36 Grad und es wird noch heißer oder: Klimawandel in der DDR. Ein „Heißer Sommer“ mit Chris Doerk und Frank Schöbel
22. Juni 2015 1 Kommentar
Chris Doerk und Frank Schöbel (Text: Jürgen Degenhardt, Hartmut König) Heißer Sommer Chris: Wolkenloser Himmel und der Wind, der schweigt Kaum zu glauben wie das Barometer steigt Chor: Heißer Sommer in diesem Jahr Ist ein heißer Sommer, wie wunderbar Chris: Kinder, ist das Wetter außer Rand und Band Das gibt einen sagenhaften Sonnenbrand Chor: Heißer Sommer in diesem Jahr Ist ein heißer Sommer, wie wunderbar Frank: Heute brennt die Sonne ganz erbarmungslos In der Hölle ist die Hitze halb so groß Chor: Heißer Sommer in diesem Jahr Ist ein heißer Sommer, wie wunderbar Frank: Irgendwo, da muß doch auch noch Wasser sein Wenn ich's finde, spring ich wie ich bin hinein Chor: Heißer Sommer in diesem Jahr Ist ein heißer Sommer, wie wunderbar Chris: Sieh doch nur wie himmelblau der Himmel ist Nur, weil ihn seit Tagen schon die Sonne küßt Chor: Heißer Sommer in diesem Jahr Ist ein heißer Sommer, wie wunderbar Frank: Ach, am liebsten würde ich am Nordpol sein Aber welche Glut wird heute dort wohl sein Chor: Heißer Sommer in diesem Jahr Ist ein heißer Sommer, wie wunderbar Heißer Sommer, heißer Sommer...
Die ersten, zugegeben recht kurzen, Hitzewellen des Jahres sind rum, schon stellen alle Wetterdiagnostiker die wichtigste aller Fragen: Wie wird der Sommer 2015? Brüllende Hitze oder doch wieder nur ein kühles Grauen? Sorgen, mit denen sich die DDR-Jugend 1968 nicht plagen musste. Für sie stand fest, dass es ein Heißer Sommer werden würde. Frank und Chris hatten es schließlich singenderweise versprochen und mit diesem Versprechen der DEFA, dem volkseigenen Filmunternehmen der DDR, eine ihrer erfolgreichsten Produktionen beschert. Rund 6 Millionen Zuschauer wollten den Musikfilm Heißer Sommer sehen, der am 21. Juni 1968 in den ostdeutschen Kinos anlief und dessen Filmmusik kurze Zeit später auf dem Plattenlabel AMIGA veröffentlicht wurde.
Die Handlung des Kassenschlagers lässt sich als ein vorweggenommenes ‚Grease des Ostens‘ verstehen, 4 Jahre vor dessen Broadway-Premiere und ganze 10 Jahre vor der Verfilmung mit Newton John / Travolta. Auf dem Weg an die Ostsee treffen 11 Oberschülerinnen aus Leipzig auf ihre männlichen Pendants aus Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Dabei stellt sich schnell heraus, dass die Jungen nicht nur zahlenmäßig unterlegen sind (sie sind zu zehnt), sondern sich auch sonst auf einiges gefasst machen müssen. Die Mädchen sind in abenteuerlustiger Urlaubsstimmung (Lied: Was erleben, was nicht jeden Tag passiert), gewinnen den Anreisewettstreit per Anhalter weiblich-gewieft und machen den Jungs am (Überraschung!) gemeinsamen Urlaubsort schnell klar, dass sie genau das sind: grüne Jungs, die die emanzipierte Jung-Sozialistin nicht brauchen kann (Lied: Männer, die noch keine sind). Den Kabbeleien (Lied: Woher willst du wissen, wer ich bin?) folgen Liebeleien und schließlich die ganz große Liebe. Zumindest für Kai (Frank Schöbel), der der blonden Sexbombe Brit (Regine Albrecht) seine „endgültige“ Liebe in berückendem Beat-Sound offenbart (Lied: Ich fand die Eine). Brit allerdings setzt der gemeinsamen Zukunftsplanung die eher kurzfristige Ferien-Liebe entgegen und bändelt gleichzeitig mit Wolf (Hanns-Michael Schmidt) an, der sein Casanova-Image