbekannten Fernen und dem Wunsch nach Ruhe und Angekommen-Sein. Letztendlich akzeptiert das Sprecher-Ich seine Rastlosigkeit und verzichtet darauf, eine Antwort auf die Frage nach dem Grund dafür zu finden. In Verbindung mit der fröhlich-schnellen Melodie, die Wader diesem melancholischen Text zugrunde legt und die diesem seine Schwere nimmt, erhält der Hörer abschließend allerdings doch das Gefühl, dass das Sprecher-Ich eher leichten Herzens von seinem Lebensstil singt und nicht unzufrieden mit seiner Situation ist.

Anders Poisel, der mit seiner Interpretation dem Hörer durchaus die Lust auf ein solches Wanderleben nehmen könnte. Der 31-Jährige legt anders als Wader größeren Wert auf den Songtext und legt ihm deshalb eine langsamere und auch leisere musikalische Untermalung zugrunde, die dessen Botschaft nicht wie in der Originalversion voranträgt, sondern dessen drückende Stimmung in den Vordergrund rückt. Mit seiner an manchen Stellen fast gebrochen klingenden Stimme schafft es Poisel, den Fokus auf die Wehmütigkeit des Sprecher-Ichs zu legen, dessen Zweifel an der Sinnhaftigkeit seines Lebensstils letztendlich überwiegen. Wer mit Poisels anderen Liedern vertraut ist, weiß, dass das Motiv der Vergänglichkeit eine große Rolle in seinen Werken spielt (vgl. Froh dabei zu sein, Irgendwann, Für keine Kohle dieser Welt). Poisel, der in seinen Liedern das Leben gleichzeitig verflucht und ihm huldigt, macht sich so die Antithetik des Barock zu eigen und erklärt das carpe diem neben dem memento mori zu seinen Leitsätzen. Er schwebt buchstäblich [z]wischen innen und außen, wie ein anderes Lied von ihm heißt.

Poisel liefert einen Beleg dafür, dass Fernweh immer noch ein aktuelles Thema in der Musik sein kann. Man braucht sich in der aktuellen Rock- und Poplandschaft nur einmal umsehen: Mark Forster verabschiedet sich mit einem Au revoir und „‘nen Kopfsprung durch die Tür“ in unbekannte Fernen. Revolverheld ziehen in Lass uns gehen die Bilanz aus einem Leben zwischen Hochhäusern und Industriebauten der Stadt. Und Tim Bendzkos Sprecher-Ich ‚läuft so schnell und so weit es kann‘ (Ich laufe). Sind wir wirklich so eingeengt oder entpuppt sich diese Missstimmung nur als harmloses Zwischentief? Psychologisch gesehen fällt dieser Hang zum Schwermut sicher ein wenig aus dem Rahmen, den sich die deutsche Musiklandschaft mit ihrem Anspruch an Aufmunterung in jüngerer Zeitgeschichte selbst gestellt hat. Nichtsdestotrotz können wir uns an der nach wie vor aktuellen Botschaft von Heute hier, morgen dort selbst in dieser Zeit der Schnelllebigkeit erfreuen. Und das ist doch auch etwas wert.

Marina Willinger, Bamberg

„Und wie du wieder aussiehst“. Warum Heino kein Rocker ist. Zu Heinos Coverversion von „Junge“ (Die Ärzte)

Original von Die Ärzte:

Heino
 

Junge

Junge, 
warum hast du nichts gelernt? 
Guck' dir den Dieter an, 
der hat sogar ein Auto 
Warum gehst du nicht zu Onkel Werner in die Werkstatt? 
Der gibt dir 'ne Festanstellung (wenn du ihn darum bittest) 
Junge... 

Und wie du wieder aussiehst 
Löcher in der Hose 
Und ständig dieser Lärm 
(Was sollen die Nachbarn sagen?) 
Und dann noch deine Haare 
Da fehlen mir die Worte 
Musst du die denn färben? 
(Was sollen die Nachbarn sagen?) 
Nie kommst du nach Hause 
Wir wissen nicht mehr weiter... 

Junge, 
Brich deiner Mutter nicht das Herz 
Es ist noch nicht zu spät 
Dich an der Uni einzuschreiben 
Du hast dich doch früher so für Tiere interessiert 
Wäre das nichts für dich? 
Eine eigene Praxis 
Junge... 

