Entstehung und Rezeption eines Weihnachtslieds. Zu „O du fröhliche“ von Johannes Daniel Falk
9. Dezember 2013 4 Kommentare
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Johannes Daniel Falk O du fröhliche O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren. Christ ward geboren. Freue, freue dich, o Christenheit! O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Osterzeit! Welt liegt in Banden; Christ ist erstanden. Freue, freue dich, o Christenheit! O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Pfingstenzeit! Christ unser Meister, heiligt die Geister. Freue, freue dich, o Christenheit!
Vor fast 200 Jahren (1816) dichtete Johannes Daniel Falk (1768–1826) das Lied O du fröhliche. Dem Text hatte er eine Melodie unterlegt, die Johann Gottfried Herder (1744–1803) von einer Italienreise mitbrachte und in seinen Stimmen der Völker in Liedern mit lateinischem Text bereits 1788 veröffentlicht hatte. Die Melodie von O Sanctissima, o piissima (O, du Heilige, Hochbenedeite) zur Verehrung der – nach biblischem Verständnis – Jungfrau Maria soll einem sizilianisches Fischerlied entstammen, das später als Marienlied häufig auf marianischen Wallfahrten gesungen wurde.
Der aus Danzig stammende Falk, Privatgelehrter und Schriftsteller in Weimar, hatte nach der Besetzung Weimars durch die Franzosen und die späteren Befreiungskriege viel Not und Elend der Bevölkerung, vor allem der zahlreichen Waisenkinder, erlebt. Als Folge einer Typhusseuche starben 1813 vier der sieben Kinder Falks. Im selben Jahr gründete er mit anderen Honoratioren Weimars die „Gesellschaft der Freunde in der Not“. Er selbst nahm zusammen mit seiner Frau viele Kinder, die ihre Angehörigen im Krieg oder infolge des Krieges verloren hatten, in sein Haus auf oder brachte sie bei Handwerkerfamilien unter.
Später erwarb er ein verfallenes Haus, das er mit Hilfe befreundeter Handwerker und von ihm betreuter Jugendlicher neu aufbaute. Als gläubiger Christ sorgte Falk nicht nur für Essen, Trinken, Wohnung und Kleidung, sondern versuchte auch, den verwaisten Kindern und Jugendlichen das Christentum nahe zu bringen. Und für die drei bedeutenden christlichen Jahresfeste dichtete er das genannte Lied.
Einer seiner Mitarbeiter, Heinrich Holzschuher (1798–1847), dichtete zu jedem Vers noch zwei weitere. Von den so entstandenen drei Liedern setzte sich im 19. Jahrhundert nur O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit mit folgendem Text langsam durch:
O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren, Christ ist geboren:
Freue, freue dich, o Christenheit!O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Christ ist erschienen, uns zu versühnen:
Freue, freue dich, o Christenheit!O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Himmlische Heere jauchzen Gott Ehre:
Freue, freue dich, o Christenheit!
In den jeweils letzen Zeilen fordert das Lied die Christen gleich doppelt auf, sich zu freuen über die Geburt Jesu Christi und darüber, dass er „erschienen [ist], uns zu versühnen“, zu versöhnen mit dem strafenden Gott des Alten Testaments. Daher nennt der Dichter die Weihnachtszeit Gnaden bringend. In der dritten Strophe jauchzen die „himmlische Heere“, und die Christen werden angeregt, sich der Bedeutung von Weihnachten bewusst zu werden und sich über die Geburt des Heilsbringers Jesus zu freuen.
Es ist davon auszugehen, dass das Lied als eines der populärsten Weihnachtslieder zu allen Zeiten in vorwiegend evangelischen Kirchen und Familien gesungen wurde, und es erfreut sich bis heute sich großer Beliebtheit. Die Rezeption in den Liederbüchern in den vergangenen Epochen sehr unterschiedlich.
Während in Deutschland im 19. Jahrhundert das Lied im Vergleich zu den kirchlichen Gesangbüchern nur in wenige weltliche Liederbücher Eingang fand, wurde es in der Schweiz sogar in Schulliederbüchern aufgenommen.
In der deutschen Jugendbewgung war das Weihnachtslied nur in sehr wenigen Liederbüchern vertreten. Im weit verbreiteten Zupfgeigenhansl (von 1908 bis 1927: 150 Auflagen mit über 800. Exemplaren), war das Lied nicht zufinden – auch nicht in den erweiterten Ausgaben.
