Romantische Wandervogelhymne: Horants „Wir wollen zu Land ausfahren“

Horant (Hjalmar Kutzleb)

Wir wollen zu Land ausfahren

Wir wollen zu Land ausfahren
wohl über die Fluren weit,
aufwärts zu den klaren
Gipfeln der Einsamkeit.
Woll´n lauschen, woher der Sturmwind braust,
schauen, was hinter den Bergen haust
und wie die Welt so weit, 
und wie die Welt so weit.

Fremde Wasser dort springen,
sie soll´n uns´re Weiser sein,
froh wir wandern und singen
Lieder in das Land hinein.
Und glüht unser Feuer an gastlicher Statt,
so sind wir geborgen und schmausen uns satt,
und die Flamme leuchtet darein
und die Flamme leuchtet darein.

Und steigt aus tiefem Tale
heimlich und still die Nacht,
und sind vom Mondenstrahle
Gnomen und Elfen erwacht,
dämpfet die Stimme, die Schritte im Wald
so hör'n, so schau'n wir manch Zaubergestalt,
die wallt mit uns durch die Nacht,
die wallt mit uns durch die Nacht.

Es blühet im Walde tief drinnen
die blaue Blume fein,
die Blume zu gewinnen
zieh‘n wir ins Land hinein.
Es rauschen die Bäume, es murmelt der Fluss,
und wer die blaue Blume finden will,
der muss ein Wandervogel sein,
ein Wandervogel sein.

Das „bekannteste Lied der Wandervogelbewegung“ (www.volksliederarchiv.de), ist seit seiner Entstehung 1911 bis heute populär geblieben. Die „Wandervogelhymne“ (Wolfgang Lindner) spiegelt die romantischen Bestrebungen der Jugendbewegung wieder, die Natur freier zu erleben, um sich von den einengenden Verhältnissen der Industrialisierung und zunehmenden Verstädterung zu lösen. Noch 2013 wurde das Lied beim „Fest der Jugend – Jugend in Bewegung“ auf dem höchsten Berg der Kasseler Kuppe, dem Hohen Meißner, von Pfadfindern, Wandervögeln und Jungenschaftlern gesungen. 1913 fand dort der Erste Freideutsche Jugendtag statt, das Treffen jugendbewegter Gruppierungen als Gegenprogramm zu den patriotisch-chauvinistischen Gedenkveranstaltungen anlässlich des 100. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig.

Entstehung

Verfasst wurde das Lied 1911 von Horant, i.e. der bündische Name des Schriftstellers und Pädagogen, Hjalmar Kutzleb (1885 bis 1959). Kutzleb, der über 60 Romane, Novellen und Sachbücher verfasste, vorwiegend „von germanisierend-nationaler Erziehungstendenz“ geprägt (Walter Killy: Literaturlexikon) und verbunden mit einer „antisemitischen Einstellung“ wurde 1935 Professor an der Hochschule für Lehrerfortbildung in Weilburg (Wikipedia). Als frühes Mitglied des Alt-Wandervogels (AWV) übernahm Kutzleb 1905 die Leitung des AWV Sachsen und Schlesien. Nachdem er 1910 in den neu gegründeten Jung-Wandervogel (1912 62 Ortsgruppen, AWV 300 Ortsgruppen) übergetreten war, lernte er den preußischen Landrat Kurt von Burkersroda (bündischer Name bux, 1877 bis 1918) kennen, der 1912 Kutzlebs Verse vertonte.

Wir wollen zu Land ausfahren_2Wir wollen zu Land ausfahren_1

Interpretation

So wie der Begriff Jugend-Bewegung etwas Dynamisches assoziieren lässt, so könnte man das Lied ein Bewegungslied nennen. Heraklits panta rhei, alles fließt, ist nicht nur wörtlich zu nehmen – „fremde Wasser dort springen“ – , sondern zieht sich durch alle Strophen: ‚ausfahren, brausen, wandern, wandelt, Schritte, wallet, zieh‘n, rauschen, (Fluss) murmelt, finden‘. Sich bewegen, körperlich und geistig, sich er-fahren war das Bestreben der Wandervögel, permanent unterwegs sein im Sinne von Konfuzius: „Der Weg ist das Ziel“. Dies kommt in mehreren Liedern zum Ausdruck, die untereinander motivische Parallelen aufweisen:

