Mord und Schlager. Zu „Das bißchen Totschlag“ von Die Goldenen Zitronen
21. November 2019 3 Kommentare
Die goldenen Zitronen Das bißchen Totschlag So so, betroffen und zornig, so plötzlich Sie hatten nachgezählt, sie entschieden 17 Tote Seien jetzt genug Ja, die Härte des Rechtsstaats Ganz genau, zumal es waren anständige Ausländer Steuerzahlende Möllner, fast wie du und ich Nachbarn können das bezeugen, "Heil Hitler" wurde gesagt Der erste Tote dieses Wochenendes wurde nicht mit aufgeführt Sogenannter Autonomer, abgestochen von stolzen Deutschen Verblutet auf dem Bahnsteig, mitten in Berlin Aber, aber, nichts weiter als "rivalisierende Jugendbanden" Das bißchen Totschlag bringt uns nicht gleich um Hier fliegen nicht gleich die Löcher aus dem Käse, sagt mein Mann Take it easy, altes Haus, wir haben schon Schlimmeres geseh’n So einfach wird der alte Dampfer auch nicht untergeh’n Genau genommen war man auch schon vorher ab und zu Betroffen gewesen, am 8. November '92 in Berlin etwa 60.000, alle mit dabei, die Würde des Menschen Und die höchsten Würdenträger Ja, betroffen, unerwartet gab es den Kursus "Gewalt sinnlich erleben" Nazis? Fast. Autonome sogenannte selbsternannte Menschenfreunde Und schon fühlte man sich auch ein bißchen fremdengehaßt Sie hatten nämlich Angst, denn es flogen - nein, keine Brandsätze Aber Eier, und die nicht zu knapp Doch sie blieben tapfer, sie würden sich nicht beugen Vor welchem Mob auch immer Und übrigens auch nicht vor Mißbräuchern und Schmarotzern Der, wie sagt man, Flut eben Letzteres sagten sie anderntags nicht zu laut In sachlichem Ton und mit vereinigten Kräften Brachten sie ihr Gesetz durch Das bißchen Totschlag bringt uns nicht gleich um [...] Ja, und dann, wie gesagt, sie hatten nachgezählt Ging ein Ruck durch die deutsche Mannschaft Muß ja, das Gerede wurde lauter und lauter Außerhalb des deutschen Planeten Also nichts wie "Pack die Lichterkette ein, nimm’ dein kleines Schwesterlein" Schweigen gegen den Haß, in der schönen Weihnachtszeit Ein Zeichen setzen. Nein, hier wurde niemand ausgegrenzt Im Wettbewerb der Leuchten. Mancherorts leuchtete man gar Gegen Haß und alliierte Bomben. Rabimmel, rabammel, rabumm Nun denn, Schultern geklopft, Hände geschüttelt Nun war’s amtlich, man hatte kollektiv böse geträumt Und nicht schlimmer als anderswo übrigens Herrgottsack, rabammel, rabumm Das bißchen Totschlag bringt uns nicht gleich um [...] Das bißchen Totschlag bringt uns nicht gleich um, sagt mein Mann Ich kann den ganzen Scheiß einfach nicht mehr hör’n, sagt mein Mann Ist ja gut jetzt, altes Haus, wir haben schon Schlimmeres geseh’n Und ich sag noch: Laß uns endlich mal zur Tagesordnung übergeh’n Right [Die goldenen Zitronen: Das bißchen Totschlag. Sub-Up-Records 1994.]
Als Anfang der 1990er Jahre rechter Terror schon einmal ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit kam, insbesonderen durch die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sowie den Mordanschlag von Mölln, reagierten viele Musiker mit Liedern darauf. Die bekanntesten bedienen sich dabei einer denunzierenden Psychologisierung, die den Typus des neonazistischen Gewalttäters, der sich selbst i.d.R. als starken, mann-männlichen Kämpfer inszeniert, als verunsicherten, ängstlichen und hilfsbedürftigen Versager portraitieren: Sascha, ein aufrechter Deutscher von Die Toten Hosen (1992), Schrei nach Liebe von Die Ärzte (1993) und Die Härte von Herbert Grönemeyer (1993).
