Alternatives Muttertags-Ständchen: Helge Schneiders „Buttersong“ (1993)
11. Mai 2014 Hinterlasse einen Kommentar
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Helge Schneider Buttersong Hast du eine Mutter, so hast du immer Butter. Mutter ist die beste Frau. Und der Schrank ist immer voll Butter. Mutter hat die schönsten Kleider. Und der Schrank ist immer voll, voll mit Butter für das Butterbrot. Hast du eine Mutter, dann hast du immer lecker Essen zu Hause und auf der Arbeit. Hast du eine Mutter, sie schmiert dir ein Brot – besser als wenn du eine geschmiert kriegst, denn das tut seeehr weeeh! Hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter. Mutter ist die beste Frau. Hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter im Schrank für das Butterbrot. Sie schmiert es dir, wenn du es verlangst. Sie schmiert es gut mit Wurst oder Käse, Wurst oder Käse, Teewurst, Leberwurst oder Käse. Hast du eine Mutter so hast du immer Butter im Schrank, im Schrank, im Schrank. Babalebumababalebau. [Helge Schneider: Es gibt Reis, Baby. EMI 1993]
Der Buttersong (erschienen auf dem Comedy- und Musikalbum Es gibt Reis, Baby, 1993) ist ein Fest für Helge-Fans, für unvorbereitete Hörer ist das Wort ,Herausforderung‘ vermutlich eine dreiste Untertreibung. Der Interpret schafft es dank der ihm eigenen Gesangstechnik, den spröden Prosatext wenigstens halbwegs wie ein Lied klingen zu lassen, das am Ende sogar einen Anflug von jazzigem Drive gewinnt. Meine Interpretation wird sich im Folgenden allerdings vor allem auf den Text konzentrieren.
Die (männliche) Sprecherinstanz macht es sich darin zur Aufgabe, die Mutter zu preisen. Schaut man sich die Formulierungen näher an, gewinnt man den Eindruck, dass es dem Sänger weniger um das Lob der eigenen, vielleicht besonders liebenswürdigen oder aufopferungsvollen Mutter geht, als um die Rühmung der Mutter schlechthin, genau genommen der Mutter als nährender Institution. Wie ein eisernes Naturgesetz paukt er seinen Hörern die Grundregel ein: „Hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter.“ So sehr sich das Reimpaar Mutter/Butter in klanglicher Hinsicht aufdrängen mag, so überraschend-grotesk erscheint – allerdings nur auf den ersten Blick! – die gedankliche Konstruktion, die im ,Song‘ viermal wiederholt und noch weitere zweimal in Varianten angedacht wird. Für die Sprecherinstanz allerdings folgt aus jenem ersten Axiom (,Mutter impliziert Butter‘) sehr schnell eine zweite Gewissheit: „Mutter ist die beste Frau“!
Die nächsten Sätze des Textes überraschen das Publikum immer wieder mit scheinbar unsinnigen, teils weitgehend redundanten Nachträgen, teils völlig aus dem Zusammenhang springenden neuen Feststellungen. Da ist von einem – wohlgemerkt mit Butter! – bestens angefüllten Schrank die Rede, gleich darauf von der schicken mütterlichen Garderobe, dann wieder vom Vorratsschrank und schließlich auch noch von der Verwendung der im Übermaß vorhandenen Butter für leckere Butterbrote zu Hause wie auf der Arbeit. Endlich schließt der erste Absatz mit einem kalauernden Wortspiel um die Doppelbedeutung von ,schmieren‘. Der zweite Absatz fügt dem Bekannten außer einer logisch schrägen Assoziationsreihe möglicher Brotbeläge nicht allzuviel Neues hinzu. Er unterstreicht die mütterliche Bereitschaft, wenn immer es ,verlangt‘ wird, Butterbrote zu schmieren, und betont am Ende durch die dreimalige Wiederholung des Wortes „Schrank“ noch einmal die Fixierung der Sprechinstanz auf die mütterliche Butter-Vorratshaltung. Zwischenfazit: Wenn Helge Schneiders Text mehr als puren Nonsense darstellen sollte, bedarf er offensichtlich einiger unterstützender Erläuterungen.
