Der Wunsch, ein Fischlein zu sein. Zu „Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär“ von Willy Schneider (Text: Heinz Böninghausen)

Willy Schneider (Text: Heinz Böninghausen)

Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär 

Wie oft schon hab' ich am Rheine gedacht:
Kinder wie wäre das schön,
wenn überraschend so ganz über Nacht,
zu mir ein Zauberer käm‘.
Er hielt seinen Zauberstab dann über mich,
mit Hokus und Pokus und so,
und eins, zwei, drei wär ich ein munterer Fisch
und schwämme im Rhein irgendwo.

Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär,
ja dann möcht ich so gern ein Fischlein sein.
Ei, wie könnte ich dann saufen,
braucht keinen Wein zu kaufen,
denn das Fass von Vater Rhein würd niemals leer!

Wäre ich aber den Rheinwein mal leid,
schwämme zur Mosel ich hin
und bliebe dort dann für längere Zeit,
Weil ich ein Weinkenner bin.
Doch wollt ich so gerne woanders noch sein,
so macht ich 'ne Spritztour zur Ahr
und fände mich schließlich am Rhein wieder ein,
weil das ja der Ausgangspunkt war.

Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär,
ja dann möcht' ich so gern ein Fischlein sein.
Ei, wie könnte ich dann saufen,
brauchte keinen Wein zu kaufen,
denn das Fass vom Vater Rhein würd' niemals leer.

     [Willy Schneider: Wenn das Wasser im Rhein gold'ner Wein wär'. Polydor 1951.]

Der Kölner Heinz Böninghausen hat in der ersten Strophe des Liedes beschrieben, wie er auf den Text gekommen ist. Bei Spaziergängen am Rhein träumt er vor sich hin, denkt an seine Kinderzeit, wie im Märchen eine Fee oder ein Zauberer einen Menschen in ein Tier verwandelt hat. Und er wünscht sich, dass nachts ein Zauberer käme und ihn mit einem Zauberspruch ‚Hokus Pokus und so‘ (nach meiner Erinnerung müsste es weitergehen „…Fidibus, dreimal schwarzer Kater“; s. auch Wikipedia)  in einen ‚munteren Fisch‘ verwandeln würde, der dann ‚irgendwo im Rhein schwämme‘.

Der Text ist Mitte 1950 entstanden; 1950 war noch kein Jahr des Wirtschaftswunders, jedoch folgte der Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung im Mai 1948 die Abschaffung der letzten Lebensmittelkarten (für Zucker) am 30. April 1950. Es ging wirtschaftlich aufwärts; die Regale der Läden füllten sich, nicht nur wie 1948/49 nach der Währungsreform mit Waren für die Grundbedürfnisse, sondern auch mit „echtem Kaffee“, wie man damals sagte, und es gab sogar Südfrüchte zu kaufen. Sang Bully Buhlan 1948 noch Ich hab so Sehnsucht nach Würstchen mit Salat, durfte man in der Bundesrepublik ab 1950 von besseren Zeiten singen. Man fuhr mit seiner Lisa zum schiefen Turm nach Pisa oder hoffte bei Capri die rote Sonne im Meer versinken zu sehen. „De kölsche Jung“ Böninghausen blieb jedoch bodenständig, dachte an die nächste Karnevalsession, ans Singen, Schunkeln, ans Trinken und an Büttenreden.

Waren die großen Karnevalsfeiern von 1940 bis 1945 wegen des Zweiten Weltkriegs ausgefallen, so war nach der Aufhebung des alliierten Verbotes 1948 für die fünfte Jahreszeit „de Sach op de Reih“. Noch im selben Jahr erschien Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien; 1949 folgte Wer soll das bezahlen und 1950 Der schönste Platz ist immer an der Theke. Und der „Weinkenner“ Böninghausen, gerade in ein Fischlein verwandelt, stellt sich vor, wie er ‚Wein saufen könnte‘, ohne dafür zu bezahlen („brauchte keinen Wein zu kaufen“), „wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär“. Dabei mag er die Bibelstelle im Sinn gehabt haben, nach der Jesus sein erstes Wunder vollbrachte, indem er auf der Hochzeit zu Kana in Galiläa Wasser in Wein verwandelte (Johannes 2, Vers 1 bis 11).

