„Wann ist ein Mann ein Mann“? Herbert Grönemeyers „Männer“ als Hymne der Gender Studies

Herbert Grönemeyer

Männer

Männer nehm'n in den Arm
Männer geben Geborgenheit
Männer weinen heimlich
Männer brauchen viel Zärtlichkeit
Und Männer sind so verletzlich
Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich

Männer kaufen Frauen
Männer steh'n ständig unter Strom
Männer baggern wie blöde
Männer lügen am Telefon
Und Männer sind allzeit bereit
Männer bestechen durch ihr Geld und ihre Lässigkeit

Männer haben's schwer, nehmen's leicht
Außen hart und innen ganz weich
Werden als Kind schon auf Mann geeicht
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist ein Mann ein Mann?

Männer haben Muskeln
Männer sind furchtbar stark
Männer können alles
Männer kriegen 'nen Herzinfarkt
Und Männer sind einsame Streiter
Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter

Männer haben's schwer, nehmen's leicht
Außen hart und innen ganz weich
Werden als Kind schon auf Mann geeicht
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist ein Mann ein Mann?

Männer führen Kriege
Männer sind schon als Baby blau
Männer rauchen Pfeife
Männer sind furchtbar schlau
Männer bauen Raketen
Männer machen alles ganz, ganz genau

Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist ein Mann ein Mann?

Männer krieg'n keine Kinder
Männer kriegen dünnes Haar
Männer sind auch Menschen
Männer sind etwas sonderbar
Und Männer sind so verletzlich
Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich

Männer haben's schwer, nehmen's leicht
Außen hart und innen ganz weich
Werden als Kind schon auf Mann geeicht
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist ein Mann ein Mann?
Wann ist man ein Mann?
Wann ist man ein Mann?
Wann ist man ein Mann?
Wann ist man ein Mann?
Wann ist man ein Mann?

     [Herbert Grönemeyer: 4630 Bochum. EMI 1984.]

Was geschähe, wenn Herbert Grönemeyer Männer nicht schon 1984 veröffentlich hätte, sondern es heute erschiene? Denn wir leben in seltsamen Zeiten, wo ein Werbespot für viele ein Verbrechen ist, weil er dazu aufruft, sich als Mann gegen sexuelle Belästigung und Mobbing zu stellen, wie der groteske Hass zeigte, der sich in Internetkommentarspalten überall dort, wo anfang des Jahres der aktuelle Gilette-Werbespot (s.u.) gezeigt oder über ihn berichtet wurde, entlud.

Nichts an diesem Spot sollte für einen zivilisierten Menschen im 21. Jahrhundert noch provokant sein. Es geht nicht einmal um Reizthemen (die eigentlich auch längst keine mehr sein sollten) wie Transgender. Gezeigt werden vielmehr als role models ganz klassich mann-männliche Männer, die sich (sogar maßvoll körperlich) für die Schwachen einsetzen. In früheren Zeiten hätte man das ritterlich genannt. Feministische Kritik daran, dass hier wieder Männer als Beschützer die schwachen Frauen schützen, anstatt dass diese sich selbst empowern, wäre noch eher verständlich gewesen. Aber stattdessen wurden offenbar all die notorischen „Verschwulung“- und „Genderwahn“-Schreier bzw. -Tipper getriggert.

In einem solchen diskursiven Klima ist es zielmlich wahrscheilich, dass heute Grönemeyers Lied Männer nicht der bei beiden Geschlechtern beliebte Partyhit geworden wäre, als der es seit seinem Erscheinen in den 1980ern rezipiert wird, sondern wahlweise als Versuch linksgrünversiffter Hirnwäsche oder, von denjenigen, die völlig unempfänglich für Ironie sind, als Männerbewegungshymne – eine Spekulation, die traurigerweise durch die Kommentare unter dem beliebtesten Youtube-Video des Liedes plausibilisiert wird: Gleich der zweite Top-Kommentar lautet „Der Anti Feminazi Song“, gekontert von „Der Anti Toxic Masculinity Song“, wozu ein weiterer User ein paar Kommentare später das Freund-Feind-Denken der (neu)rechten Bewegungen konsequent und ohne jede Ironiemarkierung zuende denkt: „Leute die ernsthaft Wörter wie ‚Toxic Masculinity‘ benutzen, gehören erschossen.“ Diese Hysterisierung und Brutalisierung der gesellschatklichen Debatte ist vielfach diskutiert worden und angesichts der Menschen, die Opfer davon werden, beginnend mit denen, die zigfach mit Morddrohungen und Vergewaltigungsphantasien bedacht werden, weil sie in irgendeiner Frage dem neurechten Weltbild widersprochen haben, scheinen drohende rein ästhetische Opfer zurecht als harmlos. Aber da es in diesem Blog nun einmal Liedtexte geht, soll an dieser Stelle auch einmal beklagt wereden, dass es eines der schönsten Stilmittel des Pop, die Ironie, heutzutage immer schwerer hat.

Dabei muss differenziert werden zwischen der rhetorischen Ironie – man meint das genaue Gegenteil von dem, was man sagt – und der romantischen – man sagt, vereinfacht dargestellt, eine Sache und ihr Gegenteil zugleich. Erstere ist gerade im rechten politischen Lager in der Form einer plumpen Schulhofironie überaus beliebt, wenn Zitate des politischen Gegners dekontextualisiert werden und etwa höhnisch von „Kulturbereicherern“, „Goldstücken“ oder dem „Land, in dem wir gut und gerne leben“ gesprochen wird. Diese Form der Ironie dient vornehmlich der Selbstverständigung innerhalb der eigenen, sich so immer weiter radikalisierenden (virtuellen) peer group und trägt zur Entstehung der vieldiskutierten Filterblasen bei. Was bedroht ist, ist vielmehr die ästhetisch weitaus reizvollere ambivalente Ironie. Und für diese Spielart liefert Grönemeyers Lied ein sehr schönes Beispiel: Er stellt Klischees des männlichen Selbstbilds („furchtbar stark“, „einsame Streiter / Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter“) neben negative Männerklischees („baggern wie blöde“, „lügen am Telefon“) und positive Bilder („nehm’n in den Arm“, „geben Geborgenheit“), mischt sie mit statischtisch signifikanten Besonderheiten („kiegen ’nen Herzinfarkt“, „kriegen dünnes Haar“) und unbestreitbaren biologischen Tatsachen („kriegen keine Kinder“). Hinzu kommen noch ambivalente Zuschreibungen, die sowohl Teil eines maskulinen Selbstbbilds wie der Kritik an männlichem Verhalten sind („Und Männer sind allzeit bereit / Männer bestechen durch ihr Geld und ihre Lässigkeit“, „Männer führen Kriege“).

