Früher Kolonialwaren, heute supergeil. Zu „Supergeil“ von Der Tourist featuring Friedrich Liechtenstein in der Version für Edeka (2014).


Der Tourist featuring Friedrich Liechtenstein

Supergeil

Super süß, super sexy, super easy, supergeil
Super Leute, super lieb, super Love, supergeil
Super Uschi, super Muschi, super Sushi, supergeil
Super heftig, super deftig, super lässig, supergeil
Super fit, super fresh, super Lifestyle, supergeil
Super Power, super stark, super Markt, supergeil

Es ist supergeil, supergeil
Richtig supergeil, supergeil
Ich find's supergeil, supergeil
Denn du bist supergeil

Super Knister, super Knusper, super Snack, supergeil
Super Freunde, super spritzig, super Party, supergeil
Super Optik, super chillig, super Cookies, supergeil
Super Sonntag, super Montag, super lazy, supergeil
Super crunchy, super tasty, super crazy, supergeil
Super fruchtig, super lecker, super smooth

Es ist supergeil, supergeil
Richtig supergeil, supergeil
Ich find's supergeil, supergeil
Denn du bist supergeil
[2x]

Sehr, sehr geile Sachen hier
Bio ist auch sehr, sehr geil
Sehr geile Bioprodukte, toll

Es ist supergeil, supergeil
Richtig su-su-supergeil, supergeil
Ich find's supergeil, supergeil
Denn du bist supergeil

Guck ma hier
Sehr, sehr geile Fritten, super
Sehr geiler Dorsch übrigens, sehr geil

Oh hier, Klopapier
Oh, das ist aber weich
Sehr, sehr geil, super

Ein bärtiger Mann um die 60 im Anzug und mit Sonnenbrille sitzt an einer Supermarktkasse. Auf dem Band rollen verschiedene Waren auf ihn zu. Statt diese rasch über den Scanner zu ziehen, nimmt er sie liebevoll in die Hand und kommentiert sie: „Sehr geiler Dorsch übrigens. Sehr geil. Oh hier, Klopapier. Das ist aber weich. Sehr, sehr geil“. Das Werbevideo, in dem der Unterhaltungskünstler Friedrich Liechtenstein durch eine Edeka-Filiale tänzelt und an der Kasse sitzt, wurde 2014 zu einem Marketing-Hit für das Lebensmittelunternehmen. Sogar US-amerikanische Medien berichteten über „the most gloriously entertaining commercial you will see today“, wie es auf buzzfeed.com hieß. Die Rezensentin auf Slate interpretiert den Musikclip gar als „a window into German culture“ sowie als „German variation on Gangnam Style“. Acht Jahre später veröffentlichte das ukrainische Verteidigungsministerium auf Twitter einen Neuzusammenschnitt des Videos (vgl. die Berichterstattung der Welt). Gebeten wird um „super Leopard“-Panzer aus Deutschland. Die gibt es zwar nicht bei Edeka zu kaufen, doch zeigt sich der Erfolg des viralen Marketings.

Exkurs: 125 Jahre Edeka

Den Zeitgeist erkannt hatten auch 21 Händler von Kolonialwaren im Jahr 1898. Der ineffizienten Unternehmensführung kleiner Läden und der wachsenden Konkurrenz durch Warenhäuser wie Karstadt wollten sie etwas entgegensetzen: die Organisation in Form einer Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin – Edeka stellt eine Abkürzung dar, die gesprochene Form der Initialen ihres Gründungsnamens E.d.K. Kolonialwaren – Kakao, Kaffee, Tee – verbreiteten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts im europäischen Lebensmittelhandel rasant. Damit einhergehend wurden immer mehr kleine Einzelhandelsgeschäfte gegründet. Diese krankten jedoch an ihrer geringen Größe, die Preise waren oft hoch, das Warenangebot hingegen klein. Dem wollten die Händler durch den Zusammenschluss begegnen, mit dem Ziel, „die Vorteile der dezentralen Verkaufsstätten beizubehalten, gleichzeitig aber Kosten durch die Zentralisierung von gemeinsamen Aufgaben einzusparen“, so Max Witzler von der Universität Tübingen.