Die Goldenen Zitronen veröffentlichten 1994 hingegen mit Das bißchen Totschlag ein Meta-Lied zum Umgang der Politik und der Öffentlichkeit mit dem Thema. In den Strophen referiert eine nicht näher bestimmte Sprechinstanz sarkastisch das, was aus ihrer Sicht den Tenor der öffentlichen Meinung darstellt. Dabei geht sie in der ersten Strophe auf die Reaktion auf die Morde von Mölln ein. Der erste implizite Vorwurf der Sprechinstanz an die Mehrheitsgesellschaft lautet, dass das Phänomen rechten Terrors schon lange vorher bekannt war („so plötzlich / Sie hatten nachgezählt, sie entschieden 17 Tote / Seien jetzt genug- :“). Der zweite Vorwurf besteht darin, dass die besondere Hervorhebung des Umstands, dass die Opfer gesetztestreu waren und einer Arbeit nachgingen, implizit rechte Stereotype bediene, denen zufolge auf Ausländer beides in der Regel nicht zuträfe; zudem impliziert die Betonung der gesellschaftlichen Nützlichkeit der Opfer im Zusammenhang mit der Verurteilung eines Mordes, dass dessen Bewertung bei sozial weniger erwünschten Opfern anders ausfallen könnte – eine perverse Spielart von „Es hat die falschen getroffen“, so, als ob es ‚richtige‘ Mordopfer gebe. Und schließlich folgt ein Vorwurf an die polizeiliche Pressearbeit und deren mediale und politische Reproduktion: Dass die Tötung des Hausbesetzers Silvio Meier durch eine Gruppe Neonazis nicht als politische rechtsradikale Straftat und schon gar nicht als rechter Terror, sondern als Ergebnis einer Auseinandersezung zwischen ‚rivalisierenden Jugendbanden‘ klassifiziert wurde, womit das Opfer kriminalisiert und mit seinem Mörder auf eine Stufe gestellt wird, stellt eine Spielart des victim blaming dar, dem Menschen, die aufgrund ihrer politischen Einstellung Opfer rechter Gewalt werden, immer wieder ausgesetzt sind.
Die zweite Strophe widmet sich der Großdemonstration unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten mit dem maximal weit gefassten Motto „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ am am 8. November 1992, die eine Reaktion u.a. auf die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen darstellte und zu der u.a. Politiker, Kirchen und Gewerkschaften aufgerufen hatten. Diese wurde, u.a. mit Eierwürfen, von Linksautonomen gestört, die damit gegen die die aus ihrer Sicht heuchlerische Haltung der Politik protestierten, weil parallel zum Protest gegen rechtsradikale Gewalt die massive Einschränkung des Grundrechts auf Asyl vorangetrieben wurde, die am 6. Dezember 1992 im zwischen Union und SPD geschlossenen Asylkompromiss mündete. Neben dem Vorwurf, trotz gemäßigterer Rhetorik bezogen auf Asylsuchende eine ähnliche Agenda wie die rechtsradikalen Gewalttäter zu verfolgen, klingt außerdem wieder die Gleichsetzung von Rechtsradikaler und Linksradikalen an („vor welchem Mob auch immer“) und damit konkret von Eierwürfen mit Brandsatzwürfen, juristisch: von tätlicher Beleidigung mit versuchtem Mord.
Die dritte Strophe schließlich kritisiert Motivation, Form und Inhalt des öffentlichen Gedenkens an die rechtsradikalen Morde: Als Motiv wird die negative internationale Wahrnehmung der Ereignisse in Deutschland angeführt, die Demonstrationsform der Lichterkette wird als unangemessen und unzureichend der Lächerlichkeit preisgegeben und die Inhalte der unterschiedlichen Aktionen als Whataboutism („Gegen Haß und alliierte Bomben“, „nicht schlimmer als anderswo übrigens“) und Verharmlosung („kollektiv böse geträumt“) denunziert. Dabei wird auch der Vorwurf erhoben, durch die demonstrative („Ein Zeichen setzen“) Ablehnung rechtsradikaler Verbrechen den Rassismus gemäßigterer politisch rechter Positionen und Rhetorik (vgl. Strophe 2: „Mißbräuchern und Schmarotzern / Der, wie sagt man, Flut eben“) im Bemühen um den eindruck ‚bürgerlicher‘ Geschlossenheit auszublenden („hier wurde niemand ausgegrenzt“).
