Pfälzer Volks(drogen)musik. Zu „En echte Pälzer raacht ken Hasch“ von Kurt Dehn
21. September 2015 1 Kommentar
Kurt Dehn En echte Pälzer raacht ken Hasch Schlach mol heit die Zeitung uff guck mol uff die Seite druff do bischt iwwerrascht wie die Jugend hascht täglich sperrt die Polizei drei vier Haschmich-Brüder oi des kummt em grad so vor als wern die nimmi gloor ach Gott sin die so dumm ja, wisst ihr denn warum? En echte Pälzer raacht ken Hasch... denn unser Stoff kummt aus de Flasch ja beim Palzwoi kummt kä Mensch in G´fahr der schmeckt immer, immer, immer wunderbar Mensch, was is die Jugend dumm die bringt sich bald selber um rennen laut mit Heu grad ins Unglick noi fühlen sich im Rausch als Held zahlen fer den Stoff viel Geld un merken viel zu spät wann's ohne nimmer geht ach Gott ihr liewe Leit wann wer´n dann die bloß g´scheit? En echte Pälzer raacht ken Hasch [...] Besser bloß Oktobertee als wie Hasch un LSD des is doch bloß Schit do mach ich net mit Opium gar un Heroin wer des spritzt, der hot en Spleen en Pälzer bleibt beim Woi wie kennt des annerscht soi de Woi geht in's Gemüt drum sing mit mir des Lied En echte Pälzer raacht ken Hasch [...] [Kurt Dehn: En echte Pälzer raacht ken Hasch. Polydor 1972. Textfassung nach: http://home.arcor.de/diepaelzer1/]
Nach dem unschlagbaren Spitzenreiter Sex/Liebe schätzungsweise am zweithäufigsten wird in Rock und Pop, im Rap, aber auch im Schlager sowie wohl auch in der Volksmusik der Themenbereich Drogen/Alkohol bespielt. Lieder vom Alkoholtrinken gibt es unzählige: einige der gängigsten oder kuriosesten unter ihnen – etwa Roberts Steidls Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen (1922) oder das Bierlied (1978) von Oktoberklub) – wurden bereits im Rahmen der Bambeger Anthologie besprochen, viele weitere von diesen Schätzen wollen noch gehoben werden. Songs, die über den Genuss von und das Leiden an Mariuahana, LSD, Ecstasy, Kokain, Crack, Heroin etc. erzählen, sind bekannterweise auch nicht gerade selten.
Entsprechend finden sich auch zahlreiche Liedtexte, in denen die Gretchenfrage verhandelt wird, ob denn nun – etwa aus gesundheitlichen, moralischen, sozialen, mediativen oder einfach ideologischen Gründen – entweder alkoholische Getränke oder doch etwa die etwas weniger legalen Alternativen zu bevorzugen seien. Ein besonders schönes Beispiel für jene Texterzeugnisse, die die Frage eindeutig zugunsten der Volksdroge Alkohol beantworten, bietet der Pfälzer Volksliedsänger Kurt Dehn (1920-2000) mit En echte Pälzer raacht ken Hasch. Hier wird die Entscheidung ethnisch begründet und der Verzicht auf das Kiffen zur lokalpatriotischen Ehrensache für echte Pälzer erklärt.
Das Sprecher-Ich wendet sich mit dieser Botschaft zuvorderst an das anständige Publikum voller „liewe Leit“, das Marihuanakonsum weniger aus den eigenen Lebensbereichen als vielmehr aus der mediale Berichterstattung kennt und angesichts der unglaublichen Ausmaße dieser Unsitte mit offenbar „täglich […] drei vier Haschmich-Brüder[n]“ im Polizeibericht durchaus schockiert bzw. des Reimes halber zumindest „iwwerrascht“ reagiert. Ein etabliertes wie gereiftes Publikum, das ob dieser windigen „Haschmich-Brüder“ sowie überhaupt der ganzen „Jugend“ nur den Kopf schütteln kann. Dass die hier – also in einer Zeit als es noch keine „Alt-68er“ und auch sonst kaum Kiffopis gab – so heiter pauschal abqualifizierte „Jugend“ mitunter „nimmi gloor“ zu sein oder zu werden scheint, liegt angesichts des ihr unterstellten Drogenmissbrauchs durchaus nahe. Mehr noch aber ist die „Jugend dumm“: und zwar hier nicht bloß deshalb, weil sie die Gefahren der Drogen ignoriert oder sich gar schon Hirnatrophien bemerkbar machen, sondern vor allem deshalb, weil sie verkennt, wie viel besser und überhaupt „wunderbar“ der heimische „Palzwoi“ wirkt.