Und dann sind da noch Aussagen, die sich keiner dieser Kategorien zuordnen lassen, insbesodenere „Männer brauchen viel Zärtlichkeit / Und Männer sind so verletzlich / Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich“. Liegt hier unironisches, eigentliches Sprechen vor? Oder wird doch wieder nur, wie bei „außen hart und innen ganz weich“, das Klischee vom weichen Kern unter der rauhen Schale wiedergegeben? Und vor allem: Wie ist das mit der Unersetzlichkeit gemeint? Damit sind wir bei einem für das Verständnis des Ironiekonzepts, dem das Lied entspricht, zentralen Satz angelangt: Weder die wörtliche Aussage noch die rhetorisch ironisch umgekehrte taugen als Schlussfolgerung aus den aufgezählten Männereigenschaften, weil diese gegensätzlich sind: Wie blöde baggernde Männer kann man sicher für verzichtbar halten, Geborgenheit gebende wiederum als unersetzlich empfinden. Diese Autfeilung ließe sich für alle genannten angeblich typisch männlichen Verhaltensweisen durchdeklinieren, natürlich je nach eigener Einstellung mit diversen Grenzfällen – ein schönes, dreispaltiges Tafelbild für den Deutschunterricht, das aber bei der Beantwortung der Frage, ob sich dem Text denn nun eine geschlechterpolitische Positionierung entnehmen oder zumindest halbwegs widerspruchsfrei begründet unterschieben lässt, allerdings nicht unbedingt weiterhilft. Vielmehr bietet der Text Anlass, darüber zu reden oder auch zu streiten, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen wirklich (noch immer) empirisch betrachtet typisch männlich seien und welche davon man gutheiße. Und schon das wäre ja ein schönes Rezeptionsergebnis: Wenn ein Gespräch über Männlichkeit bzw. Männlichkeiten zustande käme mit Leuten von außerhalb der eigenen Filterblase.

Doch ist der Text an dieser Stelle noch nicht ausinterpretiert: Denn in der für Geschlechterrollendebatten zentralen Frage, welche Rolle die Biologie und welche die Gesellschaft spielt, positioniert sich der Text recht eindeutig: „Männer sind schon als Baby blau“ zieht eine Linie von der ersten sichtbaren Rollenzuschreibung über die Auswahl einer allgemein als solche anerkannten geschlechtsspezifischen Kleidungsfarbe, die das Baby in einem Alter, in dem Jungen und Mädchen ansonsten in angezogenem Zustand optisch kaum unterscheidbar sind, geschlechtlich identifizierbar macht, zu einem zentralen Medium der späteren männlichen Selbstvergewisserung: dem Alkoholkonsum. Dieser fällt bei Männern statistisch nicht nur wesentlich höher aus als bei Frauen, er ist auch fester Bestandteil vieler Männlichkeitsriten: Vom pubertären Kampftrinken, Dosenstechen etc. führt der Weg über die Initioation in Männerbünde wie studentische Verbindungen  zum Alkoholkonsum in Männergruppen beim Fußball, Festivalbesuch, Geschäftsabschluss o.Ä. Nicht zuletzt spiegelt sich dies in der Popmusik: Zur schier unermesslichen Anzahl von männlichen Interpreten gesungener Trinkhymnen finden sich kaum Äquivalente von Sängerinnen.

Ausgehend von dieser Positionierung des Textes lässt sich auch die beschriebene Ambivalenz des übrigen Textes deuten: Wenn Geschlechterrollen erlernt werden, dann können natürlich alle genannten Verhaltensweisen in diesem konstruierten Sinne „männlich“ sein, d.h. als „männlich“ wahrgenommen werden. Und was nun? Soll das, wie alle „Gerderwahn“- und „Genderismus“-Schreier behaupten, heißen, dass es keine Rollenunterschiede mehr zwischen Menschen verschiedener Geschlechter geben solle? Nein. Denn die falsche Behauptung, „Gleichmacherei“ sei das politische Ziel der Gender Studies, wird auch vom permanenten Wiederholen nicht wahrer. Vielmehr führt Herbert Grönemeyers Text vor, was schon die Godmother of Gender Studies, Judith Butler, empfohlen hat: Mit den Geschlechterrollen, in die wir nun einmal hineinsozialisiert worden sind, spielerisch umzugehen, sie ironisch zu brechen. Und so ist es auch kein Zufall, dass Grönemeyer gerade die einzige ernste Aussage des Textes, die nämlich, dass Geschlechterrollen anerzogen werden, in einen Gag verpackt.

Martin Rehfeldt, Bamberg

Kann Spuren von Liedtext enthalten. Zu Knorkators „Zoo“

Florian Seubert gewidmet

 

Knorkator

Zoo

Elefanten, Pinguine, Leoparden und Delphine
Fledermäuse, Paviane, Wasserbüffel, Pelikane
Dromedare, Borkenkäfer, Krokodile, Siebenschläfer
Schildkröten, Nacktschnecken, Kängurus, Marabus und Heuschrecken

Nasenbären, Schnabeltiere, Erdmännchen und Tapire
Schwarzer Panther, Weißer Hai, Orang-Utan und Papagei
Skorpione, Leguane, Klapperschlangen und Kormorane
Zwergmakaken, Zwergmapissen, Kapuzineraffen und Hornissen

Zoo, Zoo, Zoo
Zoo, Zoo, Zoo

Vogelspinne, Seidenraupe, Ringelnatter und Turteltaube
Antilope, Tiger, Löwe, Pferd, Hund, Schaf, Katze, Maus und Möwe
Nachtigall, Oktopus, Storch, Koala, Hängebauchschwein, Anakonda, Impala
Buntspecht, Waschbär, Frosch und Libelle, Nacktnasenwombat und Gazelle

Zoo, Zoo, Zoo
[…]

     [Knorkator: We want Mohr. Tubareckorz 2014.]

Was ist ein Liedtext? Lassen sich beliebige Worte, die über Musik gesungen werden, bereits als ein Liedtext, als, wie es in der Beschreibung dieses Blogs heißt, „Lyrik“, bezeichnen? Im Nachfolgenden soll diese Frage bei der Interpretation eines auf den ersten Blick eher banalen Textes der Berliner „Spaßrocker“ Knorkator im Mittelpunkt stehen. Dabei wird argumentiert, dass es sich bei dem Liedtext zum 2014 erschienen Zoo um eine Art dekonstruierten Liedtext handelt, der nur noch in Ansätzen traditionellen Lyrics ähnelt. Mit ihrer inhaltlich und stilistisch minimalistischen Herangehensweise machen sich Knorkator auch über die in vielen (modernen) Liedtexten vorhandenen sprachlichen Unzulänglichkeiten lustig.

Doch zum Text: Es handelt sich dabei um eine Aufzählung von Tieren. Denkbar wäre als Sprecher ein kleines Kind, das sich durch einen Zoo bewegt und Tiernamen auf den dazugehörigen Schildern liest, unterbrochen von gelegentlichen „Zoo“ Schreien. Aber das ist reine Spekulation und würde vielleicht sogar die Intention des Textes verfehlen. Denn ein Charakteristikum ist eben, dass es kein Narrativ gibt und kein Spaziergang durch einen Zoo beschrieben wird, sondern der Text lediglich aus den Elementen ‚Tier‘ und ‚Ort‘ besteht, die von einer gänzlich unbekannten Sprech-Instanz aufgezählt werden.

Übergeordnete Ordnungsprinzipien sind dabei kaum zu erkennen. Lediglich in der zweiten Zeile der dritten Strophe lässt sich so etwas wie ein gemeinsamer Nenner erkennen. Zunächst werden die exotischen Tiere „Antilope, Tiger, Löwe“ erwähnt, denen dann Bauernhoftiere folgen („Pferd, Hund, Schaf, Katze, Maus“). Doch sogar diese lose Ordnung wird dann durch das letzte Tier in der Reihe, die Möwe, wieder gebrochen. Diese würde wohl eher in eine Kategorie mit Küstentieren passen.

Daneben bildet die Zeile ohnehin die Ausnahme und andere Zusammenstellungen scheinen gänzlich zufällig. Ein Beispiel: „Nachtigall, Oktopus, Storch, Koala, Hängebauchschwein, Anakonda, Impala“. Hier werden sowohl lokale als auch exotische, gefährliche und harmlose, in Gewässern lebende, aber auch auf dem Land beheimatete Lebewesen genannt, Vögel, Säugetiere, ein Reptil und mit dem Oktopus ein Weichtier werden aufgezählt.

