Wortreiche Wortlosigkeiten: Neue Worte für ein altes Gefühl. Gedanken zu „Nur ein Wort“ von Wir Sind Helden (2005)

Wir Sind Helden

Nur ein Wort

Ich sehe, was du denkst
Ich denke, was du fühlst
Ich fühle, was du willst
aber ich hör' dich nicht
Ich hab' mir ein Wörterbuch geliehen
dir A bis Z ins Ohr geschrien
Ich staple tausend wirre Worte auf
die dich am Ärmel ziehen
Und wo du hingehen willst
ich häng' an deinen Beinen
Wenn du schon auf den Mund fallen musst
warum dann nicht auf meinen

Oh bitte gib mir nur ein Oh
Bitte gib mir nur ein Oh
Bitte gib mir nur ein
Bitte bitte gib mir nur ein Wort

Es ist verrückt, wie schön du schweigst
Wie du dein hübsches Köpfchen neigst
Und so der ganzen lauten Welt und mir
die kalte Schulter zeigst
Dein Schweigen ist dein Zelt
Du stellst es mitten in die Welt
Spannst die Schnüre und staunst stumm
wenn nachts ein Mädchen drüber fällt
Zu deinen Füßen red' ich mich
um Kopf und Kragen
Ich will in deine tiefen Wasser
große Wellen schlagen

Oh bitte gib mir nur ein Oh
Bitte gib mir nur ein Oh
Bitte gib mir nur ein
Bitte bitte gib mir nur ein Wort

In meinem Blut werfen
die Endorphine Blasen
Wenn hinter deinen stillen Hasen-
augen die Gedanken rasen

Oh bitte gib mir nur ein Wort
Bitte gib mir nur ein Oh
Bitte gib mir nur ein
Bitte bitte gib mir nur ein Wort

     [Wir sind Helden: Von hier an blind. EMI 2005.]

Liebesgefühle individuell auszudrücken, ist nach Umberto Eco in der Postmoderne ein zentrales Kunststück, denn jeder kennt inzwischen unendlich viele Beispiele für schon dagewesene Liebesworte und Ich-liebe-dich-Szenen (vgl. Nachschrift zum Namen der Rose, Hanser 1985, S. 78 f.). Diese Feststellung ist besonders für den Schlager relevant, für den Liebe das Thema Nummer eins ist. Das Poplied Nur ein Wort von Wir Sind Helden aus dem Jahre 2005 veranschaulicht, wie es auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch möglich ist, floskelfrei über Liebesdinge zu singen.

Inhalts- und Sprachebene sind in Nur ein Wort fein verzahnt: Auf inhaltlicher Ebene leidet eine verliebte Sprechinstanz Not. Sie wartet sehnsüchtig darauf, doch „nur ein Wort“ vom angehimmelten Gegenüber zu hören. (Wenn eine neutrale Geschlechterbezeichnung des Sprecher-Ichs und/oder des Angesprochen nur umständlich möglich ist, wird für das Sprecher-Ich die weibliche Form, für den Angesprochenen, die männliche Form verwendet; wohlwissend, dass sich aus dem Text auch andere Konstellationen ergeben könnten.) Seine Wortlosigkeit kommentiert sie wortreich. Vermutlich aufgeputscht durch das innere Wirrwarr und die Verzweiflung über das stille Verhalten des Gegenüber wird das Sprecher-Ich beim Füllen der Strophen kreativ und erzeugt ein eher ungewohntes Sprechen.

Auf stilistischer Ebene zeichnet sich dieses Sprechen durch individuelle Wortwahl zum Beispiel in Form mannigfacher Ausprägungen von Sprachspielerei zwischen eigentlichem und uneigentlichen Sprechenaus. Allgemein auf Sprechen und Schweigen bezogene Redensarten werden dabei auf den Topos der unbeantworteten Liebe umgemünzt. Die individualisierte Sprechweise umspielt so eigenwilligen den klassischen Topos. Dadurch erhält das Gesagte neue rhetorische Spannung, wirkt authentisch und originell. Auf einer Metaebene können Inhalt und Stilistik schließlich synthetisiert und als Antwort des zeitgenössischen deutschen Poplieds auf Ecos These gelesen werden.

