„Die Schlampe und der Held“ – Gemeinsam ins Glück? Zu „Traumpaar“ von Silly
28. September 2015 Hinterlasse einen Kommentar
Silly Traumpaar Das Traumpaar des Jahrhunderts Die Schlampe und der Held tanzen mit großer Geste auf dem Parkett der Welt Die feuerroten Haare hat man ihr schwarz gemacht ich hab den blassen Schimmer die wachsen wieder nach Sie schwebt verwirrt in Düften in Lichtern bunt und grell und er versäuft in aller Ruh die Mitgift und ihr Fell Und wenn es ihr zu eng wird im sündhaft teuren Kleid sagt er: Sei still und schäm dich für deine Vergangenheit Die Suppe ist dünn und das Bett nicht sehr breit der Hunger kommt beim Essen und die Liebe mit der Zeit [Silly: Hurensöhne. DSB Berlin 1993]
Das 25-jährige Jubiläum des Mauerfalls am 9. November 1989 wurde vielfach zum Anlass genommen, um an die friedliche Revolution in der DDR und die (Wieder-)Vereinigung beider deutscher Staaten im Jahr 1990 zu erinnern. Im Fokus der Medienöffentlichkeit standen dabei zum einen die Wendejahre 1989/90 (vgl. die Sendereihe Mauersplitter, die von August 2014 bis Januar 2015 im Deutschlandfunk gesendet wurde oder die Wiederholung der preisgekrönten Dokumentation Chronik der Wende im RBB). Zum anderen rücken zunehmend die gesellschaftspolitischen Entwicklungen der frühen 1990er Jahre in den sog. neuen Bundesländern und ihre Bedeutung für das heutige Zusammenleben in Deutschland in den Mittelpunkt (vgl. der preisgekrönte Roman Als wir träumten (2006) von Clemens Meyer und dessen Verfilmung im Jahr 2015 durch Andreas Dresen, die filmische Aufarbeitung der ausländerfeindlichen Übergriffe 1992 in Rostock-Lichtenhagen in Wir sind jung. Wir sind stark oder die jährliche Veröffentlichung des Jahresberichts der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit).
Wenn man sich dem Lebensgefühl der Wende- und Nachwendejahre nähern will, kann man dies nicht nur mithilfe von zeitgeschichtlichen Dokumenten, Zeitzeugeninterviews, Originaltönen und -mitschnitten tun, sondern auch mithilfe von Musik. Besonders geeignet ist das Album Hurensöhne der Ostberliner Band Silly aus dem Jahr 1993. Als „eine Art Soundtrack der Postwendedepressionen“ (vgl. die Interpretation von Halloween in Ostberlin in diesem Blog) behandelt das Album Themen, die damals von essentieller Bedeutung waren: der Umgang mit der Vergangenheit, plötzlicher politischer und wirtschaftlicher Wandel, Teilung und Einheit Deutschlands, zwischenmenschliche Beziehungen, Identitätsfragen und -krisen.
Während das Lied Halloween in Ostberlin nach dem Intro das erste Lied auf dem Album ist, wird der Hörer mit „Traumpaar“ in die ‚Wirklichkeit‘ entlassen. Beide Lieder bilden den Rahmen des Albums und sind kontrastiv gestaltet: Halloween in Ostberlin löst mit seinen schaurigen und teilweise aggressiven Klängen Assoziationen zu einem Totentanz aus, während die Ballade Traumpaar, melodisch, melancholisch und getragen, an ein Wiegen- oder Trauerlied erinnert.
