Saisonale Vorfreudelieder religiösen Ursprungs: „Laßt uns froh und munter sein“ und „Niklaus, komm in unser Haus“

Anonym

Laßt uns froh und munter sein (Nikolauslied)

1. Laßt uns froh und munter sein
Und uns recht von Herzen freu'n!

Lustig, lustig, traleralera,
|: Bald* ist Niklausabend da! :|

2. Bald ist uns're Schule aus,
Dann zieh'n wir vergnügt nach Haus.

3. Dann stell ich den Teller auf,
Niklaus legt gewiss was drauf.

4. Steht der Teller auf dem Tisch,
Sing ich nochmals froh und frisch:

5. Wenn ich schlaf, dann träume ich:
Jetzt bringt Niklaus was für mich.

6. Wenn ich aufgestanden bin,
Lauf ich schnell zum Teller hin.

7. Niklaus ist ein guter Mann,
Dem man nicht g'nug danken kann

* oder am 6. Dezember: "Heut ist Niklausabend da!"

Sofern in Liederbüchern Näheres zu dem Lied angegeben ist, heißt es meistens: „Text und Melodie aus dem 19. Jahrhundert“. Einige Angaben lauten „Volksweise aus dem Rheinland oder Hunsrück“ oder „zugeschrieben Josef Annegarn“. Annegarn (1794-1843) war Priester, Schriftsteller und Professor der Theologie.

Die Frage, ob das folgende Nikolauslied mit derselben Melodie bekannter ist als Laßt uns froh und munter sein, dürfte je nach Region unterschiedlich beantwortet werden. Geht man jedoch von der Anzahl der Liederbücher und Tonträger aus, ist Niklaus, komm in unser Haus weit weniger populär (s. Abschnitt Rezeption).

Anonym

Niklaus, komm in unser Haus

Niklaus, komm in unser Haus,
pack die großen Taschen aus,

Lustig, lustig trallerallala!
|: Bald* ist Niklausabend da! :|

Stell das Pferdchen unter den Tisch,
dass es Heu und Hafer frisst.

Heu und Hafer frisst es nicht,
Zuckerplätzchen kriegt es nicht.

* oder am 6. Dezember: "Heut ist Niklausabend da!"

Auch bei diesem Lied ist nicht bekannt, von wem Text und Melodie stammen. Als Zeitraum der Entstehung des Liedes wird von den Volksliedforschern Ernst Klusen (Deutsche Lieder, 1981) und Heinz Rölleke (Das große Buch der Volkslieder, 1993) übereinstimmend das 19. Jahrhundert genannt. Dabei wird davon ausgegangen, dass Niklaus, komm in unser Haus als spätere Version den Refrain „Lustig, lustig trallerallala“ aus Laßt uns froh und munter sein übernommen hat.

Vergleich der beiden Lieder

Laßt uns froh und munter sein und Niklaus, komm in unser Haus enthalten in der ersten Strophe eine Aufforderung. Während sich Laßt uns froh und munter sein an die Sänger richtet, die Vorfreude auf den nahenden Niklausabend zu zeigen, drückt Niklaus, komm in unser Haus den Wunsch der Kinder aus, dass der Nikolaus zu ihnen kommen und – ganz direkt und ohne Umschweife – „die großen Taschen auspacken“ möge.

In den Strophen zwei und vier von Laßt uns froh und munter sein wird noch einmal die Freude ausgedrückt: Man zieht vergnügt nach Haus (wenn die Schule aus ist) und „singt froh und frisch“, wenn der Teller für die Gaben auf dem Tisch steht, denn das Sprecher-Ich ist gewiss, „Niklaus legt gewiss was drauf“.

Im Niklaus, komm in unser Haus wird darauf angespielt, dass der Nikolaus in einem  Pferdeschlitten fährt (in vielen Geschichten auch vom Himmel geflogen oder durch den Schornstein kommt). Vom Schlitten ist hier zwar nicht direkt die Rede, wohl aber vom Pferdchen, dass Nikolaus in der warmen Wohnung abstellen darf (damit es nicht draußen in der Kälte warten muss) und das Heu und Hafer zu fressen erhalten kann. So mitfühlend dies ist, so wird doch gleich der Zeigefinger erhoben, als das kleine Pferd das Fressen verweigert: „Zuckerplätzchen kriegt es nicht“. Ähnlich wie es in der Schwarzen Pädagogik formuliert würde: „Wenn du das nicht aufisst, bekommst du auch keinen Nachtisch“!