Und wie du wieder aussiehst 
Löcher in der Nase 
Und ständig dieser Lärm 
(Was sollen die Nachbarn sagen?) 
Elektrische Gitarren 
Und immer diese Texte 
Das will doch keiner hören 
(Was sollen die Nachbarn sagen?) 
Nie kommst du nach Hause 
So viel schlechter Umgang 
Wir werden dich enterben 
(Was soll das Finanzamt sagen?) 
Wo soll das alles enden? 
Wir machen uns doch Sorgen... 

Und du warst so ein süßes Kind 
Und du warst so ein süßes Kind 
Und du warst so ein süßes Kind 
Du warst so süß... 

Und immer deine Freunde 
Ihr nehmt doch alle Drogen 
Und ständig dieser Lärm 
(Was sollen die Nachbarn sagen?) 
Denk an deine Zukunft 
Denk an deine Eltern 
Willst du, dass wir sterben?

     [Heino: Mit freundlichen Grüßen. Starwatch 2013. 
     Original: Die Ärzte: Junge. Hot Action Records 2007.]

„Heino, ich glaub‘, du bist doch eigentlich auch ganz locker. Ich weiß, tief in dir drin, bist du eigentlich auch ’n Rocker. Du ziehst dir doch heimlich auch gerne mal die Lederjacke an und schließt dich ein auf’m Klo und hörst Rock-Radio.“ So mag es Heinz Georg Kramm eines Tages aus dem nicht mehr ganz neuen und etwas rauschenden Rundfunkempfänger vernommen haben. Und wie 1973 angesichts der Frage, ob er für die NPD auftreten würde, mag sich Heino erneut gedacht haben: „Warum nicht?“ – Warum eigentlich nicht einmal ein paar dieser Lieder singen, die die jungen Menschen mit der komischen Kleidung so hören? Warum nicht dem Feind seine Lieder nehmen? Dass dieses Konzept schon von den Nachwuchskräften von Gigi und die braunen Stadtmusikanten umgesetzt worden ist, dürfte Heino kaum geschreckt haben, schließlich hat er im Laufe seiner Karriere die Quintessenz aller NS-Liederbücher eingesungen (neben dem Deutschlandlied mit allen drei Strophen auch die inoffizielle Hymne der 6. Armee vor Stalingrad Es steht ein Soldat am Wolgastrand das Lied wurde erst in dieser Nutzung bekannt –, das bei HJ und Wehrmacht beliebte Schwarzbraun ist die Haselnuß sowie das Treuelied der SS, Wenn alle untreu werden; wer an der bis heute ungebrochenen Beliebtheit von Heinos Versionen in einschlägigen Kreisen zweifelt, gebe die Titel bei Youtube ein) – selbstverständlich mit dem Hinweis, dass es sich um Titel aus der Zeit vor der nationalsozialistischen Herrschaft handle. Gesagt getan, ein Mann ein Wort: Am nächsten Tag stand Heino im Tonstudio und schmetterte das fremdartige und unterkomplexe (was will man von Hottentottenmusik auch erwarten?) Liedgut. Zu den wiederkehrenden Interviewaussagen Heinos gehört der Hinweis, dass die Stimmlinie von Blau blüht der Enzian drei Oktaven umfasse, die gecoverten Rock- und Pop-Songs seiner neuen CD hingegen maximal eine.

Missverständnis 1: Komplexität

Spätestens dieses musikalische Äquivalent zum adoleszenten Genitalabgleich (schon Die goldenen Zitronen sangen „Zwei Meter lang, so muss er sein, drei Meter lang“) lässt jedoch erste Zweifel an der popkulturellen Kompetenz des rüstigen Barden mit der Vorliebe für die Zahl drei („Ich schlafe dreimal in der Woche mit meiner Frau“, BILD-Interview) aufkommen. Denn im Rock’n’Roll ging es noch nie um drei Oktaven, sondern um drei Akkorde in drei Minuten, mithin: um Reduktion. Das Kokettieren mit der eigenen musikalischen Primitivität (It’s only Rock’n’Roll, but I like it) gehört, ungeachtet einiger hochkomplexer Spielarten insbesondere im Bereich des Heavy Metal, zum Rock wie das Kokettieren mit dem Nationalsozialismus zu Heino („Aber noch bin ich ja hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und flink wie ein Windhund“, FAZ-Interview).