Gegen diese vaterlandslosen Gesellen wird ein Wir gesetzt, das sich dem rheinpfälzischen Verhaltenskodex verpflichtet fühlt und einvernehmlich „unser[en] Stoff “ vorzieht, um dann nach einigen kräftigen Schlückchen „aus de Flasch“ vom erwähnten Kopfschütteln zum einigen Schunkeln übergehen zu können. Weintrinken gegen Drogen mag sich für manchen sogar noch besser anfühlen als Biertrinken für den Regenwald (vgl. Henryk M. Broder: Saufen für die Gorillas); zumindest ist hier versprochen, dass „de Woi“ ordentlich „in’s Gemüt“ gehe, und abschließend der enthemmte Chorgesang des Refrains in Aussicht gestellt.
In den Strophen wird weiter eifrig auf die anderen Drogen geschimpft: weil auch sie enthemmen und man sich „im Rausch als Held“ selbstüberschätzt, weil sie „viel Geld“ kosten, uns weil sie unmerklich in die Sucht führen. Die Argumente gegen „Hasch un LSD“ („do mach ich net mit“) sowie „Opium gar un Heroin“ („wer des spritzt, der hot en Spleen“) kommen aus Gründen der Reimpflicht nicht als die allertrifftigsten daher – und doch wird sich darum bemüht, den aufklärerischen Gestus aufrecht zu erhalten. Wer zu Drogen greift, „bringt sich bald selber um“.
In sauberer Opposition zu diesem „Schit“ steht der Wein, welcher liebevoll als „Oktobertee“ verharmlost doch keineswegs ungesund wirken könne. Durch ihn „kummt kä Mensch in G’fahr“. Während hinsichtlich der gefährlichen Drogen auf die Probleme, „wann’s ohne nimmer geht“, hingewiesen wird, mundet der Wein „immer, immer, immer“, also morgens, mittags und abends, bei guter Stimmung sowie auch bei Kummer und Niedergeschlagenheit und Stress.
Dieser bedingungslose Einsatz für die Erzeugnisse der Deutschen Weinstraße ist typisch für den „echte Pälzer“ Kurt Dehn – was sich schon beim oberflächlichsten Blick auf seine anderen Gassenhauer leicht erkennen lässt: Ich geh in mei Palz un trink Wei (1954), Der schönste Verein ist der Winzerverein („do gibt’s auch keen Vorstand der große Rede schwingt, / do wird bloß getrunke bis alles fröhlich singt“), Ein Fässel im Keller („un en Frausche im Haus“), Mein Schlüsselloch („und ganz ironisch fragt sie dann, ob ich scho kumm“), Ich hab heut Abend wieder Sitzung („in derer Sach hab ich zu melde“), Saumagenlied („ […] und Woi“: https://www.youtube.com/watch?v=RIC_1Z_UawY), Die Promille („am beste is‘, wir lege alle Autos still, / do wird getrunke und gebloße auf Promill“), Beim Dämmerschoppen, Weinstraßenlied, Wann in dem gross’n Himmel bloss a kläne Wirtschaft wär, Im Himmel is ken Worschtmarkt mehr („beim Petrus gibts keen Woi“), Ja der Riesling is mein Lieblingswein („bloß soll des holt en Pälzer sei“), Im größten Fass der Welt („da lässt’s sich leben […] beim Saft der Reben“, Pfälzer Metzelsupp („und dut die Wutz auch greische, das mecht uns gar nichts aus / en Gläßl Woi zu trinke […]“) usw.
Die Grundmotive heißen immer wieder variiert: Pfalz, Wein, Bürgerlich- und Glückseligkeit. Auf Wikipedia heißt es, Dehns Lieder seien „bekannt dafür, in geselliger Runde für gute Laune zu sorgen“; als Beispiel für jene, die „aber durchaus auch (selbst-)kritische Zeilen“ aufweisen, wird zuvorderst En echte Pälzer racht ken Hasch angeführt. Freilich mag man, nachdem sich in den vergangenen Jahrzehnten ein gewisses Konzept der Alkoholkrankheit etablieren konnte, Lieder, die mit „kritische[n] Zeilen“ aufwarten und damit – bei aller auch hier doch erkennbaren Ironie – auf eine breite Zustimmung oder gar das sogenannte gesunde Volksempfinden abzielen, heute etwas anders schreiben. Ohne dass man ihm unterstellen könnte, dass ihn „gesundes Volksempfinden“ und dergleichen interessieren würden, empfahl Helge Schneider, der laut eigener Aussage früher selbst für längere Zeit zu den erwähnten „Haschmich-Brüder[n]“ gehörte, 2003 „lieber die Möhrchen“ (Helge Schneider: Helges Mörchen-Lied). In der guten alten Zeit war es halt wenigstens noch der „Woi“.
