Als ,Schnulzen‘-Produzenten noch Profis waren: Eine Referenz an Roy Blacks musikalisches Hochzeitsfoto „Ganz in weiß“ (1965)

Roy Black (Text: Kurt Hertha)

Ganz in weiß

Ganz in weiß mit einem Blumenstrauß
So siehst du in meinen schönsten Träumen aus
Ganz verliebt schaust du mich strahlend an
Es gibt nichts mehr was uns beide trennen kann
Ganz in weiß so gehst du neben mir
Und die Liebe lacht aus jedem Blick von Dir
 
Ja dann reichst du mir die Hand
Und du siehst so glücklich aus
Ganz in weiß mit einem Blumenstrauß
Ja dann reichst du mir die Hand
Und du siehst so glücklich aus
Ganz in weiß mit einem Blumenstrauß
 
Ganz in weiß so gehst du neben mir
Und die Liebe lacht aus jedem Blick von dir
 
Ja dann reichst du mir die Hand
Und du siehst so glücklich aus
Ganz in weiß mit einem Blumenstrauß
Ja dann reichst du mir die Hand
Und du siehst so glücklich aus
Ganz in weiß mit einem Blumenstrauß

     [Roy Black: Ganz in weiß. Polydor 1965.]

Dieser Titel katapultierte Roy Black (bürgerlich: Gerhard Höllerich, 1943-1991) im Frühjahr 1966 in den Olymp des deutschen Schlagers. In einer Geschichte des populären deutschsprachigen Liedes wird man auch heute noch schwerlich darum herum kommen, die Stichworte ,Roy Black‘ bzw. ,Ganz in weiß‘ wenigstens zu erwähnen. Schließlich wurde der Schlager ausgerechnet in einer Zeit zum Millionenseller und Hitparadenstürmer (14 Wochen Nr. 1 in Deutschland, 20 Wochen in Österreich), als immer größere Teile der jungen Kundschaft mit fliegenden Fahnen zu den Beatles, den Stones und anderen englischsprachigen Popgruppen überliefen und sich mit einem ganz anderen Musikstil identifizierten. Ich selber war seinerzeit kein Roy-Black-Fan und für die Hochzeits-Phantasie dieses Schlagers ohnehin zu jung; heute ist es mir allerdings ein echtes Anliegen, diesem Titel, der vielleicht mehr als jeder andere das vielgeschmähte Genre der Schnulze repräsentiert (vgl. Stichwort „Schnulzenerlass“ bei Wikipedia), ein liebevolles Andenken zu widmen. Motivationaler Hintergrund für diese Verteidigung ist die für mich ausgesprochen ärgerliche Flut pseudo-intellektueller deutschsprachiger Popsongs mit verquaster Gedankenführung, schiefen poetischen Bildern, nicht vorhandenen Melodielinien, dünnen Mädchen- oder rauhen Ballermann-Stimmchen. Nun aber fein der Reihe nach:

Am Erfolg des Titels waren mehrere Menschen mit Erfahrung im Geschäft beteiligt. Der oben abgedruckte Text stammt von Kurt Hertha (1926-2007), einem alten Hasen im Schlagergeschäft, auf dessen Konto auch andere Megaseller wie Tanze mit mir in den Morgen (1961) oder Du kannst nicht immer siebzehn sein (1974) gehen. Nicht von ungefähr saß Hertha 18 Jahre im Aufsichtsrat der GEMA. Für die Melodie und das musikalische Arrangement (mit vielen Geigen und einem deutlichen ,griechischen Einschlag‘) zeichnen Vater Rolf und Sohn Henry Arland verantwortlich. Der Erstgenannte (bürgerlich: Hans Heinz Mühlbauer) komponierte für Roy Black übrigens insgesamt 39 Songs, d.h. hier hatten sich zwei Künstler gefunden, die miteinander ,funktionierten‘. Gemanagt wurde diese Koproduktion von Hans Bertram, der jahrelang für die deutschen Schlagerlabels Polydor und Electrola produzierte und dessen Tochter Elisabeth älteren Schlagerfreunden als Babystimme im Babysitter Boogie von Ralf Bendix bekannt sein dürfte. Zur professionellen Begleitung der Erfolgsgeschichte von Ganz in weiß gehört dann wohl auch noch Bertrams Frau (die frühere Radiomoderatorin Elisabeth Merkels), die über gute Beziehungen zum wichtigen Pop-Sender Radio Luxemburg verfügte. Dass Roy Black 1966 kein Neuling im Musikgeschäft mehr war, dürfte bekannt sein. Halten wir fest: Für die Produktion von Ganz in weiß versammelte sich im Kreise der Beteiligten eine Menge künstlerische Erfahrung, handwerkliches Können und organisatorisches bzw. geschäftliches Know-how.