   A: Wir wollen zu Land ausfahren, Text: Hjalmar Kutzleb, Melodie: Kurt von Burkersroda

   B: Aus grauer Städte Mauern, Text: 1-3: Hans Riedel, 4: Hermann Löns, Melodie: Robert Götz

   C: Wir sind durch Deutschland gefahren. Mündlich überliefert

   D: Wir sind jung, die Welt ist offen, Text: Jürgen Brand, Melodie: Michael Englert

Das hier besprochene Lied beginnt mit der Aufforderung an die Wandervögel selbst: „Wir wollen zu Land ausfahren“. Fahren hier auch gemeint in der etymologischen Verwandtschaft mit Gefahr und Erfahrung; die Wandervögel wollen unterwegs neue Erfahrungen machen, Abenteuer erleben, Gefahren trotzen. Es geht heraus aus den Großstädten (vgl. B: Aus grauer Städte Mauern) – die Wandervogelbewegung ist ja in Berlin-Steglitz entstanden – in die Natur: „über die Fluren weit“, in die Berge und durch den Wald (s. A, 2. und 3. Strophe). Das Motto der deutschen Lebensreformbewegung um die Jahrhundertwende (1900), „Zurück zur Natur“, wurde umgesetzt, zunächst durch Wanderungen in die Umgebung, dann auf Fahrt durch ganz Deutschland (vgl. C: Wir sind durch Deutschland gefahren) und schließlich auf „Großfahrt“ ins europäische Ausland und sogar nach Übersee: …„und wie die Welt so weit, / und wie die Welt so weit“ (A, Strophe 1; vgl. D: Wir sind jung, die Welt ist offen).

Sprachlich steckt das Lied voller Neo-Romantizismen: Hier geht es nicht „hinaus durch Wald und Feld“ (D, 1. Strophe), sondern „über die Fluren weitA, 1. Strophe); man orientiert sich nicht an fließenden Bächen, sondern an „springenden Wassern“, neben denen man empor wandert – „aufwärts zu den klaren Gipfeln der Einsamkeit. Dort sucht man die Stille, die Besinnung, die Einsamkeit. Ähnlich in Alfred Zschiesches Wenn die bunten Fahnen wehen: „Wo die blauen Gipfel ragen, / lockt so mancher steile Pfad“ (3. Strophe). Man hört nicht den Wind oder den Sturm, sondern man will „lauschen, woher der Sturmwind braust“. Die Nacht bricht nicht an, sondern „steigt aus dem Tale“ und das „heimlich und still“. Dazu gehören dann auchdie Gnomen und Elfen“, die erwacht sind. Und wenn man leise geht, die „Schritte im Wald dämpft“, dann kann man auch Stimmen hören und „manch Zaubergestalt „schau’n, die nicht durch die Nacht schwebt, sondernmit uns durch die Nacht wallt“. Auch hier stellte sich „die Jugendbewegung […] damals bewußt in die Tradition der Romantik – dies nicht nur in der Übernahme von sprachlichen Bildern, sondern auch als ein Versuch der ‚Wiederverzauberung der Welt‘: einer technisierten, säkularisierten, verstädterten Welt“ (Winfried Mogge).

Als jemand, der in jungen Jahren manche Nachtwanderung beim CVJM (Christlicher Verein junger Menschen) mitgemacht hat, kann ich bestätigen, dass auch wir manches Mal ähnliche mystische Empfindungen hatten. Auch wie geborgen wir uns gefühlt haben, wenn wir uns am Lagerfeuer, natürlich nicht im Wald, sondern „an gastlicher Statt“ gewärmt haben und wir uns satt gegessen hatten – hier „satt geschmaust“.