Martin Kraus, Bamberg
Mit Kurt Dehn und seinen Weinlieder holt mich gewissermaßen ein (nettes) Gespenst aus meiner im Pfälzischen verbrachten Kindheit und Jugend ein. Im Prinzip wünsche ich diesem Beitrag seine breitere Aufmerksamkeit sowie eine sich über diverse Grenzen (des Alters, der regionalen Herkunft, der Drogenpräferenz, der gesundheitspolitischen Philosophie usw.) erstreckende Diskussion. Mein Kommentar ist von einem ganz aktuellen Besuch in der Kurpfalz (Mannheim) und speziell auch an der Weinstraße (Forst, St. Martin, Maikammer, Gimmeldingen, Gleisweiler etc.) inspiriert. Was den Weinkonsum angeht, hat sich meiner Wahrnehmung nach seit meiner Kindheit, als man in der Pfalz gewissermaßen mit Wein aufgezogen wurde, wenig verändert: man trinkt das Zeug nach wie vor gesellig, fröhlich, laut-parlierend, durchaus auch ein bisschen aufgekratzt in Winzerhöfen, auf Dorf-Marktplätzen, in Gaststätten, Wanderhütten, Vinotheken, Cafés, Hotel-Bars und hat seinen Spaß dran. Selbstverständlich schloss meine Beobachterposition als Tourist die Wahrnehmung einsamer oder trauriger Trinker schon vom Ansatz her weitgehend aus. Meine Zufallsstichproben ergaben, dass diese Beobachtungen anscheinend auf (Kur-)Pfälzer wie Pfalz-Besucher (Autokennzeichen aus dem Schwabenland, aus dem Ruhrpott, aus Hessen, Hamburg …) gleichermaßen zutreffen, wobei letztere mehrheitlich wahrscheinlich nicht zum ersten Mal die Pfälzer Quellen des Rebensafts aufgesucht haben, sondern schon eine eigene Ethnie von ,Wahl- bzw. Urlaubspfälzern‘ bilden. Die Region vermarktet ihr wichtigstes Produkt offensiv und teilweise nicht ohne Witz: Bemerkenswert etwa ein in Forst verbreitetes Parkplatz-Hinweisschild mit der Parole „Park un laaf!“ mit dem Bild einer weinseligen Trinkertruppe zu Fuß. ( https://www.google.de/search?q=Park+un+laaf&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=0CCAQsARqFQoTCMqygOzimcgCFczvFAodrdsCBw&biw=1368&bih=708)
Meine Thesen für einen Diskussionseinstieg zu Kurt Dehns Lied wären folgende:
1. Wein ist für die Kurpfalz, speziell für die Region Weinstraße ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor; ein positives Image dieses Produktion ist für viele Leute dort von essentieller Bedeutung.
2. Wenn Kurt Dehn den Wein gegen andere Rauschdrogen in Schutz nimmt, hat er insofern recht, als eine in alten kulturellen Traditionen konsumierte Droge für Menschen weniger gefährlich ist als neue, kulturfremde Drogen.
3. Vermutlich hat sich in den letzten Jahrzehnten doch eingebürgert, dass Autofahrer in höherem Maße ,clean‘ zu Werke gehen als früher; man sieht’s in Gasthäusern, auch ausgesprochenen Weinwirtschaften, an den Saftgläsern bzw. Mineralwasserflaschen vor einzelnen Erwachsenen, aber auch am geradlinigen Fahrverhalten der KollegInnen auf den Straßen. (Wobei wir nach 20 Uhr nicht mehr im Zielgebiet unterwegs waren …)
4. Vermutlich lassen sich für andere Regionen und andere bodenständige Rauschdrogen analoge (,verharmlosende‘) Erscheinungen im Liedgut finden („In München steht ein Hofbräuhaus“); aber vielleicht fallen die Aussagen dort auch ambivalenter aus? (Mir fällt gerade das Abbelwoi-Lied von der Frau Rauscher ein …)