Wauwau auf Abwegen: „Ein Hund kam in die Küche“

Ein Hund kam in die Küche

Ein Hund kam in die Küche
und stahl dem Koch ein Ei.
Da nahm der Koch den Löffel
und schlug den Hund entzwei.

Da kamen viele Hunde
und gruben ihm ein Grab.
Und setzten ihm ‘nen Grabstein,
worauf geschrieben war:

Ein Hund kam in die Küche [...]

[nach Belieben endlos weiter]

 

Ich notiere den Text so, wie ich ihn von Kindesbeinen an gesungen habe. Kleine Abweichungen sind in Deutschland weit verbreitet: z.B. benutzen die Köche mangels eines geeigneten Löffels gerne auch mal „Kellen“ oder „Messer“ als Mordwerkzeuge,  hin und wieder schlagen sie den diebischen Hund, der oft als „Mops“ spezifiziert wird, nicht nur halbherzig „entzwei“, sondern gleich komplett „zu Brei“ usw. Zwischen dem besungenen Mops und der dialektalen Bezeichnung ,mopsen‘ für ,klauen‘ scheint ein ironischer Zusammenhang zu bestehen (vgl. dazu auch den Hinweis in einem Beitrag vom 11.5.2010 zum Internet-Forum Talkteria).

Dieses Lied, das wahrhaft viel Böses und Trauriges in wenigen Zeilen versammelt, wird vom Volksliederarchiv gleichwohl als ,Scherzlied‘ eingestuft. Obwohl es mir fern liegt, dieser Klassifikation ausgewiesener Fachleute zu widersprechen, scheint es mir doch ein bedenkliches Licht auf den deutschen Humor zu werfen, der sich offensichtlich an Diebstahl, unverhältnismäßiger Rachsucht, brutalem Totschlag und Beerdigungen entzünden kann – und davon, wenn wir an die dem Lied inhärente Endlosschleife denken, offensichtlich gar nicht genug bekommen kann!

Immerhin muss man unserem schaurigen Endloslied, das zum Genre der Moritaten gerechnet werden darf, auch pädagogische Qualitäten zugute halten, die natürlich in erster Linie für Canoidea (gelegentlich auch als Caniformia bezeichnet, vulgo: Hundeartige) einschlägig sind. Mit dem zoologischen Überfamilienbegriff der ,Hundeartigen‘ schließe ich hier ausdrücklich auch Füchse ein, die m.E. ebenfalls, darin den Möpsen vergleichbar, in besonderer Weise zur Kleptomanie neigen (vgl. Fuchs, du hast die Gans gestohlen) und gegebenenfalls mit ähnlich unliebsamen Gewaltausbrüchen ihrer Opfer zu rechnen haben. Hund (im weitesten Sinne) könnte also aus dem Exempel die Lehre ziehen, Küchen generell als loci horribili zu begreifen und insofern konsequent zu meiden, was für häuslichen Frieden wie Hygiene gleichermaßen Vorteile mit sich brächte. Auf der anderen Seite wäre es aber auch Köchen dringlich anzuempfehlen, für den Totschlag von Haustieren nicht jene Küchenutensilien zu verwenden, mit denen sie gleich darauf wieder ihren beruflichen Pflichten nachgehen. Auf diese Weise verspielt man nur allzu rasch den einen oder anderen mühsam erarbeiteten Michelin-Stern!

Das brutale Geschehen unseres Hundesongs wird durch die grotesken Elemente der Handlung  ,entwirklicht‘, d.h. seines Schreckens beraubt und damit auch für Kinder kompatibel gestaltet. Der unverhältnismäßig hart bestrafte Eierdieb bekommt ein bürgerliches Grab und einen Gedenkstein dazu, der in literarischer Form sein tragisches Schicksal dem Vergessen entzieht und ihn so – durchaus im Hölderlinschen Sinne – unsterblich macht: „Was bleibet aber, stiften die Dichter“. So ist der Mops – analog zu Comicfiguren wie Tom und Jerry – nie endgültig umzubringen, sondern entsteigt slapstickartig mit jeder zweiten Strophe seinem Grab, um abermals die Küche zu betreten usw. usw.: ein diebischer Sisyphos, der – und das ist die mythische Kehrseite der Medaille! – seinem Kontrahenten Verdruss in tantalischem Ausmaß zufügt. Diese Liedstruktur scheint mir ausgesprochen ,kindgerecht‘, insofern unsere lieben Kleinen bei vielen Spielen kein Ende finden können bzw. wollen.