Die erste Strophe des Liedes lautet:
Das Traumpaar des Jahrhunderts
Die Schlampe und der Held
tanzen mit großer Geste
auf dem Parkett der Welt
Mit dem Titel bzw. der ersten Zeile des Liedes werden falsche Hoffnungen geweckt, Hoffnungen auf Liebe, Harmonie und Einigkeit, Hoffnungen, die bereits in der zweiten Zeile zerstört werden. Der Titel erweist sich als Ironie. Hier ist nicht etwa von ‚Frau‘ und ‚Mann‘, ‚Braut‘ und ‚Bräutigam‘ oder ‚Liebenden‘ die Rede, sondern „die Schlampe und der Held / tanzen mit großer Geste / auf dem Parkett der Welt“. In der Beziehung zwischen ‚Schlampe‘ und ‚Held‘, metaphorisch für die ehemals geteilten und nun vereinten deutschen Staaten DDR und BRD, kriselt es. Sie, die abwertend als ‚Schlampe‘ bezeichnete DDR, hat sich ‚prostituiert‘, war leicht zu haben, während er, der ‚Held‘ BRD, sie aus ihrer Notsituation gerettet hat. So entsteht ein ungleiches Machtgefüge innerhalb der Beziehung, das sich im Verlauf des Liedes nicht auflösen wird. Im Gegensatz dazu wird in der internationalen Politik die Friedliche Revolution und Wiedervereinigung als Meilenstein der Geschichte gefeiert. Das Paar tanzt „mit großer Geste / auf dem Parkett der Welt“ und ist bemüht, die Illusion von Glück, Einigkeit und Harmonie aufrechtzuerhalten. In der zweiten Strophe wird die weibliche Figur näher beschrieben:
Die feuerroten Haare
hat man ihr schwarz gemacht
ich hab den blassen Schimmer
die wachsen wieder nach
Im Unterschied zu den sonstigen Silly-Liedern ist die Frauenfigur in „Traumpaar“ nicht selbstbestimmt, stark und selbstbewusst, sondern fremdbestimmt, schwach und naiv. „Die feuerroten Haare / hat man ihr schwarz gemacht“: Sie, die früher überzeugte Kommunistin war, wurde nun zur christlich-konservativen Wählerin gemacht (Wahl der Passiv- statt Aktiv-Konstruktion im Lied). Jedoch glaubt das Sprecher-Ich zu wissen, dass diese politische ‚Bekehrung‘ nicht von Dauer sein wird, ihre frühere Überzeugung wieder an Bedeutung gewinnen wird. An dieser Stelle sei auf die Farbsymbolik in der zweiten Strophe hingewiesen: feuerrot – schwarz – blass. Mit etwas Fantasie kann man hierin die deutschen Nationalfarben Schwarz – Rot – Gold erkennen. In der Regel sind Nationalfarben Symbol für eine Gemeinschaft und Ausdruck des Zusammengehörigkeitsgefühls einer Nation. Hier sind sie (noch?) verschwommen und unscharf, was als Ausdruck für die Identitätskrise vieler Ostdeutscher in den Nachwendejahren gedeutet werden kann. Die dritte Strophe spielt auf die neuen und schier unendlichen Möglichkeiten der freien Marktwirtschaft an:
Sie schwebt verwirrt in Düften
in Lichtern bunt und grell
und er versäuft in aller Ruh
die Mitgift und ihr Fell
Konsumgüter sind immer verfügbar und werden mit bunt-leuchtender Reklame angepriesen, die Menschen sollen zum Kauf animiert werden, Geld spielt keine Rolle. Die weibliche Figur im Lied, stellvertretend für die Bürger der ehemaligen DDR, ist verwirrt und orientierungslos ob der vielen Möglichkeiten und großen Auswahl, die es zu Zeiten der Planwirtschaft nicht gegeben hat. Währenddessen versäuft der vermeintliche Held, von ihr unbemerkt, ihre Mitgift und feiert ihr ‚Begräbnis‘ (‚das Fell versaufen‘ bedeutet so viel wie ‚am Umtrunk nach einem Begräbnis teilnehmen‘). Es entsteht ein morbid-aggressives Bild, in dem sie als naiv und unwissend, geblendet und lethargisch dargestellt wird, während er ihren Zustand ausnutzend ihr Hab und Gut rücksichtslos plündert, um Profit daraus zu schlagen. Dieses Motiv findet in der vierten Strophe seine Fortsetzung.
