Niedlicher Hausdämon mit verdächtigem Säcklein: „Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann“ (Des Knaben Wunderhorn, 1808)

Für den Karl aus München

Anonym

Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann

Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann
In unserm Haus herum, dideldum,
Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann
In unserm Haus herum.

Er rüttelt sich, er schüttelt sich,
Er wirft sein Säckchen hinter sich.
Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann
In unserm Haus herum.

Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann [...]

Er wirft sein Säcklein her und hin,
Was ist wohl in dem Säcklein drin?
Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann
In unserm Haus herum.

Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann [...]

Er bringt zur Nacht dem guten Kind
Die Äpfel, die im Säcklein sind.
Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann
In unserm Haus herum.

Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann [...]

Er wirft sein Säcklein hin und her,
Am Morgen ist es wieder leer.
Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann
In unserm Haus herum.

     [Text nach: www.deutschland-lese.de]

1. Der Bi-Ba-Butzemann für kleine Kinder

Das Lied vom Bi-Ba-Butzemann gehört zu den Gesängen in deutscher Sprache, die mich mit einiger Sicherheit weder traumatisiert noch inspiriert haben, obwohl es mir bestimmt schon in früher Kindheit begegnet ist und von einem Kinderschreck handelt. Denn ein solcher ist er ohne Zweifel, der Butzemann, ein Vetter von Pumuckl, der Kleinen Hexe und Shakespeares Hobgoblin Puck, Neffe vom Schwarzen Mann und Nachtkrapp bzw. auch – wenn man die Genealogie noch ein bisschen weiter in finstere Vorvergangenheiten verlängert – einer der zahlreichen Urenkel des Gehörnten persönlich. (Hartgesottene Fans von Kickers Offenbach sind übrigens fest davon überzeugt, dass die Fraa Rauscher aus de Klappergass[1] seine Tante wäre und sich im Säcklein durchaus Äpfel, allerdings in flüssiger Form befänden…)

Da wir das alles aber nicht wirklich wissen, lassen wir diese Verwandtschaftsfragen offen und stellen nur fest, dass sich der von Achim von Arnim, Clemens Brentano und den meisten ihrer Nachfolger peu à peu kanonisierte Liedtext redlich Mühe gibt, Butzemanns zwielichtige Versippung zu vertuschen. Da gibt es z.B. diese stotternde Anlautung (Linguisten würden hier von einer ,partiellen Reduplikation mit Scheinablaut‘ sprechen),[2] die alles Grausliche zuverlässig entschärft, indem sie es ins Infantile zieht (ich erinnere nur an Schni-Schna-Schnappi, das kleine Krokodil!), die fröhliche Interjektion „dideldum“[3] oder das mit Äpfeln für brave Kinder gefüllte Säcklein, das den Hausdämon als nebenberuflichen Weihnachtsmann erscheinen lässt.

Womöglich noch verbliebene Reste von Traumatisierungspotential werden der Erzählung vom Butzemann dann vom Kindergartenpersonal ausgetrieben, das die Mini-Ballade im Normalfall als Bewegungsspiel inszeniert, wobei es dessen Charakter wahlweise sportlich oder künstlerisch anlegt. Im ersten Fall organisiert man den Rollenwechsel zwischen ,Butzemann‘ und seinem vom Säcklein bezeichneten Nachfolger aus dem Kinderkreis als Fangspiel. Für ängstlichere Gemüter mit schlecht versichertem Mobiliar empfiehlt sich eine ausdruckstänzerische Performance, für die das folgende Video interessante Choreographie-Vorschläge anbietet:

2. Der Bi-Ba-Butzemann für größere Kinder

Dass man mit dem Bi-Ba-Butzemann auch noch größere Kinder spannend und lustig unterhalten kann, demonstriert der vielfach preisgekrönte Spezialist für Kinderlieder Rolf Zuckowski mit seiner Truppe. Dafür muss man nur das Gruselpotential der Geschichte durch Lichteffekte, Kostüme, Pantomimik und musikalisches Arrangement leicht verstärken und schon hat man einen witzigen Programmpunkt für eine Halloween-Feier in einer Internatsschule oder bei einer Skifreizeit …

3. Der Butzemann für Horror-Freaks

Auf dem bereits von Zuckowski eingeschlagenen Weg müsste man noch ein gutes Stück (sagen wir ungefähr 21,0975 Kilometer, was dann ein Halbmarathon wäre) weitermarschieren, um zu Heavy Metal-Versionen des Titels zu kommen, die dann netten Kindergärtnerinnen wirklich das Blut in den Adern gefrieren lassen können. (Ich behaupte das jetzt einfach mal so in völliger Unkenntnis vom tatsächlichen Musikgeschmack heutiger Kindergärtnerinnen.) Für ihre einschlägigen Auftritte pflegen sich die Musiker mit den passenden Masken – Freddy Krueger, Jigsaw, Ghostface etc. – auszustatten und im Liedtext das „Bi-Ba“ vor dem Butzemann wegzulassen. Das „Bi-Ba“ scheint jeden Horror- bzw. Metal-Effekt zuverlässig zu ruinieren. Ich verzichte hier auf Demonstrationsvideos und vertraue voll auf die Vorstellungskraft der geschätzten Leser. Uahhh! Wrooah! Rack![4] Gnizp![5]   

Exkurs: Der Bogeyman

Das angelsächsische Pendant zum Butzemann heißt ,Bogeyman‘ (auch unter Namen wie Boogieman, Boogie Monster oder Boogie Woogie umherspukend) und dient Erwachsenen vornehmlich dazu, unartigen Kindern ihr unartiges Verhalten auszutreiben. Außerdem berufen sich Golfer gerne auf ihn, wenn ihnen ein Schlag daneben geraten ist, so dass sie ein Loch über Par spielen. Optisch sind die Bogeymen – es gibt davon mehrere Untergruppen, harmlosere und schlimmere! – mit spitzen Zähnen und langen Krallen ausgestattet. Außerdem sind sie zumeist geschwänzt, wohingegen ihnen jegliches Säcklein abgeht. Die netteren Bogeyman schützen Unschuldige, die richtig schlimmen klauen sogar böse Kinder und verspeisen diese gegebenenfalls.