Zusammengefasst lautet die in den Strophen geübte Kritik an der politischen und öffentlichen Reaktion auf den rechtsradikalen Terror der frühen 1990er Jahre also: Während man sich öffentlich von den Tätern distanziert, teilt man im Kern ihre rassistischen Grundüberzeugungen, setzt ihre politische Agenda um und kriminalisiert diejenigen, die entschiedener als mit Lichterketten gegen Rechtsradikale vorgehen. Diese Argumentation entspricht der gängigen linken Analyse rechtsradikaler Gewalt und des bürgerlichen Umgangs damit.
Ästhetisch interessanter und analytisch origineller wird das Lied im Refrain. Denn in diesem sprechen statt der sarkastischen, politisch links stehenden Sprechinstanz der Strophen nicht nur zwei Figuren – eine Frau und, von ihr wiedergegeben, ihr Mann -, sondern über die intertextuellen Bezüge gleich ganzes Musikgenre: der deutsche Stimmungsschlager, und zwar vor seiner postmodern-ironischen Eingemeindung in den Popkosmus durch u.a. Dieter Thomas Kuhn und Guildo Horn und erst recht vor der nachfolgenden, wieder gäntzlich unironischen Nivellierung der ehemals strikten Grenze zwischen Schlager und Pop durch den Disco-Schlager à la Helene Fischer: Zitiert werden Johanna von Koczians Das bißchen Haushalt (1977), Gottlieb Wendehals‘ Polonäse Blankenese (1981), Truck Stops Take it easy, altes Haus (1979). Zwar lässt sich Das bißchen Haushalt durchaus subversiv interpretieren, im Kontext der anderen Lieder steht es aber hier ebenso wie diese für ein un- bzw. antipolitisches Konzept von Gemütlichkeit und Stimmung, wie es etwa in Tina Yorks drohend-antiintelletuellem Wir lassen uns das Singen nicht verbieten gegen ästhetisch-politische Kritik verteidigt wird. Ganz in diesem Sinne werden in den teilweise abgewandelten Schlagerzitaten in Das bißchen Totschlag dann auch die rechtsradikalen Morde als zu vernachlässigend abgetan. Im Schlussrefrain wird das Bedürfnis nach ungestörter Normalität zunächst vom Mann, dann von der Frau explitziert: „Ich kann den ganzen Scheiß einfach nicht mehr hör’n, sagt mein Mann“, „Und ich sag noch: Laß uns endlich mal zur Tagesordnung übergeh’n“. Letztlich stören nicht mordende Neonazis sondern stört die als alarmistisch und lästig empfundene Berichterstattung darüber die gemütliche Selbstzufriedenheit. Diese gestörte Selbstzufriedenheit erscheint hier auch als nationale, denn der Schlager war seit der Nachkriegszeit auch ein exklusiv deutsches Genre in Abgrenzung zur englischsprachigen Popmusik.
Der Grund dafür, dass die beiden Figuren sich lediglich von der Berichterstattung, nicht aber vom rechtsradikalen Terror als solchem gestört fühlen, lässt sich der ersten Refrainzeile entnehmen: „Das bißchen Totschlag bringt uns nicht gleich um“. Anders als andere Formen des Terrorismus, die wahllos Zufallsopfer treffen, richtet sich rechtsradikaler Terror gegen klar abgegrenzte Gruppen: Nicht-Weiße, Juden, Muslime, Homosexuelle und Linke. Wenn man, wie offenbar das sich in den Refrains artikulierende Ehepaar, keiner dieser Gruppen angehört, kann man davon ausgehen, persönlich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zum Opfer rechtsradikaler Gewalt zu werden.
Martin Rehfeldt, Bamberg
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