Mieses Zeitmanagement – Tim Bendzkos „Nur noch kurz die Welt retten“
16. Januar 2012 2 Kommentare
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Tim Bendzko Nur noch kurz die Welt retten Ich wär so gern dabei gewesen doch ich hab viel zu viel zu tun lass uns später weiter reden Da draußen brauchen sie mich jetzt die Situation wird unterschätzt und vielleicht hängt unser Leben davon ab Ich weiß, es ist dir ernst Du kannst mich hier grad nicht entbehren doch keine Angst, ich bleib nicht allzu lange fern Muss nur noch kurz die Welt retten danach flieg ich zu Dir Noch 148 Mails checken wer weiß, was mir dann noch passiert denn es passiert so viel Muss nur noch kurz die Welt retten und gleich danach bin ich wieder bei Dir Irgendwie bin ich spät dran fangt schon mal mit dem Essen an Ich stoß dann später dazu Du fragst: „Wieso, weshalb, warum?“ ich sag: „Wer sowas fragt, ist dumm!“ denn Du scheinst wohl nicht zu wissen, was ich tu ’Ne ganz besondere Mission lass mich dich mit Details verschonen genug gesagt, genug Informationen Muss nur noch kurz die Welt retten [...] Die Zeit läuft mir davon zu warten, wäre eine Schande für die ganze Weltbevölkerung Ich muss jetzt los, sonst gibt’s die große Katastrophe merkst Du nicht, dass wir in Not sind Ich muss jetzt echt die Welt retten [...] [Tim Bendzko: Wenn Worte meine Sprache wären. Sony 2011. Text nach Booklet.]
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Nur Superhelden vom Schlage eines James Bond schaffen das locker: Apokalypsen abzuwenden und gleichzeitig den Erwartungen ihrer Partnerinnen zu entsprechen. Die meisten anderen ,Helden’ – der Literatur wie auch des Alltags – genügen dieser Doppelaufgabe hingegen eher schlecht als recht. Das erfuhren zu ihren Zeiten schon die Artusritter Iwein und Erec, deren einer sich bekanntlich „verritten“ hat, während der andere bequemer Häuslichkeit im Übermaß frönte, und ähnliche Schwierigkeiten bei der Balance zwischen sozialer und privater Verantwortung ergeben sich für Tim Bendzkos Weltenretter.
Das lyrische Ich dieses Songs entschuldigt sein Fernbleiben von Tisch (und Bett?) mit einem durchaus triftig klingenden Grund: In Situationen auf Tod und Leben liege es einzig und allein an ihm, die Welt vor dem drohenden Untergang zu bewahren. Das vermutlich per Telefon angesprochene Du („lass uns später weiter reden“) kommt zwar nicht zu Wort, scheint der Argumentation des Ichs aber Widerstand entgegen zu setzen, wie dessen wiederholte Erklärungsversuche erahnen lassen – kein Wunder, wird es doch offensichtlich beim Essen versetzt: „fangt schon mal mit dem Essen an / Ich stoß dann später dazu“. Die pluralische Verbform „fangt“, legt in Verbindung mit anderen Indikatoren (Stimme des Interpreten, V. 7f.) nahe, dass hier ein junger Familienvater Frau und Nachwuchs zu vertrösten sucht. Ob die gewählte Entschuldigungsstrategie die Partnerin überzeugen wird, ist fraglich; sicher hingegen, dass die Übertreibungen und Ungereimtheiten („zu warten wäre eine Schande / für die ganze Weltbevölkerung“) des ungeschickten Aufschneiders vor dem Publikum keinen Bestand haben können. Dafür ist die Selbststilisierung des Ichs zum Messias zu überzogen, die Verbindung zwischen Weltrettungsmission und Sichtung der eingegangenen 148 Mails zu grotesk.
Die zweite Strophe macht noch deutlicher, wie windig das Ich seine Argumentation konstruiert hat. Es ist außer Stande, Details zu seinen Vorhaben anzugeben und muss entsprechende Nachfragen mit autoritärem Gestus abwehren. Viele Hörer werden im zitierten Dialog der zweiten Strophe „Du fragst: „Wieso, weshalb, warum?“ / ich sag: „Wer sowas fragt, ist dumm!“ das Titellied der Sesamstraße wieder erkennen und das Frageverbot als Verdummungsversuch verstehen. Mit der Refrainstrophe wiederholt das Ich die einmal gewählte Entschuldigungsformel wie ein Mantra. Die dritte Strophe weist nur noch fünf Verse auf. Sie macht damit die wachsende Unlust des Sprecher-Ichs sichtbar, sich noch länger mit der Partnerin auseinanderzusetzen. Dass die Aufgabe der Welt-Rettung drängt, nehmen wir ihm längst nicht mehr ab.
Seine grotesken Ausreden wirken beim ersten Anhören amüsant, verdecken dabei aber durchaus ernste Probleme: die Gefahr, als Mail-Junkie das eigentliche Leben zu versäumen, ferner ein latentes Beziehungs- und vielleicht sogar Familiendrama. Ob sich dieses Ich „verspätet“, weil es einfach zu unreif ist und ein soziales Leben zu organisieren oder weil es attraktivere Alternativen sieht und gar nicht nach Hause kommen mag, kann auf Basis des Textes nicht entschieden werden. Offensichtlich ist aber eine unehrliche, dazu bedenklich asymmetrisch ausgebildete Kommunikationsbeziehung zwischen Ich und Du; diesem Paar wird man keine gedeihliche gemeinsame Zukunft prognostizieren wollen.
Ohrwurmqualitäten hat dieser auch gut tanzbare (Fox, Samba) Schlager im Eurokrisenherbst 2011 allemal erlangt. Dies kann man dem eingängigen Rhythmus zuschreiben, der einprägsamen Hooklinie im Refrain, Tim Bendzkos weicher Stimme, die sich bestens dazu eignet, eine „identifikationsfähige Jugendpoesie“ (Süddeutsche Zeitung, 18.11.2011) hervorzubringen, oder der ironisch-melancholischen, vielleicht auch ein wenig zynischen Reaktion des Songs auf die allgegenwärtigen Weltuntergangsszenarien dieser Tage. Für leichte Eingängigkeit und schnelle Verankerung im Netz unseres kulturellen Wissens sorgen aber nicht zuletzt mehrere, dem Text dezent, oft ironisch-distanziert eingearbeitete Anspielungen auf andere bekannte Artefakte: „Mission impossible“, den mythischen Stoff der „zwei Königskinder“ oder das Volkslied „Wenn ich ein Vöglein wär und auch zwei Flügel hätt, flög ich zu Dir“. Schließlich höre ich in Bendzkos Song auch noch die witzige Entgegnung auf einen Hit der Pop-Rock-Gruppe Silbermond, den Stefanie Kloß seit 2009 mit naiv-jungmädchenhafter Schmachtstimme vorträgt: „Gib mir ’n kleines bisschen Sicherheit, / in einer Welt, in der nichts sicher scheint“.
Hans-Peter Ecker, Bamberg
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