Leider arbeitet die neuere Kinder(lied)literatur mit beträchtlichem Erfolg daran, der Elternschaft die Drohkulisse des Bogeyman aus den Händen zu winden und sie damit eines ihrer wirksamsten erzieherischen Instrumente zu berauben. Ein Beispiel für diese subversiven Bemühungen ist das bereits auf die Vorkriegszeit zu datierende Lied von Henry Hall Here Comes The Boogeyman:

The B.B.C. Dance Orchestra (Leitung: Henry Hall, Gesang: Val Rosing)

Hush, Hush, Hush, Here Comes The Bogey Man

Children, have you ever met the bogey man before?
No, of course you haven't for you're much too good I'm sure
Don't you be afraid of him if he should visit you
He's a great big coward so I'll tell you what to do

Hush hush hush, here comes the bogey man
Don't let him come too close to you, he'll catch you if he can
Just pretend that you're a crocodile 
and you will find the bogey man will run away a mile

Say shoo shoo and stick him with a pin
Bogey man will very nearly jump out of his skin
Say buzz buzz just like the wasp that stings
Bogey man will think you are an elephant with wings

Hush hush hush, here comes the bogey man
Tell him you've got soldiers in your bed
For he will never guess that they are only made of lead

Say hush hush, he'll think that you're asleep
If you make a lovely snore, away he'll softly creep
Sing this tune, you children, one and all
Bogey man will run away, he'll think it's Henry Hall!

When the shadows of the evening creep across the sky
And your mummy comes upstairs to sing a lullaby
Tell her that the bogey man no longer frightens you
Uncle Henry's very kindly told you what to do

Hush hush hush, here comes the bogey man
Don't let him come too close to you, he'll catch you if he can
Just pretend your teddy bear's a dog 
And shout out „Fetch him teddy!" and he'll hop off like a frog

Say miaoow, he'll think that you're a cat
He'll think you may scratch him, that will make him fall down flat
Just pretend he isn't really there
You will find the bogey man will finish in thin air

Here's one way to catch him without fail
Just keep a little salt with you and pop it on his tail!

     [The B.B.C. Dance Orchestra: Teddy Bears' Picnic / Hush, Hush, Hush, Here Comes The Bogey Man. Columbia 1932.]

4. Der Bi-Ba-Butzemann für Erwachsene

Selbstverständlich zieht das Phänomen ,Bi-Ba-Butzmann‘ auch so manchen Erwachsenen in seinen Bann, wobei sein bereits abgehandeltes Schreckenspotential in diesem Abschnitt außen vor bleiben soll. Anzusprechen bleiben dessen ungeachtet immer noch drei komplexe Themenkreise bzw. Faszinationsfelder, die man eigentlich ausschweifend beackern müsste, aber im Rahmen dieses Blogs nur stiefmütterlich anreißen, ja im Grunde nur auflisten kann.

a) Die wissenschaftliche Erforschung des Gegenstands

Da gibt es zunächst das Vergnügen ernstzunehmender Wissenschaftler (Philologen, Musik- und Kulturwissenschaftlern, Dämonologen), die Genese, die Vertonungen und den Gehalt des Liedes zu erforschen und die Eingriffe diverser Bearbeiter bzw. Editoren zu rekonstruieren. Die wichtigsten Befunde einschlägiger Studien fasst Tobias Widmaiers Artikel im Historisch-kritischen Liederlexikon des Zentrums für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zusammen. Dort erfährt man u.a., dass die Herausgeber der romantischen Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn (1805-1808) für den ,Butzemann‘ Aufzeichnungen Jacob Grimms benutzt haben, an denen sie für ihre Zwecke dann noch ein bisschen herumfeilten, um den traditionellen ,Zuchtreim‘-Charakter des Liedleins zu entschärfen. Ich finde in diesem Zusammenhang übrigens die Vorstellung recht reizvoll, wie die Gründungsväter der Germanistik in jungen Jahren noch vor dem Butzemann gezittert haben mochten, bevor er von Brentano und von Arnim gewissermaßen weichgespült worden ist…

b) Die Sexualisierung des Gegenstands

Die historische Zurichtung des Butzemanns auf ein vergnügliches Tanzliedchen für Kleinkinder konnte indes nicht verhindern, dass dem Text eine andere Art von Brisanz zugewachsen ist, wie der bajuwarische Musik-Kabarettist Fredl Fesl in seiner Säcklein-fokussierten Interpretation herausarbeitet. In einer längeren Vorrede zu seinem musikalischen Vortrag warnt der vielfach preisgekrönte Künstler, dem die Menschheit übrigens auch die Erfindung der ,Schunkelhilfe‘ zu verdanken hat, sein Publikum wiederholt und nachdrücklich vor dem „schweinischen“ Charakter des vorgeblichen Kinderliedes, dessen Herkunft aus Des Knaben Wunderhorn eigentlich schon Warnung genug sein sollte…

