Als man in der Schule noch was fürs Leben lernen konnte. „En d’r Kayjass Nummer Null“ von den Drei Laachduve (1938), den Vier Botze (1945) und anderen

Drei Laachduve

En d`r Kayjass Nr. 0

En d'r Kayjass Nummer Null 
steiht en steinahl Schull
un do hammer dren studeet.
Unser Lehrer, dä hieß Welsch, 
sproch en unverfälschtes Kölsch
un do hammer bei jelihrt.
Un da hammer hin un her üvverlaat
un han für dä Lehrer jesaht:

Nä, nä dat wesse mer nit mih, 
janz bestemp nit mih
un dat hammer nit studeet.
Denn mer wore beim Lehrer Welsch en d'r Klass
un do hammer sujet nit jelihrt.
Ävver, ävver, ävver dreimol Null es Null, es Null,
denn mer woren en d'r Kayjass en d'r Schull;
dreimol Null es Null, es Null,
denn mer woren en d'r Kayjass en d'r Schull. 

Es en Schiev kapott, es ene Müllemmer fott,
hät d'r Hungk am Stätz en Dos':
Kütt dä Schutzmann anjerannt,
hät uns Pänz dann usjeschannt, -
saht: Wat maat ihr zwei dann blos!
Un da hammer hin un her üvverlaat
un han för dä Schutzmann jesaht:
 
Nä, nä dat wesse mer nit mih...
Ävver, ävver, ävver dreimol Null es Null, es Null [...]

Neulich krät uns en d'r Jass 
die Frau Käzmann beim Fraaß, -
saht: Wo wollt ihr zwei dann hin?
Uns Marieche sitz zo Hus, 
weiss nit en un weiss nit us:
Einer muss d'r Vatter sin!
Un da hammer hin un her üvverlaat
un han för die Käzmanns jesaht:

Nä, nä dat wesse mer nit mih [...]
Ävver, ävver, ävver dreimol Null es Null, es Null [...]

     [Quelle: www.griechenmarkt.de [1]; im obigen Video singt und agiert der Kinderchor der Hasenschule; vgl. www.hasenschule.de.]

Viele ältere Kölner Karnevalslieder leben davon, dass sie opulente, gerne nostalgisch verklärte Genreszenen aus dem prallen Volksleben guter alter Zeiten darstellen oder im unerschöpflichen Schatz lokaler Anekdötchen,  Skandälchen und sonstiger Begebenheiten graben, um das kollektive Gedächtnis der Domstädter auf eine ganz ureigene Weise zu bereichern. Manchmal entwickeln solche Lieder eine besondere Brisanz, wenn sie vom Jeckenvolk mit speziellen Kontexten in Verbindung gebracht werden. All das trifft auf das Vorkriegslied von der ,steinahl Schull en d’r Kayjass‘ mit ihrem Lehrer Welsch zu, weshalb es auch immer wieder gecovert worden und über Generationen hinweg lebendig geblieben ist.

Worum geht’s?

Die Sprecherinstanz bilden zwei (in anderen Textversionen sechs) männliche Absolventen einer (nicht zuletzt wegen dieses Liedes) berühmten Kölschen Lehr- und Erziehungsanstalt, an der ein Lehrer namens Welsch tätig gewesen sein soll. Dass der Liedtext hier die historische Realität ein wenig verbiegt, ist allgemein bekannt und wird später noch genauer erklärt. Unsere ,Kadetten‘ geben einige Episoden aus ihrer Biographie zum Besten, wobei der große Bogen ihrer Erzählung darin besteht, dass sie sich in der Schule habituell daran gewöhnt haben, sich generell dumm zu stellen, was ihnen dann im ,richtigen Leben‘ immer wieder zugutekommt. Dieses Prinzip funktioniert schon bei den Kindern („Pänz“) gegenüber dem „Schutzmann“, der ihren Lausbubenstreichen[2] auf die Schliche zu kommen versucht, und bewährt sich auch später in einer wesentlich heikleren Angelegenheit, als es um die Frage geht, wer Käzmanns Mariechen geschwängert haben könnte.