Und wenn es ihr zu eng wird
im sündhaft teuren Kleid
sagt er: Sei still und schäm dich
für deine Vergangenheit
Ganz im Sinne der freien Marktwirtschaft trägt sie ein „sündhaft teures Kleid“, in dem es ihr nun zu eng wird. Ein Paradoxon, denn schließlich hatten die DDR-Bürger für ihre Freiheit gekämpft. Schnell lässt die berauschende Wirkung der Konsumgüter nach; Ernüchterung macht sich breit. Sie äußert erstmals Unzufriedenheit, er jedoch verbietet ihr jegliche Art von Widerrede oder Kritik und sagt, sie solle sich ihrer Vergangenheit schämen. Er ist dominant und rechthaberisch und entzieht ihr nicht nur jegliches Recht zum Widerspruch oder zur Unzufriedenheit mit den neuen Lebensbedingungen, sondern, vor dem Hintergrund der Konstruktion der DDR als ‚Unrechtsstaat‘, auch zur Bewahrung der eigenen (ganz persönlichen) Vergangenheit (vgl. Sabrow 2010, 18-20). Damit spiegelt die vierte Strophe ein Gefühl vieler DDR-Bürger in den Nachwendejahren wider, die angesichts politischer Entwicklungen ihre gesamte bisherige Lebenswirklichkeit infrage gestellt sahen und den Eindruck hatte, ihre Lebensleistung werde delegitimiert (vgl. Interview im Deutschlandfunk mit Friedrich Schorlemmer). Das Lied schließt mit einer Reihe formelhafter Ausdrücke, die Assoziationen von Zwangsheirat und Zweckgemeinschaft auslösen.
Die Suppe ist dünn
und das Bett nicht sehr breit
der Hunger kommt beim Essen
und die Liebe mit der Zeit
Im Unterschied zu den vorherigen vier Strophen wird die fünfte Strophe mehrstimmig gesungen, wodurch sie wie ein Schwur oder eine Beschwörungsformel wirkt. Die letzte Zeile, ‚die Liebe kommt mit der Zeit‘, wird zweimal wiederholt bevor die Musik ausklingt und nur das Schlagzeug als letztes Instrument zu hören ist. Sein Rhythmus erinnert an einen Herzschlag, der schließlich im Nichts verklingt. Dabei ist die letzte Zeile durchaus ambivalent: Symbolisiert sie Hoffnung und wird sich Liebe einstellen, wenn man sie nur oft genug beschwört? Wächst tatsächlich zusammen, was vermeintlich zusammengehört? Oder ist diese Zeile vielmehr Ausdruck einer tiefen Skepsis gegenüber dem neuen ‚Traumpaar‘, zwischen dem die Differenzen scheinbar unüberbrückbar sind und zukünftig bleiben werden? Auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung lässt sich diese Frage nicht abschließend beantworten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Traumpaar die Wendezeit aufgearbeitet wird (zur Verarbeitung ist es zu früh). Das Lied ist Ausdruck der Vereinigungskrise in den frühen 1990er Jahren, Ohnmachts- und Verlustgefühle, enttäuschte Zukunftshoffnungen vieler DDR-Bürger und eine Skepsis gegenüber den veränderten Werten des vereinten Deutschlands kommen hierin zum Ausdruck. „[D]em einst leuchtenden Westen [ist] sein schöner Schein abhanden“ gekommen, wie es Czada (1998, 24) treffend ausdrückt. Die DDR-Bürger seien des Vorbildes Bundesrepublik beraubt worden. Nach der Einigungseuphorie hat sich Ernüchterung in der breiten Bevölkerung eingestellt. Damit kann das Lied als Abgesang auf die untergegangene DDR interpretiert werden.
Janett Münch, Stuttgart
Literatur:
Roland Czada: Vereinigungskrise und Standortdebatte. Der Beitrag der Wiedervereinigung zur Krise des westdeutschen Modells. In: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft 26 (1) (1998), S. 24-59.
Martin Sabrow: Die DDR erinnern. In: Erinnerungsorte der DDR. Hg. v. Martin Sabrow. Bonn: bpb 2010, S. 9-25.