Bei den Nationalsozialisten dagegen stieß das Lied auf ein größeres Echo, davon zeugen etliche Liederbücher der NS-Organisationen. Auch die rassistisch und antisemitisch orientierten Gottgläubigen, die den Nazis huldigten, nahmen das Lied in ihre Sammlung auf.
Noch während des Krieges tauchte das Lied im Liederbuch für die deutschen Flüchtlinge in Dänemark auf (1944). Und in der BRD fand es nach wie vor Aufnahme in kirchliche Gesangbücher, jedoch als christliches Weihnachtslied selten in weltliche Liederbücher. Im Katalog des Deutschen Musikarchivs in Leipzig (dem von allen Musik betreffenden Veröffentlichungen ein Pflichtexemplar zuzustellen ist) finden sich nur wenige Liederbücher mit dem Lied; in den vergangenen 20 Jahren wird nicht ein entsprechendes Liederbuch ausgewiesen. In den frühen Nachkriegsjahren taucht O du fröhliche vereinzelt in Schul- oder Schulliederbüchern auf. Rechtzeitig zur Einführung der Bundeswehr im Jahr 1956 erscheint Die Fanfare – Volks- und Soldatenlieder, der 1989 das Gesang- und Gebetsbuch für katholische Soldaten in der Bundeswehr folgt. In Österreich gibt das Bundesministerium für Verteidigung das Österreichische Soldaten-Liederbuch heraus (1962).
Bereits in den späten 1940er und den 1950er Jahren erschienen in der DDR einige Liederbücher mit dem Weihnachtslied, so Ihr Kinderlein kommet und Unser Lied, unser Leben (beide 1947).
In der BRD beinhaltet das auflagenstärkste Liederbuch, die Mundorgel (bis Oktober 2013 über 11 Million Textauflage und 4 Million Auflage mit Text und Noten), die ja ursprünglich von Mitgliedern des CVJM (seit den 1970er Jahren „Christlicher Verein junger Menschen“ statt „Männer“) herausgegeben wurde, das Weihnachtslied nicht.
Dagegen ist das Lied in zahlreichen Partituren und auf Tonträgern vertreten. Das Deutsche Musikarchiv in Leipzig weist in seinem Katalog rund 2.800 aus. Von Peter Alexander, Herman van Veen und Nana Mouskouri, der Kelly Family, Frank Schöbel, Christian Anders (in leicht verkitschter Interpretation) und Wolfgang Petry bis hin zur Gruppe Die Toten Hosen (als Die Roten Rosen) haben das Lied in ihr Repertoire aufgenommen. Auch von zahlreichen Chören wurde – und wird es noch heute – gesungen, z. B. vom Tölzer Knabenchor oder von den Hamburger Alsterspatzen. Und Heintje und Heino haben es auf ihre Weise das Lied interpretiert.
Das Lied O du fröhliche ist in vielen Ländern bekannt und beliebt, so in Österreich und in der Schweiz, in England (Oh, how joyfully) Frankreich (O temps joyeux et heureux) und Schweden (O, du saliga, o, du heliga).
Das Lied, das vorwiegend an den Weihnachtstagen, manchmal auch in der Adventszeit gesungen wird, ist aber auch bereits vor Weihnachten in Kaufhäusern, Einkaufszentren und auf Weihnachtsmärkten – allerdings ohne Text – zu hören. Die eingängige Melodie soll dazu beitragen, die Besucher in Stimmung zu bringen, womöglich noch mehr und/oder kostspieligere Waren als geplant zu kaufen. Diesem kommerzialisierten und konsumorientierten, das Weihnachtsfest entwürdigenden Rummel setzt Uwe Wandrey seine Fassung von O du fröhliche (aus: Stille Nacht allerseits! Ein garstiges Allerlei. Hg. v. Uwe Wandrey. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1975, Neuausgabe 1994) entgegen:
O du fröhliche, o, du selige,
dollarbringende Weihnachtszeit.
Geld ward geboren
Welt ging verloren
Verloren, verloren die Christenheit.O du fröhliche, o, du selige
Dollarbringende Weihnachtszeit.
Geld ist erschienen, dass wir ihm dienen
Dienen, dienen der Marktfreiheit.O du fröhliche, o, du selige
Dollarbringende Weihnachtszeit.
Re- und Aktionäre
Jauchzen die Ehre
Jauchzen dir, jauchzen dir, Christenheit.
Georg Nagel, Hamburg