Whatever I wear, wherever I go: Yes means yes and no means no. Sexuelle Selbstbestimmung und interkulturelle Kommunikation im Soldatenlied „In Honolulu (Ohne Hemd und ohne Höschen“)

Anonym

In Honolulu (Ohne Hemd und ohne Höschen)

Ich ging einmal spazieren,
um mich zu amüsieren,
da sah ich in der Ferne,
ein Mädchen stehn.
Ich fragte sie bescheiden:
"Fräulein darf ich sie begleiten?".
Da sagt die Kleine:
"Ach bitte, nein!

Ich bin verheirat',
bin lange schon verheirat,
und habe alles,
was man so braucht.
Ich brauche nichts zu sagen,
und brauche nicht zu fragen,
und was Sie können,
kann mein Mann auch."

In Honolulu,
im Lande der Azoren,
und auf Samoa
ist das so Brauch.
Da gehn die kleinen Mädchen,
zum Tanze in das Städtchen,
ohne Hemd und ohne Höschen,
mit einem Feigenblatt.

Angesichts der aktuell in der Presse (vgl. u.a. Spielgel online, sueddeutsche.de, faz.de, taz.de, Welt online,) und unter dem Hashtag #hotpantsverbot auf Twitter geführten Debatte um ein Verbot „aufreizender“ Kleidung in Schulen, erscheint ein Blick auf ein Lied sinnvoll, dass die Problematik freizügigen Auftretens radikal durschspielt: In Honolulu (Ohne Hemd und ohne Höschen).   Schon der Titel lässt einen Schlimmes erwarten – namentlich eine weitere Variation des sattsam bekannten Motivs der verfügbaren fremdländischen Frau à la In einem Polenstädtchen, wie es etwa auch Heino in Komm in meinen Wigwam bezogen auf die indigene Bevölkerung Nordamerikas aufgenommen hat. Und dass es sich um eines der beliebtesten Soldatenlieder zum Thema Frauen handelt (vgl. Rudolf Walter Leonhardt: Sie sangen gegen Angst und sexuelle Not. Aus 104 Leserzuschriften zusammengestellte Anmerkungen zu fünf Thesen. In: Die Zeit, 30.9.1977), lässt nicht unbedingt vermuten, dass diese Erwartung trügt. Umso überraschender erscheint es, dass das Lied erstens eine hermeneutische Herausforderung darstellt und zweitens durchaus gegenüber Frauen und anderen Kulturen respektvolle Lesarten zulässt – dann nämlich, wenn man die dritte Strophe nicht als eine der „vielen Variationen“ einer den ersten beiden Strophen angehängten Coda, „in der der Nonsens frei ins Kraut schießen kann“ und die in keinem sinnvollen Bezug zur zuvor erzählten „traurige[n], aber ganz übersichtliche[n] Geschichte“ steht, (ebd.) liest, sondern sich stattdessen fragt, wer hier wo und zu wem spricht. Dann ergeben sich verschiedene mögliche Lesarten:

1. Die sittsame Europäerin rät zum Sextourismus

Nimmt man an, dass der Ich-Erzähler selbst Europäer ist und sich seine Abfuhr von einer Europäerin holt und dass diese auch die Sprecherin der dritten Strophe ist, stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar: Die Dame erkennt (wie auch schon Gretchen) die hinter dem „bescheiden[en]“, scheinbar harmlosen Ansinnen, sie zu begleiten, stehende Absicht und ist verstimmt. Sie teilt dem werbenden Mann mit, dass sie kein lediges „Fräulein“, sondern verheiratet sei und seine sexuellen Fähigkeiten mutmaßlich die ihres Mannes nicht überträfen. Abschließend verweist sie ihn zum Triebabbau an ihrer Ansicht nach willigere Geschlechtsgenossinnen, die sie in einem anderen Kulturkreis verortet. Der kulturelle Chauvinismus, der ins rassistische changiert, wäre also der angesprochenen Frau zuzuschreiben, die ihn gleichermaßen zur Distinktion wie zur Herabwürdingung des sie ansprechenden Mannes nutzt (in dem Sinne, dass dort, wo man es mit der Sittlichkeit nicht so genau nehme, sogar er sexuell zum Zuge käme).

