Nebensachen. Zur Verschränkung von Fußball und Sexualität in „Toni, laß es polstern!“ von Toni Polster & Die fabulösen Thekenschlampen
16. Juni 2014 3 Kommentare
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Toni Polster & Die fabulösen Thekenschlampen Toni, laß es polstern Toni, laß es polstern! Toni, polstern, polstern! Toni, triff im Doppelpack! Schlampen trinken Sechserpack. Mein Spiel hat Feuer, ich hab Wiener Blut. Dann spiel mit mir, denn du fummelst gut! Hab ich den Ball, mach ich ihn rein. Wie kriegt er diese Waden in die Söckchen rein? Der Strafraum ist mein Jagdrevier. Komm Toni, bitte jag mit mir! Toni, laß es polstern! [...] Meine Show beginnt samstags um halb vier. Deine Locken, die frisier'n wir dir. Ja, Wiener Walzer tanz ich mit dem Ball. 'n Freistoß gibt's auf jeden Fall. Der Strafraum ist mein Jagdrevier. Komm Toni, Toni, jag mit mir! Toni, laß es polstern! [...] Der Schuß ging leider nicht ins Netz. Das macht doch nichts, dann sing'n mer jetzt! Toni, laß es polstern! [...] [Toni Polster & Die fabulösen Thekenschlampen: Toni lass es polstern. BMG 1997.]
Spätestens seit Kick it like Beckham wissen wir um den emanzipatorischen Wert von Frauenfußball. Und welche – mutmaßlich erfreulichen – Folgen es haben wird, dass, weil viele Mädchen auch Fußball spielen können, Kinder ab einem bestimmten Alter nicht mehr automatisch in gleichgeschlechtlichen Gruppen spielen, wird sich in den kommenden Jahrzenhten zeigen. Doch gibt es auch eine Schattenseite des gestiegenen weiblichen Interesses an Fußball. Liliana Nova, als Ex-Frau von Lothar-Matthäus für die BILD-Redaktion offenbar kompetent in Bezug auf den Sexappeal von Fußballern, teilt in einem Interview mit: „Wir haben einige Sahneschnitten in unserer Elf“. Und im Radio läuft ein Lied mit dem Refrain: „Zieh einfach nur dein T-Shirt aus, / du kleine, verspielte Zuckermaus!“ Gesungen wird das von einer Frau, gemeint ist ein Mann, genauer: ein Fußballer. Das klingt zunächst aufgrund der Subversion von Rollenklischees interessant, erweist sich aber letzlich nur als der gleiche Sexismus, mit dem Männer zuweilen Damenbeachvolleyball kommentieren. Dieses Lied, das ich bislang keinem Interpreten zuordnen konnte (für Hinweise bin ich dankbar), hat thematisch einen außerhalb Kölns und Österreichs der eher wenig bekannten Vorgänger: Toni, laß es polstern, 1997 gesungen vom damaligen Stürmer des 1. FC Köln, Anton Polster, und der Kölner Band Die fabulösen Thekenschlampen, denen auch Mirja Boes, die später zunächst als Möhre auf Mallorca u.a. mit dem Hit 20 Zentimeter erfolgreich war und mittlerweile etablierte Komikerin ist, als eine der drei Sängerinnen angehörte. Ein Auftritt Polsters mit der Band (kurzer Auschnnitt hier ab Min. 20) am Abend nach dem verlorenen Pokalspiel gegen den SSV Ulm überstrapazierte seinerzeit das Humorverständnis der karnevalsgestählten Kölner Verantwortlichen, was insbesondere wegen des beschwingten Verspaars „Der Schuß ging leider nicht ins Netz. / Das macht doch nichts, dann sing’n mer jetzt!“ zumindest ein wenig nachvollziehbar erscheint.
Dabei erweist sich der Liedtext bei genauerer Betrachtung sogar als recht raffiniert: Da wäre zum einen der durchaus originelle Wechsel zwischen von Polster gesungenen Zeilen und dem Groupie-Chor, wobei dieser auf ihn reagiert, aber nicht umgekehrt. Somit bleibt unklar, ob wir es mit weiblichen Fans zu tun haben, die den z.B. ein Interview gebenden Fußballer aus der Ferne anschmachten, oder mit einer echten Dialogsitation. Nimmt man das Szenario des Interviews, vielleicht sogar eines der berüchtigten gleich nach Spielende vom Feldreporter in der Mixed Zone geführten, an, und liest Polsters Sätze isoliert, so ergibt sich folgendes recht unspektakuläres Phrasenstakkato:
Mein Spiel hat Feuer, ich hab Wiener Blut.