Missverständnis 2: Kleidung

Das nächste Missverständnis betrifft das Outfit, namentlich die Lederjacke und den Totenkopfring, mit denen Heino für seine aktuelle Platte posiert hat. Von Stuart Hall wissen wir, dass auch ursprünglich nicht als zeichenhaft produzierte Gegenstände wie die Jeans oder eben die Lederjacke popkulturell im Akt einer „signifying practice“ mit Bedeutung aufgeladen werden können. Ihnen ist eine spezielle Bedeutung also keineswegs inhärent, sondern sie werden in bestimmten sozialen Zusammenhängen mit einer solchen aufgeladen. Entsprechend ist die Jeans des Bauarbeiters auch dann noch Funktionskleidung, die keine weitere Bedeutung transportiert, wenn sie zeitgleich jugendkulturell mit Rebellion assoziiert ist. Auf Heino bezogen heißt das: Auch wenn schwarzes Leder und Totenköpfe bei Rockmusikern beliebte (mittlerweile ohnehin fast nur noch ironisch genutzte) Accessoires sind, so ruft diese Kombination bei Heino angesichts seines erwähnten musikalischen Outputs doch eine andere, ältere Traditionslinie auf.

Missverständnis 3: Geschichtlichkeit

Zum Image des neuen Heino gehört es, zu leugnen, es gebe ein neues Image. Schließlich habe er schon 1965 eine schwarze Lederjacke und einen Rollkragenpullover (Eben! Einen Rollkragenpullover!) getragen, und außerdem habe er seine Karriere mit Liedern der Bündischen Jugend begonnen: „Die waren mit dem damaligen System auch nicht zufrieden. Es waren die Rocker und Popper der Jahrhundertwende.“ (tz-Interview). Abgesehen davon, dass die Bündische Jugend, anders als der Wandervogel, nicht um die Jahrhundertwende aktiv war, sondern in der Weimarer Republik, dass also das System, mit dem sie nicht zufrieden war, die erste deutsche Demokratie war und zumindest große Schnittmengen mit nationalsozialistischen Idealen bestanden, und abgesehen davon, dass die Popper der 1980er Jahre nun gerade offensiv system- und insbesondere konsumaffirmativ auftraten, ignoriert Heino hier die Dimension der Geschichtlichkeit von politischen wie auch ästhetischen Positionen: Was zu einem bestimmten Zeitpunkt revolutionär (und also, wenn man so will, ‚rock’n’roll‘ war), muss dies nicht für alle Zeiten bleiben. Das lässt sich auch am Rock’n’Roll selbst zeigen: Ein Elvis-Imitator auf der Betriebsfeier ist heute nicht mehr rebellisch oder subversiv, wie es Elvis gewesen ist, als er den schwarzen, sexuell aufgeladenen Rock’n’Roll in die Kinderzimmer weißer Vorstadtfamilien brachte. Und so können ehemals revolutionäre Lieder (die sich in Heinos Repertoire ohnehin kaum finden) durchaus reaktionär werden, wenn sich eben der Erwartungshorizont (Hans Robert Jauß) verschiebt. Und Heino war von Beginn seiner Karriere an eben anti-rock’n’roll, sein Verständnis von Volksmusik war ein rein bewahrendes (Heino schlug sich 2005 selbst für das eigens zu schaffende Amt des Volkslied-Beauftragten der Bundesregierung vor, vgl. Der Spiegel), keines, das auf Fortschreibung zielt, wie es etwa neuere Spielarten traditioneller Musik unter dem Slogan „Volxmusik ist Rock’n’Roll“ für sich in Anspruch nehmen.