c) Stilgeschichtliche Variationen

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind mehrere Vertonungen des Kinderliedes nachweisbar (zuerst, so Widmaier im Liederlexion, durch Wilhelm Taubert, 1847). Die heute am meisten verbreitete Variante kann auf 1914 datiert werden. Sie stammt von einem anonymen Komponisten, der für seine Version teilweise auf ältere Tonfolgen zurückgreift. Als wahrer Ohrwurm und auch in unterschiedlichen Arrangements jederzeit wiedererkennbare Melodie bietet sie sich zur Parodie musikalischer Stile und prominenter Künstlerpersönlichkeiten an. Im Unterschied zu prinzipiell vergleichbaren Musikstücken mit hohem Erkennungswert (Mozarts Kleine Nachtmusik, Volks- und Weihnachtslieder) besitzt das Butzemann-Lied durch seinen üblichen Verwendungskontext allerdings ein spezielles Komik-Potential, das Bastian Pusch und Andreas Speckmann bei ihrem Auftritt in der Münchener Drehleier (2017) bei ihrer Heino und Michael Jackson-Parodie entfalten:

d) Das Subversionspotential des Kinderliedes: Viva Bi-Ba-Butzemann!

Wie gerade im Hinblick auf parodistische Verwendungsweisen belegt, wirkt es komisch, dieses inzwischen überhaupt nicht mehr furchteinflößende Kleinkinderschreck-Lied mit ,ernsthaften‘ oder ,erwachsenen‘ Kontexten in Verbindung zu bringen. Es ist eine Basisstrategie von Komik, Erwartungshaltungen zu durchbrechen, indem man Menschen auf überraschende Weise mit Inkongruenzen, Schieflagen oder Regelbrüchen konfrontiert. Der ,Einsatz‘ des Butzemann-Liedes in sogenannten seriösen Situationen besitzt darüber hinaus eine spezielle Affinität zur Komik des Albernen, die darin besteht, dass einzelne Akteure einer konkreten, gemeinhin als ,ernsthaft‘ eingestuften Situation, deren Ernsthaftigkeit nicht anerkennen, sondern infantile Verhaltensweisen (Kichern, Blödeln etc.) praktizieren, die dezidiert nicht aggressiv sind und deshalb von den Situationsmächtigen (Lehrern, Polizisten, Autoritätspersonen, die den ernsthaft-erwachsenen Charakter der Situation bewahren bzw. wiederherstellen wollen) kaum zu bekämpfen sind. Hinterlistiger Weise ist albernes Verhalten auch noch ansteckend und reizt selbst Menschen zum Mitlachen, die eigentlich gegen ,das Gealbere‘ einschreiten wollen. Und wer sich nicht anstecken lässt, sondern Geduld und Nerven verliert, wirkt im Handumdrehen selber ,albern‘.

Eine interessante Verwendung hat der Bi-Ba-Butzemann in diesem Zusammenhang im Kampf der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung gefunden, die ihn auf ihren Demonstrationen in einer lautlich leicht veränderten, aber dem Original erstaunlich ähnlich klingenden Fassung – „Viva Puigdemont“ – mit Bezug auf ihren prominentesten Separationspolitiker als Kampflied anstimmte.[6]

Hans-Peter Ecker, Bamberg

Literatur:

Einschlägige Wikipedia-Artikel von „Bi-Ba-Butzemann“ über „Puigdemont“ bis zu „Reduplikation (Sprache)“.

Einschlägige You-Tube-Videos.

Hans-Peter Ecker: Der Zwerg reinigt die Kittel. Das Alberne als ästhetische Kategorie. In: Literatur und Ästhetik. Texte von und für Heinz Gockel. Hrsg. von Julia Schöll. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008, S. 67-74.

Historisch-kritisches Liederlexikon des Zentrums für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg.

Bernhard Hurch (ed.): Studies on Reduplication (= Empirical Approaches to Language Typology, 28). Berlin: Mouton de Gruyter, 2005.


[1] Dieses wunderbare Blog bietet dazu zufälligerweise einen passenden Artikel an: Lokalposse im Appelwoi-Milieu: „Die Fraa Rauscher aus de Klappergass“ […].

[2] Reduplikation ist ein in vielen Sprachen der Welt anzutreffendes linguistisches Phänomen, das viele Ausprägungen kennt und wichtige semantische Funktionen übernehmen kann. Zum Beispiel kommt das Indonesische mithilfe des Reduplikationsprinzips ohne spezielle Pluralformen aus. Andernorts werden durch Reduplikation bestimmte Vergangenheitsformen angezeigt. Im Hochdeutschen spielt Reduplikation eine vergleichsweise bescheidene Rolle und besitzt eine gewisse Affinität zur Kindersprache. Typisch für den Scheinablaut im Deutschen ist die Vokalfolge ,i‘ → ,a‘, die wir neben unserem ,Bi-Ba-Butzemann‘ auch in ,Ri-ra-rutsch‘, ,Flickflack‘, ,Mischmasch‘, ,Zickzack‘ usw. vorliegen haben.

[3] Kulturgeschichtlich einschlägig humoristisch etabliert, zum Beispiel im Mückentanz von Hoffmann von Fallersleben, mehrfach bei Wilhelm Busch oder als Titel einer frühen Comiczeitschrift für Kinder (1929-41). In der Frühform bei von Achim/Brentano übrigens noch schlicht „di dum“.

