Kirchenlieder aus dem Reformationsjahrhundert: Martin Luthers „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“
16. Dezember 2013 Hinterlasse einen Kommentar
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Martin Luther Mit Fried und Freud ich fahr dahin 1. Mit Fried und Freud ich fahr dahin in Gotts Wille; getrost ist mir mein Herz und Sinn, sanft und stille, wie Gott mir verheißen hat: der Tod ist mein Schlaf worden. 2. Das macht Christus, wahr’ Gottes Sohn, der treu Heiland, den du mich, Herr, hast sehen lan und g’macht bekannt, dass er sei das Leben mein und Heil in Not und Sterben. 3. Den hast du allen vorgestellt mit groß’ Gnaden, zu seinem Reich die ganze Welt heißen laden durch dein teuer heilsam Wort, an allem Ort erschollen. 4. Er ist das Heil und selig Licht für die Heiden, zu ’rleuchten, die dich kennen nicht, und zu weiden. Er ist deins Volks Israel Preis, Ehre, Freud und Wonne. [EG 519]
Die Titelzeile dieses Lutherlieds von 1524 handelt vom Sterben und will so gar keine Weihnachtsfreude ausstrahlen. Und es steht erst seit dem EKG, also dem Vorgänger unseres heutigen Gesangbuchs, auch in Bayern unter den Liedern zum Ende des Kirchenjahres und entspricht so unseren Vorstellungen von Liedern zum Toten- und Ewigkeitssonntag. Früher und vor allem zu Luthers Zeit stand es ganz woanders. Aber wo? Die beiden Bilder aus Gesangbüchern von 1533 und 1545 helfen Ihnen weiter:
Sie zeigen Jesus bei seinem ersten Besuch im Tempel und Marias „Reinigung“ nach der Geburt ihres ersten Kindes. Diese Anlässe des jüdischen Ritus haben die Christen noch zu Luthers Zeiten als Feiertage begangen und ihnen eine eigene Liedgruppe im Gesangbuch gegeben. Mit ihnen untrennbar verbunden ist eine ganz alte Hymne unserer Kirchen, das NUNC DIMITTIS. Der alte Simeon sprach dieses Dankgebet nach Luk 2, 29-32, als er erkannte, dass das Kind, das Maria und Joseph zur Beschneidung brachten, der verheißene Messias sei.
Und damit gibt es vier gute Gründe dafür, dass ich Ihnen dieses Lied nahelege. Es ist zunächst die direkte, reformatorische Übertragung eines Biblischen Textes, der die Weihnachtszeit beschließt, in ein Kirchenlied. Es erinnert uns sodann daran, dass Jesus Jude war, der die Rituale und Gebote seines Volkes einhielt. Und das ist ein Gedanke, den wir mit bedenken müssen, wenn in Deutschland über die „Körperverletzung“ durch die Beschneidung diskutiert wird. Es gibt drittens uns Bambergern die Möglichkeit, unseren Besuchern zu erklären, wer die beiden alten Leute in unserer Stephanskrippe sind (nämlich Simeon und Hanna) und was die beiden Tauben bei den Figuren bedeuten (Luk 2, 24). Den vierten, wichtigsten Grund finden Sie selbst heraus, wenn Sie Ihr Gesangbuch neben die Bibel legen und den Liedtext mit dem Gebet des Simeon vergleichen. Es ist alles da, was Lukas überliefert hat, aber Martin Luther hat dies Gebet in einer unglaublich gewaltigen Sprache erweitert und uns als Bekenntnislied in den Mund gelegt. Wir, Menschen des 21. Jahrhunderts, dürfen mit seinen Worten sagen: Der Tod wird mir nur ein Schlaf sein. Denn ich werde wieder aufwachen – und dann ist endlich alles gut. Und das alles, weil Jesus für uns Mensch geworden ist! Was für ein Weihnachtslied!
Andreas Wittenberg, Bamberg