Zwar war die Edeka nicht der erste Zusammenschluss dieser Art, doch ein besonders erfolgreicher. Im Jahr 1907 schlossen sich die Kaufleute der E.d.K. zu einer deutschlandweiten Zentraleinkaufsgenossenschaft zusammen, was ihr Fortbestehen sichern sollte. Gegen den Widerstand der wichtigsten Markenhersteller des Deutschen Reichs gelang es der Edeka durch ihre Geschlossenheit, eigene Hausmarken einzuführen und erfolgreich zu etablieren. Auf ein geschlossenes Erscheinungsbild des Unternehmens wurde fortan großer Wert gelegt – heute würde man von einem Corporate Image sprechen. Auf diese Weise überstand die Einkaufsgenossenschaft auch Inflation, Weltwirtschaftskrise, Kriegs- und Zwangswirtschaft. Während der NS-Zeit unterwarf sich der Konzern bereitwillig den staatlichen Maßnahmen und stilisierte sich zu einem Volk und Land dienenden Handelsunternehmen.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg zahlten sich die guten Kontakte der Unternehmensleitung in die Politik – Lobbyismus, würde man heute sagen – aus. Mit dem Wirtschaftswunder florierten die Geschäfte. Ab den 1960er Jahren entstand durch die Etablierung von Discountern Druck; Innovationen wie Kühltechnik und Selbstbedienung mussten umgesetzt werden, was viele kleine Läden nicht leisten konnten und in der Folge schlossen. Doch statt etwa mit dem Mitkonkurrenten Rewe zu fusionieren, wurde eine differenzierte Palette von Filialtypen eingeführt, die sich je nach Standort und Kundschaft unterscheiden (bspw. die kleineren Märkte „nah und gut“). Mit nach eigener Darstellung aktuell über 400.000 Mitarbeitenden stellt Edeka heute, 125 Jahre nach Gründung der Einkaufsgenossenschaft, den zweitgrößten privaten Arbeitgeber in Deutschland dar – noch vor Volkswagen, Daimler und dem Mitkonkurrenten Rewe, doch nach der Schwarz Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören (vgl. Südkurier).

Originalversion von 2013

Vor dem Hintergrund der Firmengeschichte, die bei aller berechtigen Kritik – sowohl in der Vergangenheit als auch aktuell – deutlich macht, dass das Unternehmen immer wieder erfolgreich auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen reagierte, erscheint die Zusammenarbeit mit Friedrich Liechtenstein 2014 nicht verwunderlich.Dabei ist der Track für Edeka nicht das Original, sondern eine Version des 2013 veröffentlichten Spoken-Word-Stücks „Supergeil“ des Berliner Musikprojekts Der Tourist, einem losen Zusammenschluss mehrerer Berliner Künstler. Laut dem Blog Köln News handele es sich um einen „aus einer Sauflaune entstandenen Song“:

Im Originalvideo preist Sänger Friedrich Liechtenstein nicht Supermarktprodukte wie Cookies, Sushi oder Fritten an, sondern die verschiedensten Facetten des Lebens, eine schier unzusammenhängende Auflistung, bestehend sowohl aus hedonistischen („Party“, „Urlaub“) und künstlerischen Elementen („Drehbuch“, „Film“, „Buch“) als auch den Gegebenheiten des Lebens, denen sich kaum jemand entziehen kann („Wetter“, „Nachbarn“) – immerhin sind sie hier allesamt „supergeil“. Das lässt sich als Kulturkritik lesen, „als Parodie auf alles positive Denken per Autosuggestion“ (welt.de). In dieser Analyse einer Gesellschaft, in der alles unhinterfragt „geil“ ist, liegt vielleicht die besondere Bedeutung des Liedes, die über die Entstehung „aus einer Sauflaune“ (s.o.) hinaus geht.

Passend zum ursprünglichen Songtext erscheint auch das Originalvideo skurril; Friedrich Liechtenstein läuft durch das winterliche Berlin, betritt die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, zieht sich in der Garderobe um und verzehrt noch eine Bockwurst, bevor er schließlich über die Bühne tanzt. Dabei scheint er sich selbst genug zu sein; ob Publikum bei seinem Auftritt zugegen ist, ist nicht erkennbar, erscheint aber auch zweitrangig. In seiner Lässigkeit und rotzigen Selbstverständlichkeit braucht der Mann keine Zuschauer*innen, ein Garderobenspiegel genügt, um sich selbst sehr geil zu finden.