Jedes Mal zelebrieren die Schlitzohren ihr vorgebliches Nichtwissen nach einem gleichen Ritual: Demonstrativ langsam überlegen sie zunächst einmal „hin un[d] her“. Man sieht förmlich, wie ihnen von der Anstrengung des Nachdenkens die Schweißtropfen auf die Stirn treten, und ist von ihrem guten Willen, bei der Wahrheitsfindung mitzuhelfen, überzeugt. Niemand würde ihnen mangelnde Kooperationsbereitschaft unterstellen, bis schließlich das Geständnis des Nichtwissens befreiend aus ihnen hervorbricht: „Nä, nä dat wesse mer nit …“. Hier verändert sich der ganze Gestus des Gesangs und die Begründung für das fehlende Wissen erfolgt schon fast triumphierend: Man sei schließlich in der Kaygasse zur Schule gegangen und habe beim Lehrer Welsch studiert. Damit sei doch alles klar!

Der vordergründige Hintergrund

Ein Teil des ,Witzes‘ dieses Schlagers, der übrigens im Dezember 1938 von den Drei Laachduve[3] aufgenommen worden und 1945 durch die Coverversion der Vier Botze[4] zu breiter Popularität gelangt ist, erklärt sich nur Kölnern bzw. Kennern der lokalgeschichtlichen Bezüge. An der Ecke Kaygasse/Großer Griechenmarkt gab es zwischen 1891 und 1939 eine Sonderschule. Wenn deren Ehemalige ihre Unwissenheit, in welcher Sache auch immer, verkündet hätten, dürfte das den Vorurteilen ihrer Mitbürger einigermaßen entsprochen haben. Zusätzlich berufen sich die Schlitzohren unseres Liedes auf einen Lehrer Welsch, dem ebenfalls eine historische Figur zugrunde liegt. Heinrich Welsch (geb. 1848 in Arzdorf, Landkreis Bonn, gest. 1935 in Köln) war ein ausgesprochen verdienstvoller Pädagoge, der seine lokale Berühmtheit mitnichten einem besonders schlechten Unterricht zu verdanken hat, sondern seinem durchaus erfolgreichen Engagement für benachteiligte Arbeiterkinder und sog. ,gefallene Mädchen‘. 1905 gründete Welsch im rechtsrheinischen Industrievorort Kalk eine Hilfsschule, der er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Schuldienst noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs als Rektor vorstand. Mit der Sonderschule in der Kaygasse[5] hatte Welsch zwar nie zu tun, aber vom Milieu her, in dem sich sein Wirken abspielte, spricht nichts gegen seine fiktionale Versetzung ins zentrumsnähere Griechenmarktviertel.

An der Stelle der im 2. Weltkrieg zerstörten Sonderschule hängt heute eine Gedenktafel für die „steinahl Schull“ des Karnevalsliedes und ihren mathematischen Kernsatz. Der großartige Lehrer Welsch hat sein Ehrengrab hingegen, dem realweltlichen Sachverhalt entsprechend, auf dem Kalker Friedhof gefunden – der gewissermaßen schon in Sibirien liegt, zumindest wenn wir den topographischen Vorstellungen des alten Römers Konrad Adenauer folgen wollen, was im Karneval schon einmal erlaubt sein sollte.[6]

Eine vordergründige Irritation, die sich aber vor dem hintergründigen Hintergrund auflösen lässt

Bei meiner ersten Begegnung mit diesem Lied habe ich mich – selber jahrzehntelang beruflich der Paukerei verbunden – zunächst darüber gefreut, dass man hier einem verdienten Lehrkörper ein karnevalistisches Denkmal gesetzt hat. Beim genaueren Studium des Textes beschlich mich dann aber schnell das ungute Gefühl, dass der Lehrer Welsch über dieses Monument seines Wirkens nicht besonders glücklich gewesen wäre, bescheinigt es doch der Welt, dass aus seiner Lehranstalt rechte Taugenichtse hervorgegangen seien, humane Nullen sozusagen, die nichts anderes im Sinn gehabt hätten, als ihre Mitmenschen zu plagen, Tiere zu quälen und die Zahl ,gefallener Mädchen‘ zu vergrößern, deren Rehabilitation sich ihr philanthropischer Lehrer doch gerade auf sein Banner geschrieben hatte.

