Alternatives Muttertags-Ständchen: Helge Schneiders „Buttersong“ (1993)

Helge Schneider

Buttersong

Hast du eine Mutter, so hast du immer Butter. Mutter ist die beste Frau. 
Und der Schrank ist immer voll Butter. Mutter hat die schönsten Kleider. 
Und der Schrank ist immer voll, voll mit Butter für das Butterbrot. 
Hast du eine Mutter, dann hast du immer lecker Essen zu Hause und auf der Arbeit. 
Hast du eine Mutter, sie schmiert dir ein Brot – besser als wenn du eine 
geschmiert kriegst, denn das tut seeehr weeeh!

Hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter. Mutter ist die beste Frau.
Hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter im Schrank für das Butterbrot.
Sie schmiert es dir, wenn du es verlangst. Sie schmiert es gut mit Wurst
oder Käse, Wurst oder Käse, Teewurst, Leberwurst oder Käse.
Hast du eine Mutter so hast du immer Butter im Schrank, im Schrank, im Schrank.
Babalebumababalebau.

     [Helge Schneider: Es gibt Reis, Baby. EMI 1993]

Der Buttersong (erschienen auf dem Comedy- und Musikalbum Es gibt Reis, Baby, 1993) ist ein Fest für Helge-Fans, für unvorbereitete Hörer ist das Wort ,Herausforderung‘ vermutlich eine dreiste Untertreibung. Der Interpret schafft es dank der ihm eigenen Gesangstechnik, den spröden Prosatext wenigstens halbwegs wie ein Lied klingen zu lassen, das am Ende sogar einen Anflug von jazzigem Drive gewinnt. Meine Interpretation wird sich im Folgenden allerdings vor allem auf den Text konzentrieren.

Die (männliche) Sprecherinstanz macht es sich darin zur Aufgabe, die Mutter zu preisen. Schaut man sich die Formulierungen näher an, gewinnt man den Eindruck, dass es dem Sänger weniger um das Lob der eigenen, vielleicht besonders liebenswürdigen oder aufopferungsvollen Mutter geht, als um die Rühmung der Mutter schlechthin, genau genommen der Mutter als nährender Institution. Wie ein eisernes Naturgesetz paukt er seinen Hörern die Grundregel ein: „Hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter.“ So sehr sich das Reimpaar Mutter/Butter in klanglicher Hinsicht aufdrängen mag, so überraschend-grotesk erscheint – allerdings nur auf den ersten Blick! – die gedankliche Konstruktion, die im ,Song‘ viermal wiederholt und noch weitere zweimal in Varianten angedacht wird. Für die Sprecherinstanz allerdings folgt aus jenem ersten Axiom (,Mutter impliziert Butter‘) sehr schnell eine zweite Gewissheit: „Mutter ist die beste Frau“!

Die nächsten Sätze des Textes überraschen das Publikum immer wieder mit scheinbar unsinnigen, teils weitgehend redundanten Nachträgen, teils völlig aus dem Zusammenhang springenden neuen Feststellungen. Da ist von einem – wohlgemerkt mit Butter! – bestens angefüllten Schrank die Rede, gleich darauf von der schicken mütterlichen Garderobe, dann wieder vom Vorratsschrank und schließlich auch noch von der Verwendung der im Übermaß vorhandenen Butter für leckere Butterbrote zu Hause wie auf der Arbeit. Endlich schließt der erste Absatz mit einem kalauernden Wortspiel um die Doppelbedeutung von ,schmieren‘. Der zweite Absatz fügt dem Bekannten außer einer logisch schrägen Assoziationsreihe möglicher Brotbeläge nicht allzuviel Neues hinzu. Er unterstreicht die mütterliche Bereitschaft, wenn immer es ,verlangt‘ wird, Butterbrote zu schmieren, und betont am Ende durch die dreimalige Wiederholung des Wortes „Schrank“ noch einmal die Fixierung der Sprechinstanz auf die mütterliche Butter-Vorratshaltung. Zwischenfazit: Wenn Helge Schneiders Text mehr als puren Nonsense darstellen sollte, bedarf er offensichtlich einiger unterstützender Erläuterungen.

