„Glück ghabt“ (2003) von Werner Schmidbauer und die Zukunft

Werner Schmidbauer 

Glück ghabt

Glück ghabt, Pferdl gseng.
Glück ghabt, Guatl kriagt.
Glück ghabt, a Madl meng.
Pech ghabt, sie hot scho an andern gliabt.

Glück ghabt, olle klatschen.
Glück ghabt, gstreichelt wordn.
Glück ghabt, und meistens oan zum Ratschen.
Pech ghabt, d’Sprach verlorn.

Glück ghabt, Spiele gspuit.
Glück ghabt, Treue gschworn.
Glück ghabt, Verstand und vui Geduid.
Pech ghabt, as Herz verlorn.

Glück ghabt, und neamds zum Hassen.
Glück ghabt, seltn grantlt.
Glück ghabt, und tausend Chancen.
Pech ghabt, oane zvui versandlt.

Glück ghabt, und a Ziel zum glanga.
Glück ghabt, mit Musik Geld verdient.
Glück ghabt, eigne Wege ganga.
Pech ghabt, oana war vermint.

Glück ghabt, Gschichtn ghört.
Glück ghabt, und oan, der mit mir fliagt.
Glück ghabt, as ewig Leben begehrt.
Pech ghabt, Angst kriagt.

[Schmidbauer/Kälberer: Zeit der Deppen. FA.M.E. Recordings 2003.]

Zukunftsforscher wie Harald Welzer sagen, dass eine der wichtigsten Einstellungen, wenn man eine neue Zukunft angehen möchte, die Offenheit ist. Das heißt, so Welzer, dass eines der größten Probleme unserer expansiven Moderne sei, dass die Zukunft darin eindeutig immer ‘besser’ (also technologisch gereifter, wohlstandsmäßig abgesicherter) werden müsse. Damit haben viele Menschen in unseren Gesellschaften ein Zukunftskonzept verinnerlicht, dass Veränderung schwer macht. Wenn es besser werden muss, im oben definierten Sinne, kann es nicht anders werden. Aber genau das ist es, was unsere Gesellschaften auf sozialer, klimapolitischer oder ökonomischer Ebene gerade einfordern, ob durch radikale Gruppierungen, Klimakleber oder Wahlverweigernde.

            Nun wollte ich zum Anfang des Jahres mal wieder eine Liedinterpretation für diesen Blog schreiben. Zu einem Neujahrsschlager, zu Glücksversprechen, zur Zukunft. Im Radio hörte ich einen, merkte mir aber nur eine Zeile daraus: „und alles Gute zum neuen Jahr” (oder so ähnlich). Geben Sie das mal bei GoogleYouTubeInternet ein: Unauffindbar. Stattdessen: ein Meer an Neujahrsschlagern und Grußbotschaften beliebter Schlagerstars. So blieb meine Suche ergebnisoffen.

Einige Tage später dann, durch Felder spazierend, erinnerte ich mich an Werner Schmidbauers Glück ghabt (2003). In einer seiner Aufgspuit-Sendungen im Bayrischen Rundfunk merkt der Songschreiber dazu an, dass sein Listenlied aus einem Satz seiner jungen Tochter entstanden sei. Diese habe bei einem Spaziergang ein Ross auf einer Wiese gesehen, und daraufhin auf gut Bayrisch resümiert: „Pferdl gsehn – Glück ghabt“:

Im Interview-Teil der Sendung kommentieren darauf der Gast Handling und der Gastgeber, dass Kinder ja noch ganz anders glücksfähig seien als Erwachsene, offener, vielleicht, überraschter vom Leben an sich.

