Scheen war die Nostalgie. Zu Peter Alexanders „Wie Böhmen noch bei Öst’reich war“
14. Oktober 2013 2 Kommentare
Vollständige Fassung hier.
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Peter Alexander (Text: Josef Petrak) Wie Böhmen noch bei Öst’reich war Wie Böhmen noch bei Öst’reich war vor finfzig Jahr, vor finfzig Jahr, hat sich mein Vater g'holt aus Brünn a echte Weanerin. Und keine hat gemacht wie sie die Skubanki, die Skubanki, er hat ihr wieder beigebracht, wie man a Bafleisch macht. A bisserl Wien, a bisserl Brünn, no da liegt a gute Mischung drin. entstanden bin zum Schluß dann i, aus diesem Potpourri. Wie Böhmen noch bei Öst’reich war [...] Wenn Böhmen und auch Mähren, nicht mehr zu uns gehören. So denken trotzdem viele Leut' noch an die Zeit. Wie noch ganz Leitomischl beim Zauner war in Ischl und halbert Wien in Prag beim Katholikentag. Wie Böhmen noch bei Öst’reich war [...] [Peter Alexander serviert Spezialitäten aus Böhmen, Ungarn, Österreich. Ariola 1967. Original aus dem Jahr 1953, Musikverlag Weinberger.]
Es sieht nicht so aus, als ob sich schon viele Literatur-, Kultur-, Geschichts- oder Erziehungswissenschaftler mit Zur Hölle mit den Paukern (1963) von Alexander Wolf (eigentlicher Name: Herbert Rösler) oder der noch wesentlich berühmter gewordenen Verfilmung des satirischen Romans, den sieben Teilen der Komödienreihe Die Lümmel von der ersten Bank (1967-1972), beschäftigt hätten. Bei etwas Recherche findet man immerhin eine Dissertation aus dem Jahr 1975, die sich mit den u.a. in diesen Werken präsentierten Darstellungen des Gymnasiums auseinandersetzt (Dietmar Röser: Das Bild der Höheren Schule in der neueren deutschen Literatur. Köln 1975).
Dabei lassen sich im Buch wie in den Filmen durchaus einige recht spannende Aspekte finden. Etwa gleich in den ersten fünf Minuten des ersten Teils, in denen der Protagonist Pepe Nietnagel einen Geschichtslehrer als „typische[n] Militarist[en]“ vorstellt und einen anderen, nachdem dieser der Klasse gegenüber davon sprach, dass die heutige Jugend keine „Ehrfurcht [mehr] vor den nationalen Gütern“ habe, mit Adolf Hitler und der nationalsozialistischen Vergangenheit seiner Generation konfrontiert. Oder wenn kurz darauf der „Summer of Love“ seinen Ausdruck im Titellied mit den schönen Zeilen „Wir sagen sechs mal sechs und denken Liebe, / weil sie uns so gefällt“ findet.
Besonders Germanisten sollten sich für diese Pauker-Filme interessieren. Denn ganz im Gegensatz zu den Geschichtslehrern kommt der Berufsstand des Deutschlehrers – verkörpert durch den schneidigen Peter Alexander (im zweiten Teil, Zum Teufel mit der Penne, von 1968 als Dr. Roland bzw. Dr. Tell aus der Schweiz und im vierten Teil, Hurra, die Schule brennt, von 1969 als Dr. Bach) – ziemlich gut weg. Deutschlehrer Bach steht auf Seiten seiner Schüler. Er lässt sie ihre Arbeiten selbst benoten und führt mit ihnen Schillers Wilhelm Tell nicht in einer langweiligen weil konventionellen Version, sondern als pfiffiges Musical auf. Außerdem trifft er sich mit den Lümmeln zum Feierabendgetränk in einem Weinlokal, wo er wiederum mit seinen Gesangskünsten zu begeistern vermag. Letztlich tanzt die „berüchtigte 12 a“ wie wild durch den Saal – nicht zu den Rolling Stones oder den Kinks, sondern zu Wie Böhmen noch bei Öst’reich war, dem Hit Alexanders, dem sich dieser in einer Reihe mit zahlreichen weiteren Liedern mit Böhmen-Bezug (vgl. etwa das gesamte Album Aus Böhmen kommt die Musik von 1983) und Filmen (u.a. Schwejks Flegeljahre von 1963) im Jahre 1967 angenommen hatte.