Dass solch eine Geschichte in karnevalistischen Kontexten ,funktionieren‘ konnte, war mir leicht vorstellbar, verbinden doch viele Zeitgenossen ihre Erinnerungen an schulische Verhörsituationen mit unguten Gefühlen[7] und könnten es demzufolge durchaus genießen, im Kollektiv ihr pauschales Nichtwissen triumphal in die Welt hinauszuposaunen. Und selbst gute Schüler ohne einschlägige Posttraumata könnten bei närrischen Gelegenheiten und unter zusätzlichem Einfluss einiger Kölsch dazu gebracht werden, vorübergehend in die Identität eines Lümmels der letzten Bank zu schlüpfen und fröhlich zu behaupten, dass sie nichts anderes in ihrem Kopf hätten als die mathematische Weisheit, dass dreimal Null nie mehr als Null ergibt, so oft man auch nachrechnet. Soweit reichte also meine Phantasie. Aber dass ein heiteres Karnevalslied Sympathie für Schlitzohren bekunden sollte, die sich vor der Verantwortung für eine Vaterschaft drücken und ein armes Mädchen mehr oder minder hämisch sitzen lassen, und dass besagtes Lied dann noch über Jahrzehnte hinweg von den ,Großen‘ der Kölner Musikszene gecovert und populär bleiben konnte, das irritierte mich schon!

Ich denke, dass diese Irritation sich auflösen lässt, wenn man die zeitlichen Kontexte der frühen Veröffentlichungen – 1938 und 1945 – mitbedenkt und dann den Text des Liedes um Botschaften erweitert, die für ein wachsames Publikum  ,zwischen den Zeilen‘ zu erahnen sind.  Dass karnevalistische Verlautbarungen – sei es in der Form von Büttenreden, Kostümierungen, Dekorationen oder auch Liedern – in der Vor- und Nachkriegszeit auf Zuschauer und Zuhörer gestoßen sind, die es gewohnt waren, Zwischentöne, Andeutungen und Sinnbrüche zu erkennen und entsprechend zu deuten, darf m.E. vorausgesetzt werden.

Dass sich die Schlitzohren von der Kayjass-Schull 1938 jeglicher Befragung durch Autoritäten entziehen, indem sie sich habituell und pauschal hinter einem vorgeblichen Nichtwissen verschanzen, kann (muss?) in der Vorkriegszeit als grundsätzliche System-Verweigerung, als passiver Widerstand verstanden werden. In diesem Kontext rückt auch die anscheinend schäbige Verleugnung der eigenen Vaterschaft in ein anderes Licht und erscheint als Absage an die nationalsozialistische Familienideologie. Das (proletarische) Sprecherkollektiv, das sich den ,Anmutungen‘ der damaligen Gesellschaft verweigert, liefert so ein Gegenbild zum staatskonformen Verhalten der Organisatoren und Aktivisten des Kölner Karnevals, die sich 1938 – jedenfalls mit übergroßer Mehrheit – den Forderungen des staatlichen Propagandaapparats unterworfen hatten.[8]

1945 stellte sich der gesellschaftspolitische Kontext plötzlich ganz anders da. Wer jetzt behauptet hätte, von nichts nix zu wissen, hatte vermutlich einiges zu verbergen, was unter den neuen Machtverhältnissen gar nicht gut angekommen wäre. Damit haben sich, ohne dass dafür auch nur ein Buchstabe im Text des Liedes verändert werden musste, die Kayjass-Absolventen – 1938 noch Widerständler und Systemverweigerer – im Laufe kürzester Zeit in ehemalige Mitläufer der Naziherrschaft verwandelt, die im Lied der Vier Botze satirisch bloßgestellt werden. Inwieweit spätere Coverversionen, zum Beispiel von den Bläck Fööss (1973) oder den Höhnern (1979), ebenfalls auf spezielle zeitgenössische Konstellationen angespielt haben könnten, entzieht sich meiner Kenntnis.

Nachklapp a: Der Lehrer-Welsch Sprachpreis

Unser Karnevalslied preist den Lehrer Welsch ausdrücklich dafür, dass er ein „unverfälschtes Kölsch“ gesprochen habe. Daran anknüpfend verleiht seit 2004 die Kölner Sektion des ,Vereins Deutsche Sprache‘ einen ihm gewidmeten Preis. Erster Preisträger war Alexander von Chiari, der seinerzeitige Leiter des Rosenmontagszuges, der damals das englische Wort „Kids“ im Motto des Zuges durch die niederrheinische, aber auch im Hunsrück und Ruhrpott gebräuchliche  Entsprechung „Pänz“ (von lat. „pantex“, = Wanst, dicker Bauch; ursprünglich mit negativem Beiklang für gierige, unleidliche Kinder) ersetzt hatte.

