Luftraum über Berlin. Zu „Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist!“ (1942) und „Der Insulaner verliert die Ruhe nicht“ (1948)


Manfred Heidmann (Text: Bruno Balz)

Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist!

Ja, na, Licht ist wunderschön,
wenn wir bummeln gehen,
doch das lassen wir jetzt bleiben.
Wie man sieht, geht es auch so,
wir sind auch im Dustern froh.

Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist,
wir Berliner, wir Berliner bleiben helle.
Und wenn man auch dies oder das vermißt,
der Berliner bleibt ein lustiger Geselle.
Es kann der fehlende Laternenschein
bevölkerungspolitisch äußerst wertvoll sein.
Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist,
der Berliner bleibt doch helle,
denn er ist ein Optimist.

Fehlt uns das Laternenlicht?
Nein, das fehlt uns nicht,
das kann auch der Mond besorgen,
und wenn der sich auch versteckt,
das hat uns noch nie erschreckt.

Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist, [...]

     [Manfred Heidmann: Grüß mir die Berolina ... / Wenn unser Berlin auch
     verdunkelt ist! Grammophon 1942.]

Ethel Reschke (Text: Günter Neumann)

Der Insulaner verliert die Ruhe nicht

Es liegt eine Insel im roten Meer,
und die Insel heißt Berlin,
und die Brandung geht schwer,
und die dunklen Wolken ziehen.

Der Osten ist nah, und der Westen ist fern,
und manch Flugzeug dröhnt durch die Nacht,
und wacht man dann auf, haben verärgerte Herren
sich etwas Neues ausgedacht.

Wir wollen unter fremdes Joch nicht,
trotz Drohungen und Atom,
wir bleiben auf dem Teppich, und noch nicht
kriegen sie uns auf den Boden.

Der Insulaner verliert die Ruhe nicht,
der Insulaner liebt keen Getue nicht,
und brummen des nachts auch laut die viermotorigen Schwärme,
det is Musik für unser Ohr, wer redt vom Lärme.

Der Insulaner träumt lächelnd wunderschön,
dass wieder Licht ist und alle Züge gehen.
Der Insulaner hofft unbeirrt,
dass seine Insel wieder ein schönes Festland wird.

In den letzten Monaten musste das Image der Hauptstadt unter dem Bau eines neuen Großflughafens leiden (vgl. hierzu etwa ein Interview der Berliner Zeitung), der öffentlichkeitswirksam als „Großversagen“ (Die Zeit) kritisiert wurde. Berlin, so hieß es, sei „arm, sexy und auch noch zu doof, um eine Halle zu bauen“ (Lausitzer Rundschau). Lange her ist die Zeit, in der der Flugverkehr über Berlin als „ein Symbol der Entschlossenheit, ein Symbol des Widerstands und letztlich ein Symbol der Freiheit“ (Rede des stellvertretenden  US-Verteidigungsministers 1998) funktionierte, die Zeit, in der es – wie bereits in einem Beitrag von Hans-Peter Ecker hier zu lesen war – nicht nur eine tatsächliche, sondern auch eine „singende Luftbrücke“ gab.

Ein Dokument aus den zehneinhalb Monaten zwischen dem 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949, in denen zeitweise alle drei Minuten ein Flugzeug der Westalliierten landete, um der sowjetischen Berlin-Blockade zu trotzen und die westliche Hälfte der Stadt zu versorgen, ist das von – dem hier bereits im Zusammenhang mit dem Wirtschaftswunder vorgestellten – Günter Neumann geschriebene erste „Insulanerlied“ mit dem Titel Der Insulaner verliert die Ruhe nicht (zu Weihnachten 1948 vorgetragen von Ethel Reschke). Das Kabarettprogram rund um Die Insulaner (hier ein weiteres Insulanerlied aus dem Frühjahr 1949 sowie das Lied Wir sind kapitalistisch geknechtet  von 1952) etablierte sich in der Folge als eine feste Marke des RIAS und blieb, bis die Lage mit dem Mauerbau 1961 zu sensibel für Scherze wurde, ein – wie es auf Wikipedia heißt – viel gehörter „Bestandteil eines lokalpatriotischen Antikommunismus, wie er wohl nur in der Zeit des Kalten Krieges entstehen konnte“.

