„Wann ist ein Mann ein Mann“? Herbert Grönemeyers „Männer“ als Hymne der Gender Studies
8. April 2019 Hinterlasse einen Kommentar
Herbert Grönemeyer Männer Männer nehm'n in den Arm Männer geben Geborgenheit Männer weinen heimlich Männer brauchen viel Zärtlichkeit Und Männer sind so verletzlich Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich Männer kaufen Frauen Männer steh'n ständig unter Strom Männer baggern wie blöde Männer lügen am Telefon Und Männer sind allzeit bereit Männer bestechen durch ihr Geld und ihre Lässigkeit Männer haben's schwer, nehmen's leicht Außen hart und innen ganz weich Werden als Kind schon auf Mann geeicht Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist ein Mann ein Mann? Männer haben Muskeln Männer sind furchtbar stark Männer können alles Männer kriegen 'nen Herzinfarkt Und Männer sind einsame Streiter Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter Männer haben's schwer, nehmen's leicht Außen hart und innen ganz weich Werden als Kind schon auf Mann geeicht Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist ein Mann ein Mann? Männer führen Kriege Männer sind schon als Baby blau Männer rauchen Pfeife Männer sind furchtbar schlau Männer bauen Raketen Männer machen alles ganz, ganz genau Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist ein Mann ein Mann? Männer krieg'n keine Kinder Männer kriegen dünnes Haar Männer sind auch Menschen Männer sind etwas sonderbar Und Männer sind so verletzlich Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich Männer haben's schwer, nehmen's leicht Außen hart und innen ganz weich Werden als Kind schon auf Mann geeicht Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist man ein Mann? Wann ist man ein Mann? Wann ist man ein Mann? Wann ist man ein Mann? Wann ist man ein Mann? [Herbert Grönemeyer: 4630 Bochum. EMI 1984.]
Was geschähe, wenn Herbert Grönemeyer Männer nicht schon 1984 veröffentlich hätte, sondern es heute erschiene? Denn wir leben in seltsamen Zeiten, wo ein Werbespot für viele ein Verbrechen ist, weil er dazu aufruft, sich als Mann gegen sexuelle Belästigung und Mobbing zu stellen, wie der groteske Hass zeigte, der sich in Internetkommentarspalten überall dort, wo anfang des Jahres der aktuelle Gilette-Werbespot (s.u.) gezeigt oder über ihn berichtet wurde, entlud.
Nichts an diesem Spot sollte für einen zivilisierten Menschen im 21. Jahrhundert noch provokant sein. Es geht nicht einmal um Reizthemen (die eigentlich auch längst keine mehr sein sollten) wie Transgender. Gezeigt werden vielmehr als role models ganz klassich mann-männliche Männer, die sich (sogar maßvoll körperlich) für die Schwachen einsetzen. In früheren Zeiten hätte man das ritterlich genannt. Feministische Kritik daran, dass hier wieder Männer als Beschützer die schwachen Frauen schützen, anstatt dass diese sich selbst empowern, wäre noch eher verständlich gewesen. Aber stattdessen wurden offenbar all die notorischen „Verschwulung“- und „Genderwahn“-Schreier bzw. -Tipper getriggert.
In einem solchen diskursiven Klima ist es zielmlich wahrscheilich, dass heute Grönemeyers Lied Männer nicht der bei beiden Geschlechtern beliebte Partyhit geworden wäre, als der es seit seinem Erscheinen in den 1980ern rezipiert wird, sondern wahlweise als Versuch linksgrünversiffter Hirnwäsche oder, von denjenigen, die völlig unempfänglich für Ironie sind, als Männerbewegungshymne – eine Spekulation, die traurigerweise durch die Kommentare unter dem beliebtesten Youtube-Video des Liedes plausibilisiert wird: Gleich der zweite Top-Kommentar lautet „Der Anti Feminazi Song“, gekontert von „Der Anti Toxic Masculinity Song“, wozu ein weiterer User ein paar Kommentare später das Freund-Feind-Denken der (neu)rechten Bewegungen konsequent und ohne jede Ironiemarkierung zuende denkt: „Leute die ernsthaft Wörter wie ‚Toxic Masculinity‘ benutzen, gehören erschossen.“ Diese Hysterisierung und Brutalisierung der gesellschatklichen Debatte ist vielfach diskutiert worden und angesichts der Menschen, die Opfer davon werden, beginnend mit denen, die zigfach mit Morddrohungen und Vergewaltigungsphantasien bedacht werden, weil sie in irgendeiner Frage dem neurechten Weltbild widersprochen haben, scheinen drohende rein ästhetische Opfer zurecht als harmlos. Aber da es in diesem Blog nun einmal Liedtexte geht, soll an dieser Stelle auch einmal beklagt wereden, dass es eines der schönsten Stilmittel des Pop, die Ironie, heutzutage immer schwerer hat.