Nachklapp b: Die KHS Großer Griechenmarkt

Wie oben schon beiläufig erwähnt pflegt die heutige Katholische Hauptschule am Großen Griechenmarkt in Köln liebevoll das Andenken an Heinrich Welsch und ,sein‘ Lied. Ich kenne weder die Schule noch ihre Lehrkräfte und auch niemanden von der Schülerschaft. Aber auf ihrer Homepage habe ich mir ihr Schullied angesehen, das als Gemeinschaftsprodukt von Dietmar Kolvenbach, eines Musiklehrers, der Bläck Fööss und von Hans Knipp[9] entstanden ist. Darin wird freimütig eingeräumt, dass der Alltag einer Hauptschule nicht immer einfach ist, aber dass die Menschen, die sich dort Tag für Tag einfinden, froh und stolz darauf sind, einen Ort zu haben, wo sie ein Stück weit zu Hause sind. Das klingt doch nach dem echten Lehrer Welsch und imponiert mir sehr!

Nachklapp c: Albträume

Seit ich am Beitrag zu diesem Karnevalslied arbeite, sucht mich jede Nacht der gleiche Albtraum heim: Ich verfolge am Fernseher eine Bundestagssitzung. Zuerst fokussiert die Kamera einen Mann am Rednerpult, der dies & das sagt, woran ich mich nicht erinnern kann. Aber dann fragt er mit viel Pathos: „Meine Damen und Herren, bitte sagen Sie mir doch endlich einmal klipp und klar, ob die Maskenpflicht der Volksgesundheit langfristig nutzt oder schadet!“ In diesem Moment schwenkt die Kamera auf die Regierungsbank, wo Kanzler und Kabinettsmitglieder mit ernster Miene ihre Häupter wiegen. Ein neuerlicher Kameraschwenk rückt die voll besetzten Ränge der Abgeordneten ins Bild, die wie auf Kommando zu schunkeln beginnen und fröhlich singen:

Nä, nä dat wesse mer nit mih,
janz bestemp nit mih
un dat hammer nit studeet.
Denn mer wore beim Lehrer Welsch en d’r Klass
un do hammer sujet nit jelihrt.
Ävver, ävver, ävver dreimol Null es Null, es Null,
denn mer woren en d’r Kayjass en d’r Schull;
dreimol Null es Null, es Null,
denn mer woren en d’r Kayjass en d’r Schull.

 Hans-Peter Ecker, Bamberg

Literatur:

Viele einschlägige Wikipedia-Artikel und sonstige Internetseiten zum Lied, den darin erwähnten Lokalitäten, Institutionen und historischen Sachverhalten sowie seinen diversen Interpreten.


[1] Wer eine Übersetzung braucht, findet sie unter lyricstranslate.com. Das Lied ist im Laufe der Zeit von vielen Musikgruppen gecovert worden, insofern existiert eine beachtliche Menge dialektaler Varianten. Ich habe mich weitgehend dem Wortlaut bzw. den Schreibweisen angeschlossen, die auf der homepage der KHS Großer Griechenmarkt abgedruckt sind, wobei ich mir dachte, dass die Leute dort an diesem Lied einfach ,am dichtesten dran‘ sind – sowohl räumlich als auch lebensweltlich.

[2] Wer hat die Fensterscheibe einschlagen? Wer hat die Mülltonne versteckt? Wer hat dem Hund die Dose an den Schwanz gebunden?

[3] ,Die drei Lachtauben‘. Diese Straßensängertruppe bestand aus dem Texter unseres Songs, Will Herkenrath, Hermann Kläser (Komposition) und Heinz Jung.

[4] ,Die vier Hosen‘ (Auftritte zwischen 1933 und 1961), Gründungsmitglieder: Hans Süper senior, Hans Philipp „Fibbes“ Herrig, Gerhard „Grätes“ Böckem und Ferdinand „Fänand“ Vossenberg. Nach dem Krieg machte Süper die Formation mit Richard Engel, Jakob Ernst und Hans Philipp Herrig richtig erfolgreich.

[5] Zu deren Adresse(n) übrigens – an einem Seiteneingang – die Hausnummer „Kaygasse 1“ gehörte und nicht die „Null“, die sich aber eindeutig besser auf „Schull“ reimt und außerdem zur vorgeblich dort gelehrten und verinnerlichten Lebensweisheit passt:  „dreimol Null es Null, es Null“ …

[6] Vgl. Konrad Beikircher: Das Kabarett in NRW. In: Musenblätter (Abruf am 1.2.2022).