Gleich zu Beginn des Lieds wird die Perspektiv festgelegt, aus der die Ereignisse geschildert werden: „Ich sehe“. Wie sich im Verlaufe des Lieds herausstellt, befindet sich dieses Ich im emotionalen Ausnahmezustand, in ihrem „Blut werfen die Endorphine Blasen“. Die Biochemie entschlüsselt heißt das nichts anderes, als: Die Sprecherin ist verliebt, ihre Wahrnehmung folglich gestört. Sie sagt von sich selbst, dass sie „wirre Worte“ aufstapelt, die sich dazu noch personifiziert verselbständigen und den Geliebten am Ärmel ziehen. Der Glücksbotenstoff Endorphin trübt folglich ihre Sprache und Sicht. Daraus lässt sich schließen, dass das Geschen aus der Sicht einer unzuverlässigen Sprecherin präsentiert wird, um einen Terminus aus der Erzähltextanalyse zu verwenden. Für den Hörer/Leser heißt das wiederum: Zu keinem Zeitpunkt des Lieds hat er oder sie die Möglichkeit die wirre Sichtweise der Sprecherin zu verlassen. Ob der von ihr Angesungene überhaupt ein Wort sagen möchte, ja überhaupt in sie verliebt ist, kann somit nicht geklärt werden. Durch diesen rhetorischen Kunstgriff hat der Hörer Anteil an der Liebesironie, nicht zu wissen, ob und was der andere denkt.

Dennoch betreibt die Sprecherin in ihrer Verliebtheit Pseudo-Empirie: „Ich sehe, was du denkst/ Ich denke, was du fühlst/ Ich fühle, was du willst“. Immer weiter verstrickt sie sich so in pure Spekulation, die verwendeten Verben der Wahrnehmung werden immer subjektiver. Wo sehen noch die Möglichkeit äußerer Wahrnehmung zulässt, driftet das implizierte Lesen der Gedanken eines anderen (denken, was ein anderer denkt und fühlt) schon in die Telepathie ab. Der sich daran reihende Gleichklang der Gefühle bedient dann endgültig den romantischen Topos vom Einklang zweier verliebter Seelen, die sich – ironischerweise – ja eigentlich wortlos verstehen. Einen Beweis allerdings, der außerhalb der Innerlichkeit der Verliebten liegt, hat sie (und damit der Songrezipient) für ihre Gefühle nicht, schließlich sagt sie selbst: „aber ich hör’ dich nicht.“

Die durch die Aneinanderreihung von Parallelismen zunächst nicht gleich zu erkennende Doppeldeutigkeit des Satzes „Ich fühle, was du willst“, zeigt wie der Gefühlsrausch auch vor der Syntax der Sprecherin nicht Halt macht. Ihre Syntax wird ambivalent: Liest man den Satz im Sinne, ich fühle, was auch immer du willst, dass ich fühle, befindet sich die Satzakrobatin am Rande der Selbstaufgabe. Eine ähnliche Kettensyntax findet sich im Refrain: Hier wird in schwallartiger Verkettung, manchmal gar ohne Punkt und Komma, mantrisch immer wieder das gleiche gesprochen. Der Zeilenumbruch nach dem zweiten „Oh“ („Bitte gib mir nur ein Oh/Bitte gib mir nur ein“) erzeugt dabei eine Doppeldeutigkeit, die selbst den Laut „Oh“ zum Zentrum des Erhofften werden lässt. An barocker Sprachspielerei orientierend lässt sich das letzte Wort jeder Refrainzeile dann noch zu einem Ganzen zusammenfügen (Version nach Booklett). Auf diese Weise tritt der tiefe Wunsch des Ichs nochmals flehend hervor: „WORT/OH OH EIN WORT“.