Ich setze mit meiner Interpretation beim Wortspiel mit der Doppelbedeutung von „schmieren“ in der Mitte des Textes an, weil es mit der Kundgabe einer heftigen emotionalen Regung verbunden wird. Der Sänger lässt uns hier an einer mit Glück und Leid verbundenen Lebenserfahrung partizipieren, die seinem Gedächtnis offenbar tief eingraviert ist: Er hat gelernt, dass es angenehmer ist, von der Mutter ein Brot ,geschmiert‘ zu bekommen, als eine Ohrfeige zu kassieren (dialektal: ,eine geschmiert zu kriegen‘) – denn letzteres „tut seeehr weeeh!“ Ich vermute hier einmal stark, dass der Sprecher besagte Ohrfeige nicht von seiner Mutter, sondern von einer anderen weiblichen Person erhalten hat, der er sich – in welcher Form auch immer – zu nähern suchte. Dass jener Anbandelungsversuch wahrscheinlich nicht besonders geschickt eingefädelt worden war, können wir uns angesichts der intensiven Mutterbindung dieses Helden leicht vorstellen. Obwohl er kein Kind mehr sein kann, denn Mutter gibt ihm ihre fantastischen Butterbrote ja auch auf die Arbeit mit, lebt er noch im ,Hotel Mama‘ und ist selbst gedanklich kaum in der Lage, einen kindlichen Radius zu überschreiten, geschweige denn ein erotisches Begehren zu kommunizieren. Immerhin signalisiert der vierte Satz, der die „schönsten Kleider“ der Mutter erwähnt, eine gewisse sexuelle Affizierbarkeit, um das Wort ,Reife‘ zu vermeiden, das in diesem Kontext wirklich fehl am Platze wäre.

Wenn meine Beobachtungen zutreffen, ist aus ihnen abzuleiten, dass wir es hier mit einer Person zu tun haben, die in infantiler Regression bei der Mutter verharrt und quasi als gealterter Säugling immer noch nicht wirklich ,entwöhnt‘, sondern nach wie vor auf deren nahrungsspendende Funktion fixiert ist. Die ursprüngliche Muttermilch musste konserviert bzw. haltbar gemacht werden, um die Jahre zu überstehen. Aus der EU-Agrarpolitik weiß man, wie so etwas geht: Man verarbeitet Milch zu Butter (oder Milchpulver, wovon bei Helge Schneider allerdings keine Rede ist). Nach dieser Logik ersetzt der Butter-Vorratsschrank die ursprüngliche Mutterbrust: Wie diese einstmals für den Säugling immer prall gewesen ist, erfreut sich nun die infantile Sprecherinstanz an den unerschöpflichen Buttervorräten des mütterlichen Küchenschranks. Wir verstehen inzwischen, dass die Mutter für ihr Nesthäkchen auch deshalb „die beste Frau“ ist, weil sie sein ,Begehren‘ postwendend erfüllt und nicht – wie andere Frauen – rüde abwehrt: „Sie schmiert es [das Butterbrot] dir, wenn du es verlangst.“ (Hervorhebung von mir.)

Den Rest des Liedes füllen Spielereien mit der speziell nord- bzw. westdeutschen Bedeutung von ,Butterbrot‘. Im Gegensatz zum normalen Wortsinn bezeichnet der Begriff (dialektal auch ,Bütterken‘) hier ein irgendwie belegtes oder mit einem beliebigen Aufstrich versehenes Brot, wobei Butter nicht einmal zu diesem Aufstrich gehören muss. Daraus ergeben sich komische Aufstrichvarianten – beispielsweise mit „Teewurst“ oder „Leberwurst“ – die sich nach vorherrschenden Geschmacksmustern nicht mit Butter vertragen. Mit Hilfe der jazzigen Töne und Rhythmen in den Schlusstakten distanziert sich der Künstler Helge Schneider von der Situation des Liedes, zeigt seinem Publikum an, dass alles ein Spaß, sprich: eine Art Rollengedicht war und man ihn selbst – bitteschön! – nicht mit der infantil-regressiven Sprecherdistanz des Buttersongs verwechseln möge.

Hans-Peter Ecker (Bamberg)

Die rote Sonne von Irgendwo anders. Das Genre des Sommerhits in seinen verschiedenen Stadien – von den Flippers zu Helge Schneiders „Sommer, Sonne Kaktus“ Teil II

Helge Schneider

Sommer, Sonne, Kaktus!

Sommer, Sonne, Kaktus
Playing Featherball on the beach.
Blauer Himmel, gute Laune and a beautiful girl aufm Schoß.

Never, never go to work, lieber holiday.
Die Gitarre um Hals, schnell gekämmt,
ja das is the way.

Sommer, Sonne, Kaktus,
Paella in the Bauch.
Blauer Himmel, gute Laune, ja das is the Brauch.

Sommer, Sonne, Kaktus,
no more come nach Haus.
Sommer, Sonne, Kaktus,
jaja der holiday is noch nich aus.