Berlin wird hier entsprechend als „eine Insel im roten Meer“ besungen, bedroht vom nahen Osten und deren „Atom“ und behütet vom fernen Westen und dessen „viermotorigen Schwärme[n]“. Wenn „manch Flugzeug dröhnt durch die Nacht“ ist das keine Lärmbelästigung, sondern ein Lichtblick inmitten der „dunklen Wolken“, die sonst über den Berliner Nachthimmel ziehen. Derweil „träumt [der  Insulaner] lächelnd wunderschön, / dass wieder Licht ist und alle Züge gehen“. Als echter Berliner mit all seinen typischen Eigenschaften „verliert [er] die Ruhe nicht“ und „liebt keen Getue nicht.“ Durch Schlager ein ebenso unkompliziertes wie widerstandsfähiges Wesen attestiert zu bekommen und damit zum Durchhalten aufgerufen zu werden, war für ihn da freilich bereits ebenso zur Routine geworden wie das Durchhalten selbst.

1942 ging es etwa um die Verdunklung Berlins als Luftschutz-Maßnahme. Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist entstammt den Federn von Bruno Balz (wie u.a. auch Davon geht die Welt nicht unter und Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen aus dem selben Jahr) und dem in der Folge zum stellvertretenden Fachschaftsleiter der Komponisten in der Reichsmusikkammer erhobenen Franz Grothe (wie etwa auch Wir werden das Kind schon schaukeln aus dem Jahre 1941 sowie später eben auch die Musik zum Text Neumanns über das Wirtschaftswunder). Gesungen wurde es von dem damals gerade 22jährigen Schauspieler Manfred Heidmann. Mit guter Miene zum Bombenkrieg wurde gemäß Goebbelscher Propaganda geträllert, dass man „auch im Dustern froh“ sein könne. „Licht ist wunderschön“, aber „Bummeln gehen“ müsse momentan ausfallen. Dafür könne, so heißt es mit einem zynischen Augenzwinkern, „der fehlende Laternenschein bevölkerungspolitisch äußerst wertvoll sein“ – schließlich benötigte das Reich Nachschub an Soldaten.

Um einer Kriegsmüdigkeit entgegenzuwirken, wurde dem Berliner eine heitere Identität als „Optimist“ und „lustiger Geselle“ gestiftet; der Clou ist, dass man das Licht gar nicht brauche, weil man ja selber so „helle“ sei. Allerdings wurde das hier fröhlich abgehandelte Thema des Liedes mit den ersten Bombenangriffen auf Köln am 30. und 31. Mai 1942 schnell zu ernst, so dass Wenn unser Berlin auch verdunkelt ist – ganz anderes als jene anderen Balz-Texte, in denen beteuert wird, dass die Welt schon nicht untergehen werde und doch noch ein Wunder geschehen könne – wenig Popularität erlangte (vgl. hierzu André Port le Roi: Schlager lügen nicht. Essen: Klartext 1998, S. 30-31).

Martin Kraus, Bamberg

Friede, Aufschwung, Eierkuchen. Zum „Lied vom Wirtschaftswunder“ von Günter Neumann (1958)

Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller (Text: Günter Neumann)

Lied vom Wirtschaftswunder 

Die Straßen haben Einsamkeitsgefühle
Und fährt ein Auto, ist es sehr antik
Nur ab und zu mal klappert eine Mühle
Ist ja kein Wunder nach dem verlorenen Krieg
Aus Pappe und aus Holz sind die Gardinen
Den Zaun bedeckt ein Zettelmosaik
Wer rauchen will, der muss sich selbst bedienen
Ist ja kein Wunder nach dem verlorenen Krieg

