Heimat-, Trink-, Jäger- und Liebeslied. Hermann Löns‘ „Auf der Lüneburger Heide“
18. Mai 2015 Hinterlasse einen Kommentar
Hermann Löns Auf der Lüneburger Heide 1. Auf der Lüneburger Heide, in dem wunderschönen Land, ging ich auf und ging ich nieder, allerlei am Weg ich fand. Valleri, vallera, (juchhe) und juchheirassa und juchheirassa! Bester Schatz, bester Schatz, denn du weißt, du weißt es ja. 2. Brüder, lasst die Gläser klingen, denn der Muskatellerwein wird vom langen Stehen sauer, ausgetrunken muß er sein. Valleri, vallera, (juchhe) und juchheirassa und juchheirassa! Bester Schatz, bester Schatz, denn du weißt, du weißt es ja. 3. Und die Bracken und die bellen, und die Büchse und die knallt, rote Hirsche woll'n wir jagen in dem grünen, grünen Wald. Valleri, vallera, (juchhe) und juchheirassa und juchheirassa! Bester Schatz, bester Schatz, denn du weißt, du weißt es ja. 4. Ei du Hübsche, ei du Feine, ei du Bild wie Milch und Blut, unsre Herzen woll'n wir tauschen, denn du glaubst nicht, wie das tut. Valleri, vallera, (juchhe) und juchheirassa und juchheirassa! Bester Schatz, bester Schatz, denn du weißt, du weißt es ja.
Hermann Löns
Als jugendliche Sänger des wohl bekanntesten aller Heidelieder haben wir uns gefragt, was denn der „beste Schatz“ so wissen mochte. Die manchmal ins (Heide-)Kraut schießenden Fantasien will ich hier den Lesern ersparen. Sicherlich wusste es Hermann Löns (geboren am 26. August 1866), als er das Gedicht schrieb. Ich weiß es bis heute nicht. Anzunehmen ist, dass Löns, wo immer er die Heide bedichtete, voller Liebe zur Naturlandschaft der Heide war, sei es auf seinen Wanderungen „auf der Lüneburger Heide“ oder in Hannover, wo Löns Journalist und später zeitweise Chefredakteur war, oder schon in Walsrode im Wirtshaus seines Onkels. Jahre später (1901) gehörte er zu den zwölf Gründern des Heimatbundes Niedersachsen, 1906 wurde er Leiter der Staatlichen Stelle für Naturpflege in Preußen und 1911 war er Mitbegründer des „Heideschutzparks“ am Wilseder Berg, aus dem dann der Naturpark Lüneburger Heide hervorging, der ältesten Einrichtung dieser Art in Deutschland (ausführliche Löns-Biographie s. u. a. hier). Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sich Löns, 46jährig, an die Front. Er starb bei einem Sturmangriff am 26. September 1914 in der Nähe von Reims.
Entstehung
Doch zurück zum Lied. Der Titel und die beiden ersten Zeilen stammen, wie Löns im Sammelband Mein braunes Buch schreibt, aus einem von ihm während seiner Göttinger Studentenzeit gehörten „frechen Strolchlied“, das ihm „nicht aus dem Kopf will“:
Auf der Lüneburger Heide
ging ich auf und ging ich unter.
Bruder, pump mir deine Kleine,
denn die meine ist nicht munter.
Löns selbst bezeichnete viele seiner Gedichte, die 1911 in Der kleine Rosengarten erschienen, als Lieder. Tatsächlich waren viele seiner „Rosengarten-Reime“ vertont worden – von dem Musikpädagogen Fritz Jöde (der auch den Kanon Abendstille überall komponierte), dem Operettenkomponisten Eduard Künneke u. a. Die heute noch gesungene Melodie unseres Heideliedes wurde 1912 von Ludwig Rahlfs (1863-1950) komponiert, zu jener Zeit Organist in Walsrode, dem Sitz des heutigen Löns Museums. Löns und Rahlfs sind sich dem Vernehmen nach nie begegnet.