Nicht nur in Form von ambivalenten syntaktischen Verkettungen zeigt sich die personalisierte Sprechweise der Verliebten, auch ihre Wortwahl ist bemerkenswert. Die Sprecherin integriert eine Reihe prosaischer Wörter, die man nicht auf Anhieb einem Liebes-Anhimmel-Song zuordnen würde. Die Substantive „Wörterbuch“, „Zelt“, „Schnüre“, „Endorphine“ bedienen ebensowenig Liebesklischees wie die dazu kombinierten Verben: Das Wörterbuch wird ins Ohr geschrieen. Das Zelt seines Schweigens stellt der Stille in die Welt, scheint sich in den Zeltstoff einzuhüllen wie in einen Mantel des Schweigens. Das Gewirr aus Zeltschnüren wird zum Mädchenfang eingesetzt. Nachts über den Zelt- oder Festivalplatz wandelnde Mädchen fallen drüber. Offensichtlich ist es auch der Sprecherin nicht anders ergangen, weshalb die Endorphine in ihrem Körper für die Liebesrhetorik ästhetisch fragwürdige Blutblasen werfen. Im Kontext der hysterisch-naiven Rhetorik jedoch erhalten diese Syntagmen poetischen Glanz, wirken gerade wegen der ungewöhnlichen, zuweilen kühnen Wortkombinationen authentisch und passen zur allgemeinen stilistischen Strategie, den wirren Worten liebesbedingt ihren eigenwilligen Lauf zu lassen.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich das Sprecher-Ich an vielen Stellen Sprachbilder aus Sprichwörtern in Form von Sprachspielen mit eigentlichem und uneigentlichem Sprechen zu eigen macht. Durch die sprachspielerische Konkretisierung erhalten sie eine individuelle Note. Paradoxerweise treten durch diese Wortkunst in einem Lied über das Fehlen eines konkret artikulierten Wortes die tatsächlich verwendeten Wörter durch das Wörtlichnehmen besonders klar und greifbar hervor. Denn durch die Rückführung ins eigentliche Sprechen hört der Rezipient wieder bewusst(er) hin. Die Sprache wirkt ehrlich und persönlich, obwohl sie mit Allerweltsausdrücken gespickt ist, da diese ja in neuem, individualisiertem Gewand auftreten, ähnlich wie es auch bei Heinz Rudolf Kunzes Liebeslied (vgl. die Interpretation Herzenssachen in diesem Blog) der Fall ist. Möglicherweise täuscht das Sprecher-Ich sich und den Zuhörer auf diese Weise über die Abwesenheit des entscheidenden Wortes von der entscheidenden Person hinweg, da es dessen Absenz sprachästhetisch kunstvoll verschleiert.

In einem Musterbeispiel für Sprachspielen mit dem uneigentlichen Sprechen tut die Sprecherin ihren Unmut über die Wortlosigkeit ihres Angebeteten kund. Sie bemängelt das Schweigen des Wortlosen mit der gängigen Formulierung: „Wenn du schon auf den Mund fallen musst“. Zunächst könnte man diesen Halbsatz noch übertragen verstehen, schließlich ist er eine bekannte Redewendung, um Mundfaulheit anzumahnen. Mit dem zweiten Teil des Satzes aber wird die uneigentliche Bedeutung sofort entkräftet, denn hier fragt das Sprecher-Ich mit direktem Bezug auf den Körperteil „Mund“: „warum dann nicht auf meinen[?]“. Es hat sich also ein absoluter Übertrag weg von der sprichwörtlichen Semantik hin zur wörtlichen vollzogen. Eine ironische Note lässt sich bei diesem Beispiel erkennen: Auf der einen Seite, möchte die Verliebte doch endlich ein Wort hören und beklagt die Stille des Angeliebten. Auf der anderen Seite fiele beim vom Sprecher-Ich erwünschten Mund-auf-Mund-Fallen zweier Personen das Ergebnis am Ende eher stumm aus: Es wäre ein Kuss. Um es in den Worten eines 20er-Jahre Schlagers zu sagen: „Josef, ach Josef, was ist du so keusch/ Das Küssen macht so gut wie kein Geräusch.“ Beim Küssen fehlten dann sicherlich auch der Sprachkünstlerin die Worte.

Ein weiteres Sprachspiel mit dem eigentlichen und uneigentlichen Sprechen im Bezug auf eine Formulierung, die gemeinhin auf Verschwiegene angewandt wird, eröffnen die Zeilen: „Ich will in deine tiefen Wasser/ Große Wellen schlagen.“ Der erste Teil der Zeile spielt auf das Sprichwort „Stille Wasser sind tief“ an und beschreibt erneut den Wortlosen. Der zweite Teil des Satzes holt die rhetorische Figur mit einer Konkretisierung ein: „Tiefe Wasser“ werden mit „Wellen“ in Verbindung gebracht, wodurch sich die Bildsprache wieder dem eigentlichen Sprechen annähert. Der zweite Teil des Satzes ist allerdings ebenfalls metaphorisch verschlüsselt: „Etwas schlägt große Wellen“, sorgt also für große Aufmerksamkeit, was oft mit einem lauten – nur in seltensten Fällen stillen – Ereignis verbunden ist.