Hab ich den Ball, mach ich ihn rein.
Der Strafraum ist mein Jagdrevier.
Meine Show beginnt samstags um halb vier.
Ja, Wiener Walzer tanz ich mit dem Ball.
Der Schuß ging leider nicht ins Netz.
Auf diese Allerweltsaussagen reagiert der Chor nun jeweils mit erotisch motivierten Assoziationen: Die Formulierung „Dann spiel mit mir, denn du fummelst gut!“ nutzt dabei die verschiedenen Bedeutungen von ‚fummeln‘ einerseits als „zu häufig und zu lange dribbeln„, andererseits als „jemanden als Form des erotisch-sexuellen Kontakts berühren, streicheln“ (Duden). Ähnlich, wenn auch in seiner sexuellen Bedeutung, die sich erst aus dem Kontext der Sprechsituation ergibt, neologistisch, ist der Vers „’n Freistoß gibt’s auf jeden Fall“ gestaltet. Auf der anderen Seite verwendet Polster selbst primär erotisch aufgeladene Metaphorik, etwa, wenn er seinen Umgang mit dem Ball als Paartanz beschreibt oder sein „Jagdrevier“ benennt (damit wird zudem einer der grauenhaftesten krypto-pornographischen Schlager in diesem an Grauenhaftem nicht eben armen Subgenre zitiert: Tony Marshalls Ach, laß mich doch in deinem Wald der Oberförster sein). Klaus Zeyringer konstatiert eine generelle erotische Grundierung der Fußballsprache: „Diese Sprache braucht ihr Milieu, sonst gerät sie ins Zweideutige.“ (Klaus Zeyringer. Fußball. Eine Kulturgeschichte. Frankfurt a.M.: Fischer 2014, S. 425.) Eben dieses semantische Potential bringen die Thekenschlampen durch eine erotische Rekontextualisierung zum Vorschein, so dass selbst die gängige Fußballvokabel ‚im Doppelpack treffen‘ auf einmal als Angebot einer ménage à trois lesbar wird.
Die Etablierung eines sexuellen Subtextes führt auch dazu, dass für sich betrachtet gänzlich unverfänglich wirkende Passagen entsprechend gedeutet werden können: „Hab ich den Ball, mach ich ihn rein“ klingt entsprechend gelesen nach erotischer Prahlerei, die der Realität dann nicht ganz entspricht: „Der Schuß ging leider nicht ins Netz.“ Aber der Trost erfolgt sofort: „Das macht doch nichts, dann sing’n mer jetzt!“ Und so werden im Laufe des Liedes das Sprechen über Fußball und das über Sex ununterscheidbar – und das, obwohl Fußball als traditionelle Männerdomäne oft als Gegenwelt zur heterosexuellen Paarbeziehung aufgefasst wird. Die Verschränkung beider Bereiche gipfelt im hier von Polsters Namen abgeleiteten Verb „polstern“, das in der Form „es polstern lassen“ keine konvetionelle Bedeutung trägt: Als Ruf der Fans war der Ruf „Toni, laß es polstern“ unzweifelhaft die Aufforderung, ein Tor zu schießen; im Kontext des Liedtextes ist für den Zuhörer frei wählbar, ob er eine sportliche oder erotische Bedeutung unterstellt.
Damit macht der Text deutlich, dass es sich bei einem Fußballspiel vor Publikum um eine durchaus auch erotische Inszenierung („Meine Show beginnt samstags um halb vier.“) handelt, bei der es neben äußeren Merkmalen (Waden, Locken) auch um Attribute wie Eleganz, Durchsetzungsvermögen, Zielstrebigkeit, Kampf und Erfolg geht. Im Gegensatz zum eingangs erwähnten sexualisierten Blick auf Fußballer, bei dem der Sport vollständig in den Hintergrund tritt und es lediglich um eine möglichst freie Sicht auf den Körper der Spieler geht („Zieh einfach nur dein T-Shirt aus“ [Trikot! Es heißt Trikot!]), liegt hier also kein Sexismus (in der Form der Voyeurismus) vor, der den Anderen auf ein reines Sexualobjekt reduziert, sondern wird ein erotisch gefärbtes Fantum ausgestellt, wie es im Showbusiness allgemein nicht nur verbreitet ist, sondern von seinen Akteuren auch durchaus intendiert wird.
Martin Rehfeldt, Bamberg