Der deutsche Dylan? Zu Ringsgwandls „Nix mitnehma“
17. September 2012 Hinterlasse einen Kommentar
Bob Dylan Gotta Serve Somebody You may be an ambassador to England or France You may like to gamble, you might like to dance You may be the heavyweight champion of the world You may be a socialite with a long string of pearls But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed You’re gonna have to serve somebody Well, it may be the devil or it may be the Lord But you’re gonna have to serve somebody You might be a rock ’n’ roll addict prancing on the stage You might have drugs at your command, women in a cage You may be a businessman or some high-degree thief They may call you Doctor or they may call you Chief But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...] You may be a state trooper, you might be a young Turk You may be the head of some big TV network You may be rich or poor, you may be blind or lame You may be living in another country under another name But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...] You may be a construction worker working on a home You may be living in a mansion or you might live in a dome You might own guns and you might even own tanks You might be somebody’s landlord, you might even own banks You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...] You may be a preacher with your spiritual pride You may be a city councilman taking bribes on the side You may be workin’ in a barbershop, you may know how to cut hair You may be somebody’s mistress, may be somebody’s heir You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...] Might like to wear cotton, might like to wear silk Might like to drink whiskey, might like to drink milk You might like to eat caviar, you might like to eat bread You may be sleeping on the floor, sleeping in a king-sized bed You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...] You may call me Terry, you may call me Timmy You may call me Bobby, you may call me Zimmy You may call me R.J., you may call me Ray You may call me anything but no matter what you say You’re gonna have to serve somebody, yes indeed [...] [Bob Dylan. Slow Train Coming. Special Rider Music 1979. Text nach bobdylan.com.]
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Georg Ringsgwandl Nix mitnehma Hey, du konnst Ministerpräsident sei von am Staat, der im Rüstungsgschäft prozentual die Finger hot. Du konnst Kardinal sei, schee feierlich und fett, oder frommer Pfarrer, Zölibat und Doppelbett. des konnst do net mitnehma, naa, des konnst du net mitnehma. Jammert no Teife, frog an liabn Gott, und der sogt nix mitnehma! Hey, du konnst ein Sportler sei, du hoitst di fit mit Isostar, oder du bist ein fauler Hund und flackst nackert an der Isar. Du konnst Börsenschwindler sei, mit Immobilien in da Schweiz, oder Hausbesitzerin, zafressn fast vom Geiz, do konnst du nix mitnehma, naa, do konnst du nix mitnehma. Frog amoi an Teife, jammert zum liabn Gott, und der sogt: hey, nix mitnehma! Da oane trinkt aus da Moccatass, da anda ausm Humpn, da oane geht in Seide, da anda geht in Lumpn, da oane, der frißt hartes Brot, da anda Kaviar, da oa fahrt mit dem Radl, und da anda Jaguar, doch den derf er net mitnehma, naa, den derf er net mitnehma, und er winselt zwar zum Deife, und er jammert zum liabn Gott, doch der sogt: hey, net mitnehma! Hey, du konnst Experte sei für Panzer oder Flak, oder drahst jedn Pfenning um und bist a geizigs Gnack. Hey, du konnst im Superschwergewicht Boxweltmoasta sei, oder hast an Würschtlstand draußd in Berg am Laim, doch den derfst du net mitnehma, naa, den derfst du net mitnehma, frog amoi an Deifi, frog an liabn Gott, net mitnehma! Du kannst technisch fit sein, zum Beispiel Ingenieur, oder Menschenkenner, Psychologe oder Friseur, Hey, du kannst ein Popstar sein mit drei goldenen LP, oder Fernsehquizmaster mit einem teuren Toupet, doch des derfst du net mitnehma, naa des derfst du net mitnehma, wuislt nur zum Deife, winselt zum liabn Gott, und der sogt: Na, net mitnehma! Hey, du konnst ein Bäcker sei, der guate Brezn backt, oder bist ein Metzger, der fette Dreckssei schlacht, ja du konnst ein Säufer sei, im Mantl a Flaschn Sprit, oder Zeuge Jehova, Mormone oder Schiit, do konnst du nix mitnehma, naa, do konnst du nix mitnehma, jammert nur zum Deifi, bettelt an liabn Gott, und er sogt: Nix mitnehma! [Ringswandl. Trulla! Trulla! Trikont 1989. Text gemäß http://www.ringsgwandl.com: http://www.ringsgwandl.com/text15.htm.]