Im Lied geht es also darum, dass eine Sprech-Instanz verschiedene Momente beschreibt, die in unserem Kulturraum als glücklich angesehen werden. Besonders beschreibt das Lied Erlebnisse menschlicher Nähe, sowohl verbal als auch körperlich: „gstreichelt wordn“, „Treue gschworn“, „und meistens oan zum Ratschen“. Sozialpsychologe Welzer würde vermutlich beipflichten, da in der menschlichen Glücksbewertung besonders Zwischenmenschliches im Nachhinein als glückstiftend angesehen werde. Folglich stellt er fest, dass wir in Zukunft wieder mehr menschliche Begegnungsräume brauchen, weniger Digitales, denn das mache nur bedingt glücklich. Es entfremde, „[vereinzle] die Menschen. […] Überhaupt ist eine Gesellschaft, die Sozialfunktionen in Geräte auslagert, von wachsender Abschottung der Menschen voneinander geprägt“ (Welzer [2019] 2021, S. 138). Eine Zukunftsvorstellung, die missmutig macht. Freilich, als Schmidbauer das Lied schrieb, war diese Entwicklung noch nicht ganz so weit fortgeschritten. Dennoch, Technologie gab es auch Anfang der 2000er im Alltag schon zuhauf, nur kommt sie bei seinen Beschreibungen des Glücks eben nicht vor. (Haindling witzelt, dass man als Erwachsener zwar das Sehen von Autos gut finden mag, dies aber aus mehreren Gründen nicht unbedingt einen Freundschrei auslöse.) Schmidbauers zwischenmenschliche Erlebnisse müssen übrigens auch keinesfalls idealisierend perfekt sein, um als positiv verbucht zu werden. Glück braucht keine Totalität. Adverbien qualifizieren. Beispielsweise ist es schon schön, meistens einen zum Reden gehabt zu haben. Das öffnet Spielraum für Abweichung.

Glücklich machen den Sprecher auch Kunsterlebnisse, hier in einer Mischung aus Performanz, finanziell-kultureller Anerkennung, und privater Kontemplation: „Glück ghabt, alle klatschen / […] mit Musik Geld verdient / […] Gschichten ghört.“ Auch hier bleibt expansive Hybris außen vor: alle klatschen, verrät keine genaue Anzahl. Es können wenige in einem Gemeindesaal sein, oder viele. Ebenso mit „Musik Geld verdient“ ist offen, es könnte eine kleine Summe sein. Was zählt ist, eine gewisse Form der zwischenmenschlichen Anerkennung, scheint es. Des Weiteren, im Rückblick aus der eigenen Zukunft betrachtet, listet das Lied noch Beobachtungen zum Wortfeld Lebensleistung auf. Dabei erkennt es deren wankelmütige Unberechenbarkeit an: „Verstand und vui Geduld / […] tausend Chancen / oane zvui versandlt / […] eigne Wege ganga / oana war vermint.“ Glückliche und unglückliche Fügung scheinen sich zu bedingen und der rückwirkende Perspektivwechsel ist in diesen Zeilen mitgedacht. Wieder sind große Zahlen für Erfolg schließlich irrelevant. Tausend Chancen sind nur so viel wert, wie der Einzelfall im Lebensentwurf. Ironischerweise hilft dann diese offenere Beschreibung von Glück mit seinen erwartbaren Abweichungen dabei, andere Zukunftsausgänge in ein positives Gesamtbild zu integrieren. „Zukunft lässt sich negatorisch nicht entwerfen, das geht nur mit positiven Bestimmungen“ (Welzer [2019] 2021, S. 48). Erwartungsregulierung löst das Problem einer ausschließlich bestimmten Erfolgsgeschichte.

Spannend für unsere flexible, offene Zukunftsdefinition ist also, dass das Lied nicht nur Glücksmomente im engeren Sinne verzeichnet, sondern auch Unglückliches, dass sich im listigen Wechsel am Ende in die Strophen hineinschiebt (z.B. „Pech ghabt, as Herz verlorn“). Genauso, wie das zunächst Glückliche, die tausend Chancen etwa, sich im Nachhinein auch anders sehen lässt, birgt das Pech mit dem Sprung in die nächste Strophe einen ambivalenteren Ausgang: Aus der einmal zu viel vertanen Chance ergibt sich in der nächsten Strophe die Klarheit eines Ziels, dass sich erlangen lässt. Aus dem Folgen eines verminten Lebenswegs ergeben sich möglicherweise Geschichten, die sich hören lassen. Glück bleibt damit relativ. Ein eindeutig ‚besserer Weg‘ lässt sich also endgültig gar nicht kontextlos festlegen, und nimmt damit die Last einer eindeutig ausdefinierenden Erfolgsgarantie. Gesellschaftsbiografisch gesprochen ist „Zivilisierung […] kein linearer Vorgang“ ( Welzer [2019] 2021, S. 35); und Zivilisierung auf Kosten von Gefühlsverneinung nicht der einzig gangbare Weg. Im besten Falle lässt sich ‚ein Erfolg‘ nur einordnen neben anderen, erhält überzeitlich kein absolutes Bleiberecht.

