Ein Bild von einem Mann. Liederportrait I: Dschinghis Khans Dschinghis Khan als bewegtes Reiterstandbild in orientalistischem Schimmer

In der Serie „Liederportraits“ werden Martin Christ und Florian Seubert in loser Folge Liedtexte vorstellen, die eine (oft prominente) Person portraitieren.

Dschinghis Khan (Text: Bernd Meinunger)

Dschinghis Khan

Sie ritten um die Wette mit dem Steppenwind, tausend Mann (Haa, Huu, Haa) 
Und einer ritt voran, dem folgten alle blind, Dschinghis Khan (Haa, Huu, Haa) 
Die Hufe ihrer Pferde durchpeitschten den Sand 
Sie trugen Angst und Schrecken in jedes Land 
Und weder Blitz noch Donner hielt sie auf (Huu, Haa)

Dsching, Dsching, Dschinghis Khan 
He Reiter - Ho Reiter - He Reiter - Immer weiter! 
Dsching, Dsching, Dschinghis Khan 
Auf Brüder! - Sauft Brüder! - Rauft Brüder! - Immer wieder! 
Lasst noch Wodka holen (Ho, Ho, Ho, Ho, Ho) 
Denn wir sind Mongolen (Ha, Ha, Ha, Ha, Ha) 
Und der Teufel kriegt uns früh genug!

Dsching, Dsching, Dschinghis Khan 
He Reiter - Ho Reiter - He Reiter - Immer weiter! 
Dsching, Dsching, Dschinghis Khan 
He Männer - Ho Männer - Tanzt Männer - So wie immer! 
Und man hört ihn lachen (Ho, Ho, Ho, Ho, Ho) 
Immer lauter lachen (Ha, Ha, Ha, Ha, Ha) 
Und er leert den Krug in einem Zug (Haa, Huu, Ha, Hu, Huu, Haa, Hu, Ha, Hu, 
                                                        Huu, Haa, Hu, Ha, Hu)

Und jedes Weib, das ihm gefiel, das nahm er sich in sein Zelt (Haa, Huu, Haa) 
Es hieß, die Frau, die ihn nicht liebte, gab es nicht auf der Welt (Haa, Huu, Haa) 
Er zeugte sieben Kinder in einer Nacht 
Und über seine Feinde hat er nur gelacht 
Denn seiner Kraft konnt‘ keiner widerstehen (Huu, Haa)

Dsching, Dsching, Dschinghis Khan […]

Dsching, Dsching, Dschinghis Khan […]
     
     [Dschinghis Khan: Dschinghis Khan. Jupiter 1979.]

Einer der blutrünstigsten und brutalsten Feldherren der Geschichte, Dschinghis Khan, ist der Protagonist eines der bekanntesten Disco-Sauflieder Deutschlands. Unser erstes Liederportrait ist ein party-poppiges Reiterstandbild des heroischen Mongolen Dschinghis Khan. Dieser herrschte im 12. und 13. Jahrhundert über weite Teile Zentralasiens, Nord-West Chinas, den Kaukasus und den Ost-Iran. Er wird weithin als einer der erfolgreichsten, aber auch gewalttätigsten Heerführer der Geschichte wahrgenommen. Durch die Vereinigung der disparaten mongolischen Steppenstämme wird er, vor allem in der Mongolei, als Gründungsvater des Landes angesehen – in China und anderen Ländern hingegen wird er kritischer rezipiert. Kulturell war der Khan maßgeblich an der Verbreitung der Uigurischen Sprache beteiligt und galt als überraschend tolerant gegenüber religiösen Minderheiten.

In ihrem Grand Prix-Beitrag aus dem Jahre 1979 verherrlichen Bernd Meinunger und Ralph Siegel eine archaische Steppenwelt, in der eine mongolische Burschenschaft unter der Führung des legendären Dschinghis Khan kräftig auf den orientalistischen Putz haut. Die christlich-westlich eingefärbte Darstellung Zentralasiens und die Darstellung einer misogynen Reiterkohorte stechen bei der schlagertextlichen Aneignung der mongolischen Legende besonders heraus. Analysiert man den Liedtext, so fällt die verzerrte und inakkurate Beschreibung der Mongolei des 12. und 13. Jahrhunderts auf, welche durch die Projektion westlicher Werte und Vorstellungen auf eine unbekannte östliche Welt zu Stande kommt. Im letzten Vers des Refrains beispielsweise wir der abendländische Teufel als höllische Fratze heraufbeschworen. Die Steppenreiter allerdings nutzen ihn provokant-selbstbewusst, entgegen des christlichen Sündenverständnisses, als Maß ihres exzessiven Verhaltens und fürchten ihn nicht.