[7] Vgl. zu diesem Thema auch Fredl Fesls Lied Schulmeisterei.

[8] Die sog. ,Kölner Narrenrevolte‘ von 1935 gegen die Gleichschaltung, in ihrer politischen Zielsetzung ohnehin ein sehr bescheidenes Unterfangen, war 1938 schon sprichwörtlich Schnee von gestern.

[9] Berühmter Kölner Komponist und Mundartdichter, vgl. z.B. hier im Blog von ihm das Lied Mer losse d’r Dom en Kölle.

Rheinische Freundschaftshymne, nicht nur für den Karneval: „Echte Fründe“ von den Höhnern

De Höhner

Echte Fründe

Echte Fründe ston zesamme,                                      (1)
ston zesamme su wie eine Jott un Pott
Echte Fründe ston zesamme,
eß och ding Jlöck op Jöck un läuf dir fott.
Fründe, Fründe, Fründe en der Nut,                              (5)       
jon´er hundert, hundert op e Lut.
Echte Fründe ston zesamme,
zu wie ene Jott un Pott.

Do häß Jlöck, Erfolg un küß zo Jeld.
Dich kennt he op eimol Jott un alle Welt.                       (10)
Minsche, die dich vörher nit jekannt
kummen us de Löcher anjerannt,
un sin janz plötzlich all met dir verwandt.

Echte Fründe ston zesamme
ston zesamme su wie eine Jott tun Pott                          (15)
Echte Fründe ston zesamme
eß och ding Jlöck op Jöck un läuf dir fott
Fründe, Fründe, Fründe en der Nut
jon´er hundert, hundert op e Lut
Echte Fründe ston zesamme,                                      (20)
su wie ene Jott un Pott.

Do häß Pech, et jeit dr Birsch erav,
Verjesse eß all dat wat do bisher jeschaff.
Minsche, die dich vörher jot jekannt
jevven dir noch nit ens mih de Hand.                            (25)
Jetz sühs do, wä met Rääch sich Fründ jenannt.

Echte Fründe ston zesamme
ston zesamme su wie eine Jott un Pott
Echte Fründe ston zesamme
eß och ding Jlöck op Jöck un läuf dir fott                      (30)
Fründe, Fründe, Fründe en der Nut
jon´er hundert, hundert op e Lut
Echte Fründe ston zesamme,
su wie ene Jott un Pott.

     [De Höhner: FC Leed/Echte Fründe. Odeaon 1986.
     Textquelle: Kölsch Wörterbuch; in Zeile vier habe ich es mir erlaubt,
     auf den Rat eines Dialektologen hin aus „dih“ ein „ding“ zu machen,
     außerdem waren einige offensichtliche Druckfehler zu korrigieren.]

Vorbemerkung:

Für jemanden, der im oberrheinischen Fastnachtsgeschehen sozialisiert wurde, ist es naturgemäß nicht ganz einfach in kölsche Karnevalsgefilde vorzudringen. Dazu braucht es Neugier, Mut und eine Portion Gottvertrauen, dass die native jecks aushelfen, wenn es wo an sprachlicher oder mentaler Kompetenz hapert. Ansonsten gibt es glücklicherweise das Rheinische Wörterbuch, neuerdings sogar in digitalisierter Form, um einige Verständnisprobleme schon mal vorab zu lösen.

Nachdem ich im letzten Jahr zum Rosenmontag an dieser Stelle Ernst Negers Humba Täterä kommentiert habe, scheint es mir nun nur ein Gebot der Fairness, das Liedgut einer anderen deutschen Narrenhochburg zum Thema zu machen. So leicht mir die Entscheidung für den genannten Mainzer Titel gefallen war, so schwer fiel mir die Auswahl in diesem Falle – eigentlich verdankt sie sich nur einer Reihe belangloser Zufälle. Mindestens 10 weitere Titel hätten sich für mich ebenso angeboten. Am Ende sind es die Echten Fründe der Höhner nur deshalb geworden, weil man darüber bei einer schnellen Recherche so wenig Greifbares erfährt und mein Beitrag die Chance bietet, verstreutes Wissen zusammenzutragen. In diesem Sinne bitte ich (speziell die Kölner, gewissermaßen von Domstadt zu Domstadt) ausdrücklich, von der Kommentarfunktion in diesem Blog regen Gebrauch zu machen.