Der Rosa-Luxemburg-Platz ist Friedrich Liechtenstein schließlich bestens vertraut; hier wohnt er nach eigener Aussage und hier inszenierte er bereits in den 1990er Jahren verschiedene Theaterstücke an der Volksbühne. Dies jedoch noch nicht unter seinem Künstlernamen Friedrich Liechtenstein, den er seit dem Jahr 2003 zunächst als Elektro-Pop-Musiker und Entertainer benutzt, sondern unter seinem bürgerlichen Namen Hans-Holger Friedrich. 1956 in Stalinstadt, heute Eisenhüttenstadt geboren, studierte Friedrich an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin und verdiente später sein Geld am Theater mal als Schauspieler, mal als Puppenspieler, mal als Regisseur. Lange Zeit eine Berliner Lokalgröße, wurde er 2014 einem internationalen Publikum bekannt.

Supergeiler Lifestyle dank bunter Warenwelt?

Dazu kam es, als die Kreativ- und Werbeagentur Jung von Matt auf das Spoken-Word-Stück von Der Tourist aufmerksam wurde. Geschäftstüchtig schlug man der Werbeabteilung von Edeka das Lied für ihre Produktwerbung vor. Dabei wird die supersimple sprachliche Verbindung der Komposita „Supermarkt“ „supergeil“ genutzt. Und so entstand die hier vorgestellte Version im Auftrag der Supermarktkette. Dabei wird die Gesellschaftskritik der Originalversion – alles „geil“ zu finden (s.o.) – gewissermaßen in ihr Gegenteil verkehrt; schließlich geht es nun darum, unbeschwert zu konsumieren. All die Zwänge und schlechten Gefühle, die als Generalverdacht längst jeden Konsum begleiten, seien es Gedanken an gesunde Ernährung („Fritten“, „Cookies“) oder nachhaltigen Konsum („Sushi“, „Dorsch“), sollen durch die euphorisierende, unhinterfragt positive Präsentation der bunten Warenwelt einmal zum Schweigen gebracht (oder mit weichem, d.h. nicht aus Recyclingpapier bestehendem Klopapier weggewischt) werden. Daran ändern auch die paar Bioprodukte nichts, die Friedrich Liechtenstein an der Kasse präsentiert – sie dienen im Gegenteil der Beruhigung des Gewissens. Diese unverhohlene Aufforderung zum Konsum erscheint vor dem Minimalismus des Lebenskünstlers Friedrich Liechtenstein besonders irritierend. So wusste die Süddeutsche Zeitung 2014 über den Künstler zu berichten, dieser habe „keinen Besitz, kaum Geld, nicht einmal ein Handy, schon gar keinen Computer“.

Somit büßt das Stück in der Version für Edeka seine Zivilisationskritik und damit in gewisser Weise seine Unschuld ein, indem es in den Dienst einer auf Konsum und Gewinn zielenden Supermarktkette gestellt wird. Der im Originaltrack präsentierte Materialismus („Urlaub“, „Content“, „Outfit“) erscheint nicht länger ironisch kritisch, stattdessen steht eindeutig und gezielt die Produktwerbung im Vordergrund. Es gilt, die supergeilen Produkte in all ihrer Güte zu preisen und sie – wie dies jede professionelle Werbung tut – mit einem bestimmten Lifestyle zu verknüpfen. Ein Indikator, wie wenig subtil dies erfolgt, ist nicht zuletzt, dass das Wort „Lifestyle“ im Track selbst explizit genannt wird. Zu diesem Zweck wird zum einen eine Assoziationskette mit den verschiedensten, positiv besetzten Facetten des Lebens („Love“, „Power“, „Freunde“, „Party“, „Optik“) gebildet, mit denen der („super“) „Markt“ in eine Reihe gestellt wird. Zum anderen werden die unterschiedlichsten Eigenschaften genannt („süß“, „sexy“, „easy“, „lieb“, „fit“, „fresh“, „chillig“ usw.), die den in diesem Markt zu erwerbenden Produkten zuteil sind. Wurden im Originaltrack auch noch negative Attribute in Verbindung mit „super“ („ätzend“, „hässlich“, „sick“, „teuer“) genannt, wird auf diese in der Version für Edeka wenig überraschend vollkommen verzichtet.