Ursprünglich stammt Wie Böhmen noch bei Öst’reich war aus dem Jahr 1953 und von den Urhebern Josef Fiedler (Musik) und Josef Petrak (Text), vor Peter Alexander sang es 1954 auch schon Heinz Conrads. Fiedler, Petrak und Conrads verdienten sich ihr Geld und ihren Ruhm vor allem mit Wienerliedern, also mit volkstümlichen Texten, die eine ausgeprägte Tendenz dazu haben, mit verklärtem Blick in die Vergangenheit zu schauen. Entsprechend trugen ihre Erzeugnisse Titel wie Mein Herz ist ein Bilderbuch vom alten Wien (auch von Hans Moser gesungen), Viele Dinge sind dahin, die so schön waren hier in Wien, Das hat schon der alte Novotny gesagt, In Wien war einmal eine Kaiserin oder Wie der Radetzky noch a G’freiter war. Der Titel Wie Böhmen noch bei Öst’reich war fügt sich nahtlos in diese Reihe.
Doch das Lied konnte in den Nachkriegsjahren auch noch auf einer anderen, über das Wienerlied hinausgehenden Ebene rezipiert werden. Auch der Lieblingsmusiker meines Großvaters, Ernst Mosch spielte Wie Böhmen noch bei Öst’reich war, genauso Hubert Wolf. Wie der „Original Egerländer“ Mosch und der „Original Böhmerländer“ Wolf hatte mein Opa mit Anfang zwanzig die böhmischen Heimat verlassen müssen. Ihre betont regionalen Blasmusikklänge dienten ihm als eine Möglichkeit, sich an die Orte seiner Jugendjahre zu erinnern.
Freilich war die Zeit, in der „Böhmen noch bei Öst’reich war“ schon länger her. In den 1950er und 1960er Jahren waren es tatsächlich so ungefähr „finfzig“ Jahr. Nur die Älteren konnten sich noch persönlich daran erinnern. Doch auch die Jüngeren konnten sich leicht mit einem Text identifizieren, in dem die Vergangenheit in einer nicht mehr greifbaren Heimat gepriesen wurde. Es mag wesentlich zur Popularität des Liedes beigetragen haben, dass man beim Hören etwa auch an jene Zeit denken konnte, als das Sudetenland Bestandteil des Deutschen Reiches war.
Das ändert freilich nichts daran, dass hier explizit das untergegangene Habsburgerreich als harmonisches „Potburri“ gefeiert wird. Die Lebensart, die Religion und die Liebe verbinden den Vielvölkerstaat. Die Kleinstadt „Leitomischl“ macht in der „Kaiserstadt“ Bad Ischl Ferien und füllte dort das traditionelle Kaffeehaus Zauner, während „halbert Wien“ zu den Glaubensbrüdern auf den „Katholikentag“ nach Prag pilgert. Als bestes Beispiel für die Qualitäten der „gute[n] Mischung“ erscheint schließlich das Kind von Elternteilen aus Brünn und Wien. Dass Wie Böhmen noch bei Öst’reich als ein Ausdruck von Revanchismus zu deuten sei, kann als Behauptung demnach nur schwerlich aufrechterhalten werden. Die sich sonst so gegen die Vorgängergeneration auflehnende 12 a der Pauker-Filme jedenfalls nahm die schmissige Nostalgie bereitwillig an und ging voll ab.
Martin Kraus, Bamberg
Sehr schön, grade saß ich so rum und dachte, was war dieses Lied für die Fünfziger eigentlich für ein krass unnationalistisches Statement, was da wohl dahinter steckt. Feine Sache dann über so einen Eintrag zu stolpern, am Ende werd ich echt nochmal einen Blick auf die schwach erinnerten Pauker-Filme werfen.=)
Wie wahr.
Prag erinnert mich sehr an Wien, die Häuser, die Küche etc.
Herzliche Grüße
Andrea