„Ich will mein Glück probieren, marschieren“. Zu „Es, es, es und es, es ist ein harter Schluß“

Anonym

Es, es, es und es, es ist ein harter Schluß

1. Es, es, es und es,
Es ist ein harter Schluß,
Weil, weil, weil und weil,
Weil ich aus Frankfurt muß!
Drum schlag ich Frankfurt aus dem Sinn
Und wende mich Gott weiß wohin.
Ich will mein Glück probieren,
Marschieren.

2. Er, er, er und er,
Herr Meister, leb er wohl!
Ich sag's ihm grad frei in's Gesicht,
Seine Arbeit, die gefällt mir nicht.
Ich will mein Glück probieren,
Marschieren.

3. Sie, sie, sie und sie,
Frau Meistrin leb sie wohl!
Ich sag's ihr grad frei in's Gesicht,
Ihr Speck und Kraut, das schmeckt mir nicht
Ich will mein Glück probieren,
Marschieren.

4. Er, er, er und er,
Herr Wirt, nun leb er wohl!
Hätt er die Kreid nicht doppelt geschrieben,
Wär ich noch länger dageblieben
Ich will mein Glück probieren,
Marschieren.

5. Ihr, ihr, ihr und ihr,
Ihr Jungfern lebet wohl!
Ich wünsch' euch all'n zu guter letzt,
Einen andern, der mein' Stell’ ersetzt.
Ich will mein Glück probieren,
Marschieren.

6.Ihr, ihr, ihr und ihr,
Ihr Brüder lebet wohl!
Hab ich euch was zuleid getan
So bitt' ich um Verzeihung an.
Ich will mein Glück probieren,
Marschieren.

Es, es, es und es, es ist ein harter Schluss ist ein Abschieds- und Wanderlied, das im 19. Jahrhundert bei Handwerksburschen, aber auch bei Studenten (Liederbuch für Studenten,  Berlin, 2. Aufl. 1845; Neues Hallisches Liederbuch für Studenten, Halle 1853)  weit verbreitet war. Anfang des 20. Jahrhundert wurde es von der Jugendbewegung übernommen. Im „Dritten Reich“ war es in den Liederbüchern des Reichsarbeitsdienstes, der Hitlerjugend und des Bunds Deutscher Mädel vertreten. Heute wird es vorwiegend in Folk- und Wanderkreisen und von Mitgliedern der wenigen noch existierenden Schächte (Vereinigungen von Bauhandwerkern) gesungen.

Das Lied stammt aus dem 18. Jahrhundert; veröffentlicht wurde es um 1800 auf Flugblättern (vgl. Deutsches Volksliedarchiv, Freiburg). Die Melodie ist, geht man von der Mehrheit der in Archiven (z. B. deutscheslied.com) zugänglichen Liederbüchern aus, seit 1826 überliefert. In Druck erschienen ist das Lied erstmals 1838 in Erk-Irmers Die deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen (vgl. Zeit.de).

Es ist die Zeit, in der viele Zunftordnungen bestimmten, dass die Handwerksgesellen, vor allem Bauhandwerker, drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft gehen mussten. Diese „Lehr- und Wanderjahre“ dienten dazu, die handwerklichen Fähigkeiten anzuwenden, zu verbessern und eventuell neue, in anderen Regionen gebräuchliche Techniken zu erlernen. Da die Wanderburschen, die  ja ihre Gesellenprüfungen bereits bestanden hatten, von ihren neuen Meistern voll zur Arbeit eingesetzt werden konnten, waren sie oft willkommen, zumal sie einen geringeren Lohn als ein Meister bekamen (vgl. Zupfgeigenhansel: Es wollt ein Bauer früh aufstehn. 222 Volkslieder. Dortmund 1978, S. 132 f.).

In diesem Lied nimmt ein Handwerksbursche, dessen Handwerk ungenannt bleibt, Abschied von den Misslichkeiten, die ihm widerfahren sind, aber auch von Angenehmem, das er erlebt hat.