Da man ja nicht immer Rheinwein trinken mag – variatio delectat -, denkt der Weinkenner Heinz Böninghausen auch an die Mosel- und Ahrweine. Als Fischlein schwimmt er rheinaufwärts und biegt dann bei Koblenz rechts ab in die Mosel. Nachdem er sich da ausgiebig („für längere Zeit“) am köstlichen „Tropfen“ mit den oft höheren Oechslegraden gelabt hat, treibt das nicht näher beschriebene Fischlein erst die Mosel hinunter, landet vorübergehend in den Rhein und macht dann einen kurzen Abstecher („‘ne Spritztour“) nach links, um dann auch noch den Ahrwein zu kosten. Schließlich zieht es es wieder flussabwärts zum Rhein und dann nach Köln, zum „Ausgangspunkt“, wo alles anfing.

Vermutlich haben der Texter Heinz Böninghausen und Werner Stamm, der Solinger Polizeikapellmeister und Komponist, zusammengesessen und beim „halwen Schäppchen“ über den Text gesprochen. Dann hat Werner Stamm (1912-1993) noch 1950 die Melodie zu einem karnevalgerechten Schunkelwalzer geschaffen. Noch im selben Jahr wurde das Wasser-Rhein-Wein-Lied vom Kölner Bass-Baritonsänger Willy Schneider auf zahlreichen Karnevalsveranstaltungen gesungen. Auch mit Hilfe des Funkhauses Köln des NWDR sowie durch die Aufnahme in das weitverbreitete Arkadia-Liederheft Nr.16 (Sikorski Verlag 1950) Dein schönstes Lied wurde der Schunkelwalzer zu einem der erfolgreichsten Karnevalsschlager.

Während „der Sänger von Rhein und Wein“, Willy Schneider, weitere Erfolge mit Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein, Wir kommen alle, alle in den Himmel und anderen Schlagern hatte, sogar 1960 eine der ersten Goldenen Schallplatten in der BRD erhielt, konnte das Duo Stamm/Böninghausen erst 1969 mit Man müsste nochmal zwanzig sein wieder einen durchschlagenden Erfolg feiern.

Vom Mittelalter bis zur Neuzeit ist das Wasser-Wein-Motiv bekannt. Einen Disput zwischen Wasser und Wein hat Hans Sachs (1494-1576), der Nürnberger Meistersinger, in dichterischer Form dargestellt. Es ist ein Streit zwischen Vernunft und Genussstreben, bei dem das Wasser als eine der Voraussetzungen für den Wein(-bau) die Oberhand behält. Ein geschäftstüchtiger Wirt schenkt nicht reinen Wein ein, sondern panscht den Wein und führt so beide wieder zusammen. Im Laufe der Jahrhunderte ist ‚jemandem (keinen) reinen Wein einschenken‘ zu einer geläufigen Redensart geworden. Beim Sammeln deutschsprachiger Lieder für ihre Sammlung Des Knaben Wunderhorn sind die Romantiker Achim von Arnim (1781-1831) und Clemens Brentano (1778-1842) rund 250 Jahre später auf das Gedicht  Vom Wasser und vom Wein gestoßen:

Ich weiß mir ein Liedlein, hübsch und fein,
Wohl von dem Wasser, wohl von dem Wein,
Der Wein kanns Wasser nit leiden,
Sie wollen wohl alleweg streiten.

[…]

Da sprach der Wein: Und du hast Recht,
Du bist der Meister, ich bin der Knecht,
Das Recht will ich dir lassen,
Geh du nur deiner Straßen.

Das Wasser sprach noch: Hättst du mich nicht erkannt,
Du wärst sogleich an der Sonn verbrannt! –
Sie wollten noch länger da streiten, –
Da mischte der Gastwirt die beiden.

Der deutsch-baltische Dichter Albert Graf von Schlippenbach (1800-1886) schuf 1830 auf eine vermutlich ostpreußische Volksweise das bis heute bekannte Trinklied Ein Heller und ein Batzen. Wein kostete zur der Zeit das 32-fache eines ½ Pfennigs, eines Hellers. Von den fünf Strophen sei hier nur die erste angeführt:

Ein Heller und ein Batzen,
die waren beide mein, ja, mein.
Der Heller ward zu Wasser,
der Batzen ward zu Wein, ja Wein.

