Der große Kehraus: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“ von Jupp Schmitz

Jupp Schmitz

Am Aschermittwoch ist alles vorbei

Trinke die Freude, denn heute ist heut’,
das, was erfreut hat noch nie gereut.
Fülle mit Leichtsinn dir den Pokal:
Karneval! Karneval!
Hast du zum Küssen Gelegenheit,
Mensch, dann geh’ ran mit Verwegenheit.
Sag’ niemals „Nein“, wenn das Glück dir winkt,
bald das Finale erklingt:

Am Aschermittwoch ist alles vorbei.
Die Schwüre von Treue - sie brechen entzwei,
Von all deinen Küssen darf ich nichts mehr wissen.
Wie schön es auch sei, dann ist alles vorbei.
Am Aschermittwoch ist alles vorbei [...]

Adam und Eva im Paradies
fanden verbotene Früchte süß,
und sie probierten auf jeden Fall:
Noch einmal! Noch einmal!
Weil der App’tit kam erst hinterher,
war auf dem Baum bald kein Apfel mehr.
Da Karneval war im Paradies,
flüsterte Eva ganz süß:

Am Aschermittwoch ist alles vorbei [...]
Am Aschermittwoch ist alles vorbei [...]

Töchter der Eva, sie leben heut’
auch noch bei uns, wie in alter Zeit,
jede tanzt gern aus der Reihe mal:
Karneval! Karneval!
Hält sie die Lippen das ganze Jahr
immer zum Kuss nur dem einen dar,
heut’ küsst sie lachend auch dich, denn schau,
sie weiß wie du ganz genau:

Am Aschermittwoch ist alles vorbei [...]
Am Aschermittwoch ist alles vorbei [...]

Schlag Mitternacht zwischen Fastnachtsdienstag und Aschermittwoch endet die sog. fünfte Jahreszeit, die Herrschaft der Narren. Die Lage des Aschermittwochs im Kalenderjahr hängt vom Osterfest ab, das sich wiederum nach dem Frühlingsvollmond richtet. Die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern gilt als Passionszeit und muss Raum für 40 Fastentage bieten, wobei die sechs Sonntage dieser Zeit vom Fasten ausgenommen sind, weil gute Christenmenschen an jedem Sonntag die Auferstehung ihres Herrn feiern wollen. Soviel zu den Grundzügen sakraler Kalenderarithmetik, deren erste Ansätze bis auf das 1. Konzil zu Nicäa im 4. Jahrhundert zurückreichen; auf diverse Raffinessen, die spätere Kirchenreformer nachgeschoben haben, wollen wir hier nicht eingehen, zumal sie vermutlich auch den meisten Jecken egal sind, wenn sie in Köln den Nubbel als Sündenbock für die Ausschweifungen der tollen Tage verbrennen oder in Düsseldorf den Hoppeditz zu Grabe tragen.

Diese Rituale symbolisieren das Ende der närrischen fleischeslustigen Zeit, in der alle möglichen Regeln eines christlich-bürgerlich tugendhaften, aber auch tendenziell freudlosen Alltagslebens außer Kraft gesetzt waren. Nun legt man die ,tollen‘ Masken ab, kehrt mit einem ordentlichen Kater in den Schoß der Kirche, in die Obhut der Obrigkeit zurück und lässt sich (als Katholik) frontal mit einem Aschenkreuz als reuiges Schäflein markieren:

Der Aschermittwoch erhielt seinen Namen, weil Asche der Palmen vom Palmsonntag des vergangenen Jahres am Aschermittwoch geweiht und den Gläubigen vom Priester auf die Stirn oder den Scheitel gestreut werden. Dabei erinnert der Priester die Gläubigen: Gedenke, o Mensch, du bist Staub, und zum Staube kehrest du zurück (Psalm 90, 3). Asche ist Symbol sowohl der Vergänglichkeit wie der Buße und Reue; schon die Menschen im Alten Testament hüllten sich in Sack und Asche (Esther 4, 1), um ihrer Bußgesinnung Ausdruck zu verleihen; Asche wurde als Reinigungsmittel verwendet, daher ist sie das Symbol für die Reinigung der Seele. Ende des 11. Jahrhunderts wurde dieser Brauch durch Papst Urban II. eingeführt.  (www.heiligenlexikon.de)

