Nackt und nichtig. Gedanken zu „Ich bin die fesche Lola“ von Marlene Dietrich (Text: Robert Liebermann/Friedrich Hollaender)
22. Oktober 2012 4 Kommentare
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Marlene Dietrich (Text: Robert Liebmann/Friedirch Hollaender) Ich bin die fesche Lola Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison! Ich hab ein Pianola zu Haus in mein’ Salon. Ich bin die fesche Lola, mich liebt ein jeder Mann! Doch an mein Pianola, da laß ich keinen ran! Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison! Ich hab ein Pianola zu Haus in mein’ Salon. Und will mich wer begleiten da unten aus dem Saal, dem hau ich in die Seiten und tret’ ihm auf’s Pedal! Lola, Lola – jeder weiß wer ich bin, sieht man nur nach mir hin, schon verwirrt sich der Sinn. Männer, Männer – keinen küß ich hier, und allein am Klavier, sing die Zeilen ich mir. Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison! Ich hab ein Pianola zu Haus in mein' Salon. Ich bin die fesche Lola, mich liebt ein jeder Mann! Doch an mein Pianola, da laß ich keine ran! [Marlene Dietrich: Ich bin die fesche Lola. Electrola 1930.]
Im Radioprogramm des Jahres 1925 ist andauernd zu hören, dass der vom Leben gebeutelte Friedrich wieder neuen Mut fasste, nachdem er das Fräul’n Helen baden gesehen hatte. Besonders Helens feuchte Waden haben es dem guten Friedrich angetan. Trotz solcher nackter Schamlosigkeiten im Inhalt, bleibt dennoch in den offenherzigen Texten aus der Weimarer Republik so manches unausgesprochen, lauert unter der Oberfläche und bedarf eines zweiten Blicks. Sexuelle Freizügigkeit prägt zwar viele Schlagertexte aus der frühen Hochzeit des Schlagers, so freizügig die Texte aber auch sein mögen, die äußere Form und die Stilistik sind oft noch freizügiger.
Diese Beobachtung lässt sich beispielhaft an einem der wohl bekanntesten Schlager aus der Weimarer Republik illustrieren: Ich bin die fesche Lola aus einem der ersten deutschen Tonfilme Der Blaue Engel (1930) von Josef von Sternberg. Durch zahlreiche Ambivalenzen und Doppeldeutigkeiten eröffnet die Stilistik die Möglichkeit, beim Schlager einen erotischen Subtext mitzulesen, ohne dabei die lolitahafte Naivität der Protagonistin Lola zu vereindeutigen. Aufgrund der vielen Andeutungen und Unschärfen übernimmt beim Hörer die Phantasie. Und das ist bekanntlich oft effektvoller als eine detaillierte Beschreibung. Die doppelbödige Stilistik und die ambivalente Rhetorik passen zum Zwielicht des Berliner Nachtclubs Der Blaue Engel und dessen halbseidenen Gestalten, wie Lola eine ist. Gleichzeitig lässt sich über linguistische Untersuchungen die latente Tragik eines Go-Go-Girls erahnen, deren Kapital ihr Körper und deren Feind folglich die Vergänglichkeit ist.
Der B-Teil des Lieds eröffnet einen analytischen Zugang zu beiden Themen. Durch die Repetitiones „Lola, Lola“ und „Männer, Männer“ treten im B-Teil die zwei Parteien, um die es im Lied geht, deutlich hervor. Der sexuelle Reiz, den die femme fatale Lola auf Männer hat, lässt sich schon dem Klang ihres Namens entnehmen. Lautmalerisch erinnert die Namensdopplung an den Brunftruf „Olala“, den sexuell angeregte Männer einer Dame hinterherschicken. Zwar werden die Männer mit Lola in einer Strophe zusammen genannt, zur Verbindung kommt es aber schon auf formaler Ebene nicht. So besteht der B-Teil aus zwei mal drei Zeilen, die sich jeweils im Endreim unterscheiden („bin“, „hin“, „Sinn“ vs. „hier“, „Klavier“, „mir“) und syntaktisch zwei abgeschlossene Einheiten bilden.
Abgesehen von dieser formalen Spielerei verwehrt Lola den Männern auch ganz direkt eine Vereinigung. Auf inhaltlicher Ebene bleibt jegliche Männerphantasie unerfüllt: „[K]einen küß ich hier“, tut Lola selbstbewusst kund. Dass sie damit mit den Gefühlen der Männer spielt, ist ihr bewusst. Sie hat die Situation klar erfasst: „[S]ieht man nur nach mir hin,/ schon verwirrt sich der Sinn.“ Im wahrsten Sinne des Wortes macht sie die Männer ganz verrückt: Die femme fatale Lola bringt Professor Emmanuel Rath, den sonst so biederen und beherrschten Schulrat, nicht nur um Beruf und Vermögen, sondern auch um den Verstand Herr Rath ist am Ende des Films das offensichtliche Opfer, schließlich gibt er auch noch sein Leben für die fesche Lola hin. (Für die Bedeutung der femme fatale in einem frühen Schlager siehe auch Hans-Peter Eckers Interpretation zu Oh Donna Klara in diesem Blog).