Aber die Nacht geht vorüber und wir müssen weiter, „unser Sehnen, unser Hoffen“ (A, 1. Strophe; vgl. auch „und tief in der Seele das Ferne, / das Sehnen, das nimmermehr ruht aus“, C, 3. Strophe) gilt der ‚blauen Blume, die im Walde tief drinnen blüht‘. Und sei die Welt noch so weit, uns ist kein Weg zu weit, um die Blume (vgl. A, 4. Strophe) zu finden; und so zieh‘n wir ins Land hinein“, bereit auch zu „schauen, was hinter den Bergen haust“. Eine Parallele findet sich in der 2. Strophe des Liedes von Jürgen Brand (D):Liegt dort hinter jenem Walde / nicht ein fernes, fremdes Land? / Blüht auf grüner Bergeshalde / nicht das Blümlein Unbekannt?“

Lange vor der Romantik findet nach einer mir nicht näher bekannten Sage ein Wanderer eine blaue Wunderblume, die ihn zu verborgenen Schätzen führt. In der Romantik steht die blaue Blume für „Sehnsucht und Liebe und für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen“ (Wikipedia). Populär wurde das Symbol durch Novalis‘ (1772-1801) Romanfragment Heinrich von Ofterdingen (1800, veröffentlicht 1802). Bei Eichendorff (1788-1857) ist die Suche nach der blauen Blume die Suche nach dem Glück, dem Erkennen der Natur und des eignen Selbst. Sein Gedicht Die blaue Blume endet damit, dass der Sprecher sie doch nicht finden kann: „Ich wandre schon seit lange, / hab lang gehofft, vertraut, / doch ach, noch nirgends hab ich / die blaue Blum‘ geschaut.“

Die Lehrer, Studenten und Gymnasiasten, die 1901 die erste Wandervogelgruppe in Steglitz gründeten, kannten „ihren“ Novalis. Sie griffen das Symbol auf, und so wurde die blaue Blume auch ein Sinnbild der Sehnsucht nach der Ferne und ein Symbol der Wanderschaft: „Wenn hell die goldne Sonne lacht, / muß in die Welt ich ziehn, / denn irgendwo muß voller Pracht / die blaue Blume blühn“ (Entstehung und Näheres unbekannt). Zur heutigen Verwendung des Begriffs Blaue Blume s. letzten Abschnitt Rezeption ab 1945.

Rezeption bis 1933

Wie viele andere Lieder der Jugendbewegung ist Wir wollen zu Land ausfahren zunächst „auf Fahrt“ oder am Lagerfeuer mündlich weitergetragen worden. Vor dem Ersten Weltkrieg tauchte das Lied nur in wenigen Liederbüchern auf, z. B. im Rhein-Wander-Liederbuch Frischauf (1913) oder im Wandervogel-Singebuch (1914). Dann aber erlebte es seinen Durchbruch durch die Aufnahme in zahlreiche Liederbücher nicht nur bündischer Provenienz, sondern auch der Arbeiter- und der Kaufmännischen Jugend, christlicher und deutsch-völkischer Kreise und natürlich der Wandervereine. Die von Fritz Sotke edierten Liedersammlungen wie Unsere Lieder (1929, 19.-25. Tausend) und Fahrtenlieder (1930, 54.-56. Tausend) gehörten wie Das Liederbuch der deutschen Kaufmannsjugend (1928, 51.-56. Tausend) zu den auflagestärksten Liederbüchern vor 1933, übertroffen nur von dem von einer Genossenschaft herausgegebenen Hamburger Jugend Liederbuch mit einer Auflage von 61.-65. Tausend (1929).

1933 bis 1945

In den ersten Jahren der NS-Zeit wurde Wir wollen zu Land ausfahren wie viele andere Lieder der Jugendbewegung, z. B. Aus grauer Städte Mauern oder Im Frühtau zu Berge auch von der Hitlerjugend gesungen (vgl. die Aufnahme in Liederbücher wie Uns geht die Sonne nicht unter, erschienen Anfang 1934 im bündischen Günther Wolff Verlag, oder Liederbuch des Bundes Deutscher Mädel); die Jugendlichen, die aus den nach der Machtübernahme aufgelösten Bünden in die HJ gekommen waren, sangen weiterhin ihre alten Lieder. Und auch das vom Reichsjugendführer Baldur von Schirach herausgegebene Liederbuch Blut und Ehre (1933) nahm nicht nur die wenigen bereits vorhandenen nationalsozialistischen Lieder auf, sondern griff ebenfalls auf bündisches Liedgut zurück.