Missverständnis 4: Materialästhetik

Ein weiteres gravierendes Missverständnis betrifft die beabsichtigte Denunziation der gecoverten Stücke als ‚auch nur Schlager‘. Denn die zugrunde liegende Vorstellung, dass ein Lied seinen ‚wahren Charakter‘ zeige, wenn man es uminstrumentiert, ignoriert die Bedeutung der Materialästhetik, des Sounds in der Rock- und Popmusik zugunsten eines Primats der Komposition. Träfe das zu, wäre es keine Sensation gewesen, als Bob Dylan erstmals mit elektrisch verstärkter Gitarre auftrat (in I’m not there ins Bild gesetzt als Maschinenpistolensalve ins verstörte Folk-Publikum – ab Minute 2.05 hier zu sehen.) oder als Depeche Mode, Inbegriff der Synthie-Pop-Band, auf dem Album Ultra Gitarren einsetzten (und im Booklet auch noch damit posierten). Die großen Einschnitte in der Rock- und Pop-Musik waren, anders als in der klassischen, nicht kompositorischer (z. B. Zwölftonmusik), sondern soundtechnischer Natur: Punk etwa war nur schnell, verzerrt und unsauber gespielter Rock’n’Roll und nichtsdestotrotz eine ästhetische Revolution.

Für die Interpretation von Songtexten ist der Sound insofern von Bedeutung, als er ein semantisches Paradigma mit entsprechenden Codes und Mythen als Referenzrahmen aufruft – derselbe Text kann, in unterschiedlichem musikalischem Gewand, eine andere Bedeutung erhalten – dies hat ja in der vergangenen Woche Florian Seubert mit dem Gedankenexperiment, Blau blüht der Enzian werde von einer Rockband gecovert (wie es Tankard als Tankwart getan haben), in einer Gegen-den-Strich-Lektüre demonstriert. Wenn Heino das Lied als volkstümlichen Schlager singt, wird aber nicht das semantische Potenzial des Enzians als Sexdroge aufgerufen, sondern fungiert dieser nur als floraler Teil der Landschaftsstaffage für eine Geschichte, in der es wieder einmal (wie beim Polenmädchen und der Schwarzen Barbara oder Komm in meinen Wigwam) um die Verfügbarkeit einer Frau geht.

Missverständnis 5: Interpret

Dass Popsongs und Volkslieder rein kompositorisch große Ähnlichkeiten aufweisen, ist nichts Neues, schließlich können in Fahrtenliederbüchern Das Wandern ist des Müllers Lust und Yellow Submarine durchaus einmal nebeneinander stehen. Und von Pfadfinderwölflingen zur akustischen Gitarre des Rudelführers geheult verliert jedes Lied seinen Rock-Charakter – was allerdings mehr über die Interpreten als über das Lied aussagt. Wenn also Heino Junge von Die Ärzte singt, einen Rollentext, in dem ein über den Lebenswandel des Sohnes besorgtes Elternteil diesen mit Vorwürfen und guten Ratschlägen eindeckt, so entsteht dadurch keineswegs eine doppelte Ironie, sondern, ganz gemäß der algebraischen Regel ‚minus mal minus gibt plus‘ eigentliches Sprechen, weil man Heino ohne Weiteres zutraut, die Auffassungen des Sprecher-Ichs zu teilen (was er in Interviews auch angab, vgl. Wikipedia). Schließlich hatte sein maritimes Äquivalent Freddy Quinn nicht nur in Junge, komm bald wieder eine besorgte Mutter-Perspektive eingenommen, sondern mit Wir auch glaubhaft eine Suada gegen langhaarige, ungewaschene „Gammler“ vorgetragen. Und Heino selbst hatte noch 2012 die Rolle des gestrengen pater familias der Volksmusikszene für sich beansprucht, als er Stefanie Hertel aufgrund ihm zu gewagt erscheinender Outfits bei Let’s Dance (via BILD-Zeitung) zurechtwies: „Wie Stefanie sich zu einem halb nackigen Revue-Girl entwickelt, bereitet mir Bauchschmerzen“; „Wenn Stefanie sich unbedingt so zeigen will, dann sage ich: Es gibt in Deutschland viele Stangen, an denen man tanzen kann. Zum Beispiel auf der Reeperbahn“.

Der Effekt einer Entironisierung durch den Interpreten, den Gigi und die braunen Stadtmusikanten, die ein affirmatives Lied über die NSU-Morde veröffentlicht haben, ganz bewusst genutzt haben, wenn sie etwa Wolfgang Ambros‘ Kanackenzerhacken gecovert haben, stellt sich bei Heino mutmaßlich unfreiwillig ein.