Dann endlich zur Sache: Alaaf!

Vielleicht ist das „Alaaf!“ schon ganz falsch. In der Tat habe ich nicht herauskriegen können, ob Echte Fründe ursprünglich überhaupt für eine Karnevalskampagne produziert worden ist. Immerhin bin ich im Netz auf das Angebot einer Vinyl-Single des Labels „Odeon“ gestoßen, die am 1. Januar 1986 auf den Markt gekommen ist und die auf ihrer B-Seite unsere Freundschaftshymne aufweist. Damit wären wir immerhin in der ,fünften Jahreszeit‘ und hätten ein gewisses Indiz für einen Karnevalsschlager. Aber möglicherweise gab es den Titel ja schon wesentlich früher. Auf der A-Seite findet man übrigens einen anderen Schlager, dessen Karnevalsbezug allenfalls indirekt herzustellen ist: FC Leed (FC Kölle); „indirekt“ wäre so zu interpretieren, dass – zumindest aus süddeutscher Perspektive – beim 1. FC Geißbock permanent Karneval angesagt ist, närrisches Treiben sozusagen zur Identität des Clubs gehört. Wie auch immer: Beide Titel der Single sind für Kölner sicher ebenso gut im Fußball- wie im Karnevalskontext verwendbar.

Ob Echte Fründe nun von Anfang an als Karnevalsschlager intendiert war oder nicht – der Titel hat inzwischen seinen festen Platz im deutschen Karneval gefunden, weit über Köln hinaus. Für seine Qualität spricht m.E. auch der Umstand, dass sich heute gar nicht mehr ohne intensivere Rechercheanstrengung feststellen lässt, ob das Lied sich aus der Narrenszene den Weg ins allgemeine ,Volksgut‘ gebahnt hat oder ob es – umgekehrt – vom Fußball-Fangesang bzw. allgemeinen Stimmungslied auch zu einem beliebten Karnevalslied geworden ist. Übergänge dieser Art sind übrigens für viele großen Karnevalshits typisch. (Vgl. auch hier meine letztjährigen Ausführungen zum Humba.)

Die Kölner Band „Höhner“ wurde schon 1972 gegründet; damals nannte sie sich noch „Ne Höhnerhoff“, trat in Federkostümen auf, gackerte auf der Bühne und begeisterte ihre Fans mit Karnevalsliedern wie Scheiß ejal, ob do Hohn bess oder Hahn (1974). (Vermutlich hätte ich hier sogar diesen Titel besprochen, wenn mir eine ordentliche Textversion davon zugänglich gewesen wäre. Ja, das war ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Höhner-Fans!) 1986, zum derzeit mutmaßlichen Produktionsdatum von Echte Fründe, hatte sich das Personal der inzwischen zu Ruhm gekommenen Band schon ebenso verändert wie ihr Name, der damals „De Höhner“ lautete. (Im folgenden Jahr strich man dann noch das „De“; vgl. dazu ausführlicher den einschlägigen Wiki-Artikel. http://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6hner)

Im Großen und Ganzen ist der Sinn des Liedes klar, auch wenn man kein Sprecher kölscher Mundart ist. Drei Refrainstrophen preisen den Wert „echter“ Freunde, die auch dann noch zu einem stehen, wenn man in Not ist und sie wirklich braucht. Dazwischen eingelagert finden sich zwei – kontrastiv angelegte – Textstrophen, die das Verhalten ,falscher‘ Freunde in Glück und Leid schildern; wenn es einem gutgeht, kommen diese Zeitgenossen zu Hauf aus ihren Löchern gekrochen. Genauso schnell verdrücken Sie sich aber, wenn sich unser Glück davonmacht und uns das Pech an den Händen klebt. So wenige Verständnisprobleme die Struktur des Textes und seine zentrale Botschaft aufwerfen, so schwierig lesen sich für Dialektfremde manche Begriffe, Formulierungen und Bildvorstellungen. Ein Blick in Fan-Foren zeigt, dass hier durchaus Aufklärungsbedarf besteht.