All das konnte auf Dauer auch der Reichsjugendführung nicht verborgen bleiben. Noch im Jahr 1934 wurde das HJ-Liederbuch dem Wolff Verlag entzogen und unter gleichem Titel in Köln in einem den Nazis genehmen Verlag neu aufgelegt. Einige bündische Lieder (z.B. Hohe Tannen weisen die Sterne) oder solche, die als „defätistisch“ galten (Soldat, du bist mein Kamerad), waren entfernt worden. Es fehlte nun auch Die Gedanken sind frei, und wenig später verschwand auch das Lied Wilde Gesellen vom Sturmwind durchweht. Der Titel des Liederhefts Uns geht die Sonne nicht unter, der Schlussvers jeder Strophe aus den Wilden Gesellen, wurde beibehalten. Das in den Bünden in den 1920er Jahren weit verbreitete Lied Wir wollen zu Land ausfahren, eigentlich ein harmloses Fahrtenlied, wurde ebenfalls aus dem Liederbuch „getilgt“, fanden sich darin doch die Verse „und wer die blaue Blume finden will, / der muss ein Wandervogel sein“. Solch romantisches Ansinnen passte ebenso wenig zur HJ wie das Gebaren der Wilden Gesellen. „Die Hitlerjungen sollten keine Blumen suchen, sondern exerzieren; und wenn schon Fahrtenleben, dann in militärisch straffer Haltung, in wahrlich riesigen Zeltstädten mit lückenlos durchorganisiertem Lagerleben, mit dem Sieg in irgendeinem Wett-Kampf als Ziel. Auch Fernweh, fremde Länder und Naturereignis – all das waren bzw. wurden Sehnsüchte, die im neuen HJ-Liedgut ab 1934/35 seitens der Verantwortlichen keinen Raum mehr finden durften“ (Martin Rüther: „Wo keine Gitarre klingt, da ist die Luft nicht rein!“ Anmerkungen zum Singen in der NS-Zeit)

Bald erschien in der Zeitschrift Jungvolk, dem Zentralorgan für das Deutsche Jungvolk (Jugendorganisation der Hitlerjugend für 10- bis 14-Jährige), ein Artikel, in dem gegen das Singen spezifisch bündischer Lieder polemisiert wurde: „Hört doch einmal die Texte verschiedener Lieder, die auch bei uns gesungen werden, an, z. B. … Und wer die blaue Blume finden will, der muß ein Wandervogel sein. Paßt das zu unserer kämpferischen harten Haltung? […] Es ist doch geradezu lächerlich, daß dieses ‚Liedgut‘ – teils musikalischer Kitsch, teils textliche Unmöglichkeit – überhaupt bei uns Eingang fand.“ (www.jugend1918-1945.de). Und ab 1935 fehlten in den NS-Liederbüchern nicht nur die die o.a. Lieder, sondern auch Hohe Tannen weisen die Sterne und Wir wollen zu Land ausfahren. Nicht romantischen Gedanken sollten die Hitlerjungen anhängen, sondern in vormilitärischen Geländespielen und Wettkämpfen „flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“ werden (Hitler in einer Rede 1935 vor 50.000 Hitlerjungen).

Mit Ausnahme des 1941 im Hermann Schroedel Verlag erschienenen Liederbuchs Sonnenlauf IIIn Lied und Spruch um die Gezeiten der Feste des Jahres, das auch einige NS-Lieder enthielt, ist nach meiner Kenntnis bis 1945 keine weitere Liedersammlung mit Wir wollen zu Land ausfahren veröffentlicht worden.