Nicht gefallen hat ihm die Arbeit, die sein Meister ihm zugewiesen hat (in einer anderen Textversion: „die Arbeit, der geringe Lohn“), ebenso wenig wie das das Essen, das Frau Meisterin ihm vorgesetzt hat. Außerdem beklagt er sich darüber, dass der Wirt,  der Gastwirt, bei dem er ab und zu eingekehrt ist (und  einige Schoppen Apfelwein[?] getrunken hat), seine Zeche oft  ‚doppelt gekreidet‘  (angeschrieben) hat. Angesichts dieser Umstände, kann die erste Zeile „Es […] ist ein harter [Ent-]Schluß, / weil ich aus Frankfurt muss“ nur ironisch gemeint sein. Der Sänger ist froh, dass er wegkommt von dieser Arbeitsstätte, von diesem Ort, und so dürften  auch die Lebewohlwünsche an Meister, Frau Meisterin und Wirt nicht ganz ernst zu nehmen  sein. Es sei denn, er nimmt ihnen die Unannehmlichkeiten nicht übel; denn derartige Umstände kennt er so oder so ähnlich von anderen Arbeitsstätten und aus anderen Orten (vgl. die Varianten: „daß ich aus Berlin/Breslau/Nürnberg/Stuttgart/Hannover muß“).

Gern dagegen erinnert sich der Handwerksbursche an die Mädchen, die Jungfern – gleich mehrere –, die er in Frankfurt (näher?) kennen gelernt hat, und wünscht ihnen, dass sie bald einen Nachfolger finden. Hier wie bei seinen „Brüdern“, den Wanderburschen und Arbeitskollegen, ist das „Lebet wohl“ sicherlich ehrlich gemeint. Im Gegensatz  zu seinen Freundinnen bittet er seine Brüder um Verzeihung, falls er ihnen „was zuleid getan“ hat, vielleicht bei einer Rauferei, durch Beschimpfungen oder Beleidigungen.

Der Handwerksbursche nimmt gern Abschied; er ist „jung, die Welt ist offen“ (wie es in einem späteren Wanderlied der Jugendbewegung heißt). Aber er geht auch ins Ungewisse – „Gott weiß wohin“ –; und er weiß nicht, was ihn an seiner neuen Arbeitsstätte erwartet. Er muss weiterziehen (erst mit der Umsetzung der Gewerbefreiheit 1969/71 verlieren die Zunftordnungen ihre Bedeutung) und sich Mut machend und auf bessere Arbeitsbedingungen hoffend singt er in jeder Strophe „Ich will mein Glück probieren,/ Marschieren“.

Es, es, es und eswar bereits im 19. Jahrhundert so populär,  so dass es –  wie manche anderen Lieder mit eingängigen Melodien – umgedichtet wurde, z. B. als Auswandererlied Raus, raus, raus und raus (aus Deutschland muss ich raus), so Hoffmann von Fallersleben 1845 oder  das  1848 von Adolf Glaßbrenner verfasste satirisch gemeinte Lied eines fiktiven ausgewanderten Adeligen Ach, ach , ach und ach, wie schön’s doch früher war mit den  letzten Zeilen der dritte Strophe: „Mein Stammbaum hilft nit aus der Not / ´s wächst weder Butter d´rauf noch Brot / muss sie mit sauren Mienen / verdienen!“. Ebenfalls aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt das Hoffmann von Fallersleben zugeschriebene „Schwalbenlied“ Fort, fort, fort und fort (an einen andern Ort!).  Noch zu klären ist, aus welchem Jahr der deftige Text stammt, den die Folkgruppe Zupfgeigenhansel als weitere Strophe ihrer Version von Es, es, es und es  gesungen hat (vgl. www.ingeb.org):

Und, und, und und und,
Und ward zu guter Letzt,
Auch, auch, auch und auch
Ein Hund auf mich gehetzt.
Dem Kerl setz‘ ich auf den Türenknauf
Des Nachts ’was Warmes, Weiches drauf.
Ich will mein Glück probieren,
Marschieren.

Heino, der das Lied 1973, 1979 und 2003 auf seinen CDs interpretiert hat, hat diese Strophe nicht gesungen.

Georg Nagel, Hamburg

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