Heino steht außerdem (wie es sich mit der Privatperson Heinz Georg Kramm verhält, spielt für die Wirkung der Texte keine Rolle) für absolute Humorfreiheit. Er erwirkte wegen angeblicher Verwechslungsgefahr eine einstweilige Verfügung gegen den ‚wahren Heino‘, der zeitweise mit Die Toten Hosen auftrat, kommentierte Ottos Mashup von Michael Jacksons Thriller-Video und Heinos Schwarzbraun ist die Haselnuß wiederum via Bildzeitung mit „Otto ist ein A…loch“ und schnarrt bei jeder Kritik, gleich von wem sie vorgetragen wird, „Was stört es eine alte Eiche, wenn sich die Sau dran kratzt.“ Selbstironie, wie sie ihm nun mancherorts zugeschrieben wird, ist Heino völlig fremd, nichts an seinen Liedern und Äußerungen deutet darauf hin.

Hier wird auch der zentrale Unterschied zwischen Heino und Johnny Cash (vgl. dazu auch Andreas Borcholte: Heinos Hit-Album: Der Unversöhnliche) deutlich, zu dessen Alterswerk ebenfalls Cover von Rock- und Popsongs gehörten: Johnny Cash war mit seinem Interesse an Outlaw-Figuren und seinen Auftritten in Gefängnissen tatsächlich immer schon eine Art Rebell innerhalb der Country-Szene; entsprechend konnte er sich auch Songs von Nick Cave and the Bad Seeds, Nine Inch Nails und Depeche Mode glaubhaft aneignen. Heino hingegen kann seine Verachtung für die Gecoverten nicht verbergen, für die er sich so wenig interessiert, dass er die Liedauswahl seinem Produzenten und seinem Manager überließ.

So mag Heinos Coveralbum zwar in finanzieller Hinsicht ein Coup gewesen sein, auf einem Feld also, auf dem er sich ohnehin den meisten Konkurrenten überlegen weiß: Der Hinweis auf seine 50 Millionen verkauften Tonträger fehlt in kaum einem Interview. Der Versuch aber, nach einem nahezu vollständigen Aufmerksamkeitsverlust als Sänger auch ästhetisch wieder ins Spiel zu kommen, kann als gescheitert betrachtet werden: Schien vor der Veröffentlichung seines Coveralbums der Gedanke an eine „Versöhnung mit Heino“ (taz) noch „möglich“, so ist eine solche nun gar nicht mehr von Interesse.  Denn Heino hätte auf keinem anderen Wege als dem des Coverns aktueller Songs besser demonstrieren können, dass er kein Fall für die Musikkritik mehr ist, sondern für die Mentalitätsgeschichtsschreibung der 1960er und 1970er Jahre.

Möglicherweise wird Heinz Georg Kramm demnächst, dösend vor seinem Fernsehgerät, das ebenfalls ein wenig rauscht, wieder einmal ein Lied hören, in dem – Warum sollte ihn das wundern? – er direkt angesprochen wird:  „Heino, Heino, deine Welt sind die Berge“. Und vielleicht wird sich Heinz Georg Kramm dann denken: Recht hat sie, die gute alte Braunsche Röhre. Heinos Welt sind der Westerwald, die hohen Tannen, der Enzian – und nicht diese Asphaltthemen der jungen Menschen. Man könnte vielleicht mal wieder ein Album mit den schönsten Wander- und Fahrtenliedern veröffentlichen. Aber vielleicht muss auch das gar nicht sein.  Schließlich hat er 50 Millionen Platten verkauft.