Natürlich gibt es doch ein übergeordnetes Ordnungsprinzip, nämlich den (wohl imaginären) Zoo. Und selbstverständlich gibt es innerhalb vieler Genres, beispielsweise beim Musiktheater, interessante Texte, die sich vor allem mit Tieren beschäftigen und im Rahmen der animal studies immer wieder analysiert werden. Mit dem Rahmen des Zoos hat Knorkators Text noch Ansätze eines konventionellen Textes, irgendeine Art von Zusammenhang. Aber es gibt kein Narrativ, keine Moral und keine Handlung. Doch deskriptiv ist der Text auch nicht, denn die Tiere und der Zoo werden nicht näher beschrieben.

Stilistisch und sprachlich arbeitet der Text auf einer ähnlichen Ebene: Genauso wie der große Zusammenhang ‚Zoo‘ einen sehr losen Rahmen gibt, werden auch einfache Stilmittel verwendet. Man könnte den Text damit als minimalistisch, vielleicht sogar partiell dekonstruiert, bezeichnen. Es wird mit dem denkbar einfachsten Stilmittel gearbeitet, einem reinen Reim („Pinguine […] Delphine“, „Schnabeltiere […] Tapire“). In der Grundschule schon gelernt, handelt es sich dabei um eines der zugänglichsten und elementarsten Stilmittel.

Daneben gibt es weitere rhetorische Figuren. Der Gegensatz zwischen „Schwarze[m] Panther“ und „weiße[m] Hai“ stellt eine Art sprachliche Antithese dar. Der Verweis auf „Frosch und Libelle“ stellt hingegen eine Art biologischen Gegensatz dar, bei dem der Frosch als natürlicher Feind der Libelle fungiert. Hier und da finden sich noch weitere Stilmittel, so die Alliteration bei „Maus und Möwe“ oder die Wiederholung im Refrain und natürlich die Aufzählung selber. Bedenkt man aber, dass der Text eine gänzlich lose Struktur hat und somit alle Türen für die Verwendung von Stilmitteln offenständen, ist ihre Verwendung relativ spärlich.

Dennoch zeigt der Text auch eine gewisse Freude an den Tiernamen. So ist es wohl kein Zufall, dass komische Namen wie Hängebauchschwein und Nacktnasenwombat im Text Verwendung finden. Der komischen Wirkung dient ebenfalls die Erfindung von „Zwergmapissen“, einer fäkalhumoristischen Analogbildung zu den tatsächlich existenten „Zwerkmakaken“.

Sowohl wegen der Stilmittel, als auch der Verwendung solcher Tiernamen handelt es sich bei dem Text dann doch um etwas mehr als eine bloße Aufzählung. In diesem Sinne hat der Liedtext dann wieder mehr mit traditionellen Lyrics gemein, als dies das fehelende Narrativ nahelegen würde. Ganz so radikal wie er erscheint, ist der Text auf dieser Ebene doch nicht, was fragen lässt, ob jeder Liedtext zumindest ein paar Stilmittel benötigt, um zu funktionieren, sogar ein radikaler wie der Knorkators.

Wenden wir uns abschließend noch dem Refrain zu. Als hätte man nach einer Erwähnung des gemeinsamen Nenners nicht schon das recht einfache Prinzip des Liedtextes durchschaut wird einem im Refrain das Wort ‚Zoo‘ geradezu um die Ohren gehauen. Der Rahmen wird so der Zuhörerin oder dem Zuhörer im Refrain fast schon penetrant nahegelegt. Dies wird übrigens musikalisch auch durch die andere Singtechnik im Refrain, eine Art growling, besonders deutlich.

Schließlich wird der Text zum Ende hin dann vollständig dekonstruiert. Nachdem in den drei Strophen noch Tiere genannt wurden, kommt es dann nur noch zur sinnfreien Wiederholung des Wortes Zoo, das dann schließlich in einem „Ooo“ endet, womit das Wort durch einen Laut ersetzt wird und somit der Minimalismus und die Dekonstruktion zu ihrem logischen Schluss kommen.

Was, also, kann uns der Liedtext über das Genre des Liedtextes beibringen? Die Abwesenheit einer Handlung gibt anderen Liedtexten, die eine Geschichte erzählen, schärfere Konturen und verdeutlicht, dass irgendeine Art von Aussage oder Handlung gemeinhin als zentraler Bestandteil eines Textes verstanden wird. Handelt es sich also bei dem Knorkator-Text überhaupt nicht um einen Liedtext, sondern etwas anderes? Reicht es einige Tiere aneinanderzureihen? Eine ähnliche Kohärenz hätte beispielsweise ein vertonter Einkaufszettel. Im Sinne der Arbeiten von John Cage ließe sich auch Fragen, ob es einen Liedtext ohne Text geben kann.

Interessant ist die Herangehensweise von Knorkator auch, weil sie andere Texte (vermutlich unbewusst) ad absurdum führt. Der an anderer Stelle auf diesem Blog kritisch besprochene Liedtext von Adel Tawils Lieder  stellt beispielsweise eine ähnliche Aneinanderreihung von Liedtextzitaten anderer Künstlerinnen und Künstlern dar, wie sie auch bei Knorkator in der Kategorie ‚Tiere‘ zu finden ist. Im Gegensatz zu diesem Text aber versucht Knorkator anhand einer solchen Aneinanderreihung nicht größere Zusammenhänge darzustellen, sondern lässt den Text einfach so stehen. Wie die Frage, was nun einen Liedtext ausmacht, keine klare Antwort hat, bleibt Knorkators Text im Raum stehen. Zusammenhänge oder ein Narrativ können sich im Kopf der Leserinnen oder Leser bilden – oder der Text kann einfach ohne einen solchen Zusammenhang stehen bleiben. Eine Funktion kann dabei natürlich auch ein so dekonstruierter Text erfüllen. Im hier vorgestellten Beispiel stehen vermutlich humoristische Aspekte im Vordergrund.

Knorkators Text kann in dieser Lesart auch als Kritik an einer verkrampften Suche nach Sinnzusammenhängen in Texten verstanden werden. So könnte man argumentieren, dass Knorkator damit die Häufung an schiefen Metaphern und inhaltlich fragwürdigen Liedtexten kritisiert.  Solche fehlgeschlagenen Versuche besonders literarisch wertvolle Texte zu kreieren wurden auf diesem Blog auch immer wieder besprochen (etwa Hämatoms Zu wahr um schön zu sein).Knorkator hingegen benutzten zwar Stilmittel, aber nicht im Übermaß. Vielleicht auch, weil sie ihre rhetorischen Grenzen einzuschätzen wissen und deshalb mit einfachen Reimen zufrieden sind. Damit unterwandern Knorkator letztlich den Zwang besonders wertvolle Lyrik zu schaffen und hinterfragen stattdessen auf eine radikale Weise, was ein Liedtext überhaupt ist.

Martin Christ, Tübingen

Eine Seefahrt war gar nicht immer lustig. Zu „Eine Seefahrt, die ist lustig“

Anonym 

Eine Seefahrt, die ist lustig

1. Eine Seefahrt die ist lustig
Eine Seefahrt, die ist schön
Denn da kann man fremde Länder
Und noch manches andre sehn.

[Refrain:]
Hol-la-hi, hol-la-ho
Hol-la-hi-a hi-a hi-a, hol-la-ho.

