It’s the beer, stupid. Zu „Ho mir ma ne Flasche Bier (Schluck, schluck, schluck)“ von Stefan Raab feat. DJ Bundeskanzler
10. September 2013 1 Kommentar
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Stefan Raab feat. DJ Bundeskanzler Ho mir ma ne Flsche Bier (Schluck, schluck, schluck) Ho' mir ma' 'ne Flasche Bier, Flasche Bier, Flasche Bier! Ho' mir ma' 'ne Flasche Bier, Flasche Bier, sonst steik' ich hier! Ho' mir ma' 'ne Flasche Bier, Flasche Bier, Flasche Bier! Ho' mir ma' 'ne Flasche Bier! Schluck, schluck, schluck! Ho' mir ma' 'ne Flasche Bier! [...] [Stefan Raab feat. DJ Bundeskanzler: Ho mir ma ne Flsche Bier (Schluck, schluck, schluck). Rare 2000.]
Zwischen Pop und institutionalisierter Politik besteht eine traditionell schwierige Beziehung. Wo politische Akteure ordnend in den Bereich des Pop eingreifen wollen, etwa durch Zensur, blamieren sie sich zumeist – am spektakulärsten wohl Tipper Gore, die durchsetzte, dass Tonträger, deren Inhalte in den Ohren weißer Mittelschichtsvorstadtmütter aka ‚Hockey Moms‘, die, wie wir von Sarah Palin wissen, nur Lippenstift von Pitbulls unterscheidet, anstößig klangen, mit dem Hinweis „Parental Advisory. Explicit Lyrics“ versehen wurden, damit der Nachwuchs vor schädlichen Einflüssen geschützt werden konnte. Der Aufdruck wurde bekanntlich nicht nur vielfach variiert und parodiert, sondern auch zum Qualitätssiegel für Gangsterrap.
Nicht besser ergeht es Politikern in der Regel, wenn sie sich Pop zunutze machen wollen, um die ‚jungen Menschen‘ ‚da draußen‘ zu erreichen. Dann sucht man sich ein Lied als Campaign Song, dessen Refrain zwar patriotisch klingt, dessen Strophen aber das Gegenteil der eigenen politischen Aussagen beinhalten (Bruce Springsteens Born in the USA als Hymne für Ronald Reagan) oder beauftragt das ehemalige Dschinghis Khan-Mitglied Leslie Mandokie mit der Produktion eines Wahlkampfsongs (für Angela Merkels Wahlkampf 2009). Selbst Karl-Theodor zu Guttenberg, dem äußerlich zuweilen ein gewisser Popappeal zugesprochen wurde, der auf JU-Feiern auch mal hinters DJ-Pult trat und seine Frau immerhin auf der Love Parade kennen gelernt haben soll, verfiel im Bemühen, popkulturelle Zeitgenossenschaft zu suggerieren, auf die nächstliegende aller Möglichkeiten, auf die Konsensrockband schlechthin: AC/DC (vgl. den Zusammenschnitt seiner Aussagen zu kulturellen Vorlieben bei Schmidt & Pocher).
Auch Gerhard Schröder ist in seiner politischen Laufbahn nicht unbedingt durch popkulturelles Hipstertum aufgefallen, wurden seine Wahlkampfauftritte doch teilweise von PUR eröffnet, worüber Wiglaf Droste einen Text verfasst hat (Auf dem Gendarmenmarkt, enthalten auf: Westfalien Alien. Mundraub 2005). Es bedurfte der Rekontextualisierungskünste Stefan Raabs, um dem damaligen Bundeskanzler zu einer unfreiwilligen Chartsplatzierung zu verhelfen. Bei einem Sommerfest hatte der vom Unterschreiben erschöpfte Regierungschef im Rahmen einer Autogrammstunde mit folgenden Worten Erfrischung geordert: „Hol mir mal ’ne Flasche Bier, sonst streik‘ ich hier und schreibe nicht weiter.“ Präzisierend schob der damalige Kanzler noch nach „’N ordentlichen Schluck.“ Daraus entnahm Raab die Samples für das Bierzeltdance-Stück Hol mir mal ne Flasche Bier, die, anders als bei Maschendrahtzaun oder Gebt das Hanf frei, auch den gesamten Text des Liedes bilden.
Wie kam es dazu, dass dieses Lied Walter Scheels Version von Hoch auf dem gelben Wagen, die immerhin Platz fünf der Charts erreichte, als erfolgreichstes deutsches von einem Politiker gesungenes Lied (Platz zwei) ablöste? Seine Entstehungsgeschichte verschafft dem Lied etwas, was allen anderen Produkten singender Politiker abgeht, worauf im Rock’n’Roll aber traditionell großer Wert gelegt wird: Authentizität. Der Politiker, der sich ins Studio stellt, verfolgt damit in der Regel eine allgemein bekannte Absicht: Er will (wieder-)gewählt werden. Das von Raab verwendete Schröder-Zitat wirkt demgegenüber gleich doppelt authentisch: Nicht nur konnte Schröder nicht ahnen, dass es in einem Lied verwendet würde, die Entstehungssituation erweckt zudem noch den Eindruck, als spreche Schröder hier gar nicht als Politiker, der einem bestimmten Image gerecht zu werden versucht, sondern als Mensch, der ein menschliches Grundbedürfnis verspürt: Durst. Nun wissen wir von Erving Goffman, dass wir alle ständig Theater spielen, weshalb Schröders Wunsch, auch wenn dessen Äußerung vermutlich kein kalkulierter PR-Coup war, noch lange nicht ‚authentisch‘ gewesen sein muss.
Auf jeden Fall entsprach die Aussage dem sonstigen öffentlichen Auftreten Schröders: der Mischung als Volkstümlichkeit (Bier) und zuweilen herrischem Auftreten (Duzen des Angesprochenen, Weglassen eines „Bitte“) sowie der Bereitschaft zur Aufgabe traditioneller sozialdemokratischer Positionen wie Gewerkschaftsnähe (im Zitat repräsentiert durch die saloppe Verwendung des in der Arbeiterbewegung pathetisch aufgeladenen Wortes ‚streiken‘). Sicherlich dürfte zum Erfolg des Liedes auch sein ebenso rock’n’roll- wie volksfestkompatibles Thema beigetragen haben; aber eben dieses Thema hätte Schröder kaum in einem bewusst aufgenommenen Lied besingen können, ohne sich, neben Kritik von Jugendschützern und Suchtpräbentionsbeauftragten, dem Vorwurf der Anbiederung auszusetzen. So dürfte Schröder durch Raab zwar ohne sein Wissen, aber nicht unbedingt gegen seinen Willen zum Sänger geworden sein.
Martin Rehfeldt, Bamberg
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