Schunkelwalzer im Zeichen der blauen Blume: Willi Schneiders „Kornblumenblau“ (Text: Jupp Schlösser)
12. Februar 2013 1 Kommentar
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Willy Schneider (Text: Jupp Schneider) Kornblumenblau Ist der Himmel am herrlichen Rheine, Kornblumenblau Sind die Augen der Frauen beim Weine. Darum trinkt Rheinwein, Männer seid schlau, Dann seid am Ende auch ihr kornblumenblau. Es gibt kein Plätzchen auf Erden, Wo sich's so herrlich und fein Lebt wie am Rhein, wo die Reben Blühen im Sonnenschein. Reich an Farben, so bunt und so prächtig Erstrahlt Wald und Flur, Von den Farben am Rhein Eine allein tritt ganz besonders hervor. Kornblumenblau Ist der Himmel am herrlichen Rheine, Kornblumenblau Sind die Augen der Frauen beim Weine. Darum trinkt Rheinwein, Männer seid schlau, Dann seid am Ende auch ihr kornblumenblau. [Willy Schneider: Das kannst du nicht ahnen.../Kornblumenblau. Polydor 1937.]
Ein kleines Liedchen, bestehend aus gerade einmal drei Strophen, wovon die erste und dritte als Refrainstrophen identisch sind. Zwischen diese eingeschoben findet sich ein konventionelles Lob der prächtig-bunten (vermutlich herbstlichen Mittel-)Rheinlandschaft mit dem dominanten Topos der Rebenhänge. Der gebürtige Mülheimer Willi Ostermann (1876-1936) hatte das Genre der Rhein-Wein-Weib-Gesang-Lieder seit den 1910er Jahren exzessiv gepflegt und ökonomisch extrem (!) erfolgreich auf dem Markt der Stimmungs- und Karnevalslieder etabliert. In den 1920er und 30er Jahren war es auch bereits üblich, dass Ostermann-Schlager in Revuen und Filmen zweitverwertet wurden.
Ein Jahr nach dem Tode seines erfolgreichen Vorbildes trat Jupp Schlösser (1902-1983) mit Kornblumenblau in dessen Spuren. Gleich am Anfang seiner langen Karriere landete der gelernte Bäcker und Straßenbahnfahrer, der erst 1938 hauptberuflich ins Possendichter- und Liederschreiber-Fach wechselte, seinen vermutlich größten Erfolg, und zwar mit einem in hochdeutscher Sprache getexteten Schunkelwalzer, den Willy Schneider 1937 so kongenial interpretierte, dass man diese Orginalaufnahme auch in den gleich betitelten Film (1939) übernahm.
Was verhalf am Ende diesem harmlosen (?) Liedchen zu seiner langen Karriere bei stimmungsvollen Anlässen, wobei seine Beliebtheit mit Sicherheit auffällig mit zunehmendem Alter des Publikums korreliert? (Das war schon in meiner Kindheit vor einigen Jahrzehnten so gewesen!) Schwer zu sagen, aber versuchen wir wenigstens eine Annäherung. Bei aller klassisch-rheinromantischen Topik dominiert in diesem Lied zweifelsohne die Farbe blau, und zwar in einer äußerst intensiven Variante. Dieser Zug poetischer Landschaftsmalerei ist nicht unbedingt realistisch; wer am Rhein lebt, wird mir vermutlich Recht geben. Da die Donau als Fluss gewissermaßen das ältere Recht aufs Blaue reklamieren kann, tut der Dichter gut daran, diese Farbe im Himmelsraum seines Gemäldes anzusiedeln.
Himmelsbläue und Augenbläue des schönen Geschlechts fallen nett zusammen und werden vielleicht unterschwellig von der traditionellen Sehnsuchts-Semantik dieser Farbe zusammengehalten. Dass der spezielle Blauton, der hier besungen wird, von der Kornblume abgeleitet wird, bringt weitere Assoziationen ins Spiel: zur blauen Blume der Romantik (eines weiteren Sehnsucht-Symbols) und zum reichen Bedeutungsspielraum, der Centaurea cyanus im 19. und frühen 20. Jahrhundert zugewachsen ist, während dessen sie vom gefürchteten Ackerunkraut zur preußischen Blume, zum Symbol der nationalistischen Schönerer-Bewegung, jugendbewegter Wandergruppen und sogar einer SS-Freiwilligen-Kavallerie-Division aufgestiegen (?) war (vgl. dazu ausführlicher den Wiki-Artikel zur Kornblume). Um möglicher Kritik zuvorzukommen, merke ich an, dass Novalis keineswegs die Kornblume als Vorbild seiner ,blauen Blume‘ im Auge hatte, sondern vermutlich irgendwelche Vertreter der Gattung Heliotropium.
Wir halten fest, dass es zur Kornblume in deutschen Landen – zumal 1937! – hinreichend positiv besetztes Assoziationsmaterial gab, das gleichermaßen romantische, preußische und nationalistisch-deutsche Optionen eröffnete. Kornblumen, Rhein, blauäugige Frauen passen da ganz gut zusammen. Poetische Qualität gewinnt unser Lied nun aber durch zwei irritierende Gedanken und eine Schlussfolgerung, die sämtlich unromantische und auch im nationalen Diskurs inkorrekten Wirkungen des Alkohols geschuldet sind: a) die Augen der hier besungenen Frauen sind nicht aus rassischen Gründen cyanblau, sondern „beim Weine“, d.h. vermutlich, weil sie ihren angetütterten männlichen Zechgenossen nun so erscheinen; b) der Sänger rät seinen Geschlechtsgenossen zum reichlichen Konsum der landestypischen Rauschdroge, um den finalen Zustand „kornblumenblau“ zu erreichen; besonders interessant, aber auch erklärungsbedürftig ist der Umstand, dass er dieses Verhalten als „schlau“ einstuft.
Kommen wir zur angekündigten Schlussfolgerung c): durch reichlichen Alkoholgenuss könne es, das stellt der Sänger seinen Hörern jedenfalls in Aussicht, zu einer Art Vereinigung der Männer mit den Frauen im Zeichen der Kornblumen-Sehnsuchtsfarbe kommen. Diese Perspektive, dafür spricht jedenfalls der dauerhafte Erfolg des Liedes bei einer bestimmten Rezipientengruppe, scheint durchaus attraktiv, wenn andere Möglichkeiten ausgeschlossen sind.
Hans-Peter Ecker, Bamberg
PS. Dafür, dass Jupp Schlösser mit diesem Lied auf subtile Art den deutsch-nationalen Kornblumen-Kult seiner Zeit ein Stück weit veräppeln wollte, spricht vielleicht auch einer seiner anderen Schlager aus dem Jahr 1939, mit dem er das Denunziantentum jener Jahre aufspießte: Die hinger de Gardinge stonn (1939).
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