Dass Bob Dylan tatsächlich zu den einflussreichsten Künstlern der letzten (fünf!) Jahrzehnte gehört, erkennt man auch an den zahlreichen Bemühungen deutschsprachiger Musiker, sich seine Lieder in eigener Sprache anzueignen. Wer hat sich da nicht alles versucht: Wolfgang Niedecken ließ als „Südstadt-Dylan“ selten eine Möglichkeit verstreichen, Lieder wie My Back Pages oder Leopard-Skin Pill-Box Hat als Vill passiert sickher und Leopardefellhoot kölsch zu singen, Wolfgang Ambros gestaltete mit Übersetzungen ins Wienerische, z.B. mit Allan wie a Stan (Like A Rolling Stone), I bin’s ned (It Ain’t Me Babe) und Denk ned noch (Don’t Think Twice), ein ganzes Album (Wia im Schlaf. Bellaphon 1978) und Wolf Biermann ist von seinen eigenen Leistung an der Lyrik Dylans so begeistert, dass er es gar nicht verwunderlich fände, wenn dieser bei ihm klingeln würde (vgl. Interview im Spiegel 42/2003), um ihn eventuell mit einer Schachtel Pralinen oder Blumen in der Hand voller Dankbarkeit an sein Herz zu drücken. Selbst der über solch selbstgerechte Dylan-Epigonen spöttelnde Satiriker Wiglaf Droste konnte der Versuchung nicht widerstehen (Muse feife inne Wind). Auch Georg Ringsgwandl bemächtigte sich eines Dylan-Songs: Nix mitnehma von 1989 ist ein Cover von Gotta Serve Somebody.
Das Original erschien 1979 als erster Track auf Slow Train Coming, einem frömmelnden Konzeptalbum, das den Bekehrungsweg bei der „Erkenntnis schlechthinniger Abhängigkeit“ (Heinrich Detering: Bob Dylan. Stuttgart: Reclam 2007, S. 150) beginnen lässt. Die offensichtliche Botschaft des Textes: Egal, was du machst, du musst irgendjemandem dienen, dem Teufel oder – wie mit den nachfolgenden Nummern immer erkennbarer wird: – Gott. Dylan konvertierte in jener Zeit zum Christentum und wurde Anhänger der Born-again-Bewegung. Der Wandlungskünstler verstörte die Öffentlichkeit mit einem neuerlichen Dreh, er konnte wiederum mit einem Haufen Kritiker rechnen, unter ihnen ein sich betont atheistisch gebender John Lennon, der kurz vor seinem Tod mit Serve Yourself antwortete. Während Dylan voller missionarischem Eifer schrieb und sang, machte sich Lennon über religiöse Sinnsuche lustig. Man könnte fast sagen, dass sich Ringsgwandl – einige Jahre verspätet – in eben diesen Diskurs einmischte und dabei eine Art Kompromiss fand: Nix mitnehma basiert musikalisch und auch textlich auf Gotta Serve Somebody, lässt aber keinen missionarischen Eifer erkennen, sondern ähnelt in manchen Zeilen eher Lennons „Well, you may believe in Jesus, and you may believe in Marx, / and you may believe in Marks and Spencer´s and you maybe believe in bloody Woolworths“. Etwa wenn es heißt: „ja du konnst ein Säufer sei, im Mantl a Flaschn Sprit/ oder Zeuge Jehova, Mormone oder Schiit“.