 Martin Rehfeldt, Bamberg

Der deutsche Dylan? Zu Ringsgwandls „Nix mitnehma“

Bob Dylan

Gotta Serve Somebody

You may be an ambassador to England or France
You may like to gamble, you might like to dance
You may be the heavyweight champion of the world
You may be a socialite with a long string of pearls
 
But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed
You’re gonna have to serve somebody
Well, it may be the devil or it may be the Lord
But you’re gonna have to serve somebody
 
You might be a rock ’n’ roll addict prancing on the stage
You might have drugs at your command, women in a cage
You may be a businessman or some high-degree thief
They may call you Doctor or they may call you Chief
 
But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]
 
You may be a state trooper, you might be a young Turk
You may be the head of some big TV network
You may be rich or poor, you may be blind or lame
You may be living in another country under another name
 
But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]
 
You may be a construction worker working on a home
You may be living in a mansion or you might live in a dome
You might own guns and you might even own tanks
You might be somebody’s landlord, you might even own banks 

You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]

You may be a preacher with your spiritual pride
You may be a city councilman taking bribes on the side
You may be workin’ in a barbershop, you may know how to cut hair
You may be somebody’s mistress, may be somebody’s heir

You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]

Might like to wear cotton, might like to wear silk
Might like to drink whiskey, might like to drink milk
You might like to eat caviar, you might like to eat bread
You may be sleeping on the floor, sleeping in a king-sized bed

You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]

You may call me Terry, you may call me Timmy
You may call me Bobby, you may call me Zimmy
You may call me R.J., you may call me Ray
You may call me anything but no matter what you say
 
You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...]

     [Bob Dylan. Slow Train Coming. Special Rider Music 1979. Text nach bobdylan.com.]

Georg Ringsgwandl 

Nix mitnehma

Hey, du konnst Ministerpräsident sei von am Staat,
der im Rüstungsgschäft prozentual die Finger hot.
Du konnst Kardinal sei, schee feierlich und fett,
oder frommer Pfarrer, Zölibat und Doppelbett.

des konnst do net mitnehma,
naa, des konnst du net mitnehma.
Jammert no Teife, frog an liabn Gott,
und der sogt nix mitnehma!

Hey, du konnst ein Sportler sei, du hoitst di fit mit Isostar,
oder du bist ein fauler Hund und flackst nackert an der Isar.
Du konnst Börsenschwindler sei, mit Immobilien in da Schweiz,
oder Hausbesitzerin, zafressn fast vom Geiz,

do konnst du nix mitnehma,
naa, do konnst du nix mitnehma.
Frog amoi an Teife, jammert zum liabn Gott,
und der sogt: hey, nix mitnehma!

Da oane trinkt aus da Moccatass, da anda ausm Humpn,
da oane geht in Seide, da anda geht in Lumpn,
da oane, der frißt hartes Brot, da anda Kaviar,
da oa fahrt mit dem Radl, und da anda Jaguar,

doch den derf er net mitnehma,
naa, den derf er net mitnehma,
und er winselt zwar zum Deife,
und er jammert zum liabn Gott,
doch der sogt: hey, net mitnehma!

Hey, du konnst Experte sei für Panzer oder Flak,
oder drahst jedn Pfenning um und bist a geizigs Gnack.
Hey, du konnst im Superschwergewicht Boxweltmoasta sei,
oder hast an Würschtlstand draußd in Berg am Laim,

doch den derfst du net mitnehma,
naa, den derfst du net mitnehma,
frog amoi an Deifi,
frog an liabn Gott,
net mitnehma!

Du kannst technisch fit sein, zum Beispiel Ingenieur,
oder Menschenkenner, Psychologe oder Friseur,
Hey, du kannst ein Popstar sein mit drei goldenen LP,
oder Fernsehquizmaster mit einem teuren Toupet,

doch des derfst du net mitnehma,
naa des derfst du net mitnehma,
wuislt nur zum Deife,
winselt zum liabn Gott,
und der sogt: Na, net mitnehma!

Hey, du konnst ein Bäcker sei, der guate Brezn backt,
oder bist ein Metzger, der fette Dreckssei schlacht,
ja du konnst ein Säufer sei, im Mantl a Flaschn Sprit,
oder Zeuge Jehova, Mormone oder Schiit,

do konnst du nix mitnehma,
naa, do konnst du nix mitnehma,
jammert nur zum Deifi,
bettelt an liabn Gott,
und er sogt: Nix mitnehma!

     [Ringswandl. Trulla! Trulla! Trikont 1989. Text gemäß
     http://www.ringsgwandl.com: http://www.ringsgwandl.com/text15.htm.]