Ich setze mit meiner Interpretation beim Wortspiel mit der Doppelbedeutung von „schmieren“ in der Mitte des Textes an, weil es mit der Kundgabe einer heftigen emotionalen Regung verbunden wird. Der Sänger lässt uns hier an einer mit Glück und Leid verbundenen Lebenserfahrung partizipieren, die seinem Gedächtnis offenbar tief eingraviert ist: Er hat gelernt, dass es angenehmer ist, von der Mutter ein Brot ,geschmiert‘ zu bekommen, als eine Ohrfeige zu kassieren (dialektal: ,eine geschmiert zu kriegen‘) – denn letzteres „tut seeehr weeeh!“ Ich vermute hier einmal stark, dass der Sprecher besagte Ohrfeige nicht von seiner Mutter, sondern von einer anderen weiblichen Person erhalten hat, der er sich – in welcher Form auch immer – zu nähern suchte. Dass jener Anbandelungsversuch wahrscheinlich nicht besonders geschickt eingefädelt worden war, können wir uns angesichts der intensiven Mutterbindung dieses Helden leicht vorstellen. Obwohl er kein Kind mehr sein kann, denn Mutter gibt ihm ihre fantastischen Butterbrote ja auch auf die Arbeit mit, lebt er noch im ,Hotel Mama‘ und ist selbst gedanklich kaum in der Lage, einen kindlichen Radius zu überschreiten, geschweige denn ein erotisches Begehren zu kommunizieren. Immerhin signalisiert der vierte Satz, der die „schönsten Kleider“ der Mutter erwähnt, eine gewisse sexuelle Affizierbarkeit, um das Wort ,Reife‘ zu vermeiden, das in diesem Kontext wirklich fehl am Platze wäre.
Wenn meine Beobachtungen zutreffen, ist aus ihnen abzuleiten, dass wir es hier mit einer Person zu tun haben, die in infantiler Regression bei der Mutter verharrt und quasi als gealterter Säugling immer noch nicht wirklich ,entwöhnt‘, sondern nach wie vor auf deren nahrungsspendende Funktion fixiert ist. Die ursprüngliche Muttermilch musste konserviert bzw. haltbar gemacht werden, um die Jahre zu überstehen. Aus der EU-Agrarpolitik weiß man, wie so etwas geht: Man verarbeitet Milch zu Butter (oder Milchpulver, wovon bei Helge Schneider allerdings keine Rede ist). Nach dieser Logik ersetzt der Butter-Vorratsschrank die ursprüngliche Mutterbrust: Wie diese einstmals für den Säugling immer prall gewesen ist, erfreut sich nun die infantile Sprecherinstanz an den unerschöpflichen Buttervorräten des mütterlichen Küchenschranks. Wir verstehen inzwischen, dass die Mutter für ihr Nesthäkchen auch deshalb „die beste Frau“ ist, weil sie sein ,Begehren‘ postwendend erfüllt und nicht – wie andere Frauen – rüde abwehrt: „Sie schmiert es [das Butterbrot] dir, wenn du es verlangst.“ (Hervorhebung von mir.)
Den Rest des Liedes füllen Spielereien mit der speziell nord- bzw. westdeutschen Bedeutung von ,Butterbrot‘. Im Gegensatz zum normalen Wortsinn bezeichnet der Begriff (dialektal auch ,Bütterken‘) hier ein irgendwie belegtes oder mit einem beliebigen Aufstrich versehenes Brot, wobei Butter nicht einmal zu diesem Aufstrich gehören muss. Daraus ergeben sich komische Aufstrichvarianten – beispielsweise mit „Teewurst“ oder „Leberwurst“ – die sich nach vorherrschenden Geschmacksmustern nicht mit Butter vertragen. Mit Hilfe der jazzigen Töne und Rhythmen in den Schlusstakten distanziert sich der Künstler Helge Schneider von der Situation des Liedes, zeigt seinem Publikum an, dass alles ein Spaß, sprich: eine Art Rollengedicht war und man ihn selbst – bitteschön! – nicht mit der infantil-regressiven Sprecherdistanz des Buttersongs verwechseln möge.
Hans-Peter Ecker (Bamberg)