Einst waren wir mal frei
Nun sind wir besetzt
Das Land ist entzwei
Was machen wir jetzt?
Jetzt kommt das Wirtschaftswunder
Jetzt kommt das Wirtschaftswunder
Jetzt gibt's im Laden Karbonaden schon und Räucherflunder
Jetzt kommt das Wirtschaftswunder
Jetzt kommt das Wirtschaftswunder
Der deutsche Bauch erholt sich auch und ist schon sehr viel runder
Jetzt schmeckt das Eisbein wieder in Aspik
Ist ja kein Wunder nach dem verlorenen Krieg

Man muss beim Autofahren nicht mehr mit Brennstoff sparen
Wer Sorgen hat, hat auch Likör und gleich in hellen Scharen
Die Läden offenbaren uns wieder Luxuswaren
Die ersten Nazis schreiben fleißig ihre Memoiren
Denn den Verlegern fehlt es an Kritik
Ist ja kein Wunder nach dem verlorenen Krieg
Ist ja kein Wunder nach dem verlorenen Krieg

Wenn wir auch ein armes Land sind
Und so ziemlich abgebrannt sind
Zeigen wir, dass wir imposant sind
Weil wir etwas überspannt sind
Wieder hau‘n wir auf die Pauke
Wir leben hoch hoch hoch hoch hoch höher hoch

Das ist das Wirtschaftswunder
Das ist das Wirtschaftswunder

Zwar gibt es Leut, die leben heut noch zwischen Dreck und Plunder
Doch für die Naziknaben, die das verschuldet haben
Hat unser Staat viel Geld parat und spendet Monatsgaben
Wir sind ne ungelernte Republik
Ist ja kein Wunder, ist ja kein Wunder
Ist ja kein Wunder nach dem verlorenen Krieg     

Mit kaum einem Thema ihrer Geschichte halten sich die Deutschen so gerne auf wie mit dem Wirtschaftswunder – in Zeiten der sogenannten „Europäischen Schuldenkrise“ vielleicht besonders gerne. Wer den „rasanten wirtschaftlichen Aufstieg der Wirtschaft in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg“ (zitiert nach Duden-Definition auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung) nicht noch selbst miterlebt hat, bekam und bekommt sein Wissen über den „Gründungsmythos der Bundesrepublik“ (vgl. hierzu etwa Herfried Mükler: Die Deutschen und ihre Mythen. Berlin 2009)  im Schulunterricht, in Geschichtsdokumentationen  oder eben durch die teilweise doch recht interessanten Erzählungen der Eltern- und Großelterngeneration vermittelt.

So hat man auch als Nachgeborener solide Vorstellungen von den „hohe(n) Wachstumsraten des realen Sozialprodukts besonders in den 1950er-Jahren, wachsenden materiellen Wohlstand sowie den Abbau der Arbeitslosigkeit trotz Zustroms von Flüchtlingen“ (wiederum zitiert nach Duden-Definition auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung). Man weiß: Erst kam die Fress- bzw. Ess-, dann die Kleider-, dann die Bau- und Möbel-, dann die Automobilisierungs- und Reisewelle. Man weiß auch: Von zentraler Bedeutung für die Entwicklung unseres Landes waren die Währungsreform von 1948, der US-amerikanische Marshallplan, die Einführung der sozialen Marktwirtschaft und die damit verbundene besonders umsichtige Politik des Wirtschaftsministers Ludwig Erhard (vgl. Wohlstand für Alle) sowie letztlich auch die außerordentliche Leistungsbereitschaft der Bevölkerung.

Neulich aber sendete die ARD kurz vor Mitternacht eine Dokumentation (Sendung vom 15.07.2013 um 23:50 Uhr), die von den gängigen Darstellungen (vgl. etwa Fall Deutschland oder den empfehlenswerten Beitrag Operation Wunderland. Marktwirtschaft für Anfänger) etwas abwich und versuchte, das Altbekannte ein bisschen in Frage zu stellen. In der FAZ wurde sogleich auf die Probleme der verkürzten Darstellungen dieser Dokumentation hingewiesen, in manchen Foren wurde der Beitrag dagegen sehr gelobt (vgl. z.B. die Diskussion in der „Community“ auf der Internetseite von Der Freitag).