2. Unser Kapitän, der Dicke,
Kaum drei Käse ist er groß,
auf der Brücke eine Schnauze,
Wie’ne Ankerklüse groß.

3. In der Rechten einen Whiskey,
In der Linken einen Köm,
Und die spiegelblanke Glatze,
Das ist unser Kapitän.

4. In der einen Hand die Kanne,
In der andern Hand den Twist,
Und dazu die große Schnauze,
Fertig ist der Maschinist.

5. Und der erste Maschinist,
Ist Chinese, und kein Christ,
und der erste Offizier,
Der trägt Wäsche aus Papier.

6. Und man hat sich dann gewaschen
Und man denkt, nun bist du rein;
Kommt so’n Bootsmannsmaat der Wache:
"Wasch dich noch einmal du Schwein!"

7. In des Bunkers tiefsten Gründen,
Zwischen Kohlen ganz versteckt,
Pennt der allerfaulste Stoker,
Bis der Obermaat ihn weckt.

8. "Komm mal rauf, mein Herzensjunge,
Komm mal rauf, du altes Schwein,
Nicht mal Kohlen kannst du trimmen
Und ein Heizer willst du sein?"

9. Und er haut ihm vor'n Dassel,
Daß er in die Kohlen fällt
Und die heilgen zwölf Apostel
Für 'ne Räuberbande hält.

10. Und im Heizraum bei einer Hitze
Von fast über fünfzig Grad
Muß der Stoker feste schwitzen
Und im Luftschacht sitzt der Maat.

11. Und der Koch in der Kombüse,
Diese vollgefressene Sau,
Mit de Beene ins Gemüse,
Mit de Arme im Kakau.

12. Und der Koch in der Kombüse,
Diese zentnerschwere Sau,
Kocht uns alle Tage Pampe,
Uschi, Uschi mit Wauwau.

13. Mit der Fleischbank schwer beladen
Schwankt der Seemann über Deck;
Doch das Fleisch ist voller Maden,
Läuft ihm schon von selber weg.

14. Und die silberweißen Möwen,
Die erfüllen ihren Zweck
Und sie scheißen, scheißen, scheißen
Auf das frischgewaschne Deck.

15. In der Heimat angekommen,
Fängt ein neues Leben an,
Eine Frau wird sich genommen,
Kinder bringt der Weihnachtsmann.

Die Melodie stammt von einem alten Seemannslied, entstanden vermutlich um die Jahrhundertwende 1900, das auch die Grundlage für den Text bildet. Auf Grund der eingängigen Melodie fügten Seeleute und andere Texter, die am Lied Gefallen gefunden hatten, immer wieder neue Strophen hinzu. Die meisten Liederbücher enthalten eine Fassung mit vier Strophen (s. www.lieder-archiv.de); hier sollen die 14-strophige Version und zusätzlich eine Ergänzungsstrophe dargestellt werden.

Interpretation

Die Eingangsstrophe zeigt, dass eine derartige Seefahrt nicht für jeden Reisenden angenehm ist. Der erste Vers beginnt mit denselben Worten wie die 4-strophige Fassung, aber dann heißt es ganz realistisch, wie der Verfasser es einige Male auf Fahrten nach Helgoland erlebt hat:

1. Eine Seefahrt , die ist lustig,
eine Seefahrt , die ist schön,
ja, da kann man manche Leute
an der Reling spucken seh’n.

Hol-la-hi, hol-la-ho
Hol-la-hi-a hi-a hi-a, hol-la-ho.

[Der Refrain wird bei den nächsten Strophen weggelassen.]

In den folgenden Strophen werden die Mitglieder der Schiffsbesatzung beschrieben, und zwar aus Sicht der Crew.

Zunächst der Käpitän:

2. Unser Kapitän, der Dicke,
Kaum drei Käse ist er groß,
auf der Brücke eine Schnauze,
Wie ’ne Ankerklüse groß.

Dass auf der Brücke der Käpitän, so klein er körperlich auch sein mag, das Sagen hat, ist selbstverständlich. Hier wird der Käpt’n scherzhaft beschrieben, mit einer ‚Schnauze so groß „wie ’ne Ankerklüse“‘ (Eine Klüse ist eine verstärkte Öffnung in der Bordwand , durch die die Ankerkette, Leinen und Trossen durchgeführt werden). Auch die dritte Strophe beschreibt den Käpt’n ganz anders als in der 4-strophigen Version: Von Rum ist keine Rede, aber von Whiskey und Köm (Kümmelschnaps):

3. In der Rechten einen Whiskey,
In der Linken einen Köm,
Und die spiegelblanke Glatze,
Das ist unser Kapitän.

Nicht ganz der Hierarchie an Bord entsprechend werden hier dem Maschinisten gleich zwei Strophen gewidmet. Immer beschäftigt, hat er in der einen Hand die Ölkanne, in der anderen einen Putzlumpen zum Aufsaugen und Eindämmen von Leckagen bei Maschinen, den „Twist“.

4. In der einen Hand die Kanne,
In der andern Hand den Twist,
Und dazu die große Schnauze,
Fertig ist der Maschinist.

In der nächsten Strophe ist der Maschinist ein Chinese, der es sogar zum ersten Verantwortlichen für die Bedienung und Wartung des Schiffsmotors gebracht hat. So wie noch heute für viele sog. niedrige Arbeiten an Bord Thais oder Malaien angeheuert werden, waren es zur Zeit der Dampfschifffahrt häufig Chinesen (vgl. auch den Bau der Pacific-Eisenbahn in den USA mit den Erd- und Gleisarbeitern). Immerhin wird auch noch kurz der erste Offizier erwähnt, dem man spaßeshalber andichtet, dass er Unterwäsche aus Papier trägt.

5. Und der erste Maschinist,
Ist Chinese, und kein Christ,
und der erste Offizier,
Der trägt Wäsche aus Papier.

Auf den Schiffen wurde großer Wert auf Reinlichkeit gelegt, verständlich wenn man bedenkt, wie eng es in der häufig im Innern des Schiffes (was bedeutet ohne Luk zur frischen Luft) gelegenen Mannschaftskabine war und wie leicht die Männer bei ihrer schweren Arbeit ins Schwitzen kamen. So ist dann in der nächsten Strophe auch die Rede von einem Seemann, der vom Bootsmannsmaat (vergleichbar mit einem Unteroffizier des Heeres oder der Luftwaffe) rau angefahren wird:

6. Und man hat sich dann gewaschen
Und man denkt, nun bist du rein;
Kommt so’n Bootsmannsmaat der Wache:
„Wasch dich noch einmal du Schwein!“

Eine der körperlich am anstrengendsten und unangenehmsten Arbeiten war zur Zeit der Dampfschifffahrt das Heizen des Kessels, mit dessen Dampf die Motoren angetrieben wurden. Daher verwundert es nicht, dass der der „Stoker“, ein Gehilfe des Heizers, gleich mit vier Strophen besungen wird. Herumsitzen, Herumstehen, geschweige denn Schlafen außerhalb der Schlafenszeit war an Bord streng verpönt. Und obwohl sich der Stoker schon zwischen den Kohlen versteckt hat, hat ihn doch der Obermaat (Bootsmannanwärter) entdeckt:

7. In des Bunkers tiefsten Gründen,
Zwischen Kohlen ganz versteckt,
Pennt der allerfaulste Stoker,
Bis der Obermaat ihn weckt.

Und schon holt der Heizer sich einen Rüffel, indem er zunächst ironisch als „Herzensjunge“, dann aber drastisch als „Schwein“ tituliert wird. Zusätzlich wird ihm der Vorwurf gemacht, dass er nicht mal die Kohlen trimmen kann. Das Trimmen der Kohle war wichtig für die Sicherheit des Schiffes. Trimmen bedeutete, von den Kohlehaufen die Kohle so abzuschaufeln, dass weder lawinenartig große Kohlenmengen von der Spitze herabrutschen konnten noch durch ein Verrutschen der Kohleladung insgesamt es zu einer Schieflage des Schiffes kommen durfte.