[4] Comicsprachlich: Kettengerassel.

[5] Comicsprachlich: Nervenzusammenbruch.

[6] Vgl. Artikel der SZ zum Katalonienkonflikt vom 13.4.2018 „Es tanzt ein Bi-Ba-Puigdemont“ (letzter Abruf am 11.1.2022).

Geschlecht und Sekret. Zu den Geschlechterrollen in Gerhard Schönes Kinderliedern „Der Popel“ und „Jule wäscht sich nie“

Zu den Pointen der gerade wieder aktuellen Debatte über Feminismus gehört es, dass oft ältere Männer (gelegentlich unterstützt von Frauen wie Birgit Kelle, deren Diskussionsniveau sich exemplarisch an ihrem Buchtitel Dann mach doch die Bluse zu ablesen lässt) einerseits Feministinnen vorwerfen, Frauen in eine Opferrolle zu drängen, andererseits aber mit großer Mühe meist rein fiktive Fälle konstruieren, in denen Männer Opfer einer imaginierten feministischen Hegemonie werden. Zu den jüngsten Beispielen zählen – erwartbar – Martin Walser und – überraschend – Rolf Zuckowski. Letzterer hat im Hamburger Abendblatt erlätert Warum ich mich um meine Lieder sorge. Er fürchte, dass seine Lieder, in denen regelmäßig das generische Maskulinum für alle Geschlechter verwendet wird, „bald als ’nicht mehr zeitgemäß‘ ins Abseits gedrängt, oder gar auf einen ‚Gender-Index‘ gesetzt“ würden. Bemerkenswert ist, dass er keinen konkreten Anlass dazu erwähnt, ihm also kein Vorfall bekannt zu sein scheint, bei dem tatsächlich jemand ein Zuckowski-Lied etwa aus dem Schulchorrepertoire verbannt hätte, weil es nicht geschlechtergerecht formuliert sei. Aber man wird sich ja noch fürchten dürfen, auch ohne einen Anlass dazu zu haben. In der Schilderung seiner Befürchtungen wird Zuckowski allerdings konkret:

Ein Beispiel ist mein beliebtes ­Geburtstagslied „Wie schön, dass du ­geboren bist“. Da heißt es im Originaltext: „Heut ist dein Geburtstag, darum feiern wir, alle deine Freunde freuen sich mit dir.“ „Gendergerecht“ müsste es wohl heißen: „… alle deine Freundinnen und Freunde freuen sich mit dir. Der Schrägstrich oder die Sternchenschreibweise (Freund/Innen oder Freund*Innen) kommen mangels Sprech- und Singbarkeit als „gender­gerechte“ Version sicher nicht infrage. Aber auch die Doppelnennung „Freundinnen und Freunde“ brächte einen unüberwindlichen Stolperstein in das Lied.

Gar so unüberwindlich scheint die Hürde nun aber nicht zu sein – hier ein paar metrisch identische geschlechtergerechte Alternativen zu: „alle deine Freunde freuen sich mit dir.“:

„Freundinnen und Freunde freuen sich mit dir.“

„Alle, die dich mögen, freuen sich mit dir.“

„Alle deine Lieben freuen sich mit dir.“

Das Problem bestünde also, selbst wenn das bislang lediglich von Zuckowski imaginierte Sprachdiktat einmal tatsächlich eingeführt werden sollte, nicht wirklich, wie ja auch in der alltäglichen Praxis eine geschlechtergerechte Sprache sich mit ein wenig Mühe recht gut umsetzen lässt. Interessanterweise fordert Zuckowski, um einem – wohlgemerkt bloß vorgestellten – Sprachdiktat zu entgehen, eine zu schaffende, der Académie française ähnliche Institution oder gleich den Bundespräsidenten mit der Durchsetzung eines tatsächlichen Sprachdiktats, allerdings in seinem Sinne, zu betrauen. Es ist die klassische reaktionäre Argumentation: Um einer gefürchteten zukünftigen Repression der anderen Seite zu entgehen, muss augenblicklich selbst repressiv gehandelt werden.

Nun kann man nicht ausschließen, dass tatsächlich irgendwo im weiten deutschen Sprachraum eine Kindergärtnerin oder ein Kindergärtner sich an der Ausschließichkeit des generischen Maskulinums stören. Vermutlich würden sie aber in diesem Fall aber einfach den Text wie oben skizziert ändern, ebenso wie dies ja nun zum Ärger Andreas Gabaliers, eines ausnahmsweise jungen Antifeministen, bei der Österreichischen Bundeshymne, in der seit 2011 das Land als „Heimat großer Töchter und Söhne“ statt lediglich „großer Söhne“ besungen wird, gehalten worden ist (zur Einordnung Gabaliers ein Zitat: „Man hat es nicht leicht auf dieser Welt, wenn man als Manderl noch auf Weiberl steht.“ Wäre es nicht zu gefährlich, möchte man Gabalier empfehlen, nach und nach in allen Ländern der Welt, von der er ja ausdrücklich spricht, sich Hand in Hand mit einem Mann in der Öffentlichkeit zu zeigen).