Theologisch gesehen sagen die Menschen mit dem Aschermittwoch dem ,Reich des Teufels‘ ade und kümmern sich wieder um ihr Seelenheil – ein guter Tag! Auch die Fraktion der Faschingsmuffel fiebert vermutlich diesem Tag entgegen. Für überzeugte Jecken hingegen hängt der Aschermittwoch über der Kampagne wie der Tod über dem Leben; Trost bietet in dieser Situation einzig die Gewissheit, dass sich die Tage nach dem Karneval auch als Tage vor dem Karneval interpretieren und entsprechend nutzen lassen. Soviel zum Rahmen unseres Liedes, das natürlich weder an Bußprediger noch Asketen, sondern an überzeugte Narren gerichtet ist: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei!“ Diese Prognose hat im karnevalistischen Kontext natürlich eine apokalyptische Dimension, wobei der Untergang der närrischen Welt so sicher kommen wird wie das Amen in der Kirche. Da gibt es nicht die Chance, dass der Supermeteorit am Ende doch noch am blauen Planeten vorbeirauschen könnte (bei Gelegenheit muss ich in diesem Blog noch Nestroys bzw. Schuster Knieriems „Kometenlied“ interpretieren – erinnern Sie mich daran!) oder ein grundsätzliches Misstrauen in die Kalenderrechnungen untergegangener Völker, nein der nächste Aschermittwoch wird alle ereilen.

Kulturgeschichtlich belesene Zeitgenossen dürften sich ins Barockzeitalter zurückversetzt sehen und werden sagen: Aha! Das kennen wir, das läuft doch bestimmt auf „Memento mori“, „Vanitas, Vanitatum, et Omnia Vanitas“ und „Carpe diem“ hinaus! Und in der Tat setzt das Lied gleich mit einer schulbuchmäßigen Carpe-diem-Strophe ein, ganz im Sinne des Horaz, dem die abendländische Literatur diesen epikuräischen Topos verdankt: genießen wir doch unsere so knapp bemessene Lebenszeit, solange wir das können. Interessant bei Jupp Schmitz ist natürlich die theologisch ketzerische Identifikation des Karnevals (christlich gesehen wäre das ja doch eine Zeit des verkehrten, sündigen Lebens im Zeichen von Tod und Teufel!) mit einem gesteigerten, fast möchte ich sagen: dem ,wahren‘ Leben schlechthin. Um an diesem Leben teilzuhaben, sind auch moralisch ambivalente Haltungen oder Manöver erlaubt: „geh‘ ran mit Verwegenheit“, „Fülle mit Leichtsinn dir den Pokal“!

Mit der Refrain-Strophe begründet der Sänger seine vorgängige Aufforderung zum karnevalistischen Lebensgenuss. Der Aschermittwoch wird dem fröhlich-leichtsinnigen Treiben den Garaus machen, wobei er speziell die im Karneval geknüpften erotischen Bande brutal zerschneiden wird: „Die Schwüre von Treue – sie brechen entzwei“, die im Karneval getauschten Küsse werden von den Aschenkreuzträgern verleugnet werden. (Inwiefern dies als Triumph christlich-bürgerlicher Moral und Integrität zu betrachten ist, beurteilt man heute vielleicht etwas anders als zu Zeiten der Adenauer-Restauration. So uneingeschränkt der  Sänger in der ersten Strophe mit der karnevalistischen Befreiung des Sexus sympathisierte und die Menschen zur Teilhabe an jenem „Glück“ ermutigte, so eindeutig betont er im Refrain die Unverbindlichkeit jener Bindungen. Mit der Refrainstrophe mutiert der Text zum Warn- bzw. Mahnlied, das die von der sinnlichen Atmosphäre des Karnevals angeregten Menschen davor warnt, in ihre neuen Bekanntschaften ernsthafte Zukunftshoffnungen zu setzen. In gewisser Weise entlastet es damit auch die Jecken, die während des Karnevals mit „Leichtsinn“ und „Verwegenheit“ die „Gelegenheit“ genutzt und ihr „Glück“ ergriffen haben.