Der Materialisierungsgrad bei diesem Beispiel ist nicht ganz so absolut, wie beim vorangegangenen. Das hängt schlicht und einfach damit zusammen, das der Wortasket nur schwer „tiefe Wasser“ besitzen kann, einen Mund allerdings schon. Er müsste Eigentümer eines stehenden Gewässers sein (z.B. eines Teichs im heimischen Garten), oder eine Körperöffnung mit entsprechender Tiefe und wässriger Füllung aufweisen, damit darin Wellen geschlagen werden können. Gerade diese leichte semantische Unsauberkeit führt aber zu einer rhetorischen Pointe mit metakommentierender Wirkung, denn hier geschieht stilistisch genau das, was sich die Sprecherin wünscht: die untrennbare Verschmelzung vom stillen mit dem lauten Pol. Das an manchen Stellen nicht ganz konsequente oder offensichtliche Vereigentlichungsspiel mit Redensarten ist somit kein Makel des Textes, sondern adäquater rhetorischer Spiegel eines schwankenden emotionalen Zustands der Sprecherin.

Eine dritte Trope lässt sich dann im Gesamtzusammenhang des Textes wieder eindeutiger konkretisieren. Das Sprecher-Ich, das sich „zu […] Füßen“ des Angesprochenen „um Kopf und Kragen“ singt, kann dies wörtlich tun, wenn man „Und wo du hingehen willst/ Ich häng an deinen Beinen“ aus einer vorigen Strophe einbezieht. So gelesen wird beschrieben, wie sich das Ich durch bodennahes Liegen den Kragen und vielleicht sogar den Kopf aufscheuert. Geht man von dieser textinternen Verbindung aus, die durch eine bewusst leicht überspitzte Lesart erzeugt wird, ist der Materialisierungsgrad in diesem Fall ebenso absolut anzusehen wie der des Mund-Beispiels. Es handelt sich dann nämlich tatsächlich um das halsbetonende Endstück der Oberbekleidung, das im Eifer des Gefechts aufgerieben wird. Die Trope verlässt also den Bereich des Sprichworts. Röhrich (vgl. Redensarten (1992). Bd. 2: Han bis Sai, S. 869-872.) verortet den Ursprung dieses Sprichworts in der Rechtssprache und Praxis der Hinrichtung. Die konkrete Bedeutung nähert sich dem Verlust von Kopf und Kragen in diesem Sinne tatsächlich an. Im Übertrag beschreibt die Wendung „jmd. der leichtsinnig handelt“, der „unbedacht“ ist.

Kopf und Kragen bedient somit wie schon die Beispiel zuvor die Isotopie Redewendungen zur Dichotomie Sprechen und Schweigen. Bei dem Sprichwort sich um Kopf und Kragen reden liegt der Bedeutungsschwerpunkt auf dem Akt des Redens; im Sinne von „nicht das Richtige und zuviel davon in einer wichtigen Situation sagen“. Somit scheint hier schon eine leichte Selbstkritik des Sprecher-Ichs durch. Sie merkt möglicherweise, dass sie mit ihrer Redestrategie nicht weiterkommt, ja die Situation gar noch schlimmer macht.

Abseits der Wortebene, verweist Kopf und Kragen auf der Lautebene auf eine weitere stilistische Besonderheit des Textes: Es finden sich auffallend viele Alliterationen („wirre Worte“, „die dich“), und sehr viele Reibelaute („Spannst die Schnüre und staunst stumm“, „nachts ein Mädchen“). Das Ich rüttelt also sogar mit lautlichen Mitteln am Schweigsamen, damit dieser doch endlich einen Laut von sich gebe. Dazu kommt der eiernde, und damit fast quengelnd klingende Binnenreim „deinen Beinen“ und noch ein – zuvor schon als Endreim mit „Blasen“ verwendeter – Binnenreim mit zentralem Reibelaut: „Hasenaugen die Gedanken rasen“. Dieser Binnenreim tritt noch einmal besonders durch das gesungene Enjambement „Wenn hinter deinen stillen Hasen-/ augen die Gedanken rasen“ hervor. Damit wird schon im Versaufbau illustriert, wie sehr die Wortakrobatin sich bereits in den Augen des Wortlosen verloren hat. Denn auf rhetorischer Ebene kommt sie von ihnen einfach nicht los. Ihre Schwärmerei dafür erstreckt sich gleich auf zwei Zeilen.