8. „Komm mal rauf, mein Herzensjunge,
Komm mal rauf, du altes Schwein,
Nicht mal Kohlen kannst du trimmen
Und ein Heizer willst du sein?“

Einen vor den Dassel kriegen, heißt laut Duden eigentlich einen schweren Schicksalsschlag erleiden. Hier bedeutet es, einen Hieb auf den  Kopf kriegen.

9. Und er haut ihm vor’n Dassel,
Daß er in die Kohlen fällt
Und die heilgen zwölf Apostel
Für ’ne Räuberbande hält.

Die 10. Strophe erkennt an, welch schwierige, schweißtreibende Arbeit so ein Heizer zu verrichten hatte. Und von dem bisschen Luft, das normalerweise durch den Luftschacht in den Heizraum kommt, ist er auch noch abgeschnitten, weil im Luftschacht (wahrscheinlich aus Schikane) der Maat sitzt.

10. Und im Heizraum bei einer Hitze
Von fast über fünfzig Grad
Muß der Stoker feste schwitzen
Und im Luftschacht sitzt der Maat.

Ein grundsätzliches Problem an Bord war angesichts der wochenlangen Fahrten nach Übersee die Verpflegung. Zum Vitaminmangel, der in früheren Zeiten zum Skorbut führte, kam noch, dass häufig die Verpflegung knapp wurde. Manche Köche versuchten, dann mit Mehlspeisen und oder „Wassersuppe“ der Crew wenigstens etwas Warmes zu bieten, aber man kann sich vorstellen, dass die Unzufriedenheit, je länger die Fahrt dauerte, zunahm, zumal Koch und Offiziere fast immer die wohlschmeckenden Mahlzeiten erhielten. Und so macht sich die Mannschaft Luft und nennt den Koch eine „vollgefressene Sau“ (weil man die strengen Sanktionen kannte, wurden die Offiziere nicht angegangen) und dichtet noch Einiges an, auch, dass er Uschi, den Bordhund, zur Essenszubereitung verwendet hat.

11. Und der Koch in der Kombüse,
Diese vollgefressene Sau,
Mit de Beene ins Gemüse,
Mit de Arme im Kakau.

12. Und der Koch in der Kombüse,
Diese zentnerschwere Sau,
Kocht uns alle Tage Pampe,
Uschi, Uschi mit Wauwau.

Aber nicht immer wurde das Fleisch erst während der langen Reise schlecht. Manchmal war es bereits „voller Maden“, bevor es an Bord kam. Auch an der Verpflegung wurde gespart.

13. Mit der Fleischbank schwer beladen
Schwankt der Seemann über Deck;
Doch das Fleisch ist voller Maden,
Läuft ihm schon von selber weg.

Die 14. und 15. Strophe passen m. E. nicht zur Beschreibung von Kapitän und Mannschaft. Warum die Möwen ihren Zweck erfüllen, wenn sie auf das frischgewaschenen Deck „scheissen“, erschließt sich mir nicht.

14. Und die silberweißen Möwen,
Die erfüllen ihren Zweck
Und sie scheissen, scheissen, scheissen
Auf das frischgewaschne Deck.

Und in der 15. Strophe hat sich eine Landratte in Person eines Schlagertexters in die Sehnsucht eines jungen Seebären eingefühlt, der ohne eine Braut zu haben jahrelang zur See gefahren ist. Auf diese Weise hat er dem doch manchmal recht harschen Text einen versöhnlichen Abschluss gegeben.

15. In der Heimat angekommen,
Fängt ein neues Leben an,
Eine Frau wird sich genommen,
Kinder bringt der Weihnachtsmann.

Rezeption

Obwohl das Lied eifrig gesungen wurde und von Seeleuten und anderen Verfassern immer neue Texte hinzugefügt wurden, erschien es erst 1934 in dem Liederbuch Der Kilometerstein – Klotzlieder mit neun Strophen; die 5. Auflage 1937 enthielt dann t 14 Strophen, die in hoher Auflage erschienene Feldpostausgabe wies ebenfalls 14 Strophen auf.

Bereits 1934/35 sang die jugendliche Isa Vermehren, begleitet von ihrem Schifferklavier (Akkordeon) Seemannslieder in dem von Werner Finck geleiteten Berliner Kabarett „Die Katakombe“. Ihren größten Erfolg hatte sie mit ihrer parodistischen Version von Eine Seefahrt, die ist lustig, indem sie indirekt Nazi-Größen karikierte. Ihren Vers

Unser Erster auf der Brücke
ist ein Kerl Dreikäsehoch,
aber eine Schnauze hat er,
wie ’ne Ankerklüse hoch

verstand das Publikum als Anspielung auf den Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. 1935 wurde „Die Katakombe“ auf Betreiben von Goebbels von der Geheimen Staatspolizei geschlossen. Finck kam in ein Konzentrationslager, wurde aber auf Veranlassung von Göring, der damit Goebbels treffen wollte, nach kurzer Zeit wieder entlassen. Die von Telefunken verlegte Schallplatte Eine Seefahrt, die ist lustig mit Isa Vermehren wurde ein Kassenschlager. Vermehren wurde Schauspielerin und später Nonne. Auf Grund der Beliebtheit des Liedes diente Eine Seefahrt, die ist lustig auch als Titel eines 1955 produzierten Films mit Ida Wüst und Fritz Henckels. Mit dem Inhalt der Strophen hat der Film nichts zu tun; den Produzenten ging es wohl nur um einen zugkräftigen Titel.

Eine andere antifaschistische Parodie würde 1941 von der Hamburger Swing-Jugend gesunden (Quelle: Historische Lieder aus acht Jahrhunderten, Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg, 1989):

Eine Seefahrt, die ist lustig
Eine Seefahrt, die ist schön
Und fährst du mit KDF1
Kannst du die Nazis kotzen sehn.

Und der Kaptain an der Reling
Sieht ein Boot und denkt: So’n Mist
Muß ich nun etwa Sieg Heil schrein
Weil der Butt ein Heilbutt ist?

Und der Koch in der Kombüse
Diese dicke fette Sau
Zieht den Göring2 durchs Gemüse
Und den Ley3 durch den Kakao.

Und der Moses hoch im Mastkorb
Pfeift den allerletzten Hot
Und dann schwingt er seinen Lümmel
Und er schifft auf die HJ.

Und wenn dann die „Wilhelm Gustloff“4
Durch die Nordseewellen stampft
wird an Bord so viel gelogen
Daß die braune Kacke dampft.

Eine Seefahrt, die ist lustig
Eine Seefahrt, die ist nett
Und wer heut dies Lied gesungen
Der sitzt morgen im KZ.

Doch die braune Mörderbande
Einmal wird sie untergehn
Und dann singen die Matrosen
Nun ist Seefahrt wirklich schön.

1. Kraft durch Freude, (KdF), war die NS-Gemeinschaft für Freizeitgestaltung, größter Reiseveranstalter, vorwoegend Land ausflüge und Seereisen

2. Hermann Göring war Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe

3. Robert Ley war Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF)

4. eines der vier KdF-eignen Schiffe

Bei den Naziorganisationen war das Schifferlied nicht besonders populär. Von der fränkischen und württembergischen Hitlerjugend abgesehen erschien Eine Seefahrt in keinem Nazi-Liederbuch. Auch von Nicht-Nazi-Verlagen wurde es nur selten verlegt.