Im Vergleich zum weiter oben beschriebenen Wunder hatte Till Eulenspiegel eine andere Methode, Wasser in Wein zu verwandeln. Der Schwank Till macht Wasser zu Wein (~ 1550) erzählt davon, wie Till in Lübeck bei einem betrügerischen Wirt listig eine Kanne Wasser mit einer Kanne Wein vertauscht. Da bis etwa 1800 Wein mit Wasser verdünnt wurde, verwundert es nicht, dass auch Goethe (1749-1832) sich angeblich in Auerbachs Keller einen Reim darauf machte:

Wasser allein macht stumm,
das beweisen im Wasser die Fische,
Der Wein allein macht dumm,
das beweisen die Herren am Tische,
Daher, um keines von beiden zu sein,
trink‘ ich Wasser vermischt mit Wein.

Auch in Redewendungen und Sprichwörtern zeigt sich das Wasser-Wein-Gegensatzpaar. Von Lessing (1729–1781) stammt der Spruch „Wein ist stärker als Wasser / das gestehn auch seine Hasser“ und die Redensart ‚Öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken‘ ist auf einige Verse aus dem ersten Kapitel von Heinrich Heines (1797-1856) Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen (1840) zurückzuführen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts prägte Victor Hugo (1802–1885) die noch heute bekannte Redensart: ‚Gott schuf das Wasser, der Mensch den Wein‘, während der Spruch „Der ist nicht Wert des Weines, / der ihn wie Wasser trinkt“ dem Schriftsteller und Slawisten Friedrich von Bodenstedt (1819–1892) zugeschrieben wird. Der Vater von Joachim Ringelnatz, der sächsische Humordichters Georg Bötticher (1849-1918), schuf 1900 ein vollständiges Gedicht Vom Wein und Wasser, nach dem die Germanen „Wein mit Gemüt“ tränken, „aus Durst nur die kühlen Hellenen“.

Das Wasser-Wein-Motiv wurde auch von verschiedenen Musikgruppen aufgegriffen. So war in der DDR ab 1977 der Rocksong Wasser und Wein mit den Puhdys populär, getextet von Kurt Demmler (1943–2009), einem der bedeutendsten Liedermacher und Songtexter der DDR (u. a. Texte für Nina Hagen und Karat), komponiert von Michael Heubach (geb. 1950), einem ehemaligen Rockmusiker in diversen DDR-Bands und Entdecker von Nina Hagen als Sängerin:

Jeder Tag ist offen wie ein Krug
und am Morgen leer, dass man ihn füllt.
Hat man ihn am Abend voll genug
wird der Durst der Träume gestillt.

Einer schenkt Wasser,
einer schenkt Wein
tagtäglich sich ein.
Einer schenkt Wasser,
einer schenkt Wein
tagtäglich sich ein.

[…]

Und 2013 brachte die Folkgruppe Liederjan ein Vierfachalbum mit dem Titel Wasser und Wein heraus. Der Refrain des Liedes Wenn das Wasser im Wein goldner Wein wär wurde von dem Wormser Bildhauer Gustav Nonnenmacher 1983 in seinem Winzerbrunnen versinnbildlicht:

WinzerbrunnenWorms, Fußgängerzone Kämmererstraße, Reliefauszug: Wenn das Wasser im Rhein goldener Wein wär

Das Originallied ist, seitdem es 1950 das erste Mal gesungen wurde, bis heute beliebt geblieben (vgl. die rund 50 Videos bei Youtube aus den letzten 10 Jahren). Das Deutsche Musikarchiv in Leipzig weist über 50 Tonträger mit dem Lied aus. Erfolgreichster Interpret war der mit der höchsten Kölner Karnevalsauszeichnung, der Willi-Ostermann-Medaille, ausgezeichnete Willy Schneider, der (s. o.) bereits 1960 für sechs Millionen verkaufte Schallplatten (Lieder vom Rhein) eine Goldene Schallplatte erhielt, der später fünf weitere folgten, 1975 gekrönt durch Gold mit Brillanten. Aufgegriffen wurde der Schunkelwalzer auch vom großen Karnevalsbarden Jupp Schmitz und dem Schlagersänger Fred Bertelmann, vom Showmaster und Schauspieler Heinz Schenk sowie von diversen Chören. Im Ruhrgebiet, der Heimat vieler Biermarken, ist 1996 eine punkige Bearbeitung der Gruppe Die Kassierer bekannt geworden mit dem Refrain:

Wenn das Wasser der Ruhr blondes Pils wär,
ja dann möchte ich so gern ein Entlein sein
ei, wie könnt ich dann saufen, brauchte kein Bier zu kaufen,
denn das Fass von Mutter Ruhr wird niemals leer.