Zum eigentlichen Liedtext, den ich hier auch wegen des schönen Begleitvideos und des Ei-Motivs bespreche, das so gut zu Ostern passt, scheint nun das Wichtigste gesagt. Allenfalls sind noch einige Informationen zur Entstehungssituation und Rezeption nachzutragen. Aus dem bereits erwähnten Volksliederarchiv ist fernerhin zu erfahren, dass Ein Hund kam in die Küche schon dem 19. Jahrhundert bekannt war (in dessen Mitte ich es deshalb praktischer Weise datiere) und sein Verfasser unbekannt geblieben ist. Andere Quellen vermuten diesen Anonymus im studentischen Milieu, ohne dafür konkrete Belege anführen zu können. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man den Endlos-Song üblicherweise auf die Melodie von Mein Hut, der hat drei Ecken anstimmt, die – wie nun wieder das Volksliederarchiv ausführt –  venezianischen Ursprungs und 1816 vom ,Teufelsgeiger‘ Niccolò Paganini (1782-1840) durch sein Opus 10, „Carneval di Venezia, Variationen über „O mamma, mamma cara“ für Violine und Orchester, nach Deutschland gebracht worden sei.

Für die große Beliebtheit des schlichten Volks- und Kinderlieds von der eierklauenden Fellnase sprechen viele Variationen und Erweiterungen, die in speziellen deutschen Soziotopen in Gebrauch sind. Viele dieser Varianten weisen dialogische Strukturen zwischen einem Vorsänger (V) und einem Chor (A für ,Anhänger‘) auf, der bestimmte Verse nachsingt. Ein besonders schönes Beispiel liefert der nachfolgend vorgestellte Fangesang des Fußballclubs SC Preußen Münster 06 e.V. mit seiner genialen Lösung für den Lied-Schluss, welche die Endlosschleife des Scherzlieds vermeidet:

V: Ein Hund kam in die Küche.

A: Die Küche.

V: Die Kammer.

A: Die Kammer.

V: Die Speisekammer.

A: Die Speisekammer.

V: Und stahl dem Koch die Mettwurst.

A: Die Mettwurst.

V: Die Blutwurst.

A: Die Blutwurst.

V: Die Cervelatwurst.

A: Die Cervelatwurst.

V: Da kam der Koch mit der Kelle.

A: Der Kelle.

V: Dem Messer.

A: Dem Messer.

V: Dem Hackebeilchen.

A: Dem Hackebeilchen.

V: Und schlug dem Hund den Kopf ab.

A: Den Kopf ab.

V: Die Beine ab.

A: Die Beine ab.

V: Und alle seine Schwänze.

A: Und alle seine Schwänze.

V: Da kamen viele Hunde.

A: Viele Hunde.

V: Die Pinschers.

A: Die Pinschers.

V: Die Dackels.

A: Die Dackels.

V: Die Bernhardieners.

A: Die Bernhardieners.

V: Und schufen ihm ein Grabmal.

A: Ein Grabmal.

V: Ein Denkmal.

A: Ein Denkmal.

V: Ein Mausoleum.

A: Ein Mausoleum.

V: Und schrieben drauf mit Tinte.

A: Mit Tinte.

V: Mit Kuli.

A: Mit Kuli.

V: In schwarz-weiß-grüner Farbe.

A: In schwarz-weiß-grüner Farbe.

Ha, ho, he, nur der SCP! Ha, ho, he, nur der SCP!

 

Hans-Peter Ecker, Bamberg

Über deutschelieder
“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

One Response to Wauwau auf Abwegen: „Ein Hund kam in die Küche“

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