Misserfolg als Motor. Zu „Scheitern“ von Uta Köbernick
17. Juni 2013 Hinterlasse einen Kommentar
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Uta Köbernick Scheitern Wenn das Scheitern nicht wär, wo wären wir da - ich würde heut noch Geige spielen, wär ein Geigenstar Repräsentierte im Ausland die DDR - Wenn das Scheitern nicht wär. Wenn das Scheitern nicht wär, wo wären wir da - ich hätte Abitur wie meine Freundin Sarah. Dann wäre meine Schulzeit nicht ganz so lang her - Wenn das Scheitern nicht wär. Wenn das Scheitern nicht wär, wo wären wir da - Gritt sagt: dann hätte sie Sebastian geheiratet, ganz klar und schwul wär Sebastian dann ganz sicher nicht mehr! Wenn das Scheitern nicht wär. Wenn das Scheitern nicht wär, wo wären wir da - Du würdest mich nicht fragen müssen, wo ich gestern war, weil - Ich wär dir überhaupt niemals begegnet, mon cher. - Wenn das Scheitern nicht wär, wo wären wir da - Vielleicht wär ich in Paris und nicht hier an der Bar. Aber immer nach dem Scheitern ist der Tresen so schön - Ich will noch nicht gehn. Wenn das Scheitern nicht wär, wo wären wir da - und wär ich jetzt gescheiter oder nicht oder blabla Und wo nähme ich denn meine ganze Kraft her, wenn das Scheitern nicht wär? [Uta Köbernik plus Kapelle: Auch nicht schlimmer. Kleingeldprinzessin 2011.]
Tja, wie sieht das aus mit dem Scheitern? Wieso nicht öfter mal scheitern, das ist doch ganz produktiv. Jedes Scheitern führt allerdings auch zu der manchmal interessanten, manchmal schmerzhaften Überlegung, wie es ohne scheitern gewesen wäre. Darum geht es in einem Stück von Uta Köbernick. Sie tritt nicht als reine Sängerin in Erscheinung, sondern als Kabarettistin. Ihre Lieder sind allerdings nicht immer auf eine Pointe aus, auch wenn Scheitern ein Beispiel für ein sehr amüsantes, poiniertes Lied ist. Hier wird das Scheitern aus den unterschiedlichsten Perspektiven betrachtet. Schon der Anfang ringt mir ein Lächeln ab: „Ich […] repräsentierte im Ausland die DDR, / wenn das Scheitern nicht wär.“
Köbernicks Humor funktioniert über das Dreieck eines ernsthaften Ausdruck von oberflächlich eher quatschigen Texten, die dann doch einen treffenden, oft tragischen Kern haben – also eigentlich der gewollt ernsthafte Vortrag doch passend erscheint, aber eben oft erst über diesen Umweg. Wo sehen wir in dem Lied viel Tragik? Zum Beispiel in der Strophe mit Gritt, Sebastian und deren Hochzeit, die stattgefunden hätte, wenn Sebastian nicht zu seiner Homosexualität stehen würde. Das Interessante ist, dass, egal welchen Abzweig diese Geschichte genommen hätte, einer von beiden ist immer die tragische Figur gewesen wäre. Es musste also ein Scheitern geben – letztendlich in dieser Version aber ein sehr befreiendes. Das andere Scheitern wäre sehr viel schlimmer gewesen.
Die Spekulation in einer anderen Strophe, ob das Sprecher-Ich mit weniger Scheitern in Paris wäre und nicht gerade in der Bar rumhängen würde, finde ich auch ganz lustig, denn dann wäre es zwar in Paris, könnte aber in einer Bar nur für zweistellige Beträge saufen, und da macht ja der Alkoholismus gar keinen Spaß mehr. Letztendlich beschließt die letzte Strophe das Lied vorhersehbar versöhnlich, denn wir lernen ja das ganze Lied über, dass Scheitern etwas sehr Produktives ist.
Ich verbleibe mit einem Aufruf zu mehr Mut zum Scheitern. Wo wären wir, wenn nie jemand scheitern würde? Furchtbare Vorstellung…
Christan Gröpler, Berlin
Dieser Text erschien zuerst auf tantepop.de.