Doch Emmanuel Rath ist nicht der einzige der von Lola fasziniert ist. „[J]eder weiß wer ich bin“. Sie ist bekannt, nennt sich „Liebling der Saison“ im Refrain. Damit kommt ein zweiter unterschwelliger Bereich über die Stilistik ins Spiel. Lola wird als Saisonprodukt apostrophiert. Sie ist gerade in Mode, und damit als Zeitphänomen selbst dem Untergang geweiht. Denn die Modeerscheinung Lola kann nächstes Jahr schon wieder out sein, wie ein Kleidungsstück der Saison. Betrachtet man den Titel des Lieds unter diesem Aspekt etymologisch, zeigt sich, dass – nimmt man ihn wörtlich – die Mode (und somit auch deren Schnelllebigkeit) schon in ihn eingeschrieben ist. Laut dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache ist fesch eine Verkürzung des englischen Adjektivs fashionable (vgl. http://www.dwds.de), die im sehr feschen Wien des frühen 19. Jahrhunderts in die Wiener Umgangssprache gelangte und von dort aus den deutschen Sprachraum schnell eroberte. Lola wird also ebenfalls zum Opfer; zum Opfer der Zeit.
Die implizierte Verfallstragik trägt aber wiederum auch zu Lolas Reiz bei. Schon im Barock veranlasste der Hauch der Vergänglichkeit die Dichter zum Lob der endlichen Schönheit. Denn, was begrenzt zur Verfügung steht, wirkt besonders anziehend, wie auf Motten das Licht bei Nacht, um den zweiten bekannten Schlager aus Der Blaue Engel zu zitieren. Nicht nur die Dekadenz ist es, die hier eine entscheiden Rolle spielt, sondern auch das einfache kapitalistische Marktgesetz von (zeitlich) begrenztem Angebot und hoher Nachfrage. Der Mensch und dessen Körper wird in der aufblühenden Freizeitkultur und Unterhaltungsindustrie zur Ware. Prostitution zur letzten Einkunftsmöglichkeit vieler in Armut lebender Großstädter.
Neben dem modischen Erscheinungsbild ist für die Chanteuse Lola aber auch das Thema Musik für ihre Charakterisierung entscheidend. Dieses Thema ist durch das Wortfeld „Pianola“ vertreten. Die angesammelten Sprachbilder rund um das Tasteninstrument sind erotisch konnotiert, wie es sich für eine verruchte Bardame in der freizügigen Weimarer Republik gehört. Das Pianola selbst könnte man als Sexualorgan Lolas entschlüsseln. Warum möchte sonst jeder Mann so gierig an Lolas Pianola ran? „Ich hab ein Pianola zu Haus in mein’ Salon. /[…]/Doch an mein Pianola, da laß ich keinen ran!“
Die Ambivalenz des zentralen Motivkomplexes wird aber nicht nur durch einen möglichen erotischen Subtext gefördert, sondern auch durch Sprachspielereien mit den Bedeutungsebenen einer Metapher. Kann es sich bei der ersten zitierten Zeile noch ganz konkret um ein Pianola, also das Tasteninstrument handeln, das durch etwas interpretatorische Mühe mit sexueller Bedeutung aufgeladen wird, fangen die folgenden Zeilen an, zu changieren: „Und will mich wer begleiten da unten aus dem Saal,/ dem hau ich in die Seiten und tret’ ihm auf’s Pedal“. Das Verb begleiten lässt sich sowohl als ῾hinaufbegleiten’ verstehen, also als Überwindung einer räumlichen Distanz zusammen mit Lola um in ihre Wohnung zu gelangen. Im Musik-Kontext kann aber auch eine musikalische Begleitung gemeint sein, zum Beispiel, wenn ein Pianist eine Sängerin begleitet. Liest man hier nun wieder einen erotischen Subtext mit, lässt sich unter „Begleiten“ auch eine weitere Art des gemeinsamen Spiels vermuten.