Dass Bob Dylan tatsächlich zu den einflussreichsten Künstlern der letzten (fünf!) Jahrzehnte gehört, erkennt man auch an den zahlreichen Bemühungen deutschsprachiger Musiker, sich seine Lieder in eigener Sprache anzueignen. Wer hat sich da nicht alles versucht: Wolfgang Niedecken ließ als „Südstadt-Dylan“ selten eine Möglichkeit verstreichen, Lieder wie My Back Pages oder Leopard-Skin Pill-Box Hat als Vill passiert sickher und Leopardefellhoot kölsch zu singen, Wolfgang Ambros gestaltete mit Übersetzungen ins Wienerische, z.B. mit Allan wie a Stan (Like A Rolling Stone), I bin’s ned (It Ain’t Me Babe) und Denk ned noch (Don’t Think Twice), ein ganzes Album (Wia im Schlaf. Bellaphon 1978) und Wolf Biermann ist von seinen eigenen Leistung an der Lyrik Dylans so begeistert, dass er es gar nicht verwunderlich fände, wenn dieser bei ihm klingeln würde (vgl. Interview im Spiegel 42/2003), um ihn eventuell mit einer Schachtel Pralinen oder Blumen in der Hand voller Dankbarkeit an sein Herz zu drücken. Selbst der über solch selbstgerechte Dylan-Epigonen spöttelnde Satiriker Wiglaf Droste konnte der Versuchung nicht widerstehen (Muse feife inne Wind). Auch Georg Ringsgwandl bemächtigte sich eines Dylan-Songs: Nix mitnehma von 1989 ist ein Cover von Gotta Serve Somebody.

Das Original erschien 1979 als erster Track auf Slow Train Coming, einem frömmelnden Konzeptalbum, das den Bekehrungsweg bei der „Erkenntnis schlechthinniger Abhängigkeit“ (Heinrich Detering: Bob Dylan. Stuttgart: Reclam 2007, S. 150) beginnen lässt. Die offensichtliche Botschaft des Textes: Egal, was du machst, du musst irgendjemandem dienen, dem Teufel oder – wie mit den nachfolgenden Nummern immer erkennbarer wird: – Gott. Dylan konvertierte in jener Zeit zum Christentum und wurde Anhänger der Born-again-Bewegung. Der Wandlungskünstler verstörte die Öffentlichkeit mit einem neuerlichen Dreh, er konnte wiederum mit einem Haufen Kritiker rechnen, unter ihnen ein sich betont atheistisch gebender John Lennon, der kurz vor seinem Tod mit Serve Yourself antwortete. Während Dylan voller missionarischem Eifer schrieb und sang, machte sich Lennon über religiöse Sinnsuche lustig. Man könnte fast sagen, dass sich Ringsgwandl – einige Jahre verspätet –  in eben diesen Diskurs einmischte und dabei eine Art Kompromiss fand: Nix mitnehma basiert musikalisch und auch textlich auf Gotta Serve Somebody, lässt aber keinen missionarischen Eifer erkennen, sondern ähnelt in manchen Zeilen eher Lennons „Well, you may believe in Jesus, and you may believe in Marx, / and you may believe in Marks and Spencer´s and you maybe believe in bloody Woolworths“. Etwa wenn es heißt: „ja du konnst ein Säufer sei, im Mantl a Flaschn Sprit/ oder Zeuge Jehova, Mormone oder Schiit“.