pflegt und damit die Gegenfigur zu „Langstreckenläufer“ Kai bildet. Auf einer Bootstour (ohne Bootsführerschein, mit geklautem Boot) kommt es zum Eklat. Wolf enthüllt Brits ‚doppeltes Spiel‘ (Lied: Es war mal ein Mädchen von kaum 17 Jahren) und die beiden Rivalen werden als Diebe vom ortsansässigen Volkspolizisten für eine Nacht ins Quartier der Feuerwehr gesperrt. Nach ausgetragener Eifersuchtsrangelei am Kreidefelsen wendet sich Kai von Brit ab und Stupsi (Chris Doerk) zu. Die burschikose, Tomboy-artige Anführerin der Mädchengruppe erweist sich nicht nur als (sexualmoralisch und politisch) integer, sondern ist, wie sie heißt: ein schlagfertiger, patenter Kumpeltyp mit kurzem Haar und frech-charmantem Mundwerk. Und so löst sich schließlich alles in Wohlgefallen auf. Der Missbrauch von Volkseigentum (das Boot) wird nicht geahndet, die Freunde versöhnen sich, die Ferien gehen beschwingt zu Ende und Stupsi und Kai gehen in eine gemeinsame Zukunft.
Gerahmt, immer wieder durchbrochen und begleitet wird dieses turbulente Treiben durch den titelgebenden Schlager Heißer Sommer, der von Stupsi und Kai (mithin Chris Doerk und Frank Schöbel) gesungen und dem chorischen Gesang ihrer Mitschüler begleitet wird. Konzept und Struktur dieses Songs folgen dem im Vorjahr veröffentlichten Duett Lieb mich so, wie dein Herz es mag (1967), in dem das junge Ehepaar Doerk/Schöbel in einen wechselseitigen Austausch über die Art und Weise des Geliebt-werden-wollens tritt und damit den 1. Preis im DDR-Schlagerwettbewerb gewinnt. Heißer Sommer nun wiederholt diese Dialogstruktur, füllt sie aber mit den Inhalten und Motiven des dazugehörigen Films. Der Text von Jürgen Degenhardt und Hartmut König (Musik: Gerd und Thomas Natschinski) fällt dabei insbesondere durch die offensichtliche Differenz zwischen zum Teil eher unerfreulichen Erlebnissen und der absolut positiven Bewertung des Erlebten auf. Während in den Strophen die Qualen der Hitze in eindrücklichen Bildern geschildert werden (Erbarmungslosigkeit, Hölle, Glut, verzweifelte Suche nach Wasser, Sonnenbrand), fängt der vom Chor intonierte Refrain die scheinbare Unerträglichkeit des Wetters immer wieder auf und erklärt, „wie wunderbar“ das Ganze letztlich doch sei. Damit greift das Lied Verlauf und Botschaft des Films auf und parallelisiert die besungenen Hitzekrisen mit den Gewissens- und Pubertätskrisen der Jugendlichen im Film, die in beiden Fällen als anstrengende, aber notwendige Turbulenzen einer (auch für die eigene Entwicklung) bedeutenden Reise inszeniert werden.
Dabei beginnt die Reise zunächst wolkenlos, windstill, mit ungewöhnlichem Barometerstand und verheißt so ungetrübtes Urlaubsvergnügen. Schnell macht jedoch die Sprecherin (Chris/Stupsi) deutlich, dass die Wetter-Revolte nicht ungestraft bleiben wird. Wie der Übermut der jugendlichen Protagonisten im Film zeitigt auch das „außer Rand und Band“-Sein des Wetters Folgen. In diesem Fall „einen sagenhaften Sonnenbrand“. Der ist vermutlich schmerzhaft, gleichzeitig aber auch, so legt das Adjektiv „sagenhaft“ nahe, ein durchaus mit Stolz errungenes Souvenir einer außergewöhnlichen Urlaubsreise, die das liebevoll-freundschaftlich mit „Kinder“ angesprochene Jugendkollektiv in gemeinsam erlebter Geschichte langfristig verbinden wird. Man erinnere sich: Die Mädels wollten „was erleben, was nicht jeden Tag passiert“!