Sodann kann man medienhistorisch nachvollziehen, dass sich im Zuge aufnahmetechnischer Innovationen, durch die Entwicklung des neuen Leitmediums Fernsehen und die Expansion des populären Musik-Marktes bei gleichzeitig zunehmender Konkurrenz im Schlagergeschäft Veränderungen einstellten, die Peter Wicke in polemischer Intention mit Begriffen wie chromatisch hochgerüsteter Emotionalität, individualisierender Formensprache und konsequenter Personalisierung beschreibt (vgl. Von Mozart zu Madonna. Eine Kulturgeschichte der Popmusik. Leipzig 1998, S. 226f.). Gemeint sind hier Verfahren der Schlagerproduktion, die serielle Verfahren der Komposition und musikalische Emotionssteigerung durch spezielle Kunstgriffe so auf einen bestimmten Interpreten zuschneiden, dass das paradoxe Kunststück einer „Individualisierung des Gleichartigen“ gelingt, wodurch – nach Wicke – „die Seele des Konsumbürgers zum Klingen gebracht“ wird, der auf diese Weise „in der Massenfabrikation von der Stange seine Individualität“ findet. Während Wicke solche Manipulationen anscheinend eher pervers findet, sehe ich darin einen nicht hintergehbaren Grundzug, ja eine Basisleistung jeder Mode im weitesten Sinne innerhalb einer modernen kapitalistisch-individualistischen Massenkultur.

Nun konkret zum Text, der keine Geschichte erzählt, sondern nur ein Bild zeichnet – ein Traumbild selbstverständlich, wie der zweite Vers unmissverständlich klarstellt. Die männliche Artikulations-Stimme, die – wie gerade ausgeführt – von der gesamten Produktionsmechanik des Schlagers der 1960er Jahre her auf den Interpreten, hier die Kunstfigur Roy Black, geprägt ist, so dass diese Gestalt bis zum charakteristischen (herzklappenfehlerbedingten) ,Schnaufen‘ im Lied ,verkörpert‘ erscheint, diese Stimme also entwirft die Vorstellung einer Hochzeitsszene, in der der Sänger selbst die Bräutigams- und ein weibliches, vor Glück ,strahlendes‘ Du die Brautrolle übernimmt. Dieses Bild entspricht in seiner Perspektive der Logik des männlichen Blicks, der hier völlig auf seine Partnerin fixiert ist. Diese freilich wird, so intensiv ihr der Bräutigam auch zugewandt ist, im Lied in keiner Weise individualisiert: Sie trägt Weiß, hält einen Blumenstrauß, schaut ihren ,Prinzen‘ glücklich-verliebt an, aus ihren Augen ,lacht Liebe‘. Das reicht. Die emotionalen Superlative der Szene erscheinen in absolut stereotyper Verpackung, was im Hinblick auf die Erfolgs-Kalkulation des Titels natürlich unbedingt sinnvoll, ja notwendig ist: In die Rolle dieser Braut kann sich jede Hörerin des Titels hineinträumen – die Frau in Weiß ist nicht mehr und nicht weniger als eine ideale Projektionsfläche. Die Figur des Bräutigams muss vom Text ebenso wenig eigens vorgestellt werden, wird sie doch schon durch das individuelle Timbre der Sänger-Stimme hinreichend identifiziert. Als Bräutigam fungiert eindeutig ,Roy Black‘, der seinen (zumeist) weiblichen Fans aus Zeitschriften, vom Fernsehen her, vielleicht sogar aus Life-Konzerten ,genauestens‘ bekannt ist. Lustig am Rande: Das Spiel mit „Black“ und ,ganz in weiß‘ passt wunderbar zur Hochzeitsszene.

Fazit: Die männliche Stimme (d.h. die der Kunstfigur Roy Black, die von seinen Fans aber durchaus mehr oder weniger real verstanden werden kann) schildert vorgeblich eine eigene Wunschphantasie, die tatsächlich aber (primär) einen Projektionsschirm für Tagträume eines weiblichen Publikums aufspannt, das – entsprechend dem dominanten Zeitgeist der mittleren 1960er Jahre – in einer bürgerlichen Ehe noch mehrheitlich das Ziel und Zentrum eines gelingenden weiblichen Lebensentwurfs gesehen haben dürfte. Der Clou des Textes: Er leitet eine ,kongeniale Hörerin‘ des Schlagers, die sich intensiv in die Szene und die Brautrolle hineinversetzt, dazu an, Perspektive und Blick des Sängers aufzunehmen; sie kann sich so selbst mit bzw. in dessen Augen sehen/spiegeln und erfährt auf diese Weise optisch und akustisch – gewissermaßen ,objektiv‘ von ,außen‘ – das überwältigende Ausmaß ihres Glücks, an diesem Tag, in dieser Situation – „ganz in weiß“. Wie ein Hollywood-Film blendet das Lied mit dem Hochzeits-happy end aus, das symbolisch für totales Glück steht: Und wenn sie nicht gestorben sind …