Dass das Bewusstsein dafür, wie Kinderlieder Geschlechterrollen normieren können, entgegen der Annahmen von Zuckowski und anderen allgemein nicht allzu ausgeprägt zu sein scheint, zeigt hingegen die ungebrochene Beliebtheit des Lieds Jule wäscht sich nie von Gerhard Schöne. Der war so etwas wie der Rolf Zuckowski der DDR (und das ist eher ein Ritterschlag für Zuckowski als für Schöne). Auch für Erwachsene hat er als Lieder geschrieben und sich dabei als engagierter evangelischer Christ so souverän auf dem schmalen Grad der gerade noch möglichen Kritik bewegt, dass er 1989 den Staatspreis der DDR erhielt. Aus dem umfangreichen Schaffen des bis heute aktiven Liedermachers haben aber vor allen die beiden Kinderlieder Der Popel und Jule wäscht sich nie eine Kanonisierung in Form einer vielfältigen produktiven Rezeption erfahren, die u.a. in Coverversionen auf Youtube (unbedingt sehenswert: Die klassisch-getragene Popel-Version des Jugendchors Mainstockheim) ablesbar ist.

Gerhard Schöne

Der Popel

Das Lied ist ausgeknobelt
für jeden, der popelt.

Ein Popel! Ein Popel! Ein Popel! O la la.

Spazierst du auf der Straß',
steck' den Finger in die Nas'!
Und irgendwo da hinten 
wird sich sicher etwas finden.

Ein Popel [...]

Die langen eleganten 
gibt's bei den Elefanten.

Ein Popel [...]

Was kann man von der Mama 
über's Popeln noch erfahr'n?
Sie wird erzählen, 
daß die früh'ren Popel besser warn.

Ein Popel [...]

Hast du mal eine Freundin,
dann sei immer nobel!
Und wenn sie dir ein Küßchen gibt,
schenkst du ihr einen Popel.

Ein Popel [...]

     [Gerhard Schöne singt Kinderlieder aus aller Welt. Amiga 1986.]

Das kommt dem – zumindest aus Kindersicht – perfekten Kinderlied schon recht nahe. Die Singalong-Strophen ermöglichen schon beim ersten Hören das Mistingen, im Refrain kann geklatscht werden und dann natürlich der Text: Besungen wird eine kindliche Lieblingsbeschäftigung, die gleich mehrere Attraktionen vereint: die Beschäftigung mit dem eigenen Körper, das Zutagefördern eines sicht- und tast-, ggf. sogar schmeckbaren Ergebnisses durch hartnäckige fortgesetzte Bemühungen („Und irgendwo da hinten / wird sich sicher etwas finden.“ – Selbstwirksamkeit!), der Ekel (v.a. der Anderen) und natürlich die Regelübertretung. Diese wird gleich im ersten Verspaar noch gesteigert, wenn ausdrücklich zum öffentlichen Popeln animiert wird. In der dritten Strophe wird dann zwar eine Erziehungsberechtigte erwähnt; doch statt, wie zu erwarten, das Nasebohren zu verbieten, wird der Mutter unterstellt, sie würde einen Qualitätsvergleich zugunsten der Popel ihrer eigenen Kindheit anstellen. Dabei wirkt nicht nur dieser Erwartungsbruch amüsant; zugleich stellt die Strophe einen (evtl. eher für erwachsene Mithörer erkennbaren) Seitenhieb auf „Früher war alles besser“-Suadas dar, die der Lächerlichkeit preisgegeben werden, indem als ihr Gegenstand etwas gewählt wird, das erstens üblicherweise nicht als wertig angesehen wird und zweitens wohl tatsächlich historisch relativ gleichbleibend ist; und schließlich eröffnet diese Strophe Raum für lustvoll-abwegige Spekulationen: In Hinsicht auf welche Charakteristika sollen führere Popel besser gewesen sein? Farbe? Konsistenz? Geschmack? Klebeeigenschaften? Flugbahn beim Schnipsen?

Während die zweite Strophe mit ihrem zoologischen Exkurs die kindliche wie erwachsene Freude am Grotesken bedient, ist die vierte vor allem an Kinder jenes Alters adressiert, in dem die Reaktion auf sich küssende Menschen „Iiiiiiih!“ lautet. Die brilliante Paradoxie dieser Strophe liegt darin, dass sie eben jenes in aller Regel auf ein bestimmtes Alter beschränkte Unbehagen des kindlichen Adressaten auf ihn als Protagonist in einer späteren Lebensphase („Hast du mal eine Freundin“) überträgt – paradox deshalb, weil er ja keine Beziehung mit einer Freundin im Sinne von ‚girlfriend‘ eingegangen wäre, wenn er Küssen nach wie vor als abstoßend empfände. Dass er das offenbar immer noch tut, wird an der angeratenen Reaktion auf das „Küßchen“ deutlich: Die ’noble‘ Überreichung getrockneten Nasensekrets dürfte beim Gegenüber wohl kaum Entzückung hervorrufen. Vielmehr dürfte dieses Verhalten die Beziehung sabotieren und damit eine polare geschlechtliche Strukturierung einer früheren Altersphase wiederherstellen, in der Jungs und Mädchen sich wechselseitig einfach nur doof finden. Man könnte darin also einen subversiven Akt des Widerstands gegen den Eintritt in die (heteronormative) Erwachsenenwelt, die bereits vorpubertäre Jungen mit der zudringlichen Frage „Und, hast du denn schon eine kleine Freundin?“ behelligt, sehen. Rebellische Regression sozusagen – ganz im Sinne des Prototyps aller anarchischen Kinderheldenfiguren, Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpfs, die mit Tommy und Annika Settergren „Krumme Luse“-Pillen einnimmt, um niemals erwachsen zu werden.