Der Nikolausabend beschäftigt in Laßt uns froh und munter sein das singende Kind so sehr, dass es sogar vom Nikolaus träumt. Es ist gewiss  – und sicherlich ist es bisher nicht enttäuscht worden – dass der Nikolaus ihm auch in diesem Jahr etwas bringen wird. Und am  folgenden Tag, kaum aufgestanden, läuft es schnell gucken, ob und womit der Teller gefüllt ist. Mit den Gaben zufrieden, wird der Nikolaus gelobt und überschwänglich ein indirekter Dank ausgesprochen.

Bei meinen Kindern erinnere ich mich, wie sehr sie sich auf den Nikolaus bzw. dessen Gaben gefreut haben, wenn sie mit strahlenden Gesichtern den in beiden Liedern vorhandenen Refrain: „Lustig, lustig trallallala …“ geschmettert haben.

Brauchtum und Kommerzialisierung

Nikolaus, verehrt sowohl in der römischen als auch in der griechischen Kirche als Heiliger, ist als Gabenspender auch in evangelischen und in nichtchristlichen Kreisen bekannt. Am 6. Dezember bringt er den Kindern Süßigkeiten und andere kleine Geschenke. Die Gaben können auf zweierlei Arten zu den Kindern kommen. Entweder stellen sie am 5. Dezember einen Stiefel oder Schuh vor die Wohnungs- oder Schlafzimmertür (in einigen Regionen sind es Strümpfe, die an die Türklinke oder ans Fenster gehängt werden) oder der Nikolaus kommt am 6. Dezember selbst, angetan mit rotem Mantel, Bischofsmütze (manchmal tut‘s auch eine Pudelmütze), Stiefeln und vor allem mit einem gutgefüllten Sack über dem Rücken. Der Vater, ein Verwandter oder auch ein vom „Nikolausdienst“ gegen Entgelt engagierter Mann, der den Nikolaus spielt, lässt sich häufig ein Nikolauslied vorsingen oder ein Gedicht aufsagen, bevor er dann einem Kind die Standardfrage stellt: „Bist du auch artig gewesen?“ – Ich habe noch nie davon gehört, dass ein Kind nicht mit „Ja“ geantwortet hat. Und danach werden aus dem Sack die Gaben übergeben.

Ausgangspunkt dieses Brauchtums ist der heilige Nikolaus, der seit dem 6. Jahrhundert in Legenden auftaucht. In dem uns bekannten Nikolaus sind zwei Personen verschmolzen. Einmal der Bischof Nikolaus von Myra, einer Stadt in der heutigen Türkei, der im dritten Jahrhundert (nach anderen Quellen im 4.) lebte, und das andere Mal der gleichnamige Nikolaus von Sion, einem Ort in der Nähe von Myra, aus dem sechsten Jahrhundert (vgl. NDR Kultur vom 5.12. 2016). Diesem Nikolaus, von dem wir heute aufgrund historisch-kritischer Forschungsergebnisse wissen, dass er fiktiv ist, werden zahlreiche Wunder zugeschrieben. Er soll z.B. einen Sturm besänftigt und mehrere Tote wieder zum Leben erweckt haben. Eine Geschichte erzählt davon, wie er einem verarmten Vater von drei Töchtern hilft: Der verarmte Vater steht aus Verzweiflung kurz davor, seine Töchter in die Prostitution zu schicken, als Nikolaus hilft, indem er heimlich in der Nacht Goldstücke durch das Fenster wirft. Nach einer „bereinigten“ Variante schenkte er einem armen Vater von drei Mädchen im heiratsfähigen Alter die Mitgift, damit sie ehrbar verheiratet werden konnten. Ferner soll er armen Familien mit Kindern heimlich Geld durch den Kamin geworfen haben, das dann in die daran aufgehängten Strümpfe fiel. Vor allem diese Legenden begründen den Mythos des barmherzigen Helfers und Beschützers, der unerkannt in der Nacht mit seinen Gaben Gutes tut.

Als Freund und Beschützer der Kinder wird der Heilige Nikolaus sowohl in Europa als auch in Asien und Amerika verehrt. Gemäß Wikipedia ist er  ist der Schutzpatron von Berufen wie Seefahrer, Binnenschiffer, Kaufmann, Rechtsanwalt, Apotheker, Metzger und Bäcker, von Getreidehändlern, Dreschern, Pfandleihern, Juristen, Schneidern, Küfern, Fuhrleuten und Salzsiedern. Nikolaus ist auch der Patron der Schüler und Studenten, Pilger und Reisenden, Liebenden und Gebärenden, der Alten, Ministranten und Kinder, aber auch von Dieben, Gefängniswärtern, Prostituierten und Gefangenen.

Der Kirchturm von St. Niklaus im Schweizer Kanton Wallis wird im Advent als Nikolausfigur dekoriert. Gemäß Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde handelt es sich dabei um die weltweit größte Nikolaus-Figur.

