„Unruhig ist unser Herz“ – Das Lied „Räume räumen“ von PeterLicht
21. Oktober 2013 Hinterlasse einen Kommentar
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PeterLicht Räume räumen Der Raum ist voll, doch keiner ist da Das hier erreicht mich Erreicht mich nicht So viele Sekunden hat mein Tag nicht Die ich bräuchte, um mein 'Nein' zu sagen Meine Neine.. nein, nein, nein Meine Neine.. nein, nein Nein, nein, nein Der Raum ist voll, doch keiner ist da Wer stört, fliegt Raus, raus, raus Stören und fliegen und Räume räumen Hier muss ich nicht sein, hier möcht ich nichtmal fehlen Lieber draußen auf den Wegen im Septemberregen Der warme Regen Der warme Regen Nein, nein, nein Ich glaube, wen immer ich sehe, müsste glücklich sein Wir mögen das Land, wir akupunktieren den Boden Wir massieren die Straßen, wir cremen die Häuser Wir wischen die Städte, wir kühlen die Motoren Wir mögen das Land, wir akupunktieren den Boden Mit großen Stahlstangen Mit großen Stahlstangen Wir salben den Beton, wir verbinden die Drähte Wir trösten die Maschinen, wir besprechen die Membranen Der Infrastruktur legen wir die Hände auf Mit großen Händen Mit großen Händen Und dann dein Bild in den Wolken und der Wind von oben Du da - Ich hier Mit großen Herzen Mit großen Herzen Ja, Ja, Ja Lass uns glücklich sein Oder verschwunden sein Lass uns kleiner werden Am Horizont Was anderes sehe ich nicht Am Horizont Lass uns weiter gehen Als unsere Augen sehen Was anderes sehe ich nicht Als in weiter Ferne lauter Licht In weiter Ferne lauter Licht In weiter Ferne lauter Licht [PeterLicht: Melancholie und Gesellschaft. Motor 2008.]
„Wenn die Leute in der Kirche so laut singen: katholischer Mundgeruch“ – Ein Satz, der nicht nur christlich/katholisch sozialisierte Menschen schmunzeln lässt. Hier werden zwei Sinneswahrnehmungen miteinander in Beziehung gebracht: Gesang und Geruch. Assoziationen von Orgelmusik, leicht schiefem Gemeindegesang, Weihrauch und Kerzenwachs drängen sich auf. Sie vermitteln – leicht spöttisch – einen Eindruck davon, was landläufig als „katholisch“ gilt.
Der kurze Satz stammt von PeterLicht und ist seinem Buch Wir werden siegen! Buch vom Ende des Kapitalismus entnommen. Der Songpoet und Schriftsteller steht eigentlich nicht im Verdacht, sich in seinem Werk mit dem Christentum oder gar dem Katholizismus auseinanderzusetzen. Sicherlich ist der humorvoll-ironische Gedanke über den „katholischen Mundgeruch“ auch überinterpretiert, wenn man ihn verwendet, um PeterLicht in die Tradition christlich geprägter Schriftsteller zu stellen. Als Anstoß zu einer kleinen Spurensuche kann der Aphorismus allerdings durchaus dienen.
Dem erwähnten Buch ist ein Motto vorangestellt. Es lautet „Unruhig ist unser Herz“ und stammt aus den „Confessiones“ des patristischen Theologen Augustinus. Was nicht gekennzeichnet wird, ist, dass nur der erste Teil eines längeren Satzes abgedruckt wird. Auch an dieser Stelle soll der Satz zunächst noch nicht vervollständigt werden. Stattdessen wird zuerst genauer auf das Lied Räume räumen eingegangen.
Das Lied ist in zwei große Bereiche aufgeteilt, die durch die Wörter „Nein“ (vgl. V. 1-17) und „Ja“ (vgl. V. 30-46) abgegrenzt werden. Dazwischen befindet sich ein Abschnitt, der sich durch die Wir-Form vom ersten Teil absetzt (vgl. V. 18-29). Am Anfang beschreibt das Sprecher-Ich seine momentane Situation. Es befindet sich in einem Raum und fühlt sich fehl am Platz. Obwohl offensichtlich noch andere Menschen anwesend sind, fühlt es sich allein und wäre lieber draußen im Regen als in diesem Raum. Die Häufung des Wortes „Nein“ im Refrain macht deutlich, wie unerwünscht diese Gedanken sind. Das Gefühl der Einsamkeit, dem „Nein“ entgegengerufen wird, erfährt nun eine starke Kontrastierung durch den Mittelteil des Liedes.
Geschäftigkeit und Tatendrang werden hier durch Metaphern dargestellt, die teilweise auf religiöse Handlungsweisen verweisen. So wird beispielsweise gesalbt (vgl. V. 25), getröstet (vgl. V. 26) und besprochen (vgl. V. 26). Eine Handauflegung gibt es ebenfalls (vgl. V. 27).
Die Formulierung „Und dann“ (V. 30) markiert den Wendepunkt des Liedes. Es wird ein „Bild in den Wolken und der Wind von oben“ (V. 30) beschrieben. Der Refrain wechselt von „Nein“ zu „Ja“. Ausgehend von diesem Satz soll im Folgenden eine theologische Lesart des Liedes entwickelt werden.
Im altorientalischen Kulturkreis, dem auch die alttestamentlichen Schriften entstammen, spielen Wetterphänomene vor allem im Zusammenhang mit Gotteserscheinungen eine große Rolle. Für das vorliegende Lied wird nun die Bedeutung von Wolken und Wind interessant werden. Sie stehen beide für die Anwesenheit und das Handeln Gottes, was exemplarisch durch Psalm 104 verdeutlicht werden soll: „Du nimmst dir die Wolken zum Wagen, du fährst einher auf den Flügeln des Sturmes [Windes]“ (Ps 104,3-4).
Der – auch musikalisch spürbare – Wendepunkt des Liedes wird also durch zwei Wetterphänomene eingeleitet, die im Zusammenhang mit Gotteserfahrung gelesen werden können. Parallel dazu wird ein „Du“ in den Text eingeführt, das dem
Der abschließende Teil des Liedes – von einer melodischen Wiederholung des Wortes „Ja“ untermalt – besteht aus vielen Imperativen, die zu einem glücklichen Leben aufrufen. Außerdem erkennt das Sprecher-Ich „in weiter Ferne lauter Licht“ (V. 44) und bezieht sich damit auf eine zentrale Metapher des Christentums: Licht.
„Unruhig ist unser Herz“, so überschreibt PeterLicht seine Texte in Wir werden siegen! Buch vom Ende des Kapitalismus. Augustinus stellt an den Beginn der Confessiones den Satz „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, o Herr“. Aber reichen der Bezug auf alttestamentliche Literatur in einem Lied und ein Zitat eines Kirchenvaters aus, um aus PeterLicht einen religiösen Songschreiber zu machen? Sicher nicht! Im Gegensatz zu seinem Lied Unsere Zeit, das von Hans-Peter Ecker interpretiert wurde, ist der Himmel in Räume räumen aber nicht „mit sich selbst beschäftigt“, schließlich wird eine Beziehung zwischen „Du“ und „Ich“, zwischen oben und unten gestaltet. Ein gemeinsamer Weg wird vorgeschlagen (vgl. V. 41).
Trotz des pessimistischen Beginns verbreitet das Lied also die Hoffnung auf ein gutes Ende. Auch wenn es manchmal so aussieht, als sei der Himmel mit sich selbst beschäftigt, in weiter Ferne sieht man es: lauter Licht!
Michael Winklmann, Augsburg