Ein Geschenk Gottes. Bier als Gottesgabe in Onkel Tom Angelrippers ‚1516‘
11. August 2014 1 Kommentar
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Onkel Tom Angelripper 1516 Wir trinken wenig aber oft und dann viel Und sind bestrebt, dass uns kein Unglück geschieht Wir wollen kein Glas gefüllt mit Schaum und mit Schmerz Es kann so einfach sein mit Wasser, Hopfen, Malz Wasser, Hopfen, Malz 1516 Da wurde der Herr geboren Von da an gab’s nur ein Gesetzt Das deutsche Reinheitsgebot 1516 Die Brauer sein gelobt Ein Segen für die Menschheit Das deutsche Reinheitsgebot Es klingt wie Hochverrat, die ganze Welt braut Bier Doch nirgends schmeckt`s so gut wie in der Heimat hier Chemie und Pestizide haben bei uns verloren Ein schlechtes Bier das wird ganz schnell zu Gottes Zorn Schnell zu Gottes Zorn 1516 [...] La, la, la, la, la, la, la, la, la, la La, la, la, la, la, la, la, la La, la, la, la, la, la, la, la, la, la La, la, la, la, la, la, la, la 1516 [...] La, la, la, la, la, La, la, la, la, la [Onkel Tom Angelripper: Nunc est bibendum. Drakkar 2011.]
Gott und Metalmusik haben keine einfache Beziehung zueinander. Das 2013 veröffentlichte Comeback Album der Heavy Metal Pioniere Black Sabbath zum Beispiel enthält den Titel God is Dead? Während Black Sabbath durch das Fragezeichen am Ende des Titels zumindest noch etwas Interpretationsspielraum ermöglichen, sind andere Bands noch direkter: Im Lied Ode an den Niedergang von Eisregen wird Jesus beispielsweise als Bastard bezeichnet. White Metal Bands, welche ihre Religiosität in den Vordergrund stellen und mit klassischer Rock-Besetzung über christliche Themen singen, werden oft nur belächelt und spielen v.a. auf gesonderten christlichen Rockkonzerten und selten auf großen Metalfestivals. Beliebter als christliche Motive sind im Metal beispielsweise Darstellungen der Bandmitglieder als Wikinger mit Songs über Thor, Odin und andere nordische Göttern (vgl. AmonAmarth). Diese nordischen Götter werden somit als halb-ernste Alternative zu einem christlichen Glaubenssystem dargestellt.
Diese kritische Auseinandersetzung mit dem Christentum und die Kritik, welche implizit geäußert wird, sollte keinesfalls mit Satanismus o.ä. verwechselt werden, welcher in fast allen Metalgenres nicht vorhanden ist. Es gibt wohl auch keinen Metalhead, der tatsächlich zu Odin betet (am besten noch mit Tieropfern). Entsprechende Darstellungen in den Medien sind oft völlig unausgewogen und überspitzt und haben sehr wenig mit der Realität zu tun. Fast schon komisch ist beispielsweise eine Dokumentation zu diesem Thema aus dem Jahr 1990. Und es gibt durchaus auch Metallieder, in denen Gott positiv dargestellt wird – ein solches ist Onkel Tom Angelrippers Song 1516, in dem Gott den Metalheads deren liebstes Getränk herabgibt: Bier.
Im Refrain spielt Angelripper mit diesem Leitmotiv des Liedes: „1516 / Da wurde der Herr geboren / Von da an gab’s nur ein Gesetz / Das deutsche Reinheitsgebot“. Das Reinheitsgebot, welches besagt, dass beim Brauen nur Wasser, Hopfen und Malz verwendet werden dürfen, ist hier die Nullstunde nicht nur für die Braukunst, sondern auch für die Christenheit, ja für die ganze Menschheit. Der Heiland wurde 1516 geboren. Anstatt der biblischen Zehn Gebote gibt es nur ein Gesetz: nämlich das deutsche Reinheitsgebot. Logisch folgt, dass das Reinheitsgebot mit biblischen Worten beschrieben wird: „Ein Segen für die Menschheit“.
Zusammen mit dem Herrn ist also auch das wahre Bier auf die Erde gekommen. Zwar gab es vorher schon Bier und Religion, aber erst nach dem Jahr 1516 gab es den wahren und reinen Gerstensaft, wie er sein muss, und auch erst seitdem die wahre Religion. Der Herr ist also eng verbunden mit dem Getränk, welches er der Menschheit vermachte. Dies kann auch als Anspielung auf das christliche Abendmahlsverständnis interpretiert werden. Besonders in der katholischen Transsubstantionslehre ist Christus beim Abendmahl präsent. Allerdings ist in diesem Fall nicht der Wein das Blut Christi, sondern das Bier die Geburtsflüssigkeit.