Noch ein paar Gedanken zur Verteidigung der Sentimentalität dieses Liedes, seiner ,Verlogenheit‘. Machen wir uns klar, dass Dichter prinzipiell ein verlogenes Pack sind, von Berufs wegen. Das wussten schon die ganz alten Griechen und deshalb wollte Platon diese Illusionisten auch nicht in seinem Idealstaat dulden. Der wesentlich jüngere Schiller kannte die Differenzen zwischen defizienter Realität und den Modalitäten fiktionaler Literatur natürlich ebenfalls aus dem ff. Für ihn war es kein Kitsch-Signal (wie für viele ach so intellektuelle Spaßbremsen), wenn Dichtung die Welt, die politischen Verhältnisse, die Einrichtung gesellschaftlicher Verhältnisse u.a.m. ,verklärte‘; er verließ sich einfach darauf, dass sein Publikum klug genug war, diese Differenzen zu bemerken und sich den rechten Reim darauf zu machen. Ernst Bloch war noch derselben Meinung; er gönnte den Menschen ihre Träume und sah gerade im sog. Kitschempfinden einen Maßstab und Antrieb zur Verbesserung der Welt. Ob ein heutiges (junges) Publikum, das so krasse Bildungserfahrungen wie das G8 und den Bologna-Prozess durchlaufen und verarbeiten muss, dergleichen Unterscheidungen zwischen Realität und Fiktion auch noch treffen kann? Wer weiß, ich wage diese Frage nicht zu entscheiden. Aber ich vergleiche die Rezeptionskontexte 1966 und 2014: Damals konnte man sich – 2,5 Millionen verkaufte Schallplatten sprechen jedenfalls dafür – anscheinend noch mit emotionalem Gewinn in einen weißen Hochzeitstraum fallen lassen, während man sich heute (schrecklich emanzipiert, vorgeblich abgebrühter, ent-täuschter?) vielfach mit Frida Gold fragt: „Wovon sollen wir träumen? So wie wir sind …“. Aber wahrscheinlich ist diese Sorge gänzlich überflüssig, gibt es doch heute mehr mediale Formate und materielle Ausstattungsangebote zur Hochzeitsfeier als je zuvor, die sehr dafür sprechen, dass die Glücksphantasie der klassischen Traumhochzeit ihre Attraktivität keineswegs verloren hat.

PS. Für die Qualität von Schlagern, Pop-Songs, Gedichten ersten Ranges und Kunstwerken überhaupt gilt immer und gleichermaßen, dass ,wichtige‘ Sachen a) im kulturellen Gedächtnis nicht vergessen und b) immer wieder produktiv rezipiert (gecovert, parodiert, imitiert etc.) werden. Selbstverständlich erfüllt Roy Blacks Ganz in weiß dieses Qualitäts-Kriterium spielend. Nach der Wiki-Seite zu dem Titel existieren Übertragungen ins Englische und Schwedische sowie Coverversionen, Anleihen bzw. Persiflagen von Fred Frohberg, Frank Zander, Dieter Thomas Kuhn, Familie Popolski, Heiter bis Wolkig („Ganz in schwarz, mit einem Pflasterstein“) und Geier Sturzflug. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie „Ganz in weiß“ getaggt werden sollte: sicher mit „Roy Black“, „Kurt Hertha“, „Rolf Arland“, „Hans Bertram“, „weiß“, „Schnulze“ (natürlich nicht im despektierlichen, sondern allerbesten Sinne!), vielleicht auch noch mit „Hochzeitstraum“, aber doch wohl eher nicht mit „Liebeslied“, oder?

Hans-Peter Ecker, Bamberg

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“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

4 Responses to Als ,Schnulzen‘-Produzenten noch Profis waren: Eine Referenz an Roy Blacks musikalisches Hochzeitsfoto „Ganz in weiß“ (1965)

  1. hpecker says:

    Hallo Martin, wie ich sehe hast Du das Lied doch unter „Liebeslied“ getaggt …?

    • Lieber Hans-Peter,

      „Liebeslied“ fasse ich hier sehr weit (Arbeitsdefinition: Eine Liebesbeziehung wird thematisiert.); entsprechend habe ich etwa auch Paul Kuhns „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ als solches getaggt.

      Herzlich

      Martin

  2. Pingback: Auf Traumpfaden aus dem Alltag: Bernd Clüvers eskapistische Schnulze „Der Junge mit der Mundharmonika“ (1972) | Deutsche Lieder. Bamberger Anthologie

  3. Gabi says:

    Ich glaube, ich hatte sogar eine Roy Black-LP… damals, mit 10(oder auch 12) hat mir das sehr gefallen. In dem Alter spielt es noch keine Rolle, was einem gefallen ‚darf‘ – oder wahrscheinlich: spielte es damals keine Rolle. Heute muß man viel früher darauf achten, was cool ist, zumindest empfinde ich das so.

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