Der gesamte Refrain stellt eine Rollenstrophe dar, in der die Reiter als Männerchor ihre Saufgelage vertonen. Ähnlich wie der Teufel keine eindeutig mongolische Figur ist, fällt auch die Nennung des Wodkas, der kausal mit der Mongolei verknüpft wird („Lasst uns Wodka holen / Denn wir sind Mongolen“), im kulturellen Eklektizismus des Lieds als schiefe Referenz auf, wird der hochprozentige Klare doch primär mit Russland und Polen in Verbindung gebracht. Diese westliche Appropriation eines Nahen, Mittleren und Fernen Ostens fügt sich in den popkulturellen Entstehungszeitraum des Lieds und ähnlicher Artefakte wie Moskau (1979), ebenfalls von Dschinghis Khan, Rasputin (1978) von Bonny M. (und wohl Vorbild des Siegel‘schen Schlager-Khans) und Nikita von Elton John (besonders auch das Video, 1985). Die genannten Beispiele thematisieren den Osten als (unerreichbares) Faszinosum und/oder vergangene Welt. Folglich kann dieser Osten im Schlagergenre als exotistische Phantasie fungieren. Im historischen Kontext lässt sich diese Faszination des Ostens auch mit der sowjetischen Invasion Afghanistans, dem kommunistischen Regime Vietnams und einer Erweiterung des sowjetischen Einflussbereiches in den späten 1970er Jahren in Verbindung bringen, was zu einem Erstarken der UdSSR führte. Diese Ereignisse, von denen man auch in Westdeutschland wusste, blieben auf Grund des Eisernen Vorhangs dennoch fern. Die Welt hinter dem Vorhang war somit faszinierend fremd, durch die politische Situation ein Zugang zu ihr verwehrt.

Fremdländisch-Faszinierendes fällt nicht nur mit Bildern einer unerreichbaren Welt ein, sondern auf lautlicher Ebene auch mit dem Hufklang des mongolischen Reiterheers. Das laute Lachen der östlichen Alkoholiker schallt in vokalischen Hos und Has durch das Lied. Die Binnenreime in Refrain und Strophe erzeugen einen  galoppierenden Rhythmus: „Sie ritten um die Wette mit dem Steppenwind.“ Die unreine innere Reimstruktur in Kombination mit gedoppelten Plosivlauten erzeugt eine brutal gehämmerte, erdige Lautspur. Die imperativischen Schlagreime im Refrain simulieren die  aufgeheizte Stimmung  einer exzessiv-virilen mongolischen Rauferei in alkoholisiertem Zustand: „Auf Brüder! – Sauft Brüder! – Rauft Brüder! – Immer wieder!“.

Die extrem ausgestellte Männlichkeit der trinkenden Mongolen nimmt in der zweiten Strophe den Ton frauenfeindlich-chauvinistischen Missbrauchs an:

Und jedes Weib, das ihm gefiel, das nahm er sich in sein Zelt (Haa, Huu, Haa)
Es hieß, die Frau, die ihn nicht liebte, gab es nicht auf der Welt (Haa, Huu, Haa)
Er zeugte sieben Kinder in einer Nacht
Und über seine Feinde hat er nur gelacht
Denn seiner Kraft konnt keiner widerstehen (Huu, Haa)

Hatte das Wort Weib im Mittelalter noch die neutrale Bedeutung von ‘Frau‘, wandelte sich seine Bedeutung im Neuhochdeutschen zum Pejorativen hin. Im anderweitig neuzeitlichen Sprachgebrauch des Lieds wirkt die archaische Verwendung des Wortes Weib deshalb frauenfeindlich. In dieses misogyne Verständnis reiht sich auch die promiskuitive Potenz des Mongolen ein, dem alle Frauen bedingungslos hörig zu sein scheinen. So kann er jede Frau in sein Zelt nehmen und wohl auch jede Frau in seinem Zelt nehmen. In einem familiengerechten Schlager ist damit die Obergrenze sexueller Offenheit erreicht. Khans erotische Abenteuer bleiben nicht ohne Folgen. In seinem schier endlosen Fortpflanzungswüten gelingt es Dschinghis Khan die Frucht seiner Lenden gleich sieben Mal zu pflanzen: „Er zeugte sieben Kinder in einer Nacht.“ Durch die Kombination der mythologisch aufgeladenen Zahl sieben mit dem unerwartet korrekt-verklemmt klingenden Verb zeugen erhält die Zeile biblischen Glanz.

Während die Wortwahl dieser Zeile eine heterokonservativ machohafte Lesart unterstützt, lässt die Wortwahl des letzten Verses eine dekonstruierende Lesart zu, die der kommunizierten Heterosexualität der vorangegangene Zeilen entgegensteht: „Denn seiner Kraft konnt keiner widerstehen.“ In einer anderen Strophe würde man diese Kraft eindeutig mit Kriegerkraft assoziieren, was die Feinde im vorangegangenen Vers zunächst vermuten lassen. Erneut ist die Verbwahl auffällig: Laut dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache meint widerstehen in seiner Erstbedeutung nicht das kämpferische ‘Widerstand leisten‘, sondern zunächst ‘der Versuchung, die von jmdm., einer Sache ausgeübt wird, nicht erliegen, jmdm., einer Sache gegenüber standhaft bleiben‘. In dieser erotisch aufgeladenen Strophe wird diese Bedeutung noch unterstützt. Da besagte Manneskraft in der Zeile nicht genauer spezifiziert ist, lässt sie sich somit auch als Anziehungskraft eines überdurchschnittlich sexuell aktiven Reiters lesen. Geht man davon aus, dass in heroischen Szenarien Krieger männlich sind, dann sind dies auch die Opponenten von Khans Klan. Somit wird die heterosexuelle Zeugungsphantasie zum homoerotischen Lustabenteuer: „He Männer – Ho Männer – Tanzt Männer – So wie immer!“ Die Nähe zwischen Kriegerkultur und homoerotischen Tendenzen ist ein gängiges Motiv in einem militaristisch-kriegerischen Kontext. In diesem Sinne also ist Dschinges Khan nicht nur ein Bild von einem Mann, sondern auch ein Bild für einen Mann. Hei Ho!

Martin Christ und Florian Seubert, Oxford

Über deutschelieder
“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

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