Eine historische Ebene erhält diese Verbindung zwischen Bier und Christenheit durch die mittelalterliche und früh-neuzeitliche Bierproduktion in den Klöstern. Darstellungen von betrunkenen Mönchen mit großem Bierbauch sind in der Polemik der Reformationszeit ein beliebter Topos. Sie zeigen, wie weit verbreitet Klischees über den besoffenen Mönch waren, weil die evangelische Propaganda mit bereits existierenden Stereotypen spielt. Die Nähe der Mönche zu „ihrem“ Gerstensaft führte dabei häufig auch zu Streitigkeiten mit der städtischen Obrigkeit, die mit Bannmeilen und Gesetzen versuchte den Bierausschank in ihren Städten zu regulieren und dabei möglichst viel Geld einzutreiben. Der Bierausschank von Mönchen und Predigern, die oft durch das Kirchenrecht vor weltlichen Einschränkungen geschützt waren, war dabei stets unerwünscht. Schon im Mittelalter also hatte die Kirche eine enge Verbindung zum Bier, sogar gegen den Widerstand weltlicher Akteure.
Weil das Bier ein Geschenk Gottes ist, wird bereits in der ersten Strophe, ganz folgerichtig, schlechtes Bier als Gotteslästerung verstanden: „Und sind bestrebt, dass uns kein Unglück geschieht / Wir wollen kein Glas gefüllt mit Schaum und mit Schmer z/ Es kann so einfach sein mit Wasser, Hopfen, Malz“. Hier werden negative Emotionen (Schmerz) direkt mit einem schlechten oder schlecht gezapftem Bier (Schaum) verquickt und so ein schlechtes Bier, ganz zu schweigen von gar keinem Bier, mit Schmerz verbunden. Die Wichtigkeit des Schmerzes in der christlichen Mythologie – man denke z.B. an die Leiden Christi (bei denen mit der Verabreichung von Essig als Martergetränk ebenfalls etwas Flüssiges im Mittelpunkt steht) oder die Entbehrungen der Israeliten in der Wüste – greift hier wieder das Thema des Bieres als Gottesgeschenk auf. Schließlich wird die Gotteslästerung durch mangelhafte Braukunst auch in der Zeile „Ein schlechtes Bier das wird ganz schnell zu Gottes Zorn“ explizit herausgestellt. Das Reinheitsgebot, von Gott geschenkt, darf nicht abgewandelt oder ignoriert werden.
Angelripper fügt seinem religiös angehauchten Lied ebenfalls eine weltliche Ebene hinzu. Dies ist auch eine interessante Parallele zur frühen Neuzeit, aus welcher das Reinheitsgebot stammt, in der geistliche und weltliche Macht eng verbunden waren. Deshalb ist Bier nicht nach dem Reinheitsgebot zu brauen für Angelripper wie „Hochverrat“. Der Begriff des Hochverrats spiegelt die Verbindung aus weltlicher und geistlicher Macht wieder. Als Konsument oder Hersteller von schlechtem Bier begeht man gegen Deutschland als Biernation Hochverrat. Der Verrat aber spielt auch wiederum im Christentum eine zentrale Rolle, besonders durch Judas‘ Vertrauensbruch gegenüber Jesus.
Der Verweis auf ungewünschte Zusätze im Bier („Chemie und Pestizide“) kann durchaus auch als Seitenhieb auf andere bierbrauende Nationen verstanden werden, in denen sich die Nachricht des gottgegebenen Reinheitsgebotes noch nicht herumgesprochen hat. Diese sind somit durch den Konsum des falschen Gerstensaftes biertechnisch gesehen Heiden. Die nationale Beschränkung des Reinheitsgebotes auf Deutschland bedeutet natürlich auch, dass es nirgends so gut schmeckt „wie in der Heimat hier“, Deutschland also das auserwählte Land des Biergottes ist. Obwohl das Bier in Deutschland, laut Onkel Tom, am besten schmeckt, sind unsere österreichischen (knapp) und tschechischen Nachbarn (klar) uns in unserem Bierkonsum per capita überlegen (vgl. Wikipedia). Naja, die Qualität zählt ja und nicht die Quantität.
Wahrscheinlich ist es dem Konsum des göttlichen Gerstensaftes auch geschuldet, dass das Lied schließlich in ein lallendes Lalala übergeht, was ja auch wesentlich leichter mitzugröhlen ist als ein wortreicher Liedtext. Im völligen Suff schließlich verliert die Welt ihre Grausamkeit und stattdessen bringt man nur noch ein fröhlich-unbeschwertes Lalala zu Stande. Das Geschenk Gottes dient somit als bewusstseinserweiternde Droge, die Glücksgefühl, Ekstase hervorruft. Vielleicht ist diese Ekstase nicht unähnlich zu der, die religiöse Mystiker in ihrer Verbindung zu Gott fühlen. Im Vollrausch, ob stehend oder schon liegend, in friedvoller Umnachtung, mit einem alkoholisierten Grinsen auf den Lippen findet so vielleicht der eine oder andere ein kleines Stückchen vom Paradies.
Martin Christ, Oxford
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