Die Mehrheit der im Schendel-Archiv (www.deutscheslied.com) vorhandenen Liederbücher weist 1911 als Entstehungsjahr des Liedes aus. Dagegen kündigt Löns bereits in einem Brief von Mai 1910 an die Balladendichterin Lulu von Strauß und Torney das Erscheinen eines Gedichtbands mit bereits geschriebenen über 100 „Liedern“ an, des späteren Kleinen Rosengartens, in dem auch Auf der Lüneburger Heide enthalten ist.
Interpretation
Schaut man sich die vier Strophen dieses Heidelieds an, stellt man fest, dass drei Liedarten darin enthalten sind. Ein Liebeslied im ersten und letzten Vers, ein Trinklied im 2. und ein Jägerlied im 3. Vers. Es scheint, als hätte Löns dem Motto „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“ gefrönt. Wahrscheinlich sind ihm, als er in der „Lüneburger Heide auf und nieder“ ging, verschiedene Gedanken durch den Kopf gegangen, und er hat seine Liebe zur „wunderschönen“ Heide, zum Wein, zur Jagd, zu Frauen in diesem Lied zusammengefasst.
Was er bei seinen Spaziergängen „allerlei am Weg“ fand, erfahren wir nicht. Vielleicht fand er Tierspuren oder Vogelfedern; eventuell verweist „fand“ auch auf das, was er auf seine Wegen gesehen hat, z.B. Birken oder Birkhähne (vgl. sein Lied Alle Birken grünen in Moor und Heid‘, worin es heißt „jeder Birkhahn kollert und tollt“). Aber Löns ist sich gewiss, sein Schatz, der „weiß es ja“.
In Erinnerung an seine Studentenzeit als Mitglied in Studentenverbindungen in Greifswald und später in Göttingen fordert Löns in der zweiten Strophe seine Trinkkumpanen („Brüder“) auf, anzustoßen und ihre Gläser auszutrinken, weil der Wein sonst vom langen Stehen sauer werden könnte. Die Aussage, dass der Weißwein mit dem Muskatgeschmack („Muskateller“) vom „langen Stehen sauer“ werden kann, ist zwar grundsätzlich richtig, denn dies ist eine bekannte und einfache Methode, Essig herzustellen. Hier jedoch ist hier klar, die Begründung dient eher dem Verlangen, in fröhlicher Runde ordentlich zu picheln. Das erinnert an den in einigen Regionen Norddeutschlands bekannten, vielleicht auf einem Feuerwehrfest entstandenen, Saufspruch: „Hermann Löns, die Heide brennt – Was soll man da machen? – Löschen, löschen, löschen!“. Hermann Löns, die Heide, Heide brennt wird noch heute bei Festivitäten im westlichen Niedersachsen nach dem Refrain der Melodie Yellow Submarine gesungen (s. hier).
Auch in der zweiten Strophe wird nicht gesagt, was der Schatz weiß; eventuell wünscht sich der Sprecher Löns – oder sollte er es sogar wissen? -, dass sein Schatz Verständnis dafür haben soll, dass Löns gern dem Wein zuspricht und, wie man weiß, nicht nur in kleinen Mengen.
Löns Jagdleidenschaft wird in der dritten Strophe deutlich. Er erfreut sich am Bellen der Jagdhunde (Bracken sind Stöber- und Verfolgungshunde, die normalerweise „auf der Spur“ nicht bellen, sondern nur für die nachfolgenden Jäger Laut geben, (vgl. hier) und dem Knallen der Jagdflinten (der „Büchsen“). Er, der gern auch auf Niederwild „ging“, möchte hier „im grünen Wald“ mit seiner Jagdgesellschaft („wir“), vermutlich mit Hilfe von Treibern und den „Bracken“, Rotwild jagen und sogar Hirsche schießen. Auch hier bleibt dem Leser dieser Strophe bzw. dem Hörer des Liedes überlassen, den Sinn des Verses „ Bester Schatz, bester Schatz, denn du weißt, du weißt es ja“ zu ergründen.