Kennt man den Popel, mag man kaum glauben, das Jule wäscht sich nie vom selben Verfasser stammt.

Gerhard Schöne

Jule wäscht sich  nie
Ein hübsches Mädchen ist die Jule. 
Sie geht auch gerne in die Schule. 
Nur eines finden alle schlecht, 
dass Jule sich nicht wäscht. 
Sieht man sie kommen, heißt es: Hmmm! 
Hört man sie reden, heißt es: Aaah! 
Doch riecht man sie, dann heißt es: Iiih! 
Denn Jule wäscht sich nie.

Es kam einmal ein Herr von Thule, 
der war total verknallt in Jule. 
Sie brauchte sich nicht lang zu ziern 
und ging mit ihm im Park spaziern. 
Er nimmt ihr Händchen und denkt: Hmmm! 
Sie sehn sich an und flüstern: Aaah! 
Er kommt ihr näher und schreit: Iiih! 
Denn Jule wäscht sich nie.

Da mußte Jule schrecklich weinen, 
trotz allem fand sie später einen, 
der Schnupfen hatte und nichts roch. 
Drum kam die Hochzeitskutsche doch. 
Man sieht die Kutsche und sagt: Hmmm! 
Man grüßt den Bräutigam mit: Aaah! 
Doch als die Braut kommt, hört man: Iiih! 
Denn Jule wäscht sich nie.

Und wie sie vor dem Altar sitzen, 
beginnt der Bräutigam zu schwitzen. 
Da schnaubt er dreimal, 1 - 2 - 3, 
und schon ist seine Nase frei. 
Er schielt zur Jule und denkt: Hmmmm! 
Er nimmt das Ringlein und denkt: Aaah! 
Er will sie küssen und schreit: Iiihh! 
Denn Jule wäscht sich nie.

Da ist 'ne gute Fee gekommen, 
hat Jule an die Hand genommen 
und sprach zur Jule: "Sei kein Schwein! 
Steig in die Badewanne rein!" 
Sie riecht die Seife und denkt: Hmmm! 
Sie wäscht sich richtig sauber: Aaah! 
Sie sieht sich selber und sagt: "Ei! 
Jetzt ist die Schweinerei vorbei."

     [Gerhard Schöne: Lieder aus dem Kinderland. Amiga 1982.]

Dass dieses Lied auf dem Album Lieder aus dem Kinderland erschienen ist, wirkt geradezu ironisch: Denn – abgesehen vom Mitmachspaß beim „Hmmm!“, „Aaah! und vor allem „Iiih!“ Rufen – ist alles an diesem Lied auf die Erwachsenenwelt ausgerichtet. Das beginnt im ersten Satz damit, dass das einzige Adjektiv, mit dem die Protagonistin charakterisiert wird, sich auf ihr Äußeres bezieht. Welches Kind kommt aus dem Kindergarten oder der Grundschule und sagt „Wir haben eine Neue, die ist hübsch?“ Nett, blöd, groß, klein, was auch immer, aber „hübsch“? Als nächte positive Eigenschaft Jules wird angeführt, dass sie gerne in die Schule gehe. Wieder denkt man, diesmal allerdings als Gegenbeispiel, an Pippi Langstrumpf, deren Berührungen mit dieser Bildungsanstalt sämtlich ebenso kurz wie amüsant ausfallen. Außerdem vermag Jule sich offenbar gewählt auszudrücken, wie sich aus der Reaktion ihrer Umgebung auf ihre Äußerungen ergibt. Aber was kann ein adrettes Kind, das artig – man ist versucht, in die Sprache der pädagogischen Kinderliteratur früherer Zeiten zu verfallen – in die Schule geht und wohlgesetzt spricht, überhaupt noch falsch machen? Natürlich: Es an Reinlichkeit mangeln lassen („Auch hinter den Ohren waschen!“). Doch benötigt es bei Jule nicht einmal einer erwachsenen Erziehungsinstanz, um auf diesen Mangel hinzuweisen, das erledigt das mobbende Mitschülerkollektiv, mit dem sich die singenden Kinder beim „Iiih!“ Rufen identifizieren können.

Kennt man den Popel, erwartet man trotz dieses Anfangs noch, dass sich Jules Anderssein irgendwann als nützlich erweisen wird, etwa um irgendjemanden Bedrohlichen in die Flucht zu schlagen. Aber nein. Genüsslich breitet der Text, psychologischen Sadismus bedienend, aus, wie Jule ungeachtet all ihrer positiven Eigenschaften allein aufgrund ihrer mangelnden Körperhygiene scheitert. Und das geschieht, weil sie ja eine Frau ist, natürlich nicht auf der Beziehungsebene: Zunächst bekommt sie den Prinzen (im Liedtext auf jeden Fall ein Adeliger, Jule könnte offenbar mittels ihrer Partnerwahl sozial aufsteigen) nicht und dann folgt auch noch die dramaturgisch infam aufgebaute maximale Demütigung in aller Öffentlichkeit vor dem Traualtar. Diese Szene muss sich, was schwarze Pädagogik angeht, keineswegs vor dem Struwwelpeter verstecken.

Die Auflösung der Problematik erfolgt schließlich nicht einmal durch einen eigenen Erkenntnisprozess Jules, selbst ihre Anpassung an die Rollenerwartungen muss von außen initiiert werden. Eine übernatürliche Instanz gibt harsch („Sei kein Schwein!“) den Befehl zur Reinigung, dem Jule dann freudig Folge leistet.