Der Sprecher argumentiert damit auch im etymologischen Wortsinne des Glücks, der Definition von Glück im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache entsprechend:

„[Glück] bedeutet anfangs ‘Schicksal, Geschick, Ausgang eines Geschehens oder einer Angelegenheit (sowohl zum Guten als auch zum Bösen)’ und tritt als Schicksalsbegriff in Konkurrenz mit mhd. sælde und heil (s. selig und Heil), den älteren Ausdrücken für ‘Segen, Heil, Glück’. Aus dem engeren Gebrauch im Sinne von ‘günstiger Verlauf oder Ausgang eines Geschehens, günstiges Geschick’ entwickelt sich Glück zur Bezeichnung des wünschenswerten ‘Zustandes starker innerer Befriedigung und Freude’.“ 

Was das Lied durch seine Schicksalslistung auch nicht tut, ist Unglücksmomente groß zu dramatisieren. Es geht einfach weiter. Ein Moment folgt auf den anderen. Da man den Ausgang der Zukunft (und was als glücklich scheint) also gerade nicht in der Gegenwart endgültig bewerten kann, mahnt der Umgang mit Glück zu offener Demut. Durch die Listenstruktur und den Zeilenstil, von der der Text nie abweicht, wird eine gewisse formale Ordnung und anti-hierarchische Neutralität im Ablauf der Bilder suggeriert. Auf einen vermeintlichen Pech-Moment folgt wieder ein etwas besserer usw. Man beachte die Partizipien, die den Moment immer als gerade schon vergangen verbalisieren, also nach dem eigentlichen Glücksempfinden.

Der Verlauf des Lebens wird im Lied also als Glücks- und Pech-Biografie gefasst, mit Abstufungen im Erleben (oft, selten, manchmal) ohne Fixierung auf das eine oder das andere. Wenn die Vergangenheitsbewertung aus solch einem Wechselspiel besteht, was kann man dann daraus für sein Zukunftsverständnis ableiten? Auch wenn man feststellen kann, dass die Glücksmoment im Text überwiegen im Verhältnis 3:1, für das persönliche Glücksempfinden muss es nicht immer radikal besser werden. Dennoch oder gerade deswegen lässt sich im Welzer‘schen Sinne eine ästhetische Struktur ausmachen, die zukunftsfähig, da offener hinsichtlich Erwartungen ist. Der Zugang zur Änderung der Zukunft ist nicht ein totaler, sondern ein modularer, kleinteiliger. D.h. nicht alles muss sich sofort und perfekt ändern. Kleine Änderungen hier und da führen zu weiteren im Nebeneinander von Geglücktem und vermeintlich Nicht-Geglücktem. Hier knüpfen meine Liedtext-Analyse und Welzers Argumentation an Schiller und seine ästhetischen Erziehungsprinzipien an. Konfrontation mit (anderen) ästhetischen Darstellungs-Formen birgt Veränderungspotenzial für das Denken und Handeln der Menschen. „[D]as (künstlerische) Handeln selbst [schafft] schon eine neue Wirklichkeit“ (Welzer [2019] 2021, S. 289). Ein anderes Auf-die-Zukunft-Zugehen, also eine diversere Glücksdarstellung und damit auch Glückserwartung, erhält einen anderen Look. Weniger grandios und gradlinig vielleicht, mit Abstufungen, lokaler, zum Beispiel in bayrischer Mundart vorgetragen und nicht in globalisiertem Englisch. Glück findet sich in einem Heimatlied.

Heidegger hat wohl einmal gesagt, dass Zukunft Herkunft sei. Dazu kann man stehen, wie man möchte, ob es eher deprimierend ist (wenn man an die limitierten Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs denkt) oder versichernd (wenn man eine stabile Herkunft hat). Oder ein bisschen von beidem. Für die Zukunftsforschung relevant ist es im praktischen Sinne, da man, wenn beispielsweise ein neues Windrad mehrere Jahre Bauzeit hat, oder ein abgeholzter Wald ca. dreißig Jahre zur wildnisreichen Regeneration braucht, natürlich irgendwann in der Vergangenheit begonnen haben muss, damit sie in der Zukunft einmal stehen werden. Auf persönlicher Ebene merkt man manchmal, dass man zwar weit gegangen ist auf einem Spaziergang und irgendwie alles anders ist zum neuen Jahr, um dann doch dort anzukommen, wo man früher bereits einmal war.

Meine erste Interpretation für diesen Blog vor mehr als zehn Jahren war übrigens Momentensammler von Werner Schmidbauer.

Glück g’habt, manchmal geht die Zukunft in der Vergangenheit dann eben doch noch auf.

Florian J. Seubert, Darmstadt

Literatur

Harald Welzer: Alles könnte anders sein [2019]. Zitiert nach der Fischer Taschenbuch-Ausgabe, 3. Auflage (2021).