In der vierten Strophe macht der Dichter seinem Schatz schöne Worte, umschmeichelt ihn mit „Ei du Hübsche, ei du Feine, ei du Bild wie Milch und Blut“. Vielleicht hat er dabei an seine damalige Ehefrau Elisabeth gedacht, von der allgemein als der „schönen Else“ gesprochen wurde. „Milch und Blut“ als Metapher für ein nicht sonnengebräuntes Gesicht mit roten Wangen und Lippen galten bereits in der höfischen Minnelyrik (beispielsweise bei Walther von der Vogelweide) als Zeichen der weiblichen Schönheit und Gesundheit. Auch der Komponist vieler Volkslieder, Friedrich Silcher, greift 1837 in Rosenstock, Holderblüt eines unbekannten Dichters das Bild auf: „Gsichterl wie Milch und Blut, s Dirndl ist gar so gut“.
Eventuell hat Löns eine andere junge Frau umworben, mit der er die „Herzen tauschen“ möchte. Zusätzlich versucht er, ihr das Angedeutete, das wohl mehr als eine Schmuserei ist, schmackhaft zu machen: „denn du glaubst nicht, wie das tut“; gemeint ist: wie gut das tut. Auch hier heißt es erneut: „Bester Schatz, du weißt es ja“. Der sprachliche Widerspruch zur werbenden Aussage „denn du glaubst nicht, wie das tut“ hebt sich auf, geht man davon aus, dass die junge Frau nicht ganz unerfahren war. Offen bleibt, ob das Bemühen Löns‘ – wie so manches Mal – auch hier erfolgreich war.
Rezeption bis 1945
Besonders nach der Vertonung durch Ludwig Rahlfs und durch die Veröffentlichung im Kleinen Rosengarten wurde die „Regionalhymne der Heide“ weiten Bevölkerungskreisen bekannt. Ab 1914 tauchte das Lied in den Kriegsliederheften und Tat-Feldpostheften des Diederichs Verlags mit Auflagen von bis zu 20.000 auf. Nach dem Soldatentod von Löns im September 1914 an der Westfront stiegen die Auflagen: Der Lieder-Gedichtband erreichte bereits 1917 eine Auflage von 23.000, die 1933 auf 105.000 anstieg.
Während das Lied im Standardwerk der Jugend- und Wandervogelbewegung, dem Zupfgeigenhansl, nicht vertreten war, erlebte es in einem der auflagenstärksten Liederbücher vor 1933, dem Jugend Lieder Buch des Arbeiterjugend-Verlags (500.000) weiterhin eine enorme Verbreitung. Von den anderen Liederbüchern aus dieser Zeit seien nur der Kuriosität halber Das Deutsche Marineliederbuch (1931) und das Liederbuch des Erzgebirgsvereins (1932) angeführt.
Bei den Nationalsozialisten, die Löns seit 1933 aufgrund seiner ihm nachgesagten völkischen Ansätze für ihre Ideologie vereinnahmten, stieg die Popularität des Heidelieds weiterhin an. Mehrere Liederbücher verschiedener NS-Organisationen, vom Reichsarbeitsdienst über die SA bis zur Hitlerjugend, nahmen das Lied ebenso auf wie viele Schulbücher. Bereits 1934 weist das Liederbuch für die Hitlerjugend Uns geht die Sonne nicht unter eine Auflage von 451.000 bis 500.000 aus (Dank an Hubertus Schendel, Archiv www.deutscheslied.com ).
Aber auch Der kleine Rosengarten führte mit einer Auflage von rund 200.000 zwischen 1934 bis 1939 nicht gerade ein Nischendasein; eine zusätzliche Feldpostausgabe erreichte 1943 170.000. Hinzu kamen seit 1939 zahlreiche Liederbücher für Soldaten, z. B. eines aus dem Jahr 1939 mit dem bezeichnenden Titel Morgen marschieren wir. Und dass sich nach dem 4/4 Takt des Liedes gut marschieren ließ, hatten schon 1925 die nationalen jungdeutschen Ordensleute (Liederbuch des jungdeutschen Ordens) festgestellt.