Bei Ringsgwandl geht es nicht ums Dienenmüssen, sondern ums Nichtsmitnehmenkönnen. Von allen Ergebnissen weltlichen Strebens wird man nach dem Tod nichts mehr haben, schon gar nicht vom Geld. Alles ist vergänglich. Was im Original zur Frömmigkeit führt, bleibt bei dieser „hinterfotzige[n] Cover-Version“ (Franz Kotteder: Georg Ringsgwandl. Rock vom Doc. Berlin: Links 1996, S. 63) eher eine „dunkel-drohende Warnung vor dem Gleichmacher Tod für alle, die glauben, sie müssten anderen Vorschriften machen, und gleichzeitig ein tröstendes Schlaflied für alle Underdogs, die unter den Mächtigen leiden müssen“ (ebd.). Die Auflistung dessen, was man auf Erden alles sein kann, basiert dabei an manchen Stellen direkt auf Dylans Vorlage (etwa: „da oane geht in Seide, da anda geht in Lumpn, / da oane, der frißt hartes Brot, da anda Kaviar“), ist mehrheitlich aber frei gestaltet. Der „preacher with […] spiritual pride“ erscheint hier kirchenkritisch verwandelt als „Kardinal […], schee feierlich und fett“ oder als „frommer Pfarrer, (mit) Zölibat und Doppelbett“, also einer gewissen Doppelmoral. Der „city councilman taking bribes on the side“ funktioniert im Bairischen satirisch als „Ministerpräsident […] von am Staat, / der im Rüstungsgschäft prozentual die Finger hot“. Überhaupt richtet sich der Sprecher verstärkt an bzw. gegen Menschen, die man alltagssprachlich Materialisten nennt, die raffen und „jedn Pfenning“ umdrehen, an den „Börsenschwindler […] mit Immobilien in da Schweiz“ sowie die „Hausbesitzerin“ – wiederholt geht es um „Geiz“. Reichtum und Habsucht dominieren so manchen Lebensentwurf, und das obwohl doch klar ist: Es ist alles eitel. Weder der „Jaguar“ noch der „Würstlstand in Berg am Laim“, weder die „drei goldenen LP“ noch irgendetwas anderes – nichts hat über den Tod hinaus Bestand.
Wenn Dylans auf religiöse Unterwürfigkeit verengte Vorlage angesichts der stetigen Wiederholung des „you may be“ u.a. als „democracy in sonic action“ (Stephen H. Webb: Dylan Redeemed. From Highway 61 to Saved. London: Continuum 2006, S. 90) bezeichnet werden konnte, kann Entsprechendes über Ringsgwandls Lied vom Gleichmacher Tod und dessen „du konnst“-Strophen sicherlich mit noch größerer Berechtigung gesagt werden. Verschiedene – auch weniger auf Geld ausgerichtete – Lebensentwürfe werden genannt: Neben „Ingenieur“ wäre auch der Beruf „Psychologe“ oder „Friseur“ zu ergreifen, ebenso gibt es „Bäcker“ und „Metzger“. Es besteht die Möglichkeit, aus der „Moccatass“ zu trinken, oder aus dem „Humpn“. Man kann „mit dem Radl“ fahren oder „nackert an der Isar“ liegen. All das ist möglich, alles ist gleichrangig, aber eben auch gleich vergänglich: beim „Sportler“ und beim „Superschwergewicht Boxweltmoasta“ vergeht die Fitness, beim „Popstar“ und beim „Fernsehmoderator“ vergeht der Ruhm. Umso lächerlicher vielleicht die Versuche, sich mit „Isostar“ oder „mit einem teuren Toupet“ gegen die Zeit zu stellen.
Fünf Jahre nach Slow Train Coming gab Dylan zu Protokoll, dass es ihm keine Freude gemacht hätte, Lieder wie Gotta Serve Somebody zu schreiben, „[b]ut I found myself writing these songs“. Dabei räumte er ein: „I wanna piss off people once in a while“. (Interview durch Bono Vox 1984) – was ihm 1979 zumindest mit den Texten gelang; Gotta Serve Somebody brachte ihm aber auch einen Grammy für „Best Rock Vocal Performance by a Male“. Ringsgwandls Nix mitnehma wurde mehrheitlich gelobt, gewann etwa den „Jahrespreis der Liederbestenliste“ (1989) und entwickelte sich allgemein zu einem seiner bekanntesten Stücke. Dass das Lied zu dem gelungenen deutschsprachigen Dylan-Covern gezählt werden kann, hat wohl wesentlich damit zu tun, dass hier nicht einfach Zeile für Zeile übersetzt ist, ohne dass eigene Akzente gesetzt werden. Nicht alle oben angesprochenen Versuche sind so frei, hier aber erscheint das Cover als eine ambitionierte Weiterentwicklung des Originals. Entsprechend verprellte es keine Fans, sondern machte den „singenden Oberarzt“ bekannter. Das, was die Lebensentwürfe sowie letztlich auch die Weltanschauung anbelangt, „eingedeutschte“ Dylan-Lied kam beim deutschen Publikum gut an.
Martin Kraus, Bamberg