Dass Jule ein Mädchen und der Protagoinist im Popel mutmaßlich ein Junge ist, schein kein Zufall zu sein. Denn die Forderung nach geruchlicher Neutralität oder sogar Wohlgeruch richtet sich speziell an Frauen – in meiner schwäbischen Heimat war in meiner Jugend, nur halb ironisch, unter Jungen noch der Merksatz virulent „A Mo muaß stenka, an Bierranza und Hohr aufm Rucka hau.“ (Ein Mann muss sinken, einen Bierbauch und Haare auf dem Rücken haben.) Und die Empörung über Charlotte Roches Feuchtgebiete, dessen Klappentext ja direkt mit „Hygiene wird bei mir kleingeschrieben“ betitelt war (DuMont 2008), war untrennbar mit dem Geschlecht der Autorin und der Protagonistin verbunden.

Was also tun? Auf den nicht existierenden „Gender-Index“ mit Jule wäscht sich nie und damit Kindern ihre Freude am „Iiih!“ schreien nehmen? Die bessere Variante wäre wohl ein spielerischer Umgang mit Geschlechterrollen, wie ihn ja auch schon die Gründungsfigur der Gender Studies, Judith Butler, empfohlen hat. Und da es den Jungennamen „Ule“ gibt, ist eine Umdichtung auch ganz metrum- und reimkonform möglich.

Martin Rehfeldt, Bamberg

Anarchie in der Backstube. Zu Rolf Zuckowskis „In der Weihnachtsbäckerei“

Eine Pdf-Datei mit dem Text lässt sich hier auf der Homepage von Rolf Zuckowski aufrufen, der Abdruck an anderer Stelle wird dort untersagt.

Neulich beim Adventssingen im Kindergarten wurde wieder einmal deutlich, dass Rolf Zuckowskis In der Weihnachtsbäckerei zurecht der Status eines ‚neuen Volksliedes‘ zuerkannt werden kann – so klassifiziert es jedenfalls der Wikipedia-Artikel, den es sogar eigens zu dem Lied gibt. Bei Schneeflöckchen, Weißröckchen, Lasst uns froh und munter sein und anderen bekannten Weihnachtsliedern sangen die Kinder schon auch eifrig mit, aber bei der Weihnachtsbäckerei war der Enthusiasmus wie schon im Vorjahr am größten und die Lautstärke am höchsten. Zudem fiel die allgemeine Textsicherheit hier besonders auf. Worin liegt der spezielle Reiz dieses Liedes?

Dass der Text durchgehend in Paarreimen verfasst ist, macht ihn schon einmal leicht einprägsam. Die ebenso eingängige wie schmissige Refrainmelodie lässt sich prima im Chor schmettern. Dabei kann man inmitten der fünf- und siebensilbigen Zeilen die – semantisch passend – längere, nämlich neunsilbige Zeile „eine riesengroße Kleckerei“ ausgiebig zelebrieren.

Der melodische und rhythmische Wechsel zu den Strophen ist so deutlich wie wirkungsvoll. Hier werden jeweils einzelne Arbeitsschritte des Plätzchenbackens besungen, angefangen bei der Rezeptsuche und dem Vorheizen des Ofens, über die Zusammenstellung und das Verrühren der Zutaten bis zum Kneten, Ausstechen und Backen. Die Strophen sind teilweise dialogisch und pointiert gestaltet, was durch die Stufung der Zeilenlänge mit zweimal acht, dann einmal fünf und schließlich zwei Silben unterstützt wird. Auf diese Weise kommt die Komik des Liedes besser zur Geltung – gerade im Zusammenhang mit den im Text belassenen Leerstellen oder den wenig explizierten Inhalten: So ist das Rezept nicht auffindbar, denn es gilt, „frei nach Schnauze [zu] backen“; das Ei kommt nicht vorbei, sondern es ist mit ihm „vorbei“, es geht also wohl einfach zu Bruch oder klatscht daneben; und die Finger sind offenbar schmutzig und nicht „rein“, was nicht einfach durch ein ‚Nein‘ als sich reimende Antwort auf die betreffende Frage deutlich wird, sondern aus der rüden Beschimpfung „Du Schwein!“ zu erschließen ist. Auch den Schlussgag hebt der Strophenbau günstig hervor, wenn die Plätzchen zu allem Überfluss am Ende misslingen:

Sind die Plätzchen, die wir stechen,
erstmal auf den Ofenblechen,
warten wir gespannt –
verbrannt.

Das Lied präsentiert das vorweihnachtliche Plätzchenbacken also als Klamauk voller Pannen und als wonnevolles Scheitern. Der Weg ist das Ziel, und vergnügliches Chaos wird einem guten Ergebnis vorgezogen. Die (kleinen) Bäcker sind frei von jeglicher Leistungsanforderung. Das Backen ist hier entlastenderweise keine Arbeit, sondern ein Spiel.

