Von der (damals noch) schleichenden Kommerzialisierung des Fußballs. Zu Gerhard Bronners „Der Opitz und der Zwirschina“ (1957)

Gerhard Bronner

Der Opitz und der Zwirschina

Wir habʼn als klane Gʼschroppen ein Ziel vor uns gesehʼn
Wir wollen sehr berühmt werdʼn und in der Zeitung stehn
Egal, obʼs als Verbrecher oder Bundeskanzler war
So wählten wir den Mittelweg und wurden Fußballstar
Und jetzt schätz die ganze Fußballjugend
Den Opitz und den Zwirschina,
Das bin ich und dieser da
Als Vorbild sportlicher Tugend
Von Hütteldorf und Floridsdorf
bis nach Amerika.

Zwaa Haxn und a Laaberl, einen Dress und einen Kopf
Den braucht man nämlich ab und zu zum Köpfeln
Dann braucht man einen Schmäh
Um den Herrn vom ÖFB
Diäten und Moneten abzuknöpfeln.
Weil der Opitz und der Zwirschina
Sind nicht zum Vergnügen da
Und gratis tut das Fußballspielen weh
Und ladʼt uns ein Verein
Zu einem scharfen Training ein,
Da müssen wir energisch protestieren:
Wir wollen unsʼre Ruah
Besonders in der Fruah,
Weil wir da noch den Wein von gestern spüren.
Der Opitz un der Zwirschina
Sind nicht zum Trainieren da,
Weil da schaut außerʼm Trainer keiner zua.
Ja, beim Trainieren da kommst ins Schwitzen
Und strapezierst den internationalen Fuß.
Da tun wir lieber im Klubhaus sitzen
Und sagʼn dem Nachwuchs, wie man Fußballspielen muss.
Und wenn man ʼmal ein Match verliert
Was hie und da passsiert
Weil schwache Stunden habʼn wir schließlich alle
Dann sagen wir sofort
Darüber reden wir kein Wort
Weil Gʼwinnen spielt beim Fußball keine Rolle
Zum Gʼwinnen sind die Andern da,
Der Opitz und der Zwirschina
Die denken – wenn sie denken – nur an Sport.

Pepi, schieß her da!
Hatschert schau!
Nimm eahm krowotisch!
Scheib eahm ins Loch!
Schiedsrichter, mach die Glurren auf!
Outwachler, geh furt!

Ja, ja, der Opitz und der Zwirschina
Das bin ich und dieser da
Die reden – wenn sie reden – nur vom Schpurt
Hörst, der hat der a Maasen
Schau, hinter Dir!
Gʼfäulter geh baden!
Nimm eahm mitʼn Eisenbahnerschmäh!
Foul – der haut eahm inʼd Röhrln,
Zwirnblader, steig eahm an Huat!
Ja, ja, der Opitz und der Zwirschina
Das bin ich und dieser da
Die reden – wenn sie reden – nur vom Schpurt.

Pepi, hörst, da fallt ma ein, i muuaß da was derzöhln:
Da neulich im Kaffeehaus, da redʼt mich einer an
Ein Patzen Kren aus Frankreich, ein reicher Fußballfan.
Der bietet hundert Fetzen – I sag eahm: ja, i brauchʼs,
Dafür spielʼ ich ab nächstes Jahr beim F.C. Bordeaux.

Aber geh, die lassen uns net laufen
Weil Opitz oder Zwirschina
Habʼnʼs ja nicht so viele da.

Dann kriegʼn ma noch höhʼre Schraufen.
Die brennen net – wir rennen net.
Weil trotzig samma aa.