Zusammenfassend kann man die Wortfülle des Ichs als hysterisch-verspielte Rhetorik charakterisieren, denn das Sprecher-Ich schreit dem Angesprochenen im wahrsten Sinne des Wortes ein personalisiertes Wörterbuch von „A bis Z ins Ohr“. Die Hysterie wirkt sich dabei auf die Satz-, Wort- und Lautebene aus. Der Topos des vergeblichen Hoffens einer Verliebten auf ein Wort von ihrem Geliebten wird mehrfach an Schweigsamkeit anempfehlenden Liebestopoi gespiegelt, wie am romantischen Topos der wortlos verstehenden Seelenverwandtschaft zweier Liebender oder aber dem Topos der Geräuscharmut beim Küssen. Gleich auf mehrere Weisen spielt der Text damit mit sprachlichen und literarischen Liebesvorbildern und entgeht somit der Eco’schen Sprachnot im Bezug auf Liebe. Wir Sind Heldenfinden folglich neue Worte und neue Bilder für ein altes Gefühl und die damit einhergehenden ebenso alten Probleme. Um es frei mit Heine zu sagen: Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu.  Oder um es frei nach mit einem YouTuber zu sagen: „OMG, just give her that word!“

Florian Seubert, Bamberg

Über deutschelieder
“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

4 Responses to Wortreiche Wortlosigkeiten: Neue Worte für ein altes Gefühl. Gedanken zu „Nur ein Wort“ von Wir Sind Helden (2005)

  1. Barbara says:

    Vielen Dank für diese gründliche, hübsche und sogar unterhaltsame Analyse.

    Ich habe mir immer vorgestellt, dass es hier tatsächlich um die verzweifelte Liebe zu einem Menschen geht, der nicht spricht. Da die Erzählerin es noch nicht aufgegeben hat, dachte ich, dass es sich um jemanden handelt, der nach einem Unfall oderzraumatischen
    Erlebnis „die Sprache verloren hat“

  2. Barbara says:

    … dafür sprach für mich auch das „auf den Mund fallen musst“, das andeutet, dass der Geliebte nicht aus ganz freien Stücken schweigt. Die Erzählerin bemüht sich, ihn mit dem Wörterbuch in die Welt der Sprechenden zurückzuholen. Der Geliebte bringt aber keinen Laut heraus. Er lebt abgeschottet in einer stillen Welt, vielleicht kann er sie also nicht oder auch kaum hören, weshalb sie auch schreit. ich hab mich immer gefragt, was mit ihm passiert sein mag… er muss auf jeden Fall sehr jung sein, so dass er in den Augen der Erzählerin noch wie ein kleiner Junge ein „hübsches Köpfchen“ hat und staunt, wenn sich jemand in ihn verliebt. Fast sehe ich in hier mütterliche Gefühle, vielleicht ist sie älter als er… so dachte ich immer.

    Vielleicht habe ich das Lied nicht abstrakt genug betrachtet…

    mfG
    Barbar

    Nun sehe ich, dass ich das Lied vielleicht einfach nicht abstrakt genug betrachtet hab.

  3. Tim Seidenschnur says:

    Der Liedtext erreicht im Toten-Hosen-Zitat („… auf dem Rasen“) seinen Höhepunkt, bringt spätestens dort Raserei der Gedanken mit sich. Die Kommentierung des Songs ist mühsam zu lesen, es ist nämlich schon nach wenigen Zeilen schwer dem Gedanken auszuweichen, dass der sprachliche Aufwand der Kommentierung größer ist als der Inhaltliche – was der Verfasser der Kommentierung mit seiner Überschrift „Wortreiche Wortlosigkeiten“ aber vielleicht schon selber vorweggenommen hat.
    Tim S.

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