In Österreich dagegen wurde die 1944 herausgegebene Liedersammlung Lach’n oder rer’n recht bekannt (rer’n von rean = weinen).

Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es bis 1949, bis als Taschenbuch Die Drehorgel – Ein Liederbuch für fröhliche Kreise herauskam; danach brachten kleinere und größere Verlage Liedersammlungen mit dem Lied heraus. Von denen mit höheren Auflagen sollen hier nur das Taschenbuch des Franz Schneider Verlags Spaß- und Quatschlieder (1981) und Deutscher Liederschatz“ (1988) des Weltbild Verlags erwähnt werden.

Bemerkenswert ist die Anzahl der Partituren für Männer- (vorwiegend Shantychöre) und Kinderchöre, für Klavier und speziell für Akkordeon, wie sie Online-Archive und vor allem das Deutsche Musikarchiv Leipzig (DMA) ausweisen. Mit knapp 50 Tonträgern steht Eine Seefahrt, die ist lustig von den im DMA-Katalog aufgeführten Scherzliedern nach Auf der schwäbschen Eisebahne und Mein Hut, der hat drei Ecken in seiner Beliebtheit auf dem dritten Rang.

Georg Nagel, Hamburg

Wer keine Krone mehr hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Zu „Wem hamse de Krone jeklaut?“

Im Video gesungen von Liederjan.

Anonym

Wem hamse de Krone jeklaut?

Wem hamse de Krone jeklaut?
Wem hamse de Krone jeklaut?
Dem Wilhelm, dem Doofen
Dem Oberjanoven
Dem hamse de Krone jeklaut!
Ja, ja
Dem Wilhelm, dem Doofen
Dem Oberjanoven
Dem hamse de Krone jeklaut!

Wer hat ihm die Krone jeklaut?
Wer hat ihm die Krone jeklaut?
Der Ebert, der Helle
Der Sattlerjeselle
Der hat ihm die Krone jeklaut!
Ja, ja
Der Ebert, der Helle
Der Sattlerjeselle
Der hat ihm die Krone jeklaut!

Was macht denn jetzt Wilhelm und Sohn?
Was macht denn jetzt Wilhelm und Sohn?
Der Wilhelm und Sohn
Die jehn jetz als Clown
Weil se nischt mehr verdien' uff'm Thron!
Ja, ja 
Der Wilhelm und Sohn
Die jehn jetz als Clown
Weil se nischt mehr verdien' uff'm Thron!

Wem hamse de Krone jeklaut?
Wem hamse de Krone jeklaut?
Dem Wilhelm, dem Doofen
Dem Oberjanoven
Dem hamse de Krone jeklaut!
Ja, ja
Dem Wilhelm, dem Doofen
Dem Oberjanoven
Dem hamse de Krone jeklaut!

Nachdem am 9. November 1918 Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) von seinem Amt als Staatsoberhaupt zurücktreten musste, entstand noch im gleichen Monat das Spottlied Wem hamse de Krone jeklaut. Von wem der Text stammt, ist unbekannt; die Melodie ist die eines Egerländer Bauernwalzers. Ob Wilhelm II. das Spottlied gehört hat, ist nicht überliefert. Sein Großvater, Kaiser Wilhelm I. (1781-1888), dagegen wurde, besonders am seinem Geburtstag mit dem Kinderlied Der Kaiser ist ein lieber Mann geehrt (vgl. Eckard John im Historisch-kritischen Liederlexikon):

Der Kaiser ist ein lieber Mann und wohnet in Berlin,
und wär es nicht so weit von hier, so lief ich heut noch hin
und was ich bei dem Kaiser wollt, ich reicht ihm meine Hand
und reicht die schönsten Blumen ihm, die ich im Garten fand
und sagte dann: „Aus treuer Lieb bring ich die Blumen dir“,
und dann lief ich geschwind hinfort und wär bald wieder hier.

Auch das Lied Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wieder haben bezog sich nicht auf Wilhelm II., sondern auf seinen allgemein beliebten Großvater. Um erst gar keine Verwechslung aufkommen zu lassen, heißt es in diesem Lied dann auch „aber den mit’m Bart, aber den mit’m Bart“. Es entstand 1900, nachdem ein Strafexpeditionkorps unter deutschem Oberbefehl den Aufstand in China blutig niedergeschlagen hatte – ganz im Sinne der Aufforderung von Kaiser Wilhelm II.: „Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, ist Euch verfallen!“ (sog. Hunnenrede, Tonaufnahme hier) .

In unserem Lied wird die einleitende Frage „Wem hamse de Krone jeklaut“ gleich beantwortet: „dem Wilhelm, dem Doofen“. Zur Erinnerung: Nachdem Österreich-Ungarn und das hochgerüstete Deutschland das Attentat von Sarajewo (Erschießung des Erzherzogs Franz Ferdinand und dessen Frau am 28. Juni 1914) zum Anlass genommen hatten, den später als Ersten Weltkrieg bezeichneten Krieg zu beginnen, hatte man das Volk auf einen kurzen siegreichen Krieg eingestimmt und die Soldaten glauben lassen, „Zu Weihnachten werdet ihr wieder zu Hause sein“ (s. auch Interpretation zu Liederjans Ein kleiner Frieden mitten im Krieg). Zwischenzeitlich waren mehr als vier Jahre vergangen, die Soldaten waren kriegsmüde, und der Krieg war verloren. Das Volk fühlte sich von den Versprechungen des Kaisers betrogen, so kam es, dass Wilhelm II. im Lied auch noch als „Oberjanove“ bezeichnet wurde.

Als Folge des sinnlosen Befehls vom 24. Oktober 1918 zum Auslaufen der Flotte gegen Großbritannien meuterten die Matrosen in Kiel, Wilhelmshaven (30. Oktober) und in anderen Nordseehäfen. In der folgenden „Novemberrevolution“ bildeten sich Soldaten- und Arbeiterräte, wurden am 7. und 8. November in München und Braunschweig Republiken ausgerufen und der bayerische König Ludwig III. verzichtete auf seinen Thron. Auch in den übrigen deutschen Staaten dankten in den nächsten Tagen alle Monarchen ab, nur Wilhelm II. weigerte sich, zurückzutreten. Selbst als der Kaiser das Ergebnis einer Befragung von 39 Kommandeuren erfuhr, demzufolge die Frontsoldaten nicht mehr bereit waren, seinen Befehlen zu folgen, zögerte er mit seinem Rücktritt. Als zusätzlich ein Garderegiment den Gehorsam verweigerte, bat ihn die Reichsregierung in einem Telegramm aus Berlin ins belgische Spa, wo sich der Kaiser inzwischen aufhielt, dringend um seine Abdankung. Wilhelm II. zögerte weiterhin und überlegte, bestenfalls als Deutscher Kaiser abzudanken, nicht aber als König von Preußen.

In den Morgenstunden des 9. November 1918 war dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert (1871-1925) bekannt geworden, dass der Marxist und Antimilitarist Karl Liebknecht (1871-1919) an diesem Tag die „freie sozialistische Republik Deutschland“ ausrufen wollte. Weil Ebert eine sozialistische Revolution mit den aus seiner Sicht verbundenen Unruhen fürchtete, schlug er am Mittag dem Kanzler Max von Baden (1867-1921) vor, das Amt des Reichsverwesers zu übernehmen und forderte für sich das Amt des Reichskanzlers. Ein ultimativer Rücktritt Kaiser Wilhelm II. kam für Ebert, der anfangs ohnehin eine konstitutionelle Monarchie favourisierte, zunächst nicht in Betracht.