Der hohe Unterhaltsfaktor entsteht zum einen durch die Performance von Friedrich Liechtenstein, der sich – obwohl nun nicht mehr allein auf einer Bühne, nur für sich selbst in einen dunklen Raum hinein singend, sondern im Auftrag des Lebensmittelriesens – in all seiner Skurrilität selbst treu bleibt und tatsächlich authentisch wirkt. Ein Wannenbad in H-Milch mit zusätzlich Knusper-Müsli Triple Choc lässt er sich ebenso wenig nehmen wie ein Tänzchen samt Hüftschwung mit einer übergroßen Batterie. Wie ein staunendes Kind mit großen Augen wandelt, nein tänzelt er durch die bunte Warenwelt und bewundert die Fülle der angebotenen Produkte, als würde er deren Vielfalt zum ersten Mal bemerken. Zum anderen entsteht die Ironie dadurch, dass nicht nur vermeintliche Lifestyle-Lebensmittel („Sushi“, „Cookies“) hervorgehoben werden, sondern auch solche („Dorsch“, „Klopapier“), die weniger werbeaffin erscheinen – hier sind sie alle supergeil.

 „Geil“ im Wandel der Zeiten

Bereits das Althochdeutsche, das etwa zwischen 750 und 1050 gesprochen wurde, kannte das Wort „geil“, jedoch in der Bedeutung von „übermütig“ oder „überheblich“. Im Mittelhochdeutschen, gesprochen etwa zwischen 1050 und 1350, bedeutete „geil“ „von wilder Kraft“, „mutwillig“, „üppig“, „lustig“ oder „begierig“. Seit dem 15. Jahrhundert wurde „geil“ synonym für oder als Anspielung auf Lüsternheit oder sexuelle Begierde verwendet (vgl. bspw. Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen). „Geilheit […] ist in der Natur eine Neigung und Vermögen zur Fortpflanzung“, heißt es in Johann Heinrich Zedlers Grossem vollständigen Universallexicon Aller Wissenschafften und Künste, das in den Jahren 1731 bis 1754 erschien (hier Band 10, Seite 637). Und weiter: „[…] In der Tugend-Lehre ist die Geilheit ein Laster, welches die Maaß im Gebrauch der fleischlichen Beywohnung überschreitet und der Zucht und Keuschheit zuwieder ist“.

Diese sexuelle und tendenziell negative Konnotation sollte „geil“ lange behalten. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte das Wort einen weiteren Bedeutungswandel, indem es zunehmend Verwendung in der Jugendsprache fand. Die Bedeutung von „sexuell erregt“ erweiterte sich ab Mitte der 1970er Jahre in Richtung „sexuell attraktiv“. Seit den 1980er Jahren wird „geil“ umgangssprachlich im Sinne von „in begeisternder Weise schön, gut; großartig, toll“ verwendet, so die Duden-Redaktion. Lieder wie Geil von Bruce & Bongo aus dem Jahr 1986 oder Geile Zeit von Juli aus dem Jahr 2004 verdeutlichen, dass „geil“ nicht mehr zwangsläufig sexuell und auch nicht negativ-anrüchig konnotiert sein muss. „Geil wird das neue Liebe der Popmusik“, so die Einschätzung auf dem Blog Köln News.

Den Beleg, dass an der Verwendung des Wortes „geil“ mittlerweile mehrheitlich kein Anstoß mehr genommen wird, liefert denn auch die Entscheidung der Edeka-Verantwortlichen, ihre Produkte im Jahr 2014 als supergeil zu bewerben. Im Video mit Friedrich Liechtenstein sind entsprechend nicht nur junge, attraktive und leicht bekleidete Menschen zu sehen, sondern die unterschiedlichsten Personengruppen: Neben der auf einer Couch liegenden, Sushi essenden jungen Frau und den Verkäuferinnen in knappen Schürzen und hohen Schuhen sind auch ältere Damen bei einem gepflegten Kaffeekränzchen, eine Frau mittleren Alters, die liebevoll den Frühstückstisch der Familie deckt, Kinder bei einer Party und Jugendliche beim Zocken zu sehen – schließlich sind sie alle Konsument*innen.

Isabel Stanoschek, Bamberg

Hinweis: Der Artikel erschien in kürzerer Form und mit Fokus auf die Supermarktkette Edeka bereits in Anno: Das Magazin der Medienjubiläen. Hrsg. von Markus Behmer (2023) am Institut für Kommunikationswissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Online abrufbar hier.