Das Brauchtum, dass Nikolaus den Kindern Gaben bringt, ist in einer Schrift des evangelischen Theologen Kirchmeyer seit dem Jahr 1555 belegt. Damals gab es Nüsse und Dörrobst (vgl. den alten Spruch: Sankt Nikolaus, leg mir ein, / was dein guter Will‘ mag sein. / Äpfel, Nuss und Mandelkerne / essen kleine Kinder gerne) und nützliche Dinge für den täglichen Gebrauch.

Im Mittelalter war es der Brauch, dass Klosterschüler am 5. Dezember einen „Kinderbischof“ wählten. Wie ein Bischof gekleidet, besuchte er am folgenden Tag die Klosterschule, ermahnte manche Schüler und belohnte andere mit Süßigkeiten. In einigen Gegenden mussten die Erwachsenen dem Kinderbischof gegenüber Rechenschaft ablegen, speziell über ihr Verhalten zu den Kindern. Daraus entwickelte sich umgekehrt unser noch heute bekannter Nikolausbrauch.

Da der katholische Ursprung des Gedenkens an den Bischof von Myra nicht in die reformatorischen Vorstellungen passte, schaffte Luther diesen Brauch ab. Stattdessen versuchte er, das Beschenken durch das Christkind am 25. Dezember zu beleben. Seitdem wurde die Bescherung auf Weihnachten verlegt, eine Sitte, die auch von den Katholiken übernommen wurde und in den meisten Ländern der Welt gepflegt wird.

Die reformierten Niederländer haben sich diesem Brauch widersetzt und lassen noch heute die Geschenke nicht zu Weihnachten, sondern von ihrem „Sinterklaas“ am 6. Dezember bringen. Auf diesen „Sinterklaas“ mit weißem Bart und rotem Gewand, der den Kindern am Heiligen Abend die Geschenke überreicht, geht der der Weihnachtsmann zurück.

Holländische Auswanderer brachten diese Tradition nach Nordamerika mit. Ab dem 19. Jahrhundert wird die Nikolausgestalt immer mehr verweltlicht; in den USA wurde aus dem „Sinterklaas“ der „Saint Claus“, der die Geschenke bringt. Eine Kommerzialisierung des Nikolausbruchs  begann Anfang des 20. Jahrhunderts, als 1915 das heute gewohnte Bild des beleibten, freundlichen Nikolaus von der US-amerikanischen Mineralwasserfirma White Rock zu Werbezwecken erfunden wurde. Bald verwendete die Firma Coca Cola Saint Claus als Figur in ihren Hausfarben rot-weiß für Anzeigen. Ab 1931 ließ Coca Cola den Nikolaus als gemütlichen alten Mann als Gestalt auf ihre Lieferwagen aufmalen ließ. Anschließend setzte eine weltweite Verbreitung dieser Aufmachung des Nikolaus ein.

Im süddeutschen Raum jedoch kennt man den Heiligen Nikolaus bis heute im traditionellen Bischofsgewand mit Stab und Mitra, der hohen Bischofsmütze. Im Norden dagegen hat sich die Vorstellung vom Nikolaus als gemütlichem alten Mann mit weißem Rauschebart und dickem roten Mantel durchgesetzt.

Rezeption

Nikolaus, komm in unser Haus ist in den bedeutenden Liedersammlungen des 19. Jahrhunderts wie  Die Deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen (drei Bände 1838-1845), herausgegeben von Ludwig Erk und Wilhelm Irmer, Karl Simrocks Die deutschen Volkslieder (1851) und im von Franz Magnus Böhme umgearbeiteten und ergänzten Deutschen Liederhort (1893/94, ursprünglich Ludwig Erk 1856) nicht enthalten. Für mich erstaunlich ist, dass dieser Text auch weder in einer Auflage von Karl Simrocks Das deutsche Kinderbuch (1842, 3. Auflage 1879) noch in der dreibändigen Ausgabe (1838-1845) Deutsches Kinderlied und Kinderspiel von Franz Magnus Böhme zu finden ist. Demnach ist es bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts mündlich überliefert worden.

Auch Laßt uns froh und munter sein ist in den von den mir online und in Privatbibliotheken zugänglichen Liederbüchern im 19. Jahrhundert nur in zwei Veröffentlichungen vertreten, nämlich 1885 im katholischen Liederheft Lieder für die Lambertusfeier zu Münster und 1897 in Deutsches Kinderlied und Kinderspiel.

Im 20. Jahrhundert ist Nikolaus, komm in unser Haus erstmalig 1938 im Liederbuch Sonnenlauf in Lied und Spruch um die Gezeiten des Jahres zu finden; danach allerdings nur in knapp 20 weiteren mir bekannten Liederbüchern. Mit einigen Varianten ist es im Katalog des Deutschen Musikarchivs (Stand 11/2017) auf neun Tonträgern vertreten.