Gleich in Zeile 2 findet sich die Vergleichsformel „wie eine Jott un Pott“; dass damit etwas Analoges zur hochdeutschen Redewendung von „Pech und Schwefel“ gemeint ist, steht außer Frage. Die Formel „Jott un Pott“ ist im Rheinischen Wörterbuch belegt, also im kölschen Dialekt schon lange gebräuchlich. Leider erklärt das Lexikon nicht den Sinn der Bildvorstellung, die sich mir nicht erschließen konnte, bis mir ein Bekannter vom Niederrhein folgende Erklärung gab: „Jott un Pott“ verkürzt als lautlich eingängig-knackige Formel eine Vorstellung, die man umständlicher so umschreiben könnte, dass eng verbundene Menschen gemeinsam zum selben Gott beteten und zusammen aus einem Topf äßen. Ein anderer Mundartexperte, den ich hinzugezogen habe, bezweifelt indes diese Hypothese und meint, dass „Jott“ nicht unbedingt „Gott“ bedeuten müsse, sondern irgendein Küchenutensil (Deckel, Schöpfkelle oder etwas in dieser Art) bezeichnen könne, das viel besser zu „Pott“ passe als ausgerechnet „Gott“. Er wird dieser Sache noch nachgehen …

Zeile 4 stellt mit „Jlöck op Jöck“ schon das nächste Verständnisproblem, das aber sofort verschwindet, wenn man sich „Jöck“ als „Reise“ oder „Wanderschaft“ übersetzen kann. Geht einem sein Lebensglück auf Reisen, dann steht man von allen guten Geistern verlassen da und ist in Not („Nut“). Nun wäre man auf gute Freunde angewiesen, macht dabei aber nur allzu oft die Erfahrung, dass derer in dieser Situation ,hundert auf ein Lot gehen‘. Der Text formuliert in Zeile 6 „jon’er hundert, hundert op e Lut“. „Jon’er“ ist eine Verkürzung von „gehen ihrer“; um die hohe Zahl zu betonen, wiederholt sie der Sänger, indem er noch einmal zu seinem Gedankengang ansetzt. Ein Lot ist eine sehr kleine alte Gewichtseinheit, wir erinnern uns vielleicht an den Mus-Kauf des tapferen Schneiderleins … Nun wird also gesagt, dass von den ,Freunden in der Not hundert aufs Lot gehen‘. Wir können uns diese etwas paradoxe Formulierung, die auch im Sprichwortschatz geläufig und dem Lied vorgängig ist, vielleicht so erklären, dass die „Masse“ der Freunde, die einem in der Not bleiben, so minimal ist, dass man sie leicht mit einer großen Zahl multiplizieren kann, ohne dass am Ende ein nennenswertes Gewicht herauskommt. Ins Alltagsdeutsch übersetzt: echte Freunde, auf die man sich auch in der Not verlassen kann, sind sehr, sehr selten (und insofern auch entsprechend kostbar).

Damit sollten die wesentlichen Verständnisprobleme, die der Dialekt aufwirft, geklärt sein; „et jeit dr Birsch erav“ (es geht den Berg hinab), „nit ens mih“ (nicht einmal mehr), „sühs do“ (siehst du) oder „met Rääch“ (mit Recht) sind allenfalls noch kleinere Herausforderungen.

Nachbemerkung: ein Paradox

Ich schließe mit einer Beobachtung und einer Überlegung zur Performanz (vgl. Austins Sprechakttheorie) dieses Liedes. Bei mehreren Anlässen – sowohl karnevalistischer als auch anderer Art – hatte ich Gelegenheit, Menschenmassen dabei zu beobachten, wie sie dieses Lied mit einiger Ergriffenheit gemeinsam sangen. Sie bekannten sich damit, so deute ich mir jedenfalls diese Situationen, gemeinsam zu dem hohen Wert echter Freundschaft und fühlten sich beim ,gemeinsamen Vollzug‘ dieses inbrünstig zelebrierten Bekenntnisses auch untereinander durchaus in ,echter Freundschaft‘ verbunden. Ich möchte aber unterstellen, dass bei solchen Gelegenheit die Reflexion darauf, dass man sich bei den entsprechenden Anlässen in Situationen eines ausgesprochen ,guten Lebens‘ (vgl. Hans-Peter Ecker [Hg.]: Orte des guten Lebens. Würzburg 2007) befand, in denen sich, wenigstens dem Lied der Höhner zufolge, „echte Fründe“ gerade nicht erweisen können, weitgehend ausgespart bleibt.

 Hans-Peter Ecker, Bamberg

PS. Auf Echte Freunde von KrawallBrüder gehe ich hier nicht mehr ein, da deren Lied einer anderen Argumentationslinie folgt.