Mit dem Untertitel der Dokumentation wurde der Anspruch erhoben, es würde tatsächlich – zumindest in manchen Punkten – eine bzw. die „wahre Geschichte“ des Wirtschaftswunders erzählt werden. Filmemacher Christoph Weber zitiert in diesem Sinne etwa Belege dafür, dass die vermeintlich außerordentliche Leistungsbereitschaft der deutschen Bevölkerung im europäischen Vergleich gar nicht so überdurchschnittlich gewesen sei. Die westdeutschen Gebiete – und vor allem ihre Industrieanlagen – seien nach den Bombardierungen auch gar nicht so arg zerstört gewesen, wie es immer hieß. Demgegenüber wird herausgestellt, welche Bedeutung die Verzichte anderer Länder – wie eben etwa Griechenland – auf horrende Reparationszahlungen für die wirtschaftliche Entwicklung der jungen BRD gehabt haben. Am Beispiel des langjährigen VW-Chefs Heinrich Nordhoff, der seinen Umgang mit Arbeitskräften in „Speers Kindergarten“ (vgl. zu diesem nicht unumstrittenen Begriff z.B. Nina Grunenberg: Die Wundertäter. Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942-1966. München 2006.) gelernt habe, verweist Weber auf über 1945 hinausgehende persönliche und mentale Kontinuitäten.

Solche Kontinuitäten behandelt auch der Film, aus dem das Lied vom Wirtschaftswunder stammt: Wir Wunderkinder (anzusehen hier) kam 1958 in die Kinos. Regie führte Kurt Hoffmann, unter dessen Leitung vorher u.a. schon die Komödien Quax, der Bruchpilot (1941) und Das Wirtshaus im Spessart (1957) entstanden waren. Heute gilt die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Hugo Hartung (u.a. auch Ich denke oft an Piroschka, 1954) als „einer der wenigen Filme, deren Macher in der damaligen, streng konservativen Adenauer-Ära das Wagnis unternahmen, erstmals die Haltung der Deutschen sowohl im Dritten Reich als auch in der Epoche danach zu kritisieren“ (Kurzbeschreibung des Films bei archive.org).

Skizziert werden darin zwei exemplarische deutsche Lebensläufe vom ausgehenden Kaiserreich über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus bis in die junge Bundesrepublik. Der Sympathieträger, Hans Boeckel, erinnert mitunter ein wenig an Kästners Fabian: Der promovierte Philosoph und Journalist hat moralische Prinzipien und mit den Nazis wenig am Hut, sein wesentlicher Irrtum besteht darin, dass er Hitlers Popularität zu lange für eine nur kurzfristige Erscheinung hält. Der unsympathische Antagonist, Bruno Tiches, gleitet als ein gruselig-charmanter Wendehals vergleichsweise angenehm durchs Leben: Ende der zwanziger Jahre wird er Nazi, in der Mangelwirtschaft nach dem Krieg schnell erfolgreicher Händler, dann Generaldirektor. An der Stelle, an der es – dank der Hilfe eines jüdischen Freundes – schließlich auch Boeckels Familie wieder besser geht, kann man als Kommentierung der Film-im-Film-Handlung das von Günter Neumann getextete und von Wolfgang Neuss vor einer Leinwand zur Klaviermusik von Wolfgang Müller gesungene Lied vom Wirtschaftswunder hören – eine satirische Zusammenfassung der Nachkriegsjahre. Der fröhliche Refrain lässt das Lied wie eine beschwingte Hymne klingen, bei genauerem Hinhören sind freilich beachtliche kritische Ansätze zu erkennen.