Den Fußball unterstützen ist die erste Bürgerpflicht,
So hieß es kürzlich erst auf einer Tagung.
So denkt auch nebenbei
Eine große Brauerei
Und zahlt a ganze Fußballübertragung.
Doch der Opitz und der Zwirschina
Kriegen nix von denen da,
Drum ist das eine patzen Schweinerei.
Und leider sind in letzter Zeit Verräter unter uns,
Die zersetzen unsern Sportlergeist von innen.
Die habʼn a Ambition.
Die Folgen merkt man schon,
Wennʼs hie und da ein Ländermatch gewinnen
Und der Opitz und der Zwirschina
Stehʼn dadurch als Sandler da,
Der Undank ist und bleibt der Welten Lohn
Jedoch die Presse
Ist niemals böse,
Auch wenn wir noch so sehr bedient sind auf die Schläuchʼ
Was wir auch treiben,
Die werden schreiben:
Ein Unentschieden ist ein Sieg für Österreich!
Auf diese Art bekommt man eine Popularität
Und eventuell a Tankstellʼ mit zwei Pumpen.
Doch wenn ein Star net kriegt,
Worauf er eben fliegt,
Dann laßt er sie halt stocken diese Lumpen.
Der Opitz und der Zwirschina
Machen niemals ein Trara,
Nur – sie spielen bisserl ungeschickt:

Pepi, tua wassern!
Gʼstauchter bleib stehʼ!
Mir geht die Luft aus …
Die Füaß tuan ma weh.
Schau dir was an!
Jetzt habʼn uns die Luxemburger schon des sechste Bummerl gʼschossʼn.
Da kannst nix machen, das sind halt Amateure …
Doch der Opitz und der Zwirschina –
Das bin ich und dieser da –
Die denken – wenn sie denken …
Die reden – wenn sie reden …
Nur von an aanzigen Ideal: den Sport!

     [Zitiert nach: Gerhard Bronner: Die goldene Zeit des Wiener Cabarets. 
     St. Andrä-Wödern 1995.]

Bei Fußballweltmeisterschaften in Südamerika sahen die deutschen Vertreter bis dato ja immer verhältnismäßig schlecht aus. 1930 in Uruguay und 1950 im jetzigen Gastgeberland Brasilien reiste man erst gar nicht an,1962 in Chile war im Viertelfinale Schluss, 1978 in Argentinien gab es dann den Modus der Zwischenrunde und die sogenannte „Schmach“ oder „Schande“ (bzw. – aus gegnerischer Sicht – das „Wunder“) von Córdoba: am 21. Juni 1978 verlor die westdeutsche Auswahl – wie mittlerweile wieder und wieder und wieder erzählt (vgl. Verteidigung dieser fortgesetzten Erzählungen durch Hans Krankl), medial verarbeitet (siehe etwa Parodie von Christoph Grissemann und Dirk Stermann) oder sogar künstlerisch aufbereitet wurde (siehe Inszenierung durch Massimo Furlan im Wiener Hanappi-Stadion 2008) – mit 2:3 gegen die Nationalmannschaft Österreichs (hier ein Zusammenschnitt der Live-Übertragung des deutschen Fernsehens). Das passierte u.a. wegen der fußballerischen Fähigkeiten von Spielmacher Herbert „Schneckerl“ Prohasaka (Auszug aus ORF-Radiokommentar von Edi Finger: „noch einmal Deutschland am Ball und Prohaska haut den Ball ins Out“) und Doppeltorschütze Hans Krankl („I werʼ narrisch! Krankl schießt ein“).

Trotz „Johann K.s“ großartigem Lonely Boy ist man sich allgemein darüber einig, dass die sängerischen Fähigkeiten von Krankl und Prohaska als vergleichsweise bescheiden zu bewerten sind. Über die Art, mit der sie sich 1990 – Prohaska war zuvor zum Übungsleiter bei der Wiener Austria (Vereinsfarben Violett und Weiß); Krankl war Trainer beim Stadtrivalen SK Rapid (Grün und Weiß) – als die Figuren Opitz und Zwirschina präsentierten, urteilte Gerhard Bronner:

Kennen Sie das Gefühl, wenn sich einem vor Peinlichkeit innerhalb der Schuhe die Zehen einringeln? So erging es mir damals beim Betrachten dieser Darbietung. Die beiden Herren sahen zwar, im Unterschied zu Wehle und mir, wie wirkliche Fußballer aus. Aber das ist auch schon das einzig Positive, was über diesen Auftritt zu berichten wäre.