Rezeption nach 1945
Nach 1945 war die Beliebtheit des Heidelieds ungebrochen. Waren es in den ersten Jahren nur wenige Liederbücher – vermutlich wegen der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten -, die das Lied aufnahmen, so wurde das Lied geradezu (west-)deutschlandweit berühmt, nachdem es 1951 in einem der ersten und erfolgreichsten deutschen Heimatfilme, Grün ist die Heide, von Kurt Reimann, Hans Richter und Ludwig Schmitz gesungen wurde. In einem völlig anderen Film, aber mit dem gleichen Titel, sang 1972 Roy Black ebenfalls das Heidelied.
Die Filme trugen dazu bei, dass in vielen Regionen, von Schleswig-Holstein und Niedersachsen, vom Rheinland und Saarland bis hin nach Österreich Unmengen von Liederbüchern mit dem Lied Auf der Lüneburger Heide herauskamen. Abgesehen von zahlreichen allgemeinen Gebrauchsliederbüchern und Schulbüchern wurde das Lied auch von der Turnerjugend, der Jugend des Deutschen Fußballbundes und der Bergsteigerjugend (!), von Wanderern, Pfadfindern und Wandervögeln, in christlichen und parteipolitischen Kreisen (von Falken bis zur FDJ) gesungen.
Erstaunlich ist, dass es keine Aufnahme in der Mundorgel fand, dem Liederbuch mit der höchsten Auflage (bis 2013 Textauflage über 10 Millionen; Text und Noten 4 Millionen). Auch in bedeutenden Liedersammlungen, wie dem zweibändigen Werk mit fast 600 Liedern Deutsche Lieder des Musikwissenschaftlers und Volksliedforschers Hans Klusen oder dem Großen Buch der Volkslieder taucht es nicht auf.
So gern wie „unser“ Heidelied neben Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein, und das heißt Erika (Text und Melodie: Herm Niel) gesungen wurde und wird, so weisen die zahlreichen Veröffentlichungen von Tonträgern im Deutschen Musikarchiv – rund 150 Schallplatten und CDs in den vergangenen 50 Jahren – darauf hin, dass es in allen Bevölkerungskreisen auch immer wieder gern gehört wurde und wird. Zu den bekannten Interpreten gehören Roy Black (dem 1980 die Hermann Löns Medaille verliehen wurde) Heino, Tony Marshall, Vico Torriani, Rudi Schuricke und Willy Schneider sowie die Opernsänger Rudolf Schock und Hermann Prey und viele Chöre wie der Kölner Kinderchor oder der Montanara Chor. Instrumental wurde es häufig intoniert von Musikkorps der Bundeswehr, aber auch von den Orchestern Max Gregor und James Last.
Eine originelle Version, nicht für jeden Geschmack, brachte die slowenische Post-Industrial-Band Laibach 1988 mit einer verfremdeten ersten und dritten Strophe heraus (Ausschnitt hier).
Detlef Kasten, von der Sondersammlung Löns der Stadtbibliothek Hannover verdanke ich den Hinweis auf Band 1 der von Friedrich Castelle (1879–1954) 1923 herausgegebenen acht Bände: Hermann Löns, Sämtliche Werke. Das folgende Gedicht, gereimt wie die Version von Mai 1910, ist zum ersten Mal 1911 im Roman Das zweite Gesicht veröffentlicht worden.
Auf der Lüneburger Heide geht der Wind die kreuz und quer
auf der Lüneburger Heide jag ich hin und jag ich herAn die hundert grüne Jünger werden nicht des Lebens froh
denn Passup so heißt mein Leithund und mein Schweißhund heißt Wahrtoo.Wenn die lauten Hunde jagen, fährt der Fuchs zum Baue ein
und in jedem dritten Dorfe ist ein wacker Mädchen mein.Heute die und morgen jene heut ein Rehbock, dann ein Hirsch
Rosen blühn in jedem Garten überall ist frei die Pirsch.
Georg Nagel, Hamburg