Deutsche (Fußballer) im Ausland. Zu Udo Jürgens‘ „Wir sind schon auf dem Brenner“ (Text: Friedhelm Lehmann)

Udo Jürgens (Text: Friedhelm Lehmann)

Wir sind schon auf dem Brenner

Süden voraus
hinter Tunnels und Staus
schon Milano in Sicht.
Kein Blick zurück
auf dem Weg in das Glück,
das Italien verspricht.
Spiele am Strand,
schöne Mädchen zur Hand,
Blicke, die sich verstehn,
Himmel und Meer,
Open End, Open Air,
Freunde das woll'n wir sehn.

Wir sind schon auf dem Brenner.
Wir brennen schon darauf.
Wir sind schon auf dem Brenner.
Ja, da kommt Freude auf.

Drum nichts wie hin,
hinter uns liegt der Inn
und vor uns liegt der Po.
Die Welt spielt sich frei,
und auch wir sind dabei,
Hollahi, hollaho.
Wir sind enorm
motiviert und in Form,
und die Freundschaft gewinnt.
Versiegelt das Tor,
schiebt elf Riegel davor,
denn wir kommen bestimmt.

Wir sind schon auf dem Brenner [...]

Hier wird der Frust
von unbändiger Lust
In den Schatten gestellt
Nehmt uns beim Wort
in der Sonne vor Ort
Dort am Stiefel der Welt
Wir sind schon auf dem Brenner [...]

Lalalalalala....

     [Udo Jürgens & Die Fußball-Nationalmannschaft:
     Wir sind schon auf dem Brenner. Ariola 1989.]

Nicht viele Fußballlieder gelten als gelungen, die meisten geben Anlass zur „Fremdscham“ und bleiben vor allem wegen ihrer „schaurigen Faszination“ (Titanic Juli 1992, S. 64 ) im Gedächtnis. New Orders World in Motion wird vielfach als positive Ausnahme bewertet: Der auf den englischen Ausflug zur Weltmeisterschaft 1990 zugeschnittene und mit einem Rap des Mittelfeldspielers John Barnes angereicherte Eurodancehit wird regelmäßig zu den künstlerisch wertvollsten mit Fußball verknüpften Songs gezählt (vgl. etwa musikexpress.de) und taucht mitunter sogar in allgemeineren Bestenlisten auf (vgl. etwa guardian.co.uk).

Niederschmetternd demgegenüber das Urteil der Engländer über die unmittelbare deutsche Konkurrenz, den 1990 von der DFB-Elf unter Gesamtleitung von Udo Jürgens eingesungenen Schlager Wir sind schon auf dem Brenner: 11 Freunde sprach New Order in einem Interview auf das Lied an und erntete „fassungsloses Gelächter der Band nach der Übersetzung“. Aber ist denn der deutsche Beitrag zum Fußball-Songcontest wirklich so viel schlechter als der englische? Verhält es sich hier eben genauso wie mit der deutschen gegenüber der englischen Popmusik generell?

Zunächst steht Wir sind schon auf dem Brenner in einer gewissen Tradition. Schon anlässlich der WM 1978 stimmte Udo Jürgens auf die Reise ein (Buenas Dias Argentina), 1982 durfte Michael Schanze romantische Spanien-Klischees vertonen (Ole Espana), 1986 beschäftigte sich Peter Alexander mit dem Ausrichterland Mexiko (Mexico mi amor). 1990 war er dann aber nicht so „lang, mein Weg zu dir“ (Buenas Dias Argentina),  man befand sich „schon auf dem Brenner“ , war also eh gleich da. Diesmal ging es nicht in ein „fremdes Land“ (Buenas Dias Argentina), man kannte sich aus: Nicht nur die Sänger selbst – 1990 spielten acht deutsche Nationalkicker bei italienischen Klubs –, sondern ganz allgemein. Nach Jahrzehnten bundesdeutscher Reisewellen gen Italien hatte bereits ein Großteil der Hörerschaft eigene Eindrücke von der „Sonne vor Ort“ gewinnen können. Besungen wird der wichtigste Moment des deutschen Sommers: der Aufbruch in den Süden, dort soll „Frust von unbändiger Lust in den Schatten gestellt“ werden.

Die Deutschen fallen nicht auf Elefanten ein, sondern  in ihren Autos. Wer sich nicht selbst an langgestreckte oder abenteuerliche Fahrten durch besagte „Tunnels“ und „Staus“ erinnern kann, schaue sich den in eben jener Zeit entstandene Filmklamauk Der Superstau (1991) oder besser noch Go Trabi Go (1991) an. Freilich: anders als etwa der Go Trabi Go-Protagonist Oberstudienrat Udo Struutz hat unsere Reisegruppe wohl eher nicht vor, dass Land auf den Spuren Goethes zu erkunden. Das „Glück, das Italien verspricht“ hat hier eher wenig mit Dante, Michelangelo oder Carravagio zu tun, viel attraktiver wirken „Spiele am Strand“ und „schöne Mädchen zur Hand“. Man denkt an Jesolo, Cesenatico und Rimini, an Ballermann in Italien, „Open End, Open Air“ eben. Eine weiterer Film aus jener Zeit mag einem da einfallen: Gerhard Polts Satire Man spricht deutsch (1988).

Dass sich die Gäste der von ihnen im Kollektiv ausgestrahlten Bedrohlichkeit durchaus bewusst sind, lässt sich in der vierten Strophe hören: „Versiegelt das Tor, schiebt elf Riegel davor. Denn wir kommen bestimmt“. Die Gastgeber werden zu Vorsichtmaßnahmen aufgefordert, zumindest zur Catenaccio-Taktik. Überhaupt präsentieren sich die deutschen Vertreter hier – im Jahr der Einheit und eben auch des Titelgewinns – offensiv und optimistisch, „enorm motiviert und in Form“. Entsprechend wiederholt der Chor: „Wir brennen schon darauf […] Ja da kommt Freude auf“. Ob sich denn wirklich alle freuen, wenn die Deutschen kommen, könnte man jetzt fragen. Immerhin stellt Udo Jürgens klar: „die Freundschaft gewinnt“. Und: „Die Welt spielt sich frei und auch wir sind dabei“ ähnelt inhaltlich durchaus New Orders Botschaft von der Liebe, die die Welt in Bewegung hält.

Ob und wie arg die Komposition des „Grandsegnieurs“ des deutschen Schlagers letztlich als schlechter zu bewerten ist gegenüber dem Song der englischen „Väter der elektronischen Musik“ (Zeit online), kann und sollte natürlich nicht beantwortet werden. Viel interessanter erschiene zunächst, wie die Übersetzung der 11 Freunde-Redakteure lautete. „We are already on the Brenner, we already burn for it“ ließe jedenfalls kein Wortspiel erkennen. Offensichtlich ist, dass es sich um einen kuriosen Text handelt, mit dem aber bei ein bisschen Ironie tatsächlich einige Freude aufkommen kann. In der Süddeutschen Zeitung etwa wurde anlässlich des Halbfinales bei der Europameisterschaft 2012 eine entsprechend ironische Perspektive eingenommen – und „Hollahi, hollaho“ zum besten Vers erklärt (Süddeutsche Zeitung, 28. Juni 2012, S. 26). Freude könnte auch aufkommen, wenn man eben die deutsche Fußballnationalmannschaft unterstützt(e), sich an das Halbfinale gegen England erinnert, an das Elfmeterschießen damals, an Gary Linekers Spruch von den immer gewinnenden Deutschen – wenn auch nicht im Bereich der Popmusik, so schien es zumindest im Fußball eine Zeit lang so.

Martin Kraus, Bamberg