Die „größere Publicity“, die den beiden Helden von Córdoba mit ihrer Version seines Liedes (hier die Originalversion von Bronner mit Wehle aus dem Jahr 1957) naturgemäß zukam, machte Kabarettist und Komponist Bronner bewusst, dass er „den falschen Beruf gewählt“ hatte (zit. nach: Bronner: Die goldene Zeit des Wiener Cabarets, S. 60). Fußballprofi müsste man sein. Fußballprofis bekommen krass viel Aufmerksamkeit, verdienen absurd viel Geld und fahren unerhört luxuriöse Autos (vgl. hierzu aktuell den Bericht der NDR-Sendung Panorama 3 vom 10.6.2014).

Wer deshalb eine Neiddebatte anstoßen möchte, sollte das vielleicht besser nicht versuchen, solange Deutschland bei einer Weltmeisterschaft Spiele gewinnt. Fest steht, dass das oft pervers erscheinende Verhältnis von Profifußball und Geld nur die Konsequenz unserer anhaltenden Begeisterung und das Ergebnis einer seit Jahrzehnten fortschreitenden Entwicklung ist (vgl. aus früheren Zeiten z.B. die Aussagen von Michael Rummenige aus den 1980er Jahren oder etwa den Prämienstreit der DFB-Elf bei der WM 1974). Am Anfang besagter Entwicklung standen Exemplare wie hier „der Opitz“ und „der Zwirschina“, denen das Fußballspielen „gratis“ schon damals „weh“ tat, die bei nicht ausreichender Bezahlung „energisch protestier[t]en“ oder gar „a bisserl ungeschickt“ spielten, denen es verstärkt darum ging, mit „Schmäh / […] den Herrn vom ÖFB / Diäten und Moneten abzuknöpfeln“, deren Forderungen aber angesichts aktueller Ausmaße doch noch recht bescheiden erscheinen.

Über die Inspiration für diese Kabarettnummer schrieb Bronner rückblickend: „Länderspiele wurden schmählich verloren, die wenigen guten Spieler gingen ins Ausland, andere waren nur dadurch in Österreich festzuhalten, daß ihnen irgendwelche Mäzene Tankstellen oder sonstige sichere Einnahmequellen spendierten.“ (zit. nach: Bronner: Die goldene Zeit des Wiener Cabarets, S. 60) Von einer „Tankstellʼ mit zwei Pumpen“ lassen sich die heutigen Nationalspieler freilich nicht mehr zum Verbleib bewegen, umgekehrt reichen „hundert Fetzen“ Handgeld auch kaum mehr für einen Vereinswechsel. Bronner karikierte den gewieften Berufsfußballer, wie er sich 1957 zunehmend geschäftstüchtig und weniger idealistisch präsentierte. Aus heutiger Sicht wirken die zwei Wiener Fußballlegenden ziemlich genügsam und als „Typen“ (vgl. zur Bedeutung bzw. erhöhten Wertigkeit des Begriffs „Typen“ aktuell die Aussagen von Kevin-Prince Boateng) auch darüber hinaus durchaus sympathisch. Nicht wenige vermissen im modernen Fußball die Enfants terribles, die sich – wie etwa George Best, Eric Cantona oder Ansgar Brinkmann – auch mal unverkrampft trainigsfaul geben, weil sie noch den „Wein von gestern spüren“. Wieviel unterhaltsamer wäre schließlich der ganze Fußballzirkus, wenn es zumindest ab und an noch ein bisschen unprofessioneller zuginge?

Dass „Opitz“ und „Zwirschina“ hier – statt immer nur an ihrer eigenen Fitness zu feilen – „dem Nachwuchs [erklären], wie man Fußballspielen muß“, mutet nachgerade romantisch an. Ebenso nostalgisch wirkt der einleitende Verweis auf die Protagonisten als „klane Gʼschroppen“, die sich wünschten „sehr berühmt [zu] werdʼn“. Die Karriere als Fußballer wird dabei als „Mittelweg“ zwischen „Verbrecher“ und „Bundeskanzler“ verortet – eine Umschreibung, die abgesehen vom jeweiligen Nettoeinkommen noch heute passt. Es sei dahingestellt, ob Deutschlands Fußballnationalmannschaft doch einmal in Südamerika erfolgreich sein kann; schade, dass sich Österreich nicht qualifizieren konnte – und sehr schade, dass es dabei an Spielern wie Opitz und Zwirschina mangelt.

 Martin Kraus, Bamberg