Nicht zu unterschätzen in ihrer Attraktivität für Kinder sind sicherlich die Übertretungen, die auf sprachlicher und inhaltlicher Ebene begangen werden. Im Refrain ist gleich frech von „so manche[m] Knilch“ die Rede, was durch die Verwendung von „Schwein“  als Schimpfwort noch überboten wird. Identifiziert man sich mit der hier besungenen Art des Backens, mutiert man freilich selbst zu so einem ungehobelten Typ, der wenig filigran vorgeht („Kleckerei“), schnell auf Rezepte pfeift („frei nach Schnauze“), es auf allerlei süße Sachen abgesehen hat („Leckerei“; „Schokolade, / Zucker, Honig und Sukkade [d. i. Zitronat, Anm. DD-R] / […] Zimt“), vom Teig nascht und am Ende noch nicht einmal ordentliche Plätzchen zustande bringt, weil das für ihn auch gar nicht die Hauptsache ist. Kleckern, nicht klotzen!

Rolf Zuckowski datiert die Entstehung des Liedes auf die Weihnachtszeit 1986. Die Veröffentlichung erfolgte 1987 auf dem Album Winterkinder. Bei seinem letzten großen Showauftritt im Fernsehen 2012 stand In der Weihnachtsbäckerei selbstverständlich im Mittelpunkt. Im Zuge der Recherche bin ich schnell auf diverse Cover-Versionen gestoßen, vor allem auf solche, in denen  das Lied schlagerhaft zugerichtet wird. Albernheit und Schlager (zumindest in der seit einigen Jahrzehnten dominierenden Spielart) vertragen sich nicht. In Michelles braver Hausfrauen-Variation (2002) beispielsweise wird „Du Schwein!“ durch „Na fein.“ ersetzt. Vielleicht fürchteten die Verantwortlichen, dass die Kinder dem Zielpublikum andernfalls allzu aufmüpfig erschienen wären. Wolfgang „Wolle“ Petrys leicht rockig instrumentierte Interpretation (Album: Freude 2. Na Klar/Sony Music 2000) betont demgegenüber gerade den Effekt der verbalen Übertretung, allerdings indem der kunstvollere Reim „Leckerei“/„Kleckerei“ der Modifikation „Eine riesengroße Schweinerei“ geopfert wird. In Helene Fischers Version soll das Lied durch eine aufwendigere Instrumentierung und im Bemühen um kunstvolleren Gesang offenbar eine ästhetische Aufwertung erfahren, die allerdings zu dem kindlich-anarchischen Inhalt nicht recht passen mag und den fröhlichen (ohnehin eigentlich harmlosen) Ungehorsam unter Preisgabe jeglichen Witzes erledigt. Aus den Backstubenrebellen werden auf diese Weise putzig-ungeschickte liebe Kinderlein – zumal in der Aufführung in der Wiener Hofburg mit dem Royal Philharmonic Orchestra (sic!) (erfrischend einseitig die Besprechung des gesamten Schwulst- und Pathos-triefenden Konzerts auf laut.de).

Weitere Beispiele aus der Schlagerhölle erübrigen sich (es gäbe noch mehr!). Am besten sollten Erwachsene wohl die Finger von dem Lied lassen – und es auch nicht mit Kindern für erwachsenes (insbesondere betagteres) Fernsehshow-Publikum inszenieren (auch hierfür finden sich viele Exempel). Immerhin reizte Otto Waalkes unlängst in einer Videoversion für die Sendung mit der Maus das anarchische Potenzial des Liedes, etwa durch Textvariationen wie „Irgendwas mit Schokolade, / Leberwurst, Senf und Pomade“.

Eine wesentlich stärkere Bearbeitung erfuhr das Lied 2009 in einer Parodie für die im NDR ausgestrahlte Sketch-Comedy-Sendung Dennis und Jesko von Dennis Kaupp und Jesko Friedrich. Aus Rolf Zuckowski wird bei dieser dialogisch angelegten Version ein gewisser „Ralf Grabowski“, der kläglich daran scheitert, stereotyp dargestellte schwer erziehbare, betreuungs- und therapiebedürftige Jugendliche zu kindlich-heiterer Weihnachtsbäckerei zu ermuntern. Die Schmunzelfröhlichkeit, die dem Lied wohl vor allem aus den oben angedeuteten Aufführungsroutinen im Fernsehen und Schlagerkontext anhaftet, prallt hier an der harten Realität von jungen Menschen ab, die schon mit ganz anderen Verfehlungen und Problemen als Kinderulk in der Backstube aufgefallen sind und dem ganzen vorweihnachtlichen Treiben keinerlei Zauber oder Spaß abgewinnen können.

In der Weihnachtsbäckerei
gibt es manche Leckerei.
Wer zusammen backt,
der ist beknackt,
denn Kekse gibt‘s doch abgepackt

In der Weihnachtsbäckerei,
in der Weihnachtsbäckerei.

Während ich hier Plätzchen backe,
klau’n wir Geld aus deiner Jacke.
Wo ist denn mein Scheck?
Der ist weg.

Ja was wollt ihr denn mit dem Geld, Kinder? Vielleicht …

… ein Geschenk für Oma kaufen?
Nein wir gehen zum Komasaufen.
Wo ist denn der Tim?
Hier drin!

Der hier guckt ja gar nicht heiter.
Das ist mein Sozialarbeiter.
Da ist doch was faul.
Halt’s Maul!

Greif mal zu und zwar recht tüchtig.
Nein, ich bin doch magersüchtig.
Willst du wirklich nicht?
Aber ich!

In der Weihnachtsbäckerei
gibt’s so manche Schlägerei.
Ob Schlag, ob Tritt,
alle machen mit
und die Polizei ist auch dabei.
In der Weihnachtsbäckerei,
in der Weihnachtsbäckerei.

Denise Dumschat-Rehfeldt, Bamberg