Never, never go to work,
lieber planschen und sich anziehn fein.
Look the girls on the Po by the tolle sunshine.

Sommer Sonne Kaktus,
Paella in the Bauch,
blauer Himmel, gute Laune,
jajajaja das ist hier der Brauch.

Sommer, Sonne, Kaktus,
keine Wolke zu sehn.
Sommer, Sonne, Kaktus,
ach wie ist das schön.

Playing in the sand
here on by the strand,
tauchen, trinken und essen.
playing in the sand
here on by the strand
and the Hausschlüssel vergessen.

Sommer, Sonne, Kaktus,
ach wie is das schön.
Sommer, Sonne, Kaktus,
ich will nie mehr arbeiten gehn.

Hey!!

Sommer, Sonne, Kaktus,
playing Federbäll on the beach.
Blauer Himmel, gute Laune
and a beautiful girl aufm Schoß.

Sommer, Sonne Kaktus,
ach wie wär das schön,
doch leider hier in Duisburg,
muss ich ins Hallenbad gehn.

Und es is auch für mich... was das denn? Ne Laus? Scheiße, ich hab Läuse…
Illusion
Sommer, Sonne, Kaktus
Hier am Badestrand sind sie alle krank
Lalalalalalala
(ad lib.)

 

Sieht man Die rote Sonne von Barbados als ein Beispiel für ein Stadium des romantisch-dekadenten Sommerhits, in dem inhaltliche Kohärenz und Konsistenz im Zerfall begriffen sind und hinter einen opulenten Reizwortschatz und eine glitzernde Romantikoberfläche zurücktreten, dann kann man Helge Schneiders Sommersong Sommer, Sonne, Kaktus als weiteren Auflösungsschritt hin zum dadaistischen Sprachspiel sehen und als ironischen Reflex auf die serielle Sommerlichkeit im klassischen Sommerschlager.

Helge Schneiders Sommerhit kann man somit als Reaktion auf vorangegangene Sommerhits mit ihrem ästhetizistischen Budenzauber und ihrer Konzentration auf die Wortwirkungsebene lesen. Sommer, Sonne, Kaktus begegnet den Konventionen des Genres mit linguistischer Verspieltheit und ironischer Brechung von popkulturellen Klischees, mit einer Art postmodernem Dadaismus. Augenzwinkernd geht er sogar noch einen Schritt weiter als der Flipperstext und zerstört die Wortebene zugunsten der Lautebene.

Teil II: Aserejé, Kaktus! Postmoderner Dadaismus.

Gedanken zu Helge Schneiders Sommerhit Sommer, Sonne, Kaktus (2013)

Schon im Titel bricht Helge Schneider gemäß der Komikregel ‚zwei Bestandteile etablieren ein Muster, der dritte bricht es‘ die Dreieinigkeit des Sommervokabulars: Sommer, Sonne, Kaktus. Die lautliche Seite des Worts Kaktus steht dabei mit seinen Plosiven gegen die summenden Nasale der Sommersonne. Dass die erste Silbe der stachligen Wüstenpflanze dabei ein fröhliches Kack empfiehlt, ist sicherlich kein Zufall. Ist es doch auch eine Komikerregel, dass Fäkalausdrücke und Verschlusslaute schon qua ihrer sprachlichen Realisation dem Publikum ein Glucksen entlocken. Wenn Schneider in der Aufnahme am Schluss wie bei einem Sprung in der Schallplatte an der Silbe Ka („Kaktus, Ka-ka-ka-kaktus“) hängen bleibt, dann ist das nicht nur dadaistisch-ulkiger Rhythmus, sondern durch die Endlosschleife von Kaka auch Kommunikation reiner Scheiße.

Ein weiterer Effekt dieser Wortzerstückelungen, die sich auch in Zusammenhang mit dem „Ha-ha-ha-Hallenbad“ finden, ist – um die Argumentation des inhaltlichen Zerfalls wieder aufzugreifen –, dass eine eindeutige Semantik des Worts hinter dem Wortlaut zurücktritt. Durch Wortspielerei und Mehrdeutigkeit gerät die tragikomische Sommerhitgeschichte auf inhaltlicher Ebene in den Hintergrund. Die ist zunächst eine klassische: Bei den in den ersten Strophen des Lieds geschilderten Strandaufenthalt handelt es sich um eine idealisierte Traumwelt (mit blauem Himmel, Federball) ähnlich wie bei den Flippers. Folglich soll der Urlaub niemals enden: „[I]ch will nie mehr arbeiten gehen“.