Am Anfang stehen Impressionen aus der Stunde Null, wie sie etwa auch in dem auf Neumanns Drehbuch basierenden Film Berliner Ballade von 1948 zu sehen sind. Es wird an die Gegebenheiten vor rund einem Jahrzehnt erinnert: Vor nicht allzu langer Zeit hatten die „Straßen […] Einsamkeitsgefühle“, sie wurden nur noch von einigen wenigen älteren Autos befahren. Das, was noch funktionierte, war „sehr antik“ – die klappernde Mühle wirkt hier beinahe romantisch. Das Wohnen mit beispielsweise Gardinen war improvisiert, auf unzähligen Zetteln wurde nach einer Arbeit und Überlebenswichtigem gesucht, Zigaretten waren Ersatzwährung und noch nicht wieder Konsumgüter. Mit diesen einfachen Bildern und gesenkter Stimme wird von der einstmaligen Situation im besetzten und entzweiten Deutschland erzählt – bis in der einen Hälfte dieses Deutschlands die Naturgewalt Wirtschaftswunder „kommt“. „Jetzt“, tönt es plötzlich heiter, „gibt´s im Laden Karbonaden schon und Räucherflunder“, womit auch besagte Fresswelle möglich wurde – „der deutsche Bauch erholt sich auch und ist schon sehr viel runder“.

Zur zweiten Strophe hat sich die Situation dann grundsätzlich geändert: Nach der Automobilisierungswelle fuhr man eifriger denn je, wobei man damals nicht einmal „mit Brennstoff sparen“ musste. Nach den Zeiten des Mangels gab es wieder Quantität sowie Qualität, Produkte in „hellen Scharen“ und „Luxuswaren“. Allerdings gab es auch wieder Bücher, in denen sich Nazis zu Wort meldeten. Neumann hatte dieser Erscheinung mit Ich war Hitlers Schnurrbart schon 1950 eine bissige Groteske entgegengesetzt. Auf dem Titelblatt zur Erstausgabe hieß es: „Wenn jetzt jeder seine Hitler-Memoiren schreibt, kann der […] Schnurrbart nicht ungestört auf der Bank der Spötter liegen.“

Es lag im Aufgabenbereich des Kabarettisten, darauf hinzuweisen, dass die wirtschaftliche Entwicklung der demokratischen weit vorausgeeilt war. In diesem Zusammenhang steht auch das Misstrauen, mit dem ein Wiederaufleben deutscher Geltungssucht beobachtet wird: „[Ü]berspannt[e]“ Deutsche wollten wieder zeigen wie „imposant“ sie doch sind; „hoch hoch hoch hoch hoch höher hoch“ mag hier an wiederholte „Heil“-Rufe erinnern. Dass auf die Pauke gehauen wird, verweist zusätzlich auf Neuss´ Label als „Mann mit der Pauke“ (vgl. den Wikipedia-Eintrag zu seiner Person http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Neuss).

Zum Ende des Liedes vom Wirtschaftswunder wird schließlich auf eine ungerechte Verteilung des Aufschwungs hingewiesen: Während einige Opfer des Krieges „noch zwischen Dreck und Plunder“ leben mussten, bekamen „Naziknaben“, die den Krieg im Bewusstsein der Menschen ja hauptverantwortlich „verschuldet“ hatten, Pensionsleistungen zuerkannt. Im Kontext dieses Kern-Streitthemas der Anfangsjahre der BRD fällt der Begriff der „ungelernten Republik“. Deutlich wird: Die Deutschen wurde nicht über Nacht gute Demokraten. Nach dem verlorenen Krieg fand kein Demokratisierungswunder statt – „ist ja kein Wunder“.

In einigen der vielen Dokumentationen, die es mittlerweile zum Themenbereich Wirtschaftswunder gibt, dient das Lied vom Wirtschaftswunder als heitere musikalische Untermalung zu den gängigen Bildern des Aufschwungs. Freilich lässt sich in den kurzen Einspielungen selten sein satirischer Gehalt erkennen. So wird nicht immer deutlich, um welch aufschlussreiches Dokument der Nachkriegszeit es sich tatsächlich handelt. Ob der damalige wirtschaftliche Aufschwung nun wirklich ein Wunder oder, wie eben der Dokumentarfilmer Weber herausstellt, doch „gar nicht so wundersam“ (zitiert nach einem Interview im Deutschlandfunk) war, sei hier dahingestellt. Klar ist freilich, dass es sich – auch wenn sich manche Eltern und Großeltern anderes erinnern mögen – keineswegs um eine harmonische Entwicklung ohne Probleme und Kritiker handelte.

Martin Kraus, Bamberg