 Die Folgestrophen explizieren – auf eine vielleicht etwas überraschende Weise – die  Genderrollen-Zuschreibung des erotischen Geschehens, insofern die Aktivität mit (falschen) Versprechungen, Küssen und Schwüren primär der prototypischen Verführerin Eva und ihren Töchtern angelastet wird. Dass dabei die Logik der Bildlichkeit und der Gedankenführung ordentlich holpert, ist kaum zu überhören. Schon das Bild des Paradieses der zweiten Strophe passt nicht wirklich; zwar lässt sich der Aschermittwoch mit gutem Willen der Vertreibungsszene zuordnen, doch findet sich beim Vergleich keine analoge Vorstellung zum biblischen Sündenfall. Das karnevalistische Ausnahmehandeln der Menschen wird in der ersten Strophe ja ausdrücklich gut geheißen und keineswegs als „Sünde“ betrachtet. Umgekehrt gab es im biblischen Paradies bekanntlich strenge Verbote, deren Bruch völlig humorlos sanktioniert wurde. Im Prinzip benötigt der Liedtext das Paradies-Motiv nur, um die Frauen als „Evas-Töchter“ anzusprechen und das Narrentreiben in einem ziemlich oberflächlichen Sinne als unbeschwert-glücklich einzuordnen.

Ziemlich kompliziert und – bei näherer Betrachtung – auch einigermaßen problematisch ist schließlich der Gedankengang der dritten Strophe, die nach dem Ausflug in altbiblische Zeiten wiederum die zeitgenössische Situation ins Auge fasst. Die karnevalistische Ausnahmezeit konfrontiert (uns Männer, hier nimmt der Text eine klare Genderperspektive ein) mit Frauen, die als ,wahre‘ Evas-Töchter ihre verführerischen Talente praktizieren, obwohl sie im bürgerlichen Leben ansonsten die gebotene Treue wahren. Jetzt kommt es darauf an, dass beide ganz genau um die konstitutionelle Unverbindlichkeit des erotischen Geplänkels im Karneval wissen, um sich böse Enttäuschungen zu ersparen. Damit das nicht vergessen wird, paukt Jupp Schmitz diese Botschaft seinem Publikum gleich noch zweimal ein: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei!“ (Refrain 2x!)

 Gegen den Strich gelesen fällt auf, dass es das Lied ganz im Stil der prüden 50er Jahre nicht ohne Absicherung wagen darf, Frauen pauschal als Verführerinnen zu inszenieren. Es betont sehr deutlich, dass sie außerhalb der närrischen Zeit ihre Lippen (Euphemismus?) durchaus nur für ,den einen‘ reservieren. Weiterhin gibt zu denken, dass – vermutlich entgegen der üblichen Praxis und Folgen-Bewältigung, dafür aber im Einklang mit christlich-mittelalterlichen Gender-Zuschreibungstraditionen – den Frauen die Verführer-, den Männern aber die komplementäre Opferrolle im erotischen Geschehen zugewiesen wird. Und schließlich sei mit besonderem Nachdruck darauf hingewiesen, dass sich hier ein Karnevalslied didaktisch mit dem Thema „Treue im Karneval“ auseinandersetzt, wobei es nachdrücklich davor warnt, karnevalistische Schwüre für bare Münze zu nehmen. Auf mich wirkt dieses Aschermittwochslied wie ein Versuch zur Schadensbegrenzung gegen die hochsentimentale Treue-Hymne Es war einmal ein treuer Husar, die als Volkslied schon für das 18. Jahrhundert belegt ist, dann aber vor allem im Karnevalsgeschehen zum Megahit avancierte und bei vielen naiven Jecken zu entsprechenden Rollenidentifikationen geführt haben mag.

 Jupp Schmitz (1901-1991), mit dessen Interpretation dieses Lied eng verbunden ist, zählt zu den ,Urgesteinen‘ des kölschen Karnevals. Er besaß eine professionelle musikalische Ausbildung und konnte bereits auf eine gestandene Karriere als Pianist, Orchesterleiter, Komponist zurückblicken, als er 1949 zur Karnevalsszene stieß. Mit Wer soll das bezahlen (1949) und Es ist noch Suppe da (1968) gelangen ihm während einer langen erfolgreichen Karriere noch zwei weitere Superhits. Seinem Grabstein auf einem Kölner Friedhof blieb allerdings die Titelzeile unseres Schlagers vorbehalten: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“.

Hans-Peter Ecker, Bamberg