Als Metal-Version war 2001 das Original auf der CD Wasser. Das blaueste Album der Welt von Tom Angelripper zu hören. Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär‘ ist nach wie vor ein im Karneval, speziell in Köln, beliebter Schunkelwalzer, der sich z. B. in den Liederbüchern Kölsche Lieder und Sing doch eine met XXL findet. Aber dass das Lied mehr ist als ein Karnevalsschlager, zeigt die Aufnahme in einige Sammlungen ohne Karnevalsbezug: Dein schönstes Lied, Das frohe Rhein-Liederbuch und Heimatmelodien sowie die Readers Digest 4 CD-Box mit dem Titel Volksmusik. Auch heute noch wird es auf touristischen Rheinfahrten, z. B. mit dem Dampfer „Willy Schneider“, und bei Vereinsausflügen im und ins Rheinland gern gesungen und manchmal wird auch dazu geschunkelt. Angesichts der Verschmutzung des Rheins könnte heute geträumt werden: „Wenn das Wasser im Rhein wieder rein wär‘“.

Georg Nagel, Hamburg

Schunkelwalzer im Zeichen der blauen Blume: Willi Schneiders „Kornblumenblau“ (Text: Jupp Schlösser)

Willy Schneider (Text: Jupp Schneider)

Kornblumenblau

Ist der Himmel am herrlichen Rheine,
Kornblumenblau
Sind die Augen der Frauen beim Weine.
Darum trinkt Rheinwein, Männer seid schlau,
Dann seid am Ende auch ihr kornblumenblau.

Es gibt kein Plätzchen auf Erden,
Wo sich's so herrlich und fein
Lebt wie am Rhein, wo die Reben
Blühen im Sonnenschein.
Reich an Farben, so bunt und so prächtig
Erstrahlt Wald und Flur,
Von den Farben am Rhein
Eine allein tritt ganz besonders hervor.

Kornblumenblau
Ist der Himmel am herrlichen Rheine,
Kornblumenblau
Sind die Augen der Frauen beim Weine.
Darum trinkt Rheinwein, Männer seid schlau,
Dann seid am Ende auch ihr kornblumenblau.

     [Willy Schneider: Das kannst du nicht ahnen.../Kornblumenblau. Polydor 1937.]

Ein kleines Liedchen, bestehend aus gerade einmal drei Strophen, wovon die erste und dritte als Refrainstrophen identisch sind. Zwischen diese eingeschoben findet sich ein konventionelles Lob der prächtig-bunten (vermutlich herbstlichen Mittel-)Rheinlandschaft mit dem dominanten Topos der Rebenhänge. Der gebürtige Mülheimer Willi Ostermann (1876-1936) hatte das Genre der Rhein-Wein-Weib-Gesang-Lieder seit den 1910er Jahren exzessiv gepflegt und ökonomisch extrem (!) erfolgreich auf dem Markt der Stimmungs- und Karnevalslieder etabliert. In den 1920er und 30er Jahren war es auch bereits üblich, dass Ostermann-Schlager in Revuen und Filmen zweitverwertet wurden.

Ein Jahr nach dem Tode seines erfolgreichen Vorbildes trat Jupp Schlösser (1902-1983) mit Kornblumenblau in dessen Spuren. Gleich am Anfang seiner langen Karriere landete der gelernte Bäcker und Straßenbahnfahrer, der erst 1938 hauptberuflich ins Possendichter- und Liederschreiber-Fach wechselte, seinen vermutlich größten Erfolg, und zwar mit einem in hochdeutscher Sprache getexteten Schunkelwalzer, den Willy Schneider 1937 so kongenial interpretierte, dass man diese Orginalaufnahme auch in den gleich betitelten Film (1939) übernahm.