Dagegen wurde Laßt uns froh und munter sein bereits seit 1905 (Macht das Tor auf) in zahlreiche Liederbücher aufgenommen, bis heute in weit über 100.

Im Vergleich zu Nikolaus, komm in unser Haus hat mich die außerordentlich große Anzahl der Tonträger (337) und der Musiknoten (705) mit Laßt uns froh und munter sein überrascht. Von den Fischer-Chören und dem Botho Lucas Chor bis hin zu den Wiener Sängerknaben und dem Nymphenburger Kinderchor, um nur die bekanntesten zu nennen, haben vor allem Chöre zur Adventszeit sich diesen Lieds angenommen. Auch zahlreiche bekannte Schlagersänger wie Heintje und Heino, Karel Gott („die goldne Stimme Prags“) und Peter Alexander, Vico Torriani und Hansi Hinterseer sowie Nena und Roger Whittaker haben Laßt uns froh und munter sein interpretiert. Abbi Hübners Old Merry Tale Jazzband hat sogar eine Version im Dixieland-Stil aufgenommen.

In Kindergärten und in vielen Familien werden ab erstem Adventssonntag, spätestens am 5. Dezember Nikolauslieder gesungen „Bald ist Niklausabend da!“ bzw. am 6. Dezember „Heut ist Niklausabend da!

 

Zu erwähnen ist noch, dass der Nikolaus eine Adresse hat, an die Kinder schreiben können, wenn sie einen Gruß vom Nikolaus haben möchten:

An den Nikolaus
66351 St. Nikolaus

Die Zahl der kleinen Briefschreiber beträgt mehrere 10.000.

Georg Nagel, Hamburg

Über deutschelieder
“Deutsche Lieder” ist eine Online-Anthologie von Liedtextinterpretationen. Liedtexte sind die heute wohl meistrezipierte Form von Lyrik, aber zugleich eine in der Literaturwissenschaft vergleichsweise wenig beachtete. Die Gründe für dieses Missverhältnis reichen von Vorurteilen gegenüber vermeintlich nicht interpretationsbedürftiger Popkultur über grundsätzliche Bedenken, einen Songtext isoliert von der Musik zu untersuchen, die Schwierigkeit, eine editorischen Ansprüchen genügende Textfassung zu erstellen, bis zur Problematik, dass, anders als bei Gedichten, bislang kaum ein Korpus von Texten gebildet worden ist, deren Interpretation interessant erscheint. Solchen Einwänden und Schwierigkeiten soll auf diesem Blog praktisch begegnet werden: indem erprobt wird, was Interpretationen von Songtexten leisten können, ob sie auch ohne Einbeziehung der Musik möglich sind oder wie eine solche Einbeziehung stattfinden kann, indem Textfassungen zur Verfügung gestellt werden und im Laufe des Projekts ein Textkorpus entsteht, wenn viele verschiedene Beiträgerinnen und Beiträger ihnen interessant erscheinende Texte vorstellen. Ziel dieses Blogs ist es nicht nur, auf Songtexte als möglichen Forschungsgegenstand aufmerksam zu machen und exemplarisch Zugangsweisen zu erproben, sondern auch das umfangreiche Wissen von Fans zugänglich zu machen, das bislang häufig gar nicht oder nur in Fanforenbeiträgen publiziert wird und damit für die Forschungscommunity ebenso wie für eine breite Öffentlichkeit kaum auffindbar ist. Entsprechend sind nicht nur (angehende) Literaturwissenschaftler/-innen, sondern auch Fans, Sammler/-innen und alle anderen Interessierten eingeladen, Beiträge einzusenden. Dabei muss es sich nicht um Interpretationen im engeren Sinne handeln, willkommen sind beispielsweise ebenso Beiträge zur Rezeptions- oder Entstehungsgeschichte eines Songs. Denn gerade die Verschiedenheit der Beiträge kann den Reiz einer solchen Anthologie ausmachen. Bei den Interpretationen kann es schon angesichts ihrer relativen Kürze nicht darum gehen, einen Text ‘erschöpfend’ auszuinterpretieren; jede vorgestellte Lesart stellt nur einen möglichen Zugang zu einem Text dar und kann zur Weiterentwicklung der skizzierten Überlegungen ebenso anregen wie zum Widerspruch oder zu Ergänzungen. Entsprechend soll dieses Blog nicht zuletzt ein Ort sein, an dem über Liedtexte diskutiert wird – deshalb freuen wir uns über Kommentare ebenso wie über neue Beiträge.

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