Rezeption ab 1945

Geht man von den bereits in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Liederbüchern aus, dann wurde Wir wollen zu Land ausfahren in politischen, gewerkschaftlichen und christlichen Jugendgruppen gesungen. Auch in der damaligen Ostzone nahm die Freie Deutsche Jugend (FDJ) das Lied in ihr erstes Liederbuch der deutschen Jugend (1946) auf. Nachdem das Wanderlied in Schul- und anderen Liederbüchern der Schweiz und in Österreich auftauchte, war es bald auch in allen Liederbüchern der Nachfolgeorganisationen der Jugendbewegung, häufig mit mehreren Auflagen, zu finden.

Ab 1953 fand es Aufnahme in Die Mundorgel (Auflage bis 2013: Textausgabe rund 10 Millionen, Notenausgabe 4 Millionen), sowie in späteren Jahren in die auflagestarken Taschenbücher Die schönsten deutschen Volkslieder (Heyne), Volkslieder aus 500 Jahren (Hg. vom Volkskundler Ernst Klusen, Fischer TB) und in das weit verbreitete Liederheft Liederkarren (4. Auflage 1992, seit 1999 bei Schott Music).

Auch auf Tonträgern ist das Lied weit verbreitet; der Katalog des Deutschen Musikarchivs, Leipzig, weist über 40 LPs und CDs aus. Heino allein interpretierte das Lied auf seine Art von 1965 bis 1992 auf acht LPs bzw. CDs.

Wie beliebt Wir wollen zu Land ausfahren nach wie vor ist, zeigen auch die neun Liederbücher, die seit 2000 herauskamen und vor allem die vielen Videos auf Youtube.

Nicht nur das Lied ist populär geblieben, auch die blaue Blume blüht ins 20. Jahrhundert hinein. So erschien 1960 vom Schriftsteller und Nerother Wandervogel Werner Helwig (1905-1985) Die Blaue Blume des Wandervogels mit dem Untertitel Vom Aufstieg, Glanz und Sinn einer Jugendbewegung. 1968, zur Zeit der Außerparlamentarischen Opposition, forderten Germanistikstudenten, anstelle traditioneller Literatur moderne Arbeiterliteratur in Vorlesungen und Seminaren zu behandeln: „Schlagt die Germanistik tot, färbt die blaue Blume rot!“ Die Deutsche Nationalbibliothek führt allein für die vergangenen 20 Jahre 27 belletristische Werke mit der blauen Blume im Titel auf. Seit 2012 wird die „Blaue Blume“ verliehen, ein Preis für romantische Kurzfilme. Noch heute heißen einige Hotels und Restaurants und sogar eine Online-Buchhandlung „Blaue Blume“, und eine Frankfurter Künstlergruppe, ein skandinavisches Gesangsquartett und eine dänische Indie-Pop-Gruppe nennen sich „Blaue Blume“; das dänische Porzellan Royal Copenhagen heißt ebenfalls „Blaue Blume“. Und für 2016 hat die Deutsche Literaturgesellschaft die Herausgabe eines Buches zur erzählenden Natur mit dem Titel „Die Blaue Blume“ angekündigt. Der Bundeswehr dagegen schien die blaue Blume wohl zu romantisch – vom ‚Wandervogelsein‘ ganz zu schweigen – in den vom Bundesministerium für Verteidigung 1958 bis 1991 herausgegebenen Liederbüchern (Liederbuch der Bundeswehr, Hell klingen unsre Lieder und Kameraden singt) ist die 4. Strophe von Wir wollen zu Land ausfahren nicht enthalten.

Georg Nagel, Hamburg

Quellen (Auswahl):

Wolfgang Lindner: Jugendbewegung als Äußerung lebensideologischer Mentalität. Hamburg 2003.

Winfried Mogge: „Ihr Wandervögel in der Luft…“ Fundstücke zur Wanderung eines romantischen Bildes und zur Selbstinszenierung einer Jugendbewegung. Würzburg 2008.

Über deutschelieder
“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

5 Responses to Romantische Wandervogelhymne: Horants „Wir wollen zu Land ausfahren“

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  5. Dr. Rolf Sistermann says:

    Sehr einfühlsame und informative Interpretation, die alte Erinnerungen weckt. aus dem CVJM Köln von 1953 bis 1961

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