Was verhalf am Ende diesem harmlosen (?) Liedchen zu seiner langen Karriere bei stimmungsvollen Anlässen, wobei seine Beliebtheit mit Sicherheit auffällig mit zunehmendem Alter des Publikums korreliert? (Das war schon in meiner Kindheit vor einigen Jahrzehnten so gewesen!) Schwer zu sagen, aber versuchen wir wenigstens eine Annäherung. Bei aller klassisch-rheinromantischen Topik dominiert in diesem Lied zweifelsohne die Farbe blau, und zwar in einer äußerst intensiven Variante. Dieser Zug poetischer Landschaftsmalerei ist nicht unbedingt realistisch; wer am Rhein lebt, wird mir vermutlich Recht geben. Da die Donau als Fluss gewissermaßen das ältere Recht aufs Blaue reklamieren kann, tut der Dichter gut daran, diese Farbe im Himmelsraum seines Gemäldes anzusiedeln.

Himmelsbläue und Augenbläue des schönen Geschlechts fallen nett zusammen und werden vielleicht unterschwellig von der traditionellen Sehnsuchts-Semantik dieser Farbe zusammengehalten. Dass der spezielle Blauton, der hier besungen wird, von der Kornblume abgeleitet wird, bringt weitere Assoziationen ins Spiel: zur blauen Blume der Romantik (eines weiteren Sehnsucht-Symbols) und zum reichen Bedeutungsspielraum, der Centaurea cyanus im 19. und frühen 20. Jahrhundert zugewachsen ist, während dessen sie vom gefürchteten Ackerunkraut zur preußischen Blume, zum Symbol der nationalistischen Schönerer-Bewegung, jugendbewegter Wandergruppen und sogar einer SS-Freiwilligen-Kavallerie-Division aufgestiegen (?) war (vgl. dazu ausführlicher den Wiki-Artikel zur Kornblume). Um möglicher Kritik zuvorzukommen, merke ich an, dass Novalis keineswegs die Kornblume als Vorbild seiner ,blauen Blume‘ im Auge hatte, sondern vermutlich irgendwelche Vertreter der Gattung Heliotropium.

Wir halten fest, dass es zur Kornblume in deutschen Landen – zumal 1937! – hinreichend positiv besetztes Assoziationsmaterial gab, das gleichermaßen romantische, preußische und nationalistisch-deutsche Optionen eröffnete. Kornblumen, Rhein, blauäugige Frauen passen da ganz gut zusammen. Poetische Qualität gewinnt unser Lied nun aber durch zwei irritierende Gedanken und eine Schlussfolgerung, die sämtlich unromantische und auch im nationalen Diskurs inkorrekten Wirkungen des Alkohols geschuldet sind: a) die Augen der hier besungenen Frauen sind nicht aus rassischen Gründen cyanblau, sondern „beim Weine“, d.h. vermutlich, weil sie ihren angetütterten männlichen Zechgenossen nun so erscheinen; b) der Sänger rät seinen Geschlechtsgenossen zum reichlichen Konsum der landestypischen Rauschdroge, um den finalen Zustand „kornblumenblau“ zu erreichen; besonders interessant, aber auch erklärungsbedürftig ist der Umstand, dass er dieses Verhalten als „schlau“ einstuft.

Kommen wir zur angekündigten Schlussfolgerung c): durch reichlichen Alkoholgenuss könne es, das stellt der Sänger seinen Hörern jedenfalls in Aussicht, zu einer Art Vereinigung der Männer mit den Frauen im Zeichen der Kornblumen-Sehnsuchtsfarbe kommen. Diese Perspektive, dafür spricht jedenfalls der dauerhafte Erfolg des Liedes bei einer bestimmten Rezipientengruppe, scheint durchaus attraktiv, wenn andere Möglichkeiten ausgeschlossen sind.

Hans-Peter Ecker, Bamberg

PS. Dafür, dass Jupp Schlösser mit diesem Lied auf subtile Art den deutsch-nationalen Kornblumen-Kult seiner Zeit ein Stück weit veräppeln wollte, spricht vielleicht auch einer seiner anderen Schlager aus dem Jahr 1939, mit dem er das Denunziantentum jener Jahre aufspießte: Die hinger de Gardinge stonn (1939).