Frank/Kai greift in ’seinen‘ nun folgenden Strophen die ambivalente Haltung gegenüber der Sommerhitze auf. „[E]rbarmungslos“ zeigt sich die Sonne und lässt so das Urlaubsparadies zur Hölle werden. Allerdings nur für kurze Zeit, denn „[i]rgendwo, da muß doch auch noch Wasser sein“. Und wenn das gefunden ist, erfolgt Klärung, Abkühlung und… Individuation! „Wenn ich´s finde, spring ich wie ich bin hinein“. Das Motiv des Findens und Sich-Findens verweist, neben dem offensichtlichen und mehr als verständlichen Wunsch nach Wasser in der Wüste, auf die Figurengeschichte Kais im Film. In seiner Liebe zu Brit geht er buchstäblich ‚durch die Hölle‘, bevor er bei und mit Stupsi zu sich selbst findet.
Die wiederum spricht ihren (Duett-/Dialog-/Lebens-)Partner in der nun folgenden Strophe direkt an, „Sieh doch nur wie himmelblau der Himmel ist“, und zitiert damit en passant ein verwandtes musikalisches Urlaubs-Narrativ: Benatzkys Singspiel Im weißen Rößl (1930). Auch hier kommt man zum Urlauben und Verlieben ans Wasser (Wolfgangsee statt Ostsee), auch hier leidet man am Wetter (Schnürlregen statt Hitze), ist nach Turbulenzen zum eigenen Ich geworden (inklusive Akzeptanz von Lispelei und Glatze) und findet die Welt schlussendlich „himmelblau“ vor (Lied: Die ganze Welt ist himmelblau, wenn ich in Deine Augen schau).
Auslöser des himmelblauen Himmels ist laut Stupsi allerdings nicht irgendein Kuss, sondern der Kuss der Sonne. Damit holt der Liedtext nicht nur Stupsis Figurenrede und -charakter aus dem Film herein – „Ich küsse nicht jeden, auch wenn ich ihn mag / Und wenn ich küß, dann nicht nur einen Tag / […] Ich glaube, wir verstehn uns, jetzt vielleicht fängt die Liebe an“ (Woher willst du wissen, wer ich bin?) – , sondern vollzieht eine Umwertung der zuvor erbarmungslosen Sonne in einen nun sehr positiv besetzten Himmelskörper.
Und so formuliert Frank/Kai abschließend und offenbar abschließend überzeugt, seine paradoxe, klimatisch bedenkliche und daher schwindende Sehnsucht nach dem „Nordpol“, der nun viel unerträglicher und glutvoller erscheint als die Sommerfrische an der Ostsee: „Ach, am liebsten würde ich am Nordpol sein / Aber welche Glut wird heute dort wohl sein“. Außerhalb der ‚Zone‘ ist es auch nicht kühler – genießen wir also unseren Heißen Sommer… wie wunderbaaaaaaaaaaaar.
Das auf den Heißen Sommer im Film die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings am 21. August 1968 folgte, zeigt auf erschütternde und überhaupt nicht amüsante Weise, dass sich das Klima auch in der Realität wandelte. Es wurde heißer, aber nicht wunderbarer. Die „echte“ Jugend ließ sich eben nicht so leicht nach sozialistischem Idealbild choreographieren und disziplinieren wie die ästhetische Imagination eines 21-köpfigen Körperkollektivs, das Konformität und Synchronität in einer Girl-Boy-Reihe am Ostseestrand performt.
Julia Menzel, Bayreuth
Das Video ist auf Youtube noch hier zu finden https://www.youtube.com/watch?v=H-Ps4iWmM24