Dabei muss differenziert werden zwischen der rhetorischen Ironie – man meint das genaue Gegenteil von dem, was man sagt – und der romantischen – man sagt, vereinfacht dargestellt, eine Sache und ihr Gegenteil zugleich. Erstere ist gerade im rechten politischen Lager in der Form einer plumpen Schulhofironie überaus beliebt, wenn Zitate des politischen Gegners dekontextualisiert werden und etwa höhnisch von „Kulturbereicherern“, „Goldstücken“ oder dem „Land, in dem wir gut und gerne leben“ gesprochen wird. Diese Form der Ironie dient vornehmlich der Selbstverständigung innerhalb der eigenen, sich so immer weiter radikalisierenden (virtuellen) peer group und trägt zur Entstehung der vieldiskutierten Filterblasen bei. Was bedroht ist, ist vielmehr die ästhetisch weitaus reizvollere ambivalente Ironie. Und für diese Spielart liefert Grönemeyers Lied ein sehr schönes Beispiel: Er stellt Klischees des männlichen Selbstbilds („furchtbar stark“, „einsame Streiter / Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter“) neben negative Männerklischees („baggern wie blöde“, „lügen am Telefon“) und positive Bilder („nehm’n in den Arm“, „geben Geborgenheit“), mischt sie mit statischtisch signifikanten Besonderheiten („kiegen ’nen Herzinfarkt“, „kriegen dünnes Haar“) und unbestreitbaren biologischen Tatsachen („kriegen keine Kinder“). Hinzu kommen noch ambivalente Zuschreibungen, die sowohl Teil eines maskulinen Selbstbbilds wie der Kritik an männlichem Verhalten sind („Und Männer sind allzeit bereit / Männer bestechen durch ihr Geld und ihre Lässigkeit“, „Männer führen Kriege“).
Und dann sind da noch Aussagen, die sich keiner dieser Kategorien zuordnen lassen, insbesodenere „Männer brauchen viel Zärtlichkeit / Und Männer sind so verletzlich / Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich“. Liegt hier unironisches, eigentliches Sprechen vor? Oder wird doch wieder nur, wie bei „außen hart und innen ganz weich“, das Klischee vom weichen Kern unter der rauhen Schale wiedergegeben? Und vor allem: Wie ist das mit der Unersetzlichkeit gemeint? Damit sind wir bei einem für das Verständnis des Ironiekonzepts, dem das Lied entspricht, zentralen Satz angelangt: Weder die wörtliche Aussage noch die rhetorisch ironisch umgekehrte taugen als Schlussfolgerung aus den aufgezählten Männereigenschaften, weil diese gegensätzlich sind: Wie blöde baggernde Männer kann man sicher für verzichtbar halten, Geborgenheit gebende wiederum als unersetzlich empfinden. Diese Autfeilung ließe sich für alle genannten angeblich typisch männlichen Verhaltensweisen durchdeklinieren, natürlich je nach eigener Einstellung mit diversen Grenzfällen – ein schönes, dreispaltiges Tafelbild für den Deutschunterricht, das aber bei der Beantwortung der Frage, ob sich dem Text denn nun eine geschlechterpolitische Positionierung entnehmen oder zumindest halbwegs widerspruchsfrei begründet unterschieben lässt, allerdings nicht unbedingt weiterhilft. Vielmehr bietet der Text Anlass, darüber zu reden oder auch zu streiten, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen wirklich (noch immer) empirisch betrachtet typisch männlich seien und welche davon man gutheiße. Und schon das wäre ja ein schönes Rezeptionsergebnis: Wenn ein Gespräch über Männlichkeit bzw. Männlichkeiten zustande käme mit Leuten von außerhalb der eigenen Filterblase.
Doch ist der Text an dieser Stelle noch nicht ausinterpretiert: Denn in der für Geschlechterrollendebatten zentralen Frage, welche Rolle die Biologie und welche die Gesellschaft spielt, positioniert sich der Text recht eindeutig: „Männer sind schon als Baby blau“ zieht eine Linie von der ersten sichtbaren Rollenzuschreibung über die Auswahl einer allgemein als solche anerkannten geschlechtsspezifischen Kleidungsfarbe, die das Baby in einem Alter, in dem Jungen und Mädchen ansonsten in angezogenem Zustand optisch kaum unterscheidbar sind, geschlechtlich identifizierbar macht, zu einem zentralen Medium der späteren männlichen Selbstvergewisserung: dem Alkoholkonsum. Dieser fällt bei Männern statistisch nicht nur wesentlich höher aus als bei Frauen, er ist auch fester Bestandteil vieler Männlichkeitsriten: Vom pubertären Kampftrinken, Dosenstechen etc. führt der Weg über die Initioation in Männerbünde wie studentische Verbindungen zum Alkoholkonsum in Männergruppen beim Fußball, Festivalbesuch, Geschäftsabschluss o.Ä. Nicht zuletzt spiegelt sich dies in der Popmusik: Zur schier unermesslichen Anzahl von männlichen Interpreten gesungener Trinkhymnen finden sich kaum Äquivalente von Sängerinnen.
Ausgehend von dieser Positionierung des Textes lässt sich auch die beschriebene Ambivalenz des übrigen Textes deuten: Wenn Geschlechterrollen erlernt werden, dann können natürlich alle genannten Verhaltensweisen in diesem konstruierten Sinne „männlich“ sein, d.h. als „männlich“ wahrgenommen werden. Und was nun? Soll das, wie alle „Gerderwahn“- und „Genderismus“-Schreier behaupten, heißen, dass es keine Rollenunterschiede mehr zwischen Menschen verschiedener Geschlechter geben solle? Nein. Denn die falsche Behauptung, „Gleichmacherei“ sei das politische Ziel der Gender Studies, wird auch vom permanenten Wiederholen nicht wahrer. Vielmehr führt Herbert Grönemeyers Text vor, was schon die Godmother of Gender Studies, Judith Butler, empfohlen hat: Mit den Geschlechterrollen, in die wir nun einmal hineinsozialisiert worden sind, spielerisch umzugehen, sie ironisch zu brechen. Und so ist es auch kein Zufall, dass Grönemeyer gerade die einzige ernste Aussage des Textes, die nämlich, dass Geschlechterrollen anerzogen werden, in einen Gag verpackt.
Martin Rehfeldt, Bamberg