Politik lalala. Zu Andreas Doraus „Demokratie“
30. Juli 2012 1 Kommentar
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Andreas Dorau und die Bruderschaft der kleinen Sorgen Demokratie Bababa baba Bababa baba Bababa baba Bababa baba Demokratie hat viele Gesichter mal ist sie Schlichter dann demonstriert sie dann wieder schlägt sie zu und lässt keinen in Ruh Das ist Demokratie – langweilig wird sie nie das ist Demokratie – langweilig wird sie nie Bababa baba Bababa baba Bababa baba Bababa baba Mal ist sie sanft wie ein Lamm dann wieder seicht wie ein Schwamm der vollgesogen und durchzogen von Schlamm und Morast und jeder trägt seine Last denn: Das ist Demokratie – langweilig wird sie nie das ist Demokratie – langweilig wird sie nie Bababa baba Bababa baba Bababa baba Bababa baba Nun Wohlstand überwiegt woran das wohl liegt? das ist die Frage die jeden bewegt die Antwort jeder in sich trägt und: Das ist Demokratie – langweilig wird sie nie das ist Demokratie – langweilig wird sie nie Bababa baba Bababa baba Bababa baba Bababa baba Alle vier Jahre wird wieder gewählt wird wieder jeder von jedem gequält das ist das wahre Gesicht darum verirre dich nicht bleib im Garten Eden und hör Dir an die Reden wo keine eingehalten eingehalten werden kann sonst bliebe man nicht vier Jahre dran denn: Das ist Demokratie – langweilig wird sie nie! das ist Demokratie – langweilig wird sie nie! das ist Demokratie – langweilig wird sie nie! Lalalalalalala lalalalalalalalalalalalala [Andreas Dorau und die Bruderschaft der kleinen Sorgen: Demokratie. Ata Tak 1988.]
Andreas Doraus drittes Album Demokratie erschien 1988 nicht nur auf dem deutschsprachigen Markt, sondern auch in Japan, wo es seitdem bereits zweimal wiederveröffentlicht wurde, sich also einer gewissen Beliebtheit zu erfreuen scheint. Wenn wir annehmen, dass jedes Stück deutscher Popmusik, das man außerhalb der Landesgrenzen konsumiert(e), das jeweilige Deutschlandbild zumindest ein bisschen mitprägt(e), ergibt sich in Verbindung von namensgebender Single, Videokostümierung, Coverfoto und Helmut Schmidt ein recht interessantes Image: Der Deutsche dieser Zeit trägt Prinz-Heinrich-Mütze, raucht Pfeife und mag vor allem Demokratie. Diese Herrschaftsform wird hier fröhlich gefeiert – freilich nicht ironiefrei.
Über Doraus berühmtestes Lied, über Fred vom Jupiter, ist bereits viel gesagt und geschrieben worden. Mit dem ursprünglichen Resultat eines Schulprojekts war dem Teenager 1982 eine Punktlandung auf dem Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle gelungen. Seitdem zeigte er sich darum bemüht, sich von jenem einen Hit sowie der ganzen damit verbundenen Strömung zu distanzieren. Interessant erscheint das vor allem insofern, als dass das Demokratie-Album als eine spielerische Auseinandersetzung mit der NDW verstanden werden kann. Nach fünf Jahren Pause kam Dorau 1988 mit einer Single über die wichtigste Errungenschaft der jüngeren deutschen Geschichte an: Die „Demokratie“ und der damit vielfach verknüpfte „Wohlstand“ waren schon längst so sehr zur Gewohnheit geworden, dass nicht mehr nur nachdenkliche Liedermacher oder kämpferische Politrockbands zu diesen beiden Begriffen singen konnten. Auch in einem lockeren Popsong durfte munter darüber geträllert werden.
„Demokratie“, so heißt es, habe „viele Gesichter“. Einige davon werden uns dann auch vorgestellt: manchmal sei sie „Schlichter“ (im Sinne von ausgleichend); manchmal aber „schlägt sie zu“, zeige sich also von ihrer aggressiven Seite; manchmal erscheine sie eher anständig und brav „wie ein Lamm“, manchmal jedoch sei sie „durchzogen von Schlamm und Morast“, dreckigen Geschäften und Korruption. Eines steht dabei allerdings im Zentrum: „langweilig wird sie nie“, der Unterhaltungswert ist hoch. Passend zu diesem „Lobgesang“ zeigt das Video posierende Politiker: Rau mit einem Kind auf dem Arm, Kohl vor einem Panzer, Genscher beim Baden und Späth beim Dirigieren etc. Die präsentierte „Demokratie“ ist vor allem eine Mediendemokratie. Besungen wird, was man von ihr durch Presse, Funk und Fernsehen halt so mitbekommt: öffentliche Konsensfindung und Machtdemonstration, Moral und Skandal zum Beispiel.
Demokratie ist nicht das Resultat eines Schulprojekts, klingt aber wie die Sozialkundehausaufgabe einer zehnten Klasse. Wir hören ein vertontes Referat über das politische System der Bundesrepublik. „Alle vier Jahre“ findet der Politikzirkus in unserem Land seinen Höhepunkt, dann ist Wahlkampf und es „wird jeder von jedem gequält“; man muss sich damit abfinden, dass die verkündeten Versprechungen nicht eingehalten werden, denn so ist eben die Realpolitik; trotzdem darf man sich nicht verirren, also nicht zu den extremen Systemfeinden tendieren, lieber bleibt man im paradiesischen „Garten Eden“. Es geht hier zwar um Politik, doch es ist kein politisches Lied im klassischen Sinn, es ist alles andere als eine „Waffe“ in irgendeinem Kampf, stattdessen nur ein wenig geraffte politische Bildung in Form eines ziemlich eingängigen Popsongs.
Durch „Bababa“ am Anfang und nach den Refrains sowie „Lalala“ zum Schluss wird dieser Popsong heiter eingerahmt, durch geschickt eingestreuten Aussagefetzen populärer Politiker aller Couleur gewinnt er an zusätzlichem Schmiss. Die Reime sind denkbar einfach. Klammer-, kreuz und meistens paargereimt folgt „Schwamm“ auf „Lamm“ und „dran“ auf „kann“. Wenn man diesbezüglich von Kinderreimen spricht, passt das zumindest gut zu Doraus recht hohem, etwas kindlich klingendem Gesang. Von Naivität ist bezüglich seiner Texte immer wieder gesprochen worden (auch aktuell werden seine Lieder mit dem Wort „naiv“ beschrieben, z.B bei Plattentest oder in der taz).
Demokratie könnte man also als eine naiv gereimte Abhandlung zum Thema „Politik in der BRD“ bewerten; man kann aber – wie oben erwähnt – auch eine gewisse ironische Brechung vermuten. Als für eine weiterführende Annäherung sehr geeignet erscheint entsprechend die Camp-Theorie. Susan Sontag beschrieb sie 1964 in Notes on Camp als ästhetische Vorliebe „zum Trick und zur Übertreibung“, als „unengagiert, entpolitisiert – oder zumindest unpolitisch“, vor allem aber als ironisch: „Camp sieht alles in Anführungsstrichen“. Naivität und Kitsch sind dabei nur gespielt, dahinter steckt mehr Überlegung als offensichtlich sein mag, gleichzeitig aber auch wiederum große Freude am Spiel, bzw. an eingängiger Popmusik. Hinter der harmlosen Fassade steht eine subversive Komik. Natürlich könnte man hier Manches vermissen, was der Camp-Ästhetik sonst noch so zugewiesen wird, aber besagte Komik ist in Doraus Demokratie durchaus erkennbar.
Martin Kraus, Bamberg