Wie allerdings der titelgebende Kaktus schon andeutet, finden sich bewusst gesetzte Stachel in der Sommerharmonie. Das Idealbild wird immer wieder komisch gestört, ob es nun die vergessenen Hausschlüssel sind (die einem einen entspannten Tag am Strand wohl mental zur Hölle werden lassen: Wo hab ich sie nur…?) oder aber die Schlusspointe vom Daheimgebliebenen, der sich mit einem Duisburger Hallenbad und seinen Läusen begnügen muss. Duisburg vermittelt bodenständigen Ruhrpott-Charme und damit das Gegenteil von Palmenflair. Dazu klingt der Name einfach auch la-la-la-lustig, lustig.

Durch die Überbetonung der Sommerklischees bei gleichzeitiger Brechung derselben wird der männlich konnotierte Voyeurismus des Po-Begaffens der girls entschärft. Mag der wohl männliche Sprecher sich auch gockelhaft sein (schütteres?) Haar zurückkämmen und die Gitarre um den Hals hängen, ins Duisburger Hallenbad passt der südliche Westentaschengigolo damit eher nicht, wirkt fehl am Platze. Inkongruenz ist komisch: Die Schlusspointe entlarvt die zuvor erzählte Geschichte vom südlichen Strandaufenthalt als eitle Sehnsuchtsphantasie, der man fasst romantisches Fernweh unterstellen könnte. Wo das Sommerlied im Falle der Flippers allerdings genau auf diesen Gefühlseffekt zuläuft und dabei stehen bleibt, ist im Falle des Dada-Songs das gezeichnete Panorama Vorbereitung für den Schlussgag.

Dieses Spiel mit Konventionen der Sommerhitlyrik und deren Brechung lässt sich als postmodern klassifizieren, wenn man diesen Begriff als Bezeichnung für einen augenzwinkernden Umgang mit Genrekonventionen, der damit eine implizit reflexive Tendenz aufweist, gelten lässt. Zieht man Schneiders Performance und das Video zum Hit hinzu, unterstreicht dies den postmodernen Eindruck. Durch überdeutliches Ausstellen der Playback-Praxis des (Sommer-)Schlagerbetriebs, wie sie die Flippers vorleben, dekonstruiert er diese, macht sie offensichtlich und schafft gleichzeitig einen selbstreflexiven Sommerhit.

Ebenso lässt sich Schneiders Hit in einen Tradition des Dadaismus und des Nonsense-Lieds stellen, wie bei den Lautexperimenten bereits angedeutet. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch das ständige code-switching und den Einsatz von Denglish, wodurch der Inhalt (wohl zumindest beim ersten Hören) zunächst verschwimmt. Das Heraushören von Versatzstücken und die absichtlich falsche Aussprache erzeugen dabei Komik. Die sommerlichen Wörter und Wortfetzen („Sonne“, „Sommer“, „Strand“, „sunshine“) reichen schließlich auch aus, um den Eindruck eines Sommerschlagers zu vermitteln (wie bei den Flippers). Denn trotz des Spiels mit den Konventionen des Sommerhits ist Sommer, Sonne, Kaktus dennoch selbst genau das, ein Sommerhit.

Mit der Tendenz zur Wortzerstörung deutet Schneiders Hit also auch an, dass in der Popwelt des 21. Jahrhunderts manchmal noch nicht einmal „richtige“ Schlagwörter beim Hörer ankommen müssen (womit die anfängliche Formel nur doch ein Richtwert ist), um ein Sommerhitgefühl zu erzeugen. Die Genrekonvention sind bekannt, der Inhalt ist zweitrangig geworden. Deswegen kann zum Beispiel eine Kaktuspflanze (mit ihren Westernassoziation) eine Palme wirkungsvoll ersetzten. In manchen Fällen reicht gar ein gewöhnter Sommerhit-Gestus (in Form von Musik, südlich klingenden Lauten und entsprechender Performance) aus, um ein summer (hit) feeling beim Hörer zu erzeugen:

Las Ketchups Ketchup-Song bedient nur andeutungsweise einen spanischen Zungenschlag, besteht in Teilen aus einer Phantasiesprache. Los del Rios’ Macarena klingt spanisch, is’ es auch, allerdings werden darin vor allem die Körperfreuden einer Dame besungen (vgl. Wikipedia). Ähnliches gilt für den brasilianischen Song Ai, se eu te pego! (vgl. Wikipedia). Gemeinsam haben diese Lieder, dass sie nach Sommer, Sonne, Süden klingen, ohne davon zu singen. Und das reicht ja manchmal schon aus, in einer lauen Sommernacht im Kaktushain von Irgendwo.

Florian Seubert, Oxford