2. Der zurückgewiesene Europäer hält der Frau ihre europäische Verklemmtheit vor

Geht man hingegen davon aus, dass – bei gleichem Ausgangsszenario – der abgewiesene Mann die letzte Strophe spricht, so kommen in seinem vorwurfsvollen Verweis auf die legerere Kleidung und die damit implizierten loseren Sitten von Frauen in der Südsee die im Kern identischen Vorurteile zum Ausdruck, nur eben hier in der Spielart eines positiven Kulturalismus, wie ihn bezogen auf die Samoaner Margharet Mead (vgl. dazu Peter Sandmeyer: Samoa: Die Illusion von der Südsee-Idylle) popularisiert hat. In dieser Gegenüberstellung von Kultur und Natur erscheint die Europäerin als kulturell von ihrer Sexualität entfremdet, wohingegen die in der Südsee lebenden Frauen sich ’natürlich‘ im Sinne eines freieren Umgangs mit Sexualität verhalten.

3. Der zurückgewiesene Europäer erhält von der Honolulesin Nachhilfe in kulturellen Unterschieden

Stellt man sich nun vor, die Szene spiele sich auf Honolulu ab und imaginiert den Mann wieder als  Europäer, die Frau aber als autochtone Honolulesin, und schreibt man ihr die dritte Strophe zu, so begegnet man einer interkulturell gleich in doppelter Hinsicht kompetenten Sprecherin: Erstens scheint sie so weit mit europäischen Gepflogenheitem im Umgang der Geschlechter vertraut, dass sie die Implikationen des wörtlich genommen harmlosen Angebots, sie zu begleiten, erkennt und im ersten Teil ihrer Antwort expliziert. Im zweiten Teil – der dritten Strophe – erläutert sie dann dem seinerseits interkuklturell inkompetenten Europäer, wie er mutmaßlich zu der irrigen Annahme, sie sei ‚leichet Beute‘, gekommen ist: durch ihre auf ihn aufreizend wirkende, in ihrem Kulturkreis aber normale Kleidung.

4. Der von der Honolulesin zurückgewiesene Europäer erkennt seinen Fehler und erklärt sein Verhalten unter Verweis auf seinen kulturellen Hintergrund

Bei unterstelltem identischem Geschehen kann man die dritte Strophe auch als an die Rezipienten des Lieds gerichtete Rede des Ich-Erzählers verstehen: Nachdem er die für ihn als erlebendes Ich irritierende Episode geschildert hat, erklärt er, nunmehr reicher an interkultureller Kompetenz, den europäischen Zuhörern jene kulturellen Unterschiede, die ihm selbst damals nicht bewusst waren.

Bemerkenswert erscheint, dass in allen sinnvollen Lesarten der lüsterne Mann (und der sich angesichts des Titels Derbheiten versprechene Rezipient) vorgeführt wird – mal rüder (von der Europäerin, Variante 1), mal verständnisvoller (von der Honolulesin, Variante 3), mal sich unfreiwillig selbst bloßstellend (Variante  2), mal seine eigene Unbedarftheit rückblickend reflektierend (Variante  4). Die Honolulesin wird hingegen zwar von den Figuren mit einschlägigen Projektionen verbunden, der Text selbst stützt deren Annahmen aber nie, sondern desavouiert sie als entweder unnötig aggressive Abwehr eines doch eher dezenten Flirtversuchs (Variante 1) oder als unangemessen aggressive Reaktion auf eine Abfuhr (Variante 2). Egal welche Lesart man wählt, lässt sich der Liedtext als Lehrstück über kulturelle Vorurteile sowie über den Respekt vor dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ungeachtet der Kleidung, das in keiner Variante in Frage gestellt wird, lesen.

Dass die Rezeption des Liedes aber nicht immer einer der vorgestellten Varianten entsprochen hat, zeigen (teilweise auch in aktuellen Liederblättern geführte) Textfassungen, in denen der letzten Strophe noch die Forderungen „Und das muss ab!“ oder ausführlicher „Und das muss runter, / denn da ist ja was drunter, / was einem Seemann / viel Freude macht.“ folgen – was wiederum zeigt, dass die anlässlich des Hotpantsverbots geführte Debatte um victim blaming und die Sexualisierung des weiblichen Körpers leider nicht überflüssig ist.

Martin Rehfeldt, Bamberg