Doch die durch Lolas optische Reize geköderten Männer machen sich umsonst Hoffnungen. Denn zur Begleitung lässt es Lola gar nicht erst kommen: Sie droht Gewalt an. Bricht jemand die Regeln im Umgang mit Lola, dann haut Lola dem Verehrer in die Seiten und tritt ihm aufs Pedal. Und auch hier schimmern mehrere Bedeutungsebenen durch. Aufs Pedal kann man ganz konkret beim Klavier treten, um beispielsweise Töne zu verlängern. Pedal allerdings lässt auch eine etymologische Nähe zu lat. pedes, also ῾Fuß’ erkennen. Denkt man die Pedalform weiter, landet man schnell beim Phallussymbol. Ob Lola dem Mann letztendlich nur auf die Füße oder doch in den Bereich des Phallus tritt, soll hier bewusst offen gelassen werden. Beim Homonym Saiten/Seiten verschwimmen die Ebenen des Wörtlichnehmens und des Übertrags noch stärker. Hört man den Liedtext nur, kann es sich tatsächlich um den Bereich des männlichen Körpers zwischen Rippen und Becken handeln, der den Furienschlag abbekommt. Gleichzeitig könnte „in die Seiten/Tasten hauen“ auch auf das Sprichwort aus dem musikalischen Kontext anspielen.
Der starke Bewegungsdrang der in Verbindung mit der Klaviatur und den Pedalen anklingt verweist auch auf eine wichtige Rolle, die das Piano/Pianola für weibliche Vertreter des prüden Bürgertums im 19. Jahrhundert hatte und die es erst allmählich zum 20. Jahrhundert hin verloren hat. Das Klavierspielen bot jungen Fräulein der besseren Gesellschaft die Möglichkeit, ihren Körper zu spüren und sich dem Bewegungsablauf musikalischer Ekstase unverschämt hinzugeben. „Hauen in die Tasten“ und „Treten in die Pedale“ wurden damit laut Peter Wickes Kulturgeschichte der Popmusik (Von Mozart bis Madonna, stb 3293)zu körperlichen Ersatzhandlungen für an der Oberfläche sexuell gezüchtigte, anständig wirkende Damen. Diese Lesart legt vor allem der „Tritt in die Pedale“ nahe, da diese Formulierung auch im Wortfeld Fahrrad einzuordnen ist. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts löste es als „Sportgerät“ das Tasteninstrument ab und bot den Frauen die Möglichkeit, ihre Körper außerhalb des bürgerlichen Salons im wahrsten Sinne des Wortes zu erfahren.
Der sexuelle Subtext, den man beim Wortfeld Pianola mitlesen kann, verweist stilistisch gleichzeiti auf den Aufbruch von Geschlechterrollen in der Weimarer Republik. Denn er verweigert eine klare männlich/weiblich-Zuordnung, in dem er metaphorische Unschärfen ausstellt. Dem Wortfeld Pianola sind sowohl gynozentrische („Pianola im Salon“) als auch phallozentrische („Pedal“, „Seiten/Saiten“) Metaphern zugeordnet. Das Pianola selbst scheint ein Zwitterwesen.
Doch die eigentliche Ironie des Motivkomplexes um das Musikinstrument Pianola liegt in der Beschaffenheit des Instruments selbst. Ein Pianola ist nämlich ein Instrument, das keinen Pianisten, keinen Begleiter benötigt. Es ist ein Player Piano, also eine Selbstspielapparatur für Klaviere oder bereits in diesen eingebaut. Folglich kann sich Lola auch „allein am Klavier […] die Zeilen […] singen“. In ihrer Rolle als verführerische Dame der Nacht ist sie also von Anfang an nie darauf aus und auch gar nicht darauf angewiesen, einen Begleiter zu finden. Für stimulierende Höhenflüge benötigt sie keinen Mann.
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass das einzige Wort im Text, das sich auf Lola reimt, Pianola ist, also das Wort für eine Maschine, einen Automaten, der zwar perfekt spielt, aber immer das Gleiche und ohne Gefühl. Ob das nun die latente Tragik eines nur noch funktionierenden Menschen, eiskaltes Kalkül einer hartherzigen femme fatale ist oder sich darin schlicht die modernistische Faszination für perfekte Maschinen spiegelt, soll hier nicht entschieden werden.
Florian Seubert, Bamberg
Sie war doch eine wahre deutsche Frau die deutsche sind ein grosses Volk .
Ich bin rumane und ich weis was ich sage.
…Herr Seubert hat aus literarischer Sicht sicher interessante Interpretationen – aber wenig Ahnung vom Pianola! Es „klimpert“ zwar die Noten, aber auf welche Art, haengt schon sehr vom Spieler ab. Ganz abgesehen von den Weiterentwicklungen der Pianolas, z.B. zum Duo-Art-System, was tatsaechlich die spezielle Darbietung eines Pianisten live wiedergibt – im Unterschied zu einer Ton-Konserve. Ich habe selbst grade gestern Nachmittag das Spiel eines Schuelers von Chopin auf einem Steinway anhoeren koennen!
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