Bei Ringsgwandl geht es nicht ums Dienenmüssen, sondern ums Nichtsmitnehmenkönnen. Von allen Ergebnissen weltlichen Strebens wird man nach dem Tod nichts mehr haben, schon gar nicht vom Geld. Alles ist vergänglich. Was im Original zur Frömmigkeit führt, bleibt bei dieser „hinterfotzige[n] Cover-Version“ (Franz Kotteder: Georg Ringsgwandl. Rock vom Doc. Berlin: Links 1996, S. 63) eher eine „dunkel-drohende Warnung vor dem Gleichmacher Tod für alle, die glauben, sie müssten anderen Vorschriften machen, und gleichzeitig ein tröstendes Schlaflied für alle Underdogs, die unter den Mächtigen leiden müssen“ (ebd.). Die Auflistung dessen, was man auf Erden alles sein kann, basiert dabei an manchen Stellen direkt auf Dylans Vorlage (etwa: „da oane geht in Seide, da anda geht in Lumpn, / da oane, der frißt hartes Brot, da anda Kaviar“), ist mehrheitlich aber frei gestaltet. Der „preacher with […] spiritual pride“ erscheint hier kirchenkritisch verwandelt als „Kardinal […], schee feierlich und fett“ oder als „frommer Pfarrer, (mit) Zölibat und Doppelbett“, also einer gewissen Doppelmoral. Der „city councilman taking bribes on the side“ funktioniert im Bairischen satirisch als „Ministerpräsident […] von am Staat, / der im Rüstungsgschäft prozentual die Finger hot“. Überhaupt richtet sich der Sprecher verstärkt an bzw. gegen Menschen, die man  alltagssprachlich Materialisten nennt, die raffen und „jedn Pfenning“ umdrehen, an den „Börsenschwindler […] mit Immobilien in da Schweiz“ sowie die „Hausbesitzerin“ – wiederholt geht es um „Geiz“. Reichtum und Habsucht dominieren so manchen Lebensentwurf, und das obwohl doch klar ist: Es ist alles eitel. Weder der „Jaguar“ noch der „Würstlstand in Berg am Laim“, weder die „drei goldenen LP“ noch irgendetwas anderes – nichts hat über den Tod hinaus Bestand.

Wenn Dylans auf religiöse Unterwürfigkeit verengte Vorlage angesichts der stetigen Wiederholung des „you may be“ u.a. als „democracy in sonic action“ (Stephen H. Webb: Dylan Redeemed. From Highway 61 to Saved. London: Continuum 2006, S. 90) bezeichnet werden konnte, kann Entsprechendes über Ringsgwandls Lied vom Gleichmacher Tod und dessen „du konnst“-Strophen sicherlich mit noch größerer Berechtigung gesagt werden. Verschiedene – auch weniger auf Geld ausgerichtete – Lebensentwürfe werden genannt: Neben „Ingenieur“ wäre auch der Beruf „Psychologe“ oder „Friseur“ zu ergreifen, ebenso gibt es „Bäcker“ und „Metzger“. Es besteht die Möglichkeit, aus der „Moccatass“ zu trinken, oder aus dem „Humpn“. Man kann „mit dem Radl“ fahren oder „nackert an der Isar“ liegen. All das ist möglich, alles ist gleichrangig, aber eben auch gleich vergänglich: beim „Sportler“ und beim „Superschwergewicht Boxweltmoasta“ vergeht die Fitness, beim „Popstar“ und beim „Fernsehmoderator“ vergeht der Ruhm. Umso lächerlicher vielleicht die Versuche, sich mit „Isostar“ oder „mit einem teuren Toupet“ gegen die Zeit zu stellen.

Fünf Jahre nach Slow Train Coming gab Dylan zu Protokoll, dass es ihm keine Freude gemacht hätte, Lieder wie Gotta Serve Somebody zu schreiben, „[b]ut I found myself writing these songs“. Dabei räumte er ein: „I wanna piss off people once in a while“. (Interview durch Bono Vox 1984) – was ihm 1979 zumindest mit den Texten gelang; Gotta Serve Somebody brachte ihm aber auch einen Grammy für „Best Rock Vocal Performance by a Male“. Ringsgwandls Nix mitnehma wurde mehrheitlich gelobt, gewann etwa den „Jahrespreis der Liederbestenliste“ (1989) und entwickelte sich allgemein zu einem seiner bekanntesten Stücke. Dass das Lied zu dem gelungenen deutschsprachigen Dylan-Covern gezählt werden kann, hat wohl wesentlich damit zu tun, dass hier nicht einfach Zeile für Zeile übersetzt ist, ohne dass eigene Akzente gesetzt werden. Nicht alle oben angesprochenen Versuche sind so frei, hier aber erscheint das Cover als eine ambitionierte Weiterentwicklung des Originals. Entsprechend verprellte es keine Fans, sondern machte den „singenden Oberarzt“ bekannter. Das, was die Lebensentwürfe sowie letztlich auch die Weltanschauung anbelangt, „eingedeutschte“ Dylan-Lied kam beim deutschen Publikum gut an.

Martin Kraus, Bamberg