Als sich in deutschen Städten immer mehr Arbeiter- und Soldatenräte bildeten, handelte Max von Baden in Berlin ohne eine Entscheidung aus Spa abzuwarten und gab am Mittag dieses Tages folgende Erklärung heraus: „Der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Throne zu entsagen. Der Reichskanzler bleibt noch so lange im Amte, bis die mit der Abdankung des Kaisers, dem Thronverzicht des Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen u. der Einsetzung der Regentschaft verbundenen Fragen geregelt sind“. Nach Bekanntwerden dieser Erklärung floh Wilhelm II. aus dem besetzten Belgien ins niederländische Exil. Seine Abdankungsurkunde unterzeichnete er erst am 28. November in Amerongen. Seit 1920 lebte er mit seiner Familie bis zu seinem Tod im Jahr 1941 in Doorn. Mit der Verkündigung der Abdankung erklärte Max von Baden seinen Rücktritt als Reichskanzler und die Übergabe der Geschäfte an Friedrich Ebert.

Inzwischen hatte auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann von dem geplanten Ausrufen der sozialistischen Republik durch Liebknecht erfahren. Um den später sich Spartakisten nennenden Revolutionären zuvorzukommen, rief er kurzentschlossen – gegen den Willen Eberts – vor einer demonstrierenden Menschenmenge von einem Balkon des Reichstagsgebäudes die Republik aus und erklärte das Ende des Kaiserreichs mit den Worten:

Arbeiter und Soldaten! Der Kaiser hat abgedankt. Er und seine Freunde sind verschwunden, über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt. Prinz Max von Baden hat sein Reichskanzleramt dem Abgeordneten Ebert übergeben. Unser Freund wird eine Arbeiterregierung bilden, der alle sozialistischen Parteien angehören werden. Die neue Regierung darf nicht gestört werden in ihrer Arbeit für den Frieden und der Sorge um Arbeit und Brot…

Arbeiter und Soldaten, seid euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewusst: Unerhörtes ist geschehen. Große und unübersehbare Arbeit steht uns bevor. Alles für das Volk, alles durch das Volk! Nichts darf geschehen, was der Arbeiterbewegung zur Unehre gereicht. Seid einig, treu und pflichtbewusst! Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik!

Ebert soll entsetzt gewesen sein und erregt Scheidemann zugerufen haben: „Du hast kein Recht, die Republik auszurufen! Was aus Deutschland wird, ob Republik oder was sonst, entscheidet eine Konstituante“ (Landeszentrale politische Bildung Baden-Württemberg).

Mit einer Frage beginnt auch die zweite Strophe: „Wer hat ihm de Krone jeklaut?“ Und sie gibt auch gleich die Antwort: „Der Ebert, der Helle, / der Sattlerjeselle, / der hat ihm de Krone jeklaut“. Dieser Irrtum erscheint verständlich. Ebert war seit 1913 als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei bekannter als Scheidemann und zudem hatte er nach der Novemberrevolution die Regierung gebildet noch bevor er am 11. Februar 1919 von der in Weimar tagenden Nationalversammlung zum Reichspräsidenten gewählt wurde.

Nachdem (endlich) Wilhelm II. auch tatsächlich abgedankt hatte, macht man sich in der dritten Strophe Gedanken darüber, wovon die kaiserliche Familie in Holland lebe. Die Antwort lautet „Wilhelm und Sohn [Kronprinz Wilhelm Friedrich], / die gehen jetzt als Clown [berlinerisch gesprochen]“. Im ebenfalls 1918/1819 entstandenen Spottlied O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Kaiser hat in’n Sack gehaun glaubt man, „Auguste [die ehemalige Kaiserin], die muss hamstern gehn / und Wilhelm muß die Orgel drehn“ (vgl. die zahlreichen Varianten in Der große Steinitz. Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, 1979, S. 576 f.). In Wirklichkeit ließ Wilhelm es sich mit seiner großen Familie erst auf Schloss Amerongen und ab 1920 im von ihm gekauften und nach Renovierung bezogenen Schloss Huis Doorn gut gehen. „Das nötige Kleingeld […] kam aus Deutschland. Die demokratische Republik hatte das ursprünglich beschlagnahmte Vermögen des Ex-Monarchen teilweise freigegeben“ (Marc von Lüpke-Schwarz: Wilhelm II im Exil. In: dw.com). „Ein neues Torgebäude entstand. Auch der Wirtschaftstrakt wurde erweitert, um den Inhalt von insgesamt 59 Güterwaggons mit Möbeln, Kunstwerken, Kleidern und Waffen aufzunehmen, die die deutsche Regierung dem ehemaligen Staatsoberhaupt bewilligt hatte“ (Berthold Seewald: Kaiser Wilhelms Exil-Sitz soll geschlossen werden. In: welt.de). Wilhelm II. hatte es nun wirklich nicht nötig, für den Unterhalt zu arbeiten. Das häufig auf Fotos gezeigte Holzhacken im angrenzenden Wald diente nur der körperlichen Ertüchtigung des ehemaligen Kaisers.

Im Vergleich zu dem relativ harmlosen Wem hamse de Krone jeklaut, musste das abgedankte österreichische Kaiserpaar Karl und Zita von Habsburg-Lothringen ganz andere Spottgstanzln erdulden. Ein Text lautete: „Was macht denn da Karl in da Schweiz? / De Zita, de Hur / führt er an da Schnur / und er is da Peitscherlbua“.

Rezeption

Wem hamse de Krone jeklaut hat trotz seiner damaligen Popularität jahrzehntelang keinen Eingang in ein Liederbuch gefunden. Erst 1978 nahm die Folkgruppe Zupfgeigenhansel das Lied in ihre Sammlung Es wollt ein Bauer früh aufstehn – 222 Volkslieder auf.

Im selben Jahr erschien auch die LP Mädchen, Meister, Mönche der Gruppe Liederjan mit dem Lied, 1979 folgte die LP Liederbuch Liederjan. Zusätzlich zu diesen Veröffentlichungen ist im Deutschen Musikarchiv Leipzig, an das Musikverleger und Tonträgerhersteller zwei Pflichtexemplare jeder ihrer Veröffentlichungen zur Archivierung und Nutzung zu überlassen haben, nur noch die 1988 in Berlin Ost herausgegebene LP Berliner Lieder von damals und heute vorhanden.

Die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg weist 1989 das Lied unter der Rubrik „Das wilhelminische Reich“ in ihrer Sammlung Historische Lieder aus acht Jahrhunderten aus.

Während der bedeutende Liedforscher Wolfgang Steinitz das Spottlied O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Kaiser hat in’n Sack gehaun in sein Standardwerk Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten aufgenommen hat, fehlt – für mich erstaunlicherweise  – auch dort Wem hamse de Krone jeklaut.

Georg Nagel, Hamburg

Weicher Kern, harte Schale, Teil III. Augenzwinkernde Kritik am Zustand der Welt in „Zu wahr um schön zu sein“ von Sondaschule

Sondaschule

Zu wahr um schön zu sein

Wieder geht ein Tag zu Ende
Wieder mal ein Attentat
In China bluten Kinderhände
Im Irak ein neues Massengrab
Mieses Wetter, schlechte Zeiten
Ständig böse Neuigkeiten
Ein fernes Land wird überschwemmt
Das Meer verseucht, der Dschungel brennt

Auch wenn dir nichts passieren kann
Denke doch immer stets daran

Diese Welt ist echt gefährlich
Nirgends kannst du sicher sein
Also schließ dich besser ein
Denn jetzt sein wir doch mal ehrlich
Viel zu vieles auf der Welt
Ist viel zu wahr um schön zu sein

Wieder mal wird hier geschossen
Da verschwinden kleine Mädchen
Ein Land regiert von Drogenbossen
Die Polizei hält Mittagsschläfchen
Dicke Frau springt aus dem Fenster
Und landet auf erstaunten Rentnern
Im Kinderheim tickt eine Bombe
Dein Eckzahn braucht ne neue Plombe

Überall finstere Gesellen
Also trag besser einen Helm

Diese Welt ist echt gefährlich [...]

Dreckig und gemein

Diese Welt ist echt gefährlich [...]

Ja, die Welt ist echt gefährlich [...]

     [Sondaschule: Lost Tapes Volume 1. 2015.]

Was wollt ihr denn?

Gelegentlich gibt es Liedtexte, die in ihrer Formulierung so ambivalent sind, dass mehrere, diametral entgegengesetzte Interpretationen möglich sind. Ein solcher Fall ist das hier vorgestellte Lied der Ska-Punk-Band Sondaschule. Es kann sowohl als Aufruf zum Aktionismus verstanden werden als auch als Kritik an Weltenverbesserern.

Lesart 1: Etwas zu verändern lohnt sich…

Die Sprechinstanz im Lied beschreibt eine Welt voller Kummer und Leid. Von Attentaten über Kinderarbeit bis hin zu Naturkatastrophen wird dabei in den Strophen eine Vielzahl an Missständen thematisiert und kritisiert. Die geographische Spannbreite reicht dabei von Irak nach China und vom Dschungel bis zum Meer. Eine recht düstere Darstellung der Welt. In der hier zunächst präsentierten Lesart werden diese echten Probleme humoristisch gebrochen („Dicke Frau springt aus dem Fenster / Und landet auf erstaunten Rentnern […] Dein Eckzahn braucht ne neue Plombe“) um dadurch zu unterstreichen, dass es in einem ‚westlichen Land‘ nur kleine Problemchen gibt, die im Vergleich mit echten Problemen andernorts geradezu lächerlich sind. Verstärkt wird dies noch durch den Einschub eines echten Problemes („Im Kinderheim tickt eine Bombe“) zwischen der dicken Dame, die aus dem Fenster springt und den Zahnschmerzen. Diese ‚first world problems‘ wirken deshalb in der Aufzählung bewusst völlig deplatziert. In diesem Sinne ist auch die Feststellung, dass dem Zuhörer ’nichts passieren kann‘ als das Attestieren eines hohen Lebensstandards zu verstehen.

Im Refrain wird dann eine mögliche Lösung für die Übel dieser Welt geliefert: den Kopf in den Sand zu stecken. Man solle sich am besten einschließen, weil aufgrund der in den Strophen thematisierten Missstände die Welt zu „gefährlich“ und hässlich sei, eben „zu wahr um schön zu sein“. Sondaschule wenden damit die titelgebende Zeile, wie dies in den meisten hier besprochenen Texten der Fall ist, auf die Welt als Ganzes an. Doch der Refrain stellt eine Karikatur dieser Lösung dar, denn er macht sich über die Leute lustig, die vor „finsteren Gesellen“ fliehen und sich mit einem Helm in ihrem Bunker einschließen. Außerdem kann man ohnehin „nirgends sicher sein“ und somit ist auch die Flucht vor der gefährlichen Welt letzten Endes sinnlos.

In dieser ersten Lesart wird somit implizit dazu aufgerufen etwas an den Problemen dieser Welt zu ändern. Tatsächliche Probleme (die Plombe ist schließlich lächerlich verglichen mit den anderen aufgelisteten Missständen) gibt es in dieser Welt zu genüge und sich zu verstecken nützt ohnehin nichts, weswegen man sie auch direkt adressieren kann. Der verschanzte Mensch, der sich vor der Welt fürchtet, ist geradezu lächerlich und sollte lieber etwas an der Welt verändern. Oder?

Lesart 2:… vielleicht aber auch nicht  

Eine völlig entgegengesetzte Lesart ist aber ebenfalls möglich. Durch die Inklusion der komischen Pseudo-Probleme („mieses Wetter“, „Dicke Frau springt aus dem Fenster / Und landet auf erstaunten Rentnern […] Dein Eckzahn braucht ne neue Plombe“) wird nicht etwa wie in der obigen Interpretation die Lächerlichkeit westlicher Probleme vorgeführt, sondern vielmehr wird der ganze Katalog der Missstände ins Lächerliche gezogen. Sprachlich werden dabei ernsthafte Probleme verniedlicht, die Nachlässigkeit der Polizei kommt beispielsweise daher, dass diese ein „Mittagsschläfchen“ hält. Ein putziges Bild der Ordnungshüter beim Nickerchen. Probleme, so diese Lesart, gibt es so viele, dass es sich ohnehin nicht lohnt ihnen ernsthaft zu begegnen. Zu versuchen, eine Massenerschießung im Irak zu verhindern, ist genauso lächerlich wie zu versuchen, das Wetter zu ändern.

Doch sogar wenn man die Probleme ernst nähme, wäre dies noch lange keine Lösung. Die Missstände sind so zahlreich, dass es völlig unmöglich wäre, diese zu ändern, besonders als einzelne Person. Die Probleme dieser Welt sind so vielschichtig, dass man darüber nur noch lachen kann: Naturkatastrophen, Umweltverschmutzung, Krieg, Drogen, Entführungen, Bomben… und dann tun auch noch die Zähne weh. Ehrlich gesagt ist die Welt eben gefährlich und „zu wahr um schön zu sein“. Widerstand zwecklos.

Im Refrain wird dann dazu geraten, sich abzuschotten, damit die Welt ganz ohne das eigene Mitwirken vor sich hin siechen kann. Wenn man sich dazu dann metaphorisch einschließen und einen Helm tragen muss, dann ist das durchaus gerechtfertigt. In der Welt voller Übel könnte ja sonst was passieren. Wer weiß, vielleicht regnet es ja Steine vom Himmel? Da wäre so ein Helm dann durchaus geschickt. Dass auch in dieser Lesart die Empfehlung, einen Helm zu tragen, die Komik verstärken soll, ist natürlich klar, aber versteht man den Rückzug bei der überwältigenden Anzahl an Problemen als eine tatsächlich vorgeschlagene Lösung, ist er eine Metapher für den Schutz vor der Außenwelt. Doch vielleicht ist die Isolation auch gar nicht so unbequem, wie der Ausruf „Dreckig und gemein“ ausdrückt.

Warum lässt der Liedtext derart entgegengesetzte Interpretationen zu? Im besten Fall soll er so zum Nachdenken anregen, im schlechtesten ist er nicht vollständig durchdacht. Denn beide Interpretationen haben natürlich auch ihre Probleme: In der ersten Lesart scheint es nicht schlüssig, ernste Probleme zu verniedlichen („Polizei hält Mittagsschläfchen“), und auch die musikalische Untermalung mit einem flotten, poppigen Sound wirkt für ein Lied, das auf tatsächliche Missstände aufmerksam machen will, nicht stimmig. In der zweiten Lesart ist unklar, warum, wenn eine Abkehr von der Welt tatsächlich empfohlen wird, diese durch den Verweis auf den Helm lächerlich gemacht wird; und kann es tatsächlich sein, dass man erst einen Katalog an Problemen besingt, nur um diese dann zu ignorieren? Im Text wird somit nicht immer klar, wann Ironie angewandt wird und wann Probleme ernsthaft thematisiert werden sollen. Zumindest mich lässt der Text deshalb auch etwas verwirrt zurück. Aber das tut die Weltlage ja zuweilen auch.

Martin Christ, Oxford