Bitter Sweet Symphony auf Bayrisch. Zu Gerhard Polts „Wann i nimmer meng dad“
16. Juli 2012 2 Kommentare
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Gerhard Polt Wann I nimmer meng dad Ach du lieber Gott oh mei, das ist ein Kreuz naja, also dann, packmas halt wieder Wann i nimmer meng dad wann i nimmer meng dad gangad i hoam 35 Jahre meines Lebens sitz ich jetzt da herin, ned in diesem Loch, das müssen Sie sich amoi vorstellen Amoi mog I nimmer und här auf für immer amoi mog i nimmer und geh in Pension Wenn man sich das vorstellt gesundheitlich bin ich auch nicht am besten ich kann Ihnen versichern, das ist kein Honigschlecken Wann i nimmer meng dad wann i nimmer meng dad wann i nimmer meng dad gangad i hoam Oh mei, naja Sie wissen’s eh manchmal gehts halt wirklich zäh Doch i dua no weida weil des is fui gscheida und dahoam ist mir genau a so fad Kennan Sie mei Oide? Na sehng’s’as Wann i nimmer meng dad wann i nimmer meng dad wann i nimmer meng dad gangad i hoam Des geht ja scho los in der Früh keine Zeit für an anständigen Kaffee Aber wann i ofang war mir scho die Zeit z’lang und bevor i higlang lass i’s liaba bleim Es hat ja eh keinen Sinn mehr mit dem Chef nichts wie Ärger Wann i nimmer meng dad wann i nimmer meng dad wann i nimmer meng dad gangad i hoam Man kann des doch drehn und wenden wie man will es kimmd sowieso nichts dabei raus weil so interessant ist das nicht, da herin des brauchan Sie nicht zu glauben ich wui Eärna mal was sagn wenn Sie mich fragen: ich sag überhaupt nix mehr die sollen mich gern ham Wann i nimmer meng dad wann i nimmer meng dad wann i nimmer meng dad gangad i hoam Ja jetzt, wenn ich so auf die Uhr schau es ist ja eh schon fünf äh, fünf vor fünf wissen’S was, jetzt mog i nimmer [Gerhard Polt: Wann i nimmer meng dad. Jupiter 1977]
Wir befinden uns im Jahre 1979. Wenn man Fernsehen schaut, schaut man einen der drei Sender. Es ist Samstagabend. Im Ersten läuft eine neue Sendung: Fast wia im richtigen Leben. Eine dreiviertelstündige Aneinanderreihung mehrerer Szenen, in denen ein dem Millionenpublikum bis dahin noch ziemlich unbekannter Kabarettist namens Gerhard Polt Menschen in Situationen darstellt, die – je nach Interpretation – karikiert oder eben tatsächlich wie aus dem richtigen Leben wirken. Man war mit ihm schon in einer kleinen Wohnküche, dann bei Kellnerin Gisela Schneeberger im Wirtshaus, dann mit Ehefrau Gisela Schneeberger in einem Schrebergarten etc.; jetzt befindet man sich im Büro eines Finanzbeamten. Dieser hat soeben einem „Witzehersteller und -vertreiber“ jegliche steuerliche Absetzungsmöglichkeit verwehrt, ihn regelrecht vorgeführt (Im Finanzamt), nun schließt er die Tür (und damit den Hauptteil der Sendung) und spricht bzw. singt direkt zum Zuschauer Wann I nimmer meng dad.
Polts Beamter verständigt sich in einem „bayrisch verzinkten Hochdeutsch“ (so hieß es in der TV-Kritik der Münchner Abendzeitung 2.7.1979 über die meisten seiner Figuren), in Untertiteln wird eine standarddeutsche Übersetzung angeboten. Vielleicht wirkt die Botschaft für die Zuschauer zwischen Altötting und Oldenburg dadurch noch ein wenig eindringlicher: „Wenn ich nicht mehr mögen würde, ginge ich nachhause“, steht da, und der Mann im grauen Anzug verlässt den Raum. Mit den folgenden Sequenzen wird zurück in die vorherigen Szenen geblendet: ins Wirtshaus, an die Imbissbude, ins Schlafzimmer des überforderten Familienvaters etc. Auch die Figuren dort stimmen ein in das „Wann i nimmer meng dad, gangad i hoam“. Es ist ein Lied über die Lustlosigkeit des Arbeitenden und seine vorsichtig im Konjunktiv formulierten und immer an die Rentenansprüche gekoppelten Gedanken an das Aufhören. Damit also entlässt Polt seine Zuschauer aus dem Fernsehabend. Viele müssen jetzt ins Bett, die allermeisten am Montagmorgen wieder zur Arbeit.
In einer längeren Version von Wann i nimmer meng dad (erschienen bereits 1977 auf dem Album Der Erwin I) findet man noch mehr Text und damit noch mehr Floskeln. Dort wird der Arbeitstag mit „Ach du lieber Gott“, „Oh mei“ und „das ist ein Kreuz“ zusammengefasst. Es werden Phrasen gedroschen, die fast jeder aus fast jeder Wohnküche, fast jedem Wirtshaus und fast jedem Schrebergarten des Landes kennt – oder selbst dauernd sagt. Halb stolz, halb wehmütig werden die „35 Jahre“ angeführt, die sich das Sprecher-Ich nun schon in diesem „Loch“ Arbeitsplatz befände – „das müssen sie sich amoi vorstellen“. Selbstverständlich ist auch ein sich stetig verschlechternde Gesundheitszustand Thema, das Leben sei halt kein „Honigschlecken“, das weiß man ja. Das Berufsleben erst recht nicht. Dennoch macht man weiter, „weil des is fui gscheida, und dahoam ist mir genau a so fad“. Langeweile ist hier ein zentrales Motiv: „wann i ofang, war mir scho die Zeit zlang“. Nachdem erst kommentiert wurde, wie schlimm es am Arbeitsplatz sei, ging es zweitens darum, wie langweilig es auch daheim wäre; und nun drittens wieder darum, wie schlimm langweilig die Arbeit ist. „Man kann des doch drehn und wenden wie man will, es kimmd sowieso nichts dabei raus“. Am Ende der Reflexionen steht Resignation, zumindest eine gewisse „Wurschtigkeit“, dazu Geigenklänge. Die kleine Freiheit des „kleinen Mannes“ besteht in den fünf Minuten, die er – „wissens wos, jetzt mog i nimmer“ – früher Schluss macht; und vielleicht auch ein bisschen darin, dass er sich hier aufregen und in Rage singen darf.
So zusammengefasst hört sich das alles recht deprimierend an. Man mag fragen, wie dieses Lied an den Schluss der „Sketchserie“ (Kleines Serien-Lexikon des Bayerischen Fernsehens) eines „Komikers“ (Frankfurter Rundschau) passt. Zur Beantwortung könnte man Thomas Hobbes (Vom Menschen. Vom Bürger) zitieren, die Komik als „Akt der Selbstaffirmation“ definieren und das Lied entsprechend als die genüssliche Rache des „Witzeherstellers und -vertreibers“ am Bürokraten auslegen. Aber das wäre konstruiert und falsch. Polt führt seine Figur(en) nicht ohne Mitgefühl vor. Angemessener erscheint es folglich, hier mit Luigi Pirandello (Der Humor) zwischen dem Komischen als „Beobachtung des Gegenteils“ und dem Humoristischen als „Empfindung des Gegenteils“ zu unterscheiden. Der „Humorist“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) Polt beobachtet äußerst präzise, aber es ist eben auch „Reflexionsarbeit“ und „Empfindung“ dabei. Der Rezipient darf sich an der Wiedererkennung des Tatsächlichen im (scheinbar) Übertriebenen erfreuen, aber darüber auch nachdenklich werden.
Vielen Zuschauern oder -hörern mag es dabei durchaus angenehm sein, dass einem die Pointe nicht gleich ins Gesicht springt. Für den, der danach Analyse betreibt, ist dieser Umstand freilich zunächst einmal eine Schwierigkeit. Wie sagte der „Witzehersteller und -vertreiber“ in der vorhergehenden Szene so passend zum Finanzbeamten: „Ich kann, wenn ich einen Witz erzähle, doch nicht als Kasparl auftreten.“ Der Beamte bedauert das, „weil dann hätt ma a klare Abgrenzungsmöglichkeit“, doch der Humorist bleibt bei einem grauen Anzug als Berufskleidung. Es geht um die Absurdität des Normalen, und darum, wie lustig es sein kann, sie zu betrachten. Angesichts besagter Schwierigkeit sollte hier natürlich nicht der Versuch unternommen werden, in wenigen Sätzen Polts ganzen Witz zu entschlüsseln – „bevor i higlang, lass i’s liaba bleim“. Einziges Anliegen war es, auf dieses bemerkenswert traurige und bemerkenswert lustige Lied hinzuweisen. Ergänzt werden soll bloß noch, dass die hier angerissenen Motive Polts ganzes Werk durchziehen. So endet etwa eine spätere Folge von Fast wia im richtigen Leben mit dem Lied ´s is Wochenend, einer Aufzählung der banalen Tätigkeiten der Freizeit; und auch der Beamte im Staatsdienst, Herr E. Deutelmoser